Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 27.05.2009 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Kostenerstattung für einen stationären Aufenthalt in der D-Klinik N (CDK) vom 20.06.2006 bis 13.07.2006 in Höhe von 11.905,99 Euro in Anspruch.
Der am 00.00.1989 geborene Kläger leidet bzw. litt unter erheblichen Zwangsstörungen sowie depressiven Episoden mit sporadisch auftretenden Suizidgedanken. Bereits vor dem hier streitigen Aufenthalt in der CDK wurde er vom 22.11.2005 bis zum 16.02.2006 in der X Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie N (I-klinik – Bericht vom 20.04.2006) und darüber hinaus ambulant u.a. in der Institutsambulanz C der I-klinik behandelt.
Am 29.05.2006 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer stationären Behandlung in der CDK, die keinen Versorgungsvertrag mit den gesetzlichen Krankenkassen abgeschlossen hat. Dem Antrag beigefügt war ein Bericht des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. N vom 15.05.2006, ein Kostenvoranschlag der CDK vom 17.05.2006 über 11.905,99 Euro sowie ein Bericht der Institutsambulanz C der I-klinik (Dipl.-Psych. C) vom 19.05.2006. In dem Kostenvoranschlag der CDK war u.a. vermerkt, dass 14 Tage vor Beginn der stationären Therapie eine Vorauszahlung von 2.500,00 Euro zu leisten sei. Erfolge die Vorauszahlung nicht, gehe man davon aus, dass das Behandlungsangebot nicht wahrgenommen werden solle. In diesem Fall behalte sich die Klinik vor, den Therapieplatz anderweitig zu vergeben. Dipl.-Psych. C führte in seinem Bericht u.a. aus, dass aufgrund des bereits chronischen Verlaufs und der massiven Ausprägung der Zwangsstörung eine ambulante Psychotherapie nicht ausreichend sei. Eine stationäre Behandlung in Marl-Sinsen habe sich als unzureichend erwiesen. Daher werde dringend eine stationäre Behandlung in der CDK empfohlen, da nur dort aufgrund der Spezifität, Häufigkeit und Intensität der Therapiemaßnahmen hinreichende Behandlungseffekte zu erwarten seien.
Die für den 20.06.2006 vorgesehene stationäre Aufnahme des Klägers bestätigte die CDK unter dem 23.05.2006. Die vorgesehene Abschlagszahlung von 2.500,00 Euro wurde dem Konto der CDK am 31.05.2006 gutgeschrieben.
Die Beklagte lehnte den Leistungsantrag ab und führte aus, dass die CDK keinen Versorgungsvertrag mit gesetzlichen Krankenkassen abgeschlossen habe. Der Kläger habe die Wahl unter den in Deutschland zugelassenen Krankenhäusern und Vertragsärzten. Sie – die Beklagte – rate ihm, mit dem behandelnden Arzt andere Behandlungsmöglichkeiten abzusprechen (Bescheid vom 31.05.2006).
Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch und trug im Wesentlichen vor: Abhilfe könne nur eine stationäre Behandlung in der CDK schaffen. Auch handele es sich um eine unaufschiebbare Leistung, weil die Gefahr weiterer Chronifizierung drohe und zudem auch ein Behandlungsversuch in einer Vertragsklinik wegen der sich u.U. ergebenden Gefahr einer Falschbehandlung nicht zumutbar sei.
In der Zeit vom 20.06.2006 bis 13.07.2006 hat sich der Kläger der beabsichtigten stationären Behandlung in der CDK unterzogen. Die hierfür geschuldete Vergütung i.H.v. 11.905,99 Euro haben seine Eltern vollständig entrichtet.
Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. X vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) führte in einer von der Beklagten angeforderten und nach Aktenlage verfassten Stellungnahme vom 20.07.2006 im Wesentlichen aus: Innerhalb des Sachleistungssystems der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sei eine ausreichende Versorgung des Klägers möglich. Es sei nicht zu bezweifeln, dass nochmals eine stationäre Therapie erforderlich werde. Diesbezüglich stehe z.B. die H-Station des B-Krankenhauses in N offen, die über spezielle Behandlungsmethoden zur verhaltenstherapeutischen und medikamentösen Therapie von Patienten mit Zwangsstörungen verfüge. Alternativ stehe wohnortnah das Universitätsklinikum N zur Verfügung. Angesichts dessen bestehe keine medizinische Notwendigkeit, auf das Angebot eines außervertraglichen Leistungserbringers zurückzugreifen.
Gestützt auf diese Beurteilung wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück (Widerspruchsbescheid vom 17.01.2007).
Im Klageverfahren hat der Kläger daran festgehalten, dass sich die in der I-klinik durchgeführte Behandlung als unzureichend erwiesen habe. Angesichts dessen sei ihm dort eine stationäre Behandlung in der CDK dringend nahegelegt worden. Die hier streitige Behandlung habe eine notfallmäßige Sofortbehandlung dargestellt. Daher sei der Erstattungsanspruch begründet. Denn die Sachleistung habe durch einen zugelassenen Leistungserbringer nicht unter zumutbaren Bedingungen erbracht werden können. Jeder weitere zeitliche Aufschub hätte sich daher als für die weitere Entwicklung des Gesundheitszustandes kontraproduktiv dargestellt.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 31.05.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17.01.2007 zu verurteilen, die Kosten einer stationären Behandlung des Klägers in der Privatklinik D-Klinik für Psychotherapie in N zu erstatten.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat sich auf den Inhalt des angefochtenen Bescheides gestützt.
Auf Anordnung des Sozialgerichts (SG) hat zunächst der Arzt für Neurologie und Psychiatrie-Psychotherapie Dr. I ein Gutachten erstattet. Dr. I hat in seinem Gutachten vom 29.12.2007 im Wesentlichen ausgeführt: Eine Behandlung der beim Kläger vorhandenen Erkrankungen sei prinzipiell in den meisten psychiatrischen und psychotherapeutischen Kliniken möglich. Sicherlich sei auch die CDK zur Behandlung von Zwangsstörungen bestens geeignet. Allerdings könne nicht davon ausgegangen werden, dass einzig und allein die CDK dazu in der Lage gewesen sei, Zwangsstörungen – selbst in diesem komplizierteren Ausmaß – zu behandeln. Der Empfehlung der I-klinik sei nicht ohne Weiteres zu folgen, da es zweifelsohne auch andere Kliniken gebe, die über eine entsprechende Fachkompetenz zur Behandlung von Zwangsstörungen verfügten. Eine notfallmäßige Aufnahme habe nicht vorgelegen. Das ergebe sich bereits aus dem zeitlichen Abstand von vier Wochen zwischen Bestätigung des Aufnahmetermins und der eigentlichen Aufnahme. Eine angemessene Behandlung wäre auch in anderen Kliniken, mit denen ein Versorgungsvertrag bestehe, möglich gewesen. Eine exakte Auflistung geeigneter Kliniken erfolge nicht, da prinzipiell davon auszugehen sei, dass die meisten psychiatrischen und psychotherapeutischen Kliniken zur Behandlung von Zwangsstörungen in der Lage seien.
Auf Antrag des Klägers hat sodann die psychologische Psychotherapeutin Dr. rer. med. V (ehemals CDK) am 29.01.2009 nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein weiteres Gutachten erstattet. Dr. V hat dargelegt: Das Universitätsklinikum N behandele nicht nach den für die Erkrankung des Klägers geltenden bestmöglichen Therapiestandards und habe darüber hinaus eine Wartezeit von bis zu neun Monaten gehabt. Das B-Krankenhaus wiederum hätte den Kläger mangels Volljährigkeit ohnehin nicht aufgenommen. Die besondere Eignung der CDK ergebe sich daraus, dass diese als einzige Klinik entsprechend den internationalen Leitlinien der Kinder- und Jugendpsychotherapie behandele. Dabei finde die Behandlung nicht ausschließlich in der Klinik, sondern auch im gewohnten schulischen und persönlichen Umfeld jugendlicher Patienten statt. Der Kläger sei seiner Obliegenheit, zunächst das Behandlungsangebot in Vertragskrankenhäusern zu nutzen, in jeder erdenklichen Weise nachgekommen. Die Beklagte sei damit objektiv nicht in der Lage gewesen, tatsächlich Behandlungsalternativen im Vertragskrankenhaussystem aufzuzeigen. Die Behandlung in der CDK sei infolge dessen nicht nur erforderlich, sondern alternativlos gewesen.
Die Beklagte hat eine Stellungnahme des Dr. X (MDK) vom 12.02.2009 vorgelegt. Dr. X hat dort die Vermutung geäußert, dass es sich bei der Bescheinigung der I-klinik vom 19.05.2006 möglicherweise um eine Gefälligkeitsbescheinigung gehandelt habe. Tatsächlich könne in keiner Weise davon ausgegangen werden, dass es sich bei der CDK um die einzige Einrichtung handele, die mit "Erfolgsaussicht" in Anspruch genommen werden könne. Im Falle chronischer Erkrankungen, wie bei dem Kläger, seien Wartezeiten von Wochen bis Monaten möglich. Erfahrungsgemäß verhielten sich die Vertragskliniken in diesem Punkt flexibel, so dass unzumutbare Wartezeiten jedenfalls nicht aufträten.
In einer ergänzenden Stellungnahme vom 09.04.2009 hat der Sachverständige Dr. I dargelegt, dass die CDK nicht über ein "Alleinstellungsmerkmal" verfüge. Insofern erstaune die Aussage der Frau Dr. V.
Durch Urteil vom 27.05.2009 hat das SG die Klage abgewiesen und im Wesentlichen ausgeführt: Eine unaufschiebbare Leistung habe unter Zugrundelegung der Ausführungen des Sachverständigen Dr. I nicht vorgelegen. Die bei dem Kläger seit mehreren Jahren bestehende chronische Zwangsstörung habe einen akuten Behandlungsbedarf nicht begründen können. Die Ausführungen der Frau Dr. V seien nicht überzeugend. Angesichts der zahlreichen Behandlungsmöglichkeiten in zugelassenen Krankenhäusern, die auch über Kapazitäten im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie verfügten, sei nicht davon auszugehen, dass eine adäquate Behandlung ausschließlich in der CDK möglich gewesen sei.
Gegen das ihm am 06.06.2009 zugestellte Urteil hat der Kläger am 30.06.2009 Berufung eingelegt.
Er hält an seinem erstinstanzlichen Vorbringen fest und trägt vor: Offenkundig habe eine Versorgungslücke vorgelegen. Eine Wartezeit von sechs bis neun Monaten sei ihm angesichts der schweren Zwangsstörung nicht zumutbar gewesen. Vor diesem Hintergrund habe es sich um eine unaufschiebbare Leistung gehandelt. Er behauptet ferner, in der Nacht vom 12.05.2006 auf den 13.05.2006 einen Suizidversuch unternommen zu haben, indem er sich mit einem Messer mehrere Schnitte am linken Unterarm zugefügt habe und vertritt hierzu die Auffassung, dass sich vor allem daraus das Vorliegen einer unaufschiebbaren Leistung ableiten lasse.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 27.05.2009 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 31.05.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17.01.2007 zu verurteilen, an ihn 11.905,99 Euro zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
Auf Antrag des Klägers hat der Senat ein Gutachten des Arztes für Psychiatrie und Psychotherapie S (vormals leitender Arzt der CDK) eingeholt. Der Sachverständige S hat in seinem Gutachten vom 02.12.2010 ausgeführt: Sicherlich gebe es mehrere Kinder- und jugendpsychiatrische Kliniken, die Kompetenzen und Erfahrungen in der Behandlung von jugendlichen Zwangsstörungen hätten. Die Besonderheit einer Behandlung in der CDK liege jedoch vor allem in der hochfrequenten Einzeltherapie, die nach seinem aktuellen Kenntnisstand in keiner anderen Klinik angeboten werde. In Kliniken der Regelversorgung könnten solche Therapieoptionen – allein aufgrund der Personalsituation – kaum Anwendung finden. Dort werde aus diesem Grunde in der Regel länger behandelt. Wartezeiten gerade im Kinder- und Jugendbereich erstreckten sich mindestens über einen mehrmonatigen Zeitraum, da das Behandlungsplatzangebot noch viel geringer ausfalle als im Erwachsenenbereich. Insofern sei die Aufnahmezusage der CDK als ungewöhnlich kurzfristig einzuschätzen. Die Frage nach gesundheitlichen Risiken durch längere Wartezeiten seien nur hypothetisch zu beantworten. Der Kläger sei bereits kurz zuvor ohne Behandlungserfolg aus einer Klinik entlassen worden, allerdings mit dem Hinweis auf die Möglichkeiten der CDK. Ein frustraner Behandlungsversuch ohne diese Perspektive hätte bei immanent bestehender Suizidalität diese jedoch noch einmal deutlich verstärken können. Auch die Zwangskrankheit selber habe bekanntermaßen die Tendenz zur Verschlimmerung. Somit lasse sich durchaus sagen, dass sich eine längere Wartezeit selbst bei gleicher Behandlung i.S. einer Verschlimmerung der Erkrankung und auch im Hinblick auf einen schwierigeren Behandlungsverlauf negativ ausgewirkt hätte.
Der Kläger hat ferner ein Attest des Dr. N vom 20.07.2011 vorgelegt. Dr. N hat dort ausgeführt, dass der Kläger nicht kurzfristig in einer kinder- und jugendpsychiatrischen Klinik habe untergebracht werden können. Deshalb habe man Kontakt zur CDK aufgenommen, wo man dem Kläger kurzfristig ein Aufnahmetermin zugesagt habe.
Der Senat hat im Hinblick auf einen vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 30.06.2011 erstmals behaupteten Suizidversuch in der Nacht vom 12.05. auf den 13.05.2006 Befundberichte von der den Kläger behandelnden Hausärztin Dr. Q und Dr. N angefordert sowie Auszüge aus deren Patientenkarteien beigezogen.
Frau Dr. Q hat im Wesentlichen mitgeteilt, dass ihr über einen Suizidversuch nicht zeitnah berichtet worden sei, so dass sie keine akuten Behandlungsmaßnahmen ergriffen habe. Dr. N hat in seinem Bericht vom 13.10.2011 ausgeführt, dass er über einen Suizidversuch vom 12.05. zum 13.05.2006 nicht informiert sei und man darüber mit ihm nicht gesprochen habe. Die Mutter des Klägers habe sich am 04.05.2006 bei ihm vorgestellt. Seinerzeit habe man über die Frage diskutiert, ob eine Behandlung in der CDK sinnvoll wäre. Diese Behandlung habe auf Wunsch der Eltern durchgeführt werden sollen; eine Aufnahme sei ab dem 12.06.2006 möglich gewesen. Deswegen habe er ein Attest über die Notwendigkeit und Dringlichkeit der stationären Behandlung erstellt.
Der Senat hat ferner eine Auskunft der Bundesarbeitsgemeinschaft der Leitenden Klinikärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie e.V. (BAG) eingeholt. In ihrer Auskunft vom 29.11.2011 hat die BAG durch Frau Prof. Dr. T u.a. mitgeteilt:
Zur Behandlung von Versicherten der GKV mit Zwangsstörungen seien alle kinder- und jugendpsychiatrischen stationären Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen und in der Bundesrepublik zugelassen und befähigt. Zwangsstörungen seien bei Kindern und Jugendlichen eine eher häufige Störung. Aufgrund der altersspezifisch unterschiedlich risikoreichen möglichen medikamentösen Mitbehandlung sei eine kinder- und jugendpsychiatrische Kompetenz aus dortiger fachlicher Sicht absolut geboten. Im Jahr 2006 habe sich die Wartezeit in Nordrhein-Westfalen für eine Aufnahme in einer entsprechenden Einrichtung für reguläre Behandlungen auf drei Monate belaufen. Zu den Wartezeiten in der Bundesrepublik habe nach ihren Informationen kein Unterschied bestanden. Die befragten Mitglieder der BAG legten Wert auf die Feststellung, dass die Wartezeiten in den Fachkliniken und Fachabteilungen je nach Dringlichkeit variiert würden. So würde man einen Patienten mit einer Zwangsstörung, die einige Stunden des Tages in Anspruch nehme, einen regulären Besuch von Schule oder Lehre verunmögliche und die Familie einbeziehe, Priorität einräumen. Einem Patienten mit einer solch ausgeprägten Symptomatik, der aus dem Pflichtversorgungsgebiet komme, werde binnen zehn Tagen ein Behandlungsplatz angeboten. Einschränkend müsse allerdings hinzugefügt werden, dass für Patienten, die sich von außerhalb des Pflichtversorgungsgebietes der jeweiligen Einrichtung um einen Behandlungsplatz bemühten, die Wartezeit im Einzelfall deutlich länger ausfallen könne.
Weiterer Einzelheiten wegen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von 11.905,99 Euro aus Anlass der stationären Behandlung in der CDK.
Als Anspruchsgrundlage kommt nur § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V in Betracht. Konnte danach die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen (Alt. 1) oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt (Alt. 2) und sind dadurch Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Der Erstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender – primärer – Sachleistungsanspruch. Er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Leistung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (vgl. z.B. BSGE 105, 170 = SozR 4-2500 § 36 Nr. 2 = SozR 4-2500 § 33 Nr. 28, juris Rdn. 10 m.w.N.).
Die Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 SGB V sind nicht erfüllt, denn es hat sich bei der streitigen Behandlung nicht um eine unaufschiebbare Leistung gehandelt. Eine Leistung ist unaufschiebbar, wenn sie im Zeitpunkt ihrer tatsächlichen Durchführung so dringlich war, dass aus medizinischer Sicht keine Möglichkeit eines nennenswerten zeitlichen Aufschubs mehr bestand. In Betracht kommen dringliche Bedarfslagen, wie z.B. Systemversagen oder Versorgungslücken (vgl. BSG SozR 3-2500 § 13 Nr. 22, juris Rdn. 16; Brandts in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 13 SGB V, Rdn. 75 ff.; Helbig in: jurisPK-SGB V, § 13, Rdn. 46). Indessen ist die medizinische Dringlichkeit nicht allein ausschlaggebend, um einen dringenden Versorgungsbedarf annehmen zu können. Im Hinblick auf das Merkmal "Unaufschiebbarkeit" wird für den Anspruch vorausgesetzt, dass die Krankenkasse die im Streit stehenden Leistungen nicht rechtzeitig erbringen konnte. Davon kann im Regelfall jedoch nur dann ausgegangen werden, wenn sie mit dem Leistungsbegehren konfrontiert war und sich dabei ihr Unvermögen herausgestellt hat (vgl. nur BSG SozR 3-2500 § 13 Nr. 22, juris Rdn. 16).
Auf die Frage, ob ein Notfall i.S.d. § 76 Abs. 1 SGB V vorgelegen hat, kommt es hier nicht entscheidend an. Ein Erstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V kann in Notfällen von vornherein nicht entstehen, weil bei einem Notfall auch ein nicht gemäß § 108 SGB V zugelassenes Krankenhaus wie ein zugelassener Leistungserbringer behandelt wird und seine Behandlungskosten mit der zuständigen Krankenkasse, nicht aber mit dem Versicherten abzurechnen hat (BSGE 89, 39 = SozR 3-2500 § 13 Nr. 25; Senat, Urteil v. 25.08.2005 – L 5 KR 168/04; Brandts in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 13 SGB V, Rdn. 79). Die Annahme eines Notfalles stünde mithin einem Erstattungsanspruch entgegen.
Die tatsächliche Durchführung der stationären psychotherapeutischen Behandlung in der CDK war zur Überzeugung des Senats auch im Übrigen nicht so dringlich, dass aus medizinischer Sicht keine Möglichkeit eines nennenswerten zeitlichen Aufschubs mehr bestanden hat. Das folgt aus den im Widerspruchs-, Klage- und Verwaltungsverfahren durchgeführten Ermittlungen.
Die Sachverständigen Dr. I und S sind im Ausgangspunkt im Wesentlichen übereinstimmend davon ausgegangen, dass nicht nur die CDK in der Lage ist, Zwangsstörungen zu behandeln, wobei der Sachverständige S dargelegt hat, dass aufgrund geringerer personeller Kapazitäten die Behandlung in Vertragskliniken regelmäßig einen längeren Zeitraum in Anspruch nehme als in der CDK. Unter Berücksichtigung der Stellungnahme der BAG vom 29.11.2011 ist ferner davon auszugehen, dass auch im Jahr 2006 im kinder- und jugendpsychiatrischen Bereich hinreichende stationäre Behandlungsmöglichkeiten bestanden haben. Demnach sind zur Behandlung von Versicherten der GKV mit der genannten Zwangsstörung sämtliche zugelassenen kinder- und jugendpsychiatrischen stationären Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen und in der Bundesrepublik befähigt. Dies hat auch der Sachverständige Dr. I in seinem Gutachten vom 29.12.2007 herausgestellt. Insofern kann der Senat die von Dr. V (sinngemäß) aufgestellte These, die CDK verfüge über ein "Alleinstellungsmerkmal" und behandele als einzige Klinik entsprechend den internationalen Leitlinien der Kinder- und Jugendpsychotherapie, nicht nachvollziehen. Abgesehen davon war das von ihr erstattete Gutachten ohnehin nicht im Wege des Sachverständigenbeweises verwertbar, weil andere Personen als Ärzte nicht nach § 109 Abs. 1 SGG gehört werden dürfen (vgl. Keller in: Keller/Meyer-Ladewig/Leitherer, SGG, 8. Aufl. 2008, § 109, Rdn. 5), Frau Dr. V jedoch nicht Ärztin ist.
Ebensowenig ist die Beurteilung des Dipl.-Psych. C (Institutsambulanz C der I-klinik) in seinem Attest vom 19.05.2006 haltbar, dass allein durch eine Behandlung in der CDK aufgrund der Spezifität, Häufigkeit und Intensität der Therapiemaßnahmen hinreichende Behandlungseffekte bei dem Kläger zu erwarten seien. Auch die von dem Sachverständigen S aufgestellte These, dass "die Haardklink nach einem Behandlungsversuch sich selbst als nicht gewinnbringend eingestuft" habe, kann der Senat in diesem Zusammenhang nicht nachvollziehen. Denn letztlich handelt es sich bei der Einschätzung des Dipl.-Psych. C lediglich um eine Einzelmeinung, wobei überdies nicht zu erkennen ist, dass diese Einschätzung von den den Kläger stationär behandelnden Ärzten und Therapeuten geteilt wurde oder die inhaltliche Positionierung in dem Bericht mit diesen abgestimmt war (der Bericht trägt ausschließlich die Unterschrift des Dipl.-Psych. C). In dem Entlassungsbericht der I-klinik vom 20.04.2006 über die in der Zeit vom 22.11.2005 bis 16.02.2006 durchgeführte stationäre Behandlung des Klägers findet sich für das von Herrn C postulierte "Systemversagen" kein Anhaltspunkt. Vielmehr haben die behandelnden Ärzte ausgeführt, dass die Therapie recht erfolgreich verlaufen sei, wobei jedoch Dauer und Schwere der Störung den Therapieerfolg beeinflusst hätten, so dass dringend eine weiterführende verhaltenstherapeutische Behandlung zur Stabilisierung der erzielten Erfolge empfohlen werde. Vor diesem Hintergrund trifft auch die vom Kläger aufgestellte Behauptung, dass sich die Klinik "am Ende ihrer Möglichkeiten" gesehen habe, nicht zu.
Ein stationärer Behandlungsplatz in einem zugelassenen kinder- und jugendpsychiatrischen Krankenhaus stand dem Kläger in seinem konkreten Einzelfall binnen angemessener Zeit zur Verfügung. Das gilt insbesondere auch dann, wenn man davon ausgeht, dass das von Dr. X (MDK) favorisierte B-Krankenhaus N und das Universitätsklinikum N nicht als Behandlungsalternativen in Betracht gekommen wären. Unter Zugrundelegung der Auskunft der BAG vom 29.11.2011 belief sich die durchschnittliche Wartezeit für Patienten auf stationäre Behandlungsplätze im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie sowohl in Nordrhein-Westfalen als auch in der Bundesrepublik im streitigen Zeitraum auf ca. drei Monate, wobei die Wartezeiten in den Fachkliniken und Fachabteilungen je nach Dringlichkeit variiert werden. Patienten mit einer Zwangsstörung, die einige Stunden des Tages in Anspruch nimmt, die einen regulären Besuch von Schule oder Lehre verunmöglicht und die Familie einbezieht, wird demnach Priorität eingeräumt, so dass einem unter derart garvierenden Symptomen leidenden Patienten, der aus dem Pflichtversorgungsgebiet kommt, binnen zehn Tagen ein Behandlungsplatz angeboten wird. Dies bestätigt die von Dr. X getätigte Aussage, dass sich Vertragskliniken im Hinblick auf den Aufnahmezeitpunkt flexibel verhielten.
Zwar muss nach den Erläuterungen der BAG einschränkend hinzugefügt werden, dass die Wartezeit für Patienten, die sich von außerhalb des Pflichtversorgungsgebietes um einen Behandlungsplatz bemühen, im Einzelfall deutlich länger ausfallen kann. Hierfür sind jedoch im Fall des Klägers keine Anhaltspunkte ersichtlich, weil die Mutter des Klägers in der mündlichen Verhandlung am 30.06.2011 (Auskunft gemäß § 106 Abs. 3 Nr. 3 SGG – Sammlung des Prozessstoffs – vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 106 Rdn. 11) mitgeteilt hat, dass sie sich angesichts einer von ihr so eingeschätzten Notfallsituation nicht an andere Kliniken gewandt habe. Vor diesem Hintergrund sind keine Gesichtspunkte erkennbar, die dagegen gesprochen hätten, dass sich der Kläger zunächst wieder um eine erneute stationäre Behandlung in einer Vertragsklinik – z.B. in der I-klinik – bemüht.
Gegen eine kurzfristige Aufnahmemöglichkeit in zugelassenen Krankenhäusern sprechen auch nicht die Ausführungen des Dr. N in seinem Bericht vom 20.07.2011. Er hat dort zwar mitgeteilt, dass der Kläger nicht kurzfristig in einer kinder- und jugendpsychiatrischen Klinik habe untergebracht werden können. Die Mutter des Klägers hat jedoch in der mündlichen Verhandlung am 30.06.2011 erklärt, dass sich für sie die Situation nach den Selbstverletzungen des Klägers in der Nacht vom 12.05.2006 auf den 13.05.2006 als Notfallsituation dargestellt und sie sich deshalb nicht vorher an andere Kliniken gewandt und nach Wartezeiten gefragt habe. Dr. N selber hat in seinem Bericht vom 13.10.2011 mitgeteilt, dass die Behandlung in der CDK auf Wunsch der Eltern durchgeführt werden solle. Dies spricht in Zusammenschau mit den Erklärungen der Mutter des Klägers eher dafür, dass tatsächlich nicht geprüft wurde, ob in anderen zugelassenen Krankenhäusern kurzfristige Aufnahmemöglichkeiten bestanden haben. Auch eine Anfrage des Klägers bei der Beklagten nach alternativen stationären Behandlungsmöglichkeiten ist nicht dokumentiert. Bei objektiver Leistungsfähigkeit der Krankenkasse ist es für den Erstattungsanspruch grundsätzlich unerheblich, ob der Versicherte, hier also der Kläger, von der konkreten Leistungsmöglichkeit des Systems keine Kenntnis hat, solange er sich nicht bei seiner Krankenkasse erkundigt hat. Denn bei einer auf persönlicher Unkenntnis beruhenden bloßen fehlenden "subjektiven Verfügbarkeit" der Leistung scheidet ein Unvermögen der Krankenkasse, rechtzeitig eine unaufschiebbare Leistung zu erbringen, aus (vgl. BSGE 99, 180 = SozR 4-2500 § 13 Nr. 15 juris Rdn. 28).
Trotz objektiv bestehender Versorgungsmöglichkeit kann zwar dennoch von einer unaufschiebbaren Leistung auszugehen sein, die die Krankenkasse nicht rechtzeitig erbringen konnte, wenn die Krankenkasse durch Fehlinformation bewirkt hat, dass der Versicherte die ihm objektiv bereitstehende Leistung subjektiv für nicht verfügbar hält und sie deshalb nicht in Anspruch nimmt. Dafür genügt es allerdings nicht, dass der Versicherte einen zugelassenen Leistungserbringer sucht, aber nicht findet. Erforderlich ist vielmehr, dass die Krankenkasse ihren Versicherten von den ihm Obliegenden abgehalten hat, insbesondere etwa von der Erkundigung bei seiner Krankenkasse (vgl. BSGE 99, 180 = SozR 4-2500 § 13 Nr. 15 juris Rdn. 29).
Hier liegt es allerdings so, dass die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid zum einen darauf verwiesen hat, dass es zahlreiche Vertragskliniken gebe und dem Kläger zum anderen dazu geraten hat, sich mit seinem behandelnden Arzt zwecks weiterer Behandlungsmöglichkeiten in Verbindung zu setzen. Angesichts des Umstandes, dass der Vertragsarzt den jeweiligen Sachleistungsanspruch der Versicherten zu Lasten der GKV konkretisiert und zudem einen Überblick über die jeweiligen stationären Behandlungsmöglichkeiten hat, stellt sich der in dem angefochtenen Bescheid vorgenommene Verweis auf den behandelnden Arzt als zielführend dar. Abgesehen davon hat sich der Kläger, wie bereits dargelegt, nicht mit anderen Kliniken in Verbindung gesetzt, um Wartezeiten zu erfragen.
Etwas anderes ergibt sich schließlich nicht aus dem erstmals in der mündlichen Verhandlung am 30.06.2011 vorgetragenen Suizidversuch vom 12./13.05.2006. Der Senat geht durchaus davon aus, dass sich der Kläger – wie von ihm in der mündlichen Verhandlung geschildert – mit einem Messer mehrere Schnitte am linken Unterarm zugefügt hat. Allerdings hat er, wie sich den Berichten vom 12.10.2011 und 13.10.2011 und den Auszügen aus den Patientenakten entnehmen lässt, weder seiner Hausärztin Dr. Q noch bei dem behandelnden Nervenarzt Dr. N über dieses Ereignis berichtet. Aus dem von Dr. N übersandten Auszug aus der Patientenkartei sowie dem Bericht vom 13.10.2011 ergibt sich vielmehr, dass sich der Kläger sich nach dem Ereignis vom 12./13.05.2006 erst am 19.04.2007 wieder persönlich bei Dr. N vorgestellt hat, nachdem seine Mutter zuvor am 26.03.2007 vorgesprochen hatte. Eine unaufschiebbare Leistung, die zwingend die unverzügliche stationäre Aufnahme in der CDK zur Behandlung einer im Vordergrund stehenden erheblichen Zwangsstörung als geboten erscheinen lässt, kann aus diesem Geschehensablauf nicht abgeleitet werden.
Auch die Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. SGB V sind nicht erfüllt (§ 13 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 SGB V). Der Anspruch ist gegeben, wenn die Krankenkasse die Erfüllung eines Naturalleistungsanspruchs rechtswidrig abgelehnt und der Versicherte sich die Leistung selbst beschafft hat, wenn weiterhin ein Ursachenzusammenhang zwischen Leistungsablehnung und Selbstbeschaffung besteht, die selbst beschaffte Leistung notwendig ist und die Selbstbeschaffung eine rechtlich wirksame Kostenbelastung des Versicherten ausgelöst hat (vgl. nur BSGE 105, 170 = SozR 4-2500 § 36 Nr. 2 = SozR 4-2500 § 33 Nr. 28, juris Rdn. 10 m.w.N.).
An einem Ursachenzusammenhang zwischen dem ablehnenden Bescheid der Beklagten und den entstandenen Kosten fehlt es bereits deshalb, weil sich der Kläger bzw. seine damaligen gesetzlichen Vertreter schon vor Erlass des Bescheides auf die CDK festgelegt hatten und dieser Bescheid das weitere Geschehen somit nicht mehr beeinflussen konnte (hierzu vgl. BSG, Urteil v. 16.12.2008 – B 1 KR 2/08 R). Hierfür spricht allerdings nicht bereits die Aufnahmebestätigung der CDK vom 23.05.2006 für die stationäre Aufnahme am 20.06.2006. Denn mit dieser Vormerkung ist der Kläger noch keine unbedingte Verpflichtung eingegangen. Das ergibt sich daraus, dass sich die CDK in dem Kostenvoranschlag vom 17.05.2006 für den Fall, dass Vorschuss von 2.500,00 Euro nicht fristgerecht eingeht, lediglich vorbehalten hat, den Therapieplatz anderweitig zu vergeben.
Eine Vorfestlegung ist demgegenüber darin zu sehen, dass die erste Abschlagszahlung von 2.500,00 Euro am 31.05.2006 der CDK gutgeschrieben wurde. Dabei geht der Senat davon aus, dass der Auftrag zur Überweisung des Abschlages bereits vor der Bekanntgabe des angefochtenen Bescheides vom 31.05.2006 erfolgt ist, so dass der Kläger durch die Überweisung seine Festlegung auf die CDK dokumentiert hat und der Bescheid nicht ursächlich für die entstandenen Kosten gewesen sein kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG
Anlass, die Revision zuzulassen, hat nicht bestanden (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG).
Erstellt am: 03.05.2012
Zuletzt verändert am: 03.05.2012