Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 11.02.2011 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von dem Beklagten Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom 15. bis 30. Juni 2009.
Die am 00.00.1944 geborene Klägerin bezog vom Beklagten Grundsicherung und zwar zuletzt mit Bescheid vom 16.04.2009 für den Zeitraum vom 01.05.2009 bis zum 14.06.2009 in Höhe von 651,00 EUR für Mai 2009 und für den 01. bis zum 14.06.2009 anteilig in Höhe von 303,80 EUR. Die Klägerin legte gegen diesen Bescheid keinen Widerspruch ein. Den mit Schreiben vom 26.06.2009 gestellten Antrag nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 29.06.2009 in der Fassung Widerspruchsbescheides vom 04.09.2009 unter Hinweis auf das Erreichen der Altersgrenze nach § 7a SGB II mit Vollendung des 65. Lebensjahres ab.
Hiergegen hat die Klägerin am 14.09.2009 bei dem Sozialgericht (SG) Detmold Klage erhoben. Sie hat geltend gemacht, bis einschließlich 30.06.2009 bedürftig zu sein. Denn sie habe erst ab Juli 2009 Anspruch auf Rente. Daher dürfe der Beklagte für Juni 2009 nicht nur anteilig Grundsicherung gewähren. Es sei ihr nicht zuzumuten, zwischenzeitlich Sozialhilfe zu beantragen. Der Gesetzgeber habe beabsichtigt, einen nahtlosen Übergang in die Altersrente zu gewährleisten. Die Regelung zum Beginn der Altersrente im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung habe der Gesetzgeber dabei nicht beachtet.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 29.06.2009 und des Widerspruchsbescheides vom 04.09.2009 sowie Abänderung des Bescheides vom 16.04.2009 zu verurteilen, ihr für den Zeitraum 15.06.2009 bis 30.06.2009 Leistungen der Grundsicherung nach den Vorschriften des SGB II zu gewähren und die Berufung zuzulassen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verweist auf § 7 Abs. 1 S. 1. Nr.1 i.V.m. § 7a SGB II.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 11.02.2011 abgewiesen und die Berufung nicht zugelassen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt:
Ein Anspruch der Klägerin auf Korrektur des bestandskräftigen Bescheides vom 16.04.2009 nach § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X bestehe nicht. Der Beklagte habe im Bescheid vom 16.04.2009 das Recht nicht unrichtig angewandt. Ab dem 15.06.2009 habe die Klägerin keinen Anspruch mehr auf Leistungen der Grundsicherung. Dies ergebe sich aus § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 i.V.m. § 7a S. 1 SGB II. Leistungen nach dem SGB II erhalten danach Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben. Personen, die vor dem 1. Januar 1947 geboren sind, erreichen die Altersgrenze mit Vollendung des 65. Lebensjahres (§ 7a S. 1 SGB II). Die vor dem 01.01.1947 geborene Klägerin habe die maßgebliche Altersgrenze am 15.06.2009 erreicht. Die gesetzliche Regelung sei eindeutig. Die hierdurch entstehende Lücke zwischen den Leistungssystemen sei hinzunehmen. Bei Erreichen der Regelaltersgrenze mit der Vollendung des 65. Lebensjahres (§§ 35 S. 1 Nr. 1, 235 Abs. 2 S. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch – SGB VI -) werde die Rente aus eigener Versicherung frühestens von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt seien (§ 99 Abs. 1 S. 1 SGB VI). Mithin könne eine Altersrente frühestens ab dem Monat bezogen werden, der auf den Monat folge, in dem der Betreffende die Altersgrenze erreiche, sofern er nicht am ersten eines Monats geboren ist. Die oben beschriebene Lücke zwischen Grundsicherung und gesetzlicher Rente bewirke nicht, dass § 7a S. 1 SGB II entgegen seinem Wortlaut der Leistungsausschluss bei Personen, die nicht am ersten eines Monats geboren sind, erst mit Ablauf des Monats, in dem sie die Altersgrenze erreichen, eintritt. In den Gesetzesmaterialien zum Vierten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (BT-Drs. 15/1515 S 52) finde sich explizit kein Hinweis, dass der Gesetzgeber von der Möglichkeit eines nahtlosen Übergangs vom Leistungssystem des SGB II in das des SGB VII ausgegangen ist bzw. einen solchen mit der Regelung des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II in seiner ursprünglichen Fassung beabsichtigt hätte. Auch den Materialien zum Gesetz zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung (BT-Drs. 16/3794 S 44), mit dem § 7a SGB II in das Recht der Grundsicherung eingefügt wurde, sei insoweit kein Hinweis zu finden. Aus den Regelungen über die Grundsicherung für Arbeitssuchende einerseits und den Regelungen über die Grundsicherung im Alter im Rahmen des Sozialhilferechts andererseits werde der allgemeine Wille des Gesetzgebers zur Abgrenzung der arbeitsmarkt- und alterssicherungsbezogenen bedarfsabhängigen Sozialleistungssysteme entlang der Altersgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung abgeleitet. Dass die Bundesregierung plane, die Bezugsdauer bis zum Ende des Monats, in dem die Altersgrenze erreicht ist, zu verlängern (vgl. Art. 2 Nr. 11 des Regierungsentwurfes eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, BT-Drs. 17/3404), lasse keine Rückschlüsse zu. Die von der Klägerin befürwortete erweiterte Auslegung wäre aus verfassungsrechtlichen Gründen allenfalls dann zwingend, wenn die entstandene Lücke beim Leistungsübergang vom SGB II zum SGB VI keine andere den Bedarf deckende Leistung zur Verfügung stünde. Die Klägerin könne ggf. einen Anspruch nach § 41 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) geltend machen.
Schließlich ergebe sich ein Anspruch gegen den Beklagten auch nicht aus dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch. Dieser Anspruch erfordere, dass der Sozialleistungsträger eine ihm auf Grund Gesetzes oder eines Sozialrechtsverhältnisses obliegende Pflicht, insbesondere zur Auskunft und Beratung (§§ 15, 14 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – SGB I -), verletzt hat. Ferner sei erforderlich, dass zwischen der Pflichtverletzung des Sozialleistungsträgers und dem Nachteil des Betroffenen ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Schließlich müsse der durch das pflichtwidrige Verwaltungshandeln eingetretene Nachteil durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden können. Die Korrektur durch den Herstellungsanspruch dürfe dem jeweiligen Gesetzeszweck nicht widersprechen. Es könne dahingestellt bleiben, ob der Beklagte seine Auskunfts- und Beratungspflicht gegenüber der Klägerin verletzt habe und ob diese Pflichtverletzung kausal dafür gewesen sei, dass die Klägerin keine Leistungen der Grundsicherung im Alter beantragt habe. Der der Klägerin entstandene Nachteil könne durch die Gewährung von Grundsicherung unter Missachtung der materiellen Leistungsvoraussetzungen nicht beseitigt werden. Der Beklagte sei an einer Leistungsgewährung contra legem gehindert. Das SG hat die Berufung nicht zugelassen, da die Rechtsfrage unmittelbar aus dem Gesetz zu beantworten sei.
Die Klägerin hat gegen das ihr am 02.03.2011 zugestellte Urteil am 17.03.2011 Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Der Senat hat die Berufung mit Beschluss vom 15.06.2011 zugelassen.
Die Klägerin ist der Ansicht, der Wortlaut des § 7 Abs. 4 SGB II setze voraus, dass eine der dort genannten Leistungen bezogen werde. Eine Einstellung der Leistung sei erst mit "dem Eingehen der Rente als Einkommen", d.h. mit dem Zufluss zulässig. Ansonsten bleibe für die Regelung des § 7 Abs. 4 SGB II kein Anwendungsbereich.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 11.02.2011 zu ändern und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 29.06.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 04.09.2009 und Abänderung des Bescheides vom 16.04.2009 zu verurteilen, ihr für den Zeitraum vom 15.06.2009 bis zum 30.06.2009 Leistungen der Grundsicherung nach den Vorschriften des SGB II zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin hat auf Anfrage des Senats am 16.11.2011 mitgeteilt, dass Leistungen für die Zeit vom 15. bis 30.06.2009 als Zuschuss begehrt werden. Im Übergangszeitraum zwischen Vollendung des 65. Lebensjahres und dem Bezugsbeginn der Altersrente hat kein sozialhilferechtlicher Bedarf bestanden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die zwischen den Beteiligten gewechselten vorbereitenden Schriftsätze, den übrigen Akteninhalt sowie auf die Verwaltungsakte des Beklagten, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist unbegründet.
Das SG hat die Klage zutreffend abgewiesen. Der Beklagte lehnte mit Bescheid vom 29.06.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 04.09.2009 die Rücknahme des Bescheides vom 16.04.2009 zu Recht ab. Die Voraussetzungen des § 44 SGB X liegen nicht vor. Der Bescheid vom 16.04.2009 ist rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Grundsicherung für den Zeitraum vom 15.06. bis 30.06.2009.
Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist danach der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.
Die Klägerin war bis 14.06.2009 Berechtigte im Sinne von § 7 SGB II, sie hatte das 15. Lebensjahr vollendet und noch nicht die Altersgrenze erreicht, war erwerbsfähig, hilfebedürftig und hatte ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Für den Zeitraum vom 15.06. bis 30.06.2009 steht ihr keine Grundsicherung nach dem SGB II mehr zu. Zur Begründung verweist der Senat auf die Ausführungen des SG im angegriffenen Urteil, die er sich nach Prüfung zu eigen macht (§ 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend weist der Senat auf Folgendes hin: Der Gesetzgeber hat auch nicht versehentlich eine "Verlängerung" bis zum Beginn der Altersrente unterlassen. Die bisherige Regelung ist nach dem Wortlaut eindeutig (so auch LSG NRW, Beschluss vom 21.06.2010 – L 6 AS 645/10 B Rn. 8 juris). Dies ergibt sich auch indirekt aus § 7a SGB II n.F., wonach sich ein Anspruch auf Grundsicherung bis zum Ablauf des Monats, in dem das 65. Lebensjahr vollendet wird, erst ab April 2011 herleiten lässt. Eine rückwirkende Geltung für "Altfälle" hat der Gesetzgeber nicht angeordnet – obwohl die "Lücke" zwischen den beiden Leistungssystemen bekannt war. Zudem wird auch nach § 7a SGB II keine Nahtlosigkeit, d.h. Zahlung der Grundsicherung bis zum Eingang der ersten Zahlung der Rente auf dem Konto durch den Gesetzgeber angeordnet wurde, erreicht. Denn die erste Zahlung der Altersrente erfolgt zum Ende des Folgemonats (§ 118 Abs. 1 S. 1 SGB VI), so dass zuvor entweder das Schonvermögen eingesetzt oder aber auf Antrag ein Darlehen des Sozialhilfeträger gewährt wird (BT-Drs. 17/3404 zu § 7a n.F; Wolff-Dellen in Löns, Kommentar zum SGB II, 3. Auflage 2011, § 7a Rn. 3).
Eine andere Beurteilung ergibt sich für den Senat auch nicht unter Berücksichtigung von § 7 Abs. 4 SGB II. Danach ist derjenige von Leistungen nach diesem Buch ausgeschlossen, ( ) der Rente wegen Alters bezieht. Diese Vorschrift muss im Kontext und unter Beachtung des § 7 Abs. 1 und § 7a SGB II angewendet werden. Das Erreichen der Altersgrenze nach § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II hat den Ausschluss aus dem Kreis der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten zur Folge und zwar unabhängig davon, ob ein Anspruch auf Rente besteht. Demgegenüber führt der tatsächliche Bezug einer Altersrente zum Ausschluss der Leistungen nach dem SGB II für erwerbsfähige und nicht erwerbsfähige Leistungsberechtigte gleichermaßen. Erfasst werden daher von § 7 Abs. 4 S. 1 SGB II diejenigen, die als Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft leistungsberechtigt sind, wenn anstatt einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit eine Altersrente bezogen wird (Thie/Schoch LPK-SGB II, 4. Auflage 2011, § 7 Rn. 100)
Der Sozialhilfeträger war nicht notwendig beizuladen, da die Klägerin auf Nachfrage die Gewährung eines Darlehens nach § 38 SGB XII ausgeschlossen hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Revision wird nicht zugelassen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung nach § 106 Abs. 2 Nr. 1 SGG. § 7a S. 1 SGB II i.d.F. ab April 2011 ergänzt § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II. Grundsicherung wird nunmehr bis zum Ende des Kalendermonats gewährt, in dem die Altersgrenze erreicht wird. Damit hat der Gesetzgeber eine Regelung für Fälle wie die vorliegende Konstellation getroffen. Die Rechtsfrage betrifft außer Kraft getretenes Recht (BSG SozR 1500 § 160a Nr. 19, Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 9. Auflage 2008, § 160 Rn. 8d); eine grundsätzliche Bedeutung ist ihr daher nicht mehr beizumessen.
Erstellt am: 10.05.2012
Zuletzt verändert am: 10.05.2012