Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 4.12.2009 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist der Beginn einer Halbwaisenrente.
Der 1991 geborene Kläger ist (nach der 1970 geborenen C1 und dem 1977 geborenen C) das 3. Kind des 1949 geborenen Q A und der 1952 geborenen und am 00.00.1999 verstorbenen T A (im Folgenden: Versicherte). Der Kläger und seine Eltern waren (jedenfalls bis 1999) bei der Deutschen Angestellten Krankenkasse (DAK) gegen Krankheit (familien-)versichert.
Auf den Antrag des Klägers vom Februar 2008 bewilligte die Beklagte Halbwaisenrente ab Februar 2007 in Höhe von monatlich 127,92 EUR (Bescheid vom 17.6.2008). Mit seinem Widerspruch beanspruchte der Kläger Halbwaisenrente bereits ab dem Tod der Versicherten im Jahr 1999. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück. Das Gesetz sehe eine weitergehende Rückwirkung nicht vor (Widerspruchsbescheid vom 12.2.2009).
Mit seiner Klage hat der Kläger weiter Halbwaisenrente ab dem 00.00.1999 begehrt. Der Anspruch bestehe jedenfalls aufgrund eines Sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs. Die Beklagte hätte ihn beizeiten über den Anspruch auf Halbwaisenrente aufklären müssen.
Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 17.06.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.02.2009 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger Halbwaisenrente rückwirkend ab dem 00.00.1999 zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die angefochtenen Bescheide weiter für zutreffend gehalten. Ein Sozialrechtlicher Herstellungsanspruch bestehe nicht.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen: Hinterbliebenenrenten wie die Halbwaisenrente würden von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt seien, jedoch nicht für mehr als zwölf Kalendermonate vor dem Monat, in dem die Rente beantragt worden ist. Deshalb habe die Beklagte die Rente zu Recht ab Februar 2007 bewilligt. Eine Auskunfts- oder Beratungspflicht habe sie nicht verletzt (Urteil vom 4.12.2009).
Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger den Anspruch auf Halbwaisenrente für die Zeit vom 00.00.1999 bis zum 31.1.2007 weiter. Die Beklagte habe seiner Mutter mit Schreiben vom 9.8.1989 mitgeteilt, dass ihr die Geburt der Kinder von Versicherten seit 1986 direkt mitgeteilt werde. Danach habe seine Geburt der Beklagten bekannt gewesen sein müssen. Alle Familienmitglieder seien 1999 bei der DAK gegen Krankheit versichert gewesen. Die Mitarbeiterin der Außenstelle der DAK in I Frau M habe weder ihn noch seinen Vater auf einen möglichen Hinterbliebenenrentenanspruch hingewiesen, obwohl sie vom Tod seiner Mutter gewusst habe. Das müsse die Beklagte sich zurechnen lassen. Außerdem habe sein Vater sich im Januar und Mai 2003 schriftlich an die Beklagte gewandt und erfragt, wann er frühestens Rente beziehen könne und welche Auswirkungen der Tod seiner Ehefrau habe. Für die Beklagte habe aufgrund dessen die Verpflichtung bestanden, seinen Vater auf einen Witwerrentenanspruch hinzuweisen. In diesem Zusammenhang wäre aufgefallen, dass im Versicherungskonto der Versicherten für seine Kindeserziehung keine Zeiten berücksichtigt worden seien. Dies hätte dazu geführt, dass man festgestellt hätte, dass nicht nur sein Vater, sondern auch er rentenberechtigt gewesen sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 04.12.2009 zu ändern und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 17.06.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.02.2009 zu verurteilen, an ihn Halbwaisenrente auch für die Zeit vom 00.00.1999 bis zum 31.01.2007 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Existenz des Klägers sei ihr 1999 nicht bekannt gewesen. Zum Zeitpunkt des Todes der Versicherten seien in deren Rentenkonto nur Kindeserziehungszeiten für die beiden älteren Geschwister gespeichert gewesen. Deshalb sei damals nach Aktenlage auch die allgemeine Wartezeit nicht erfüllt gewesen. Die Anfrage des Vaters im Januar bzw. Mai 2003 habe in keinem Zusammenhang mit einem etwaigen Anspruch des Klägers gestanden.
Die DAK hat auf Anfrage des Senats mitgeteilt, die Mitarbeiterin M sei ihr nicht bekannt; Daten betreffend die Mitarbeiter der früheren Außenstelle in I stünden nicht mehr zur Verfügung. Auch gebe es keine Unterlagen (mehr), die Auskunft darüber geben könnten, ob und gegebenenfalls ab wann man über die Geburt des Klägers informiert gewesen sei und ob und gegebenenfalls wann man die Beklagte hierüber informiert habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitverhältnisses wird auf die Gerichtsakte, die Verwaltungsvorgänge der Beklagten betreffend die Mutter des Klägers sowie die Verwaltungsvorgänge der deutschen Rentenversicherung Westfalen betreffend den Vater des Klägers verwiesen. Sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
I. Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger ist durch den Bescheid vom 17.6.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.2.2009 nicht beschwert, § 54 Abs 2 S 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Dieser Bescheid ist nicht rechtswidrig. Zu Recht hat die Beklagte dem Kläger Hinterbliebenenrente (erst) ab Februar 2007 bewilligt.
Das Stammrecht auf Hinterbliebenenrente entsteht zwar kraft Gesetzes mit der Erfüllung sämtlicher Anspruchsvoraussetzungen. Das Einsetzen des monatlichen Zahlungsanspruchs ist indes von der Geltendmachung durch einen (Leistungs-)Antrag (§ 115 Abs 1 S 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI)) abhängig (vgl zu dieser Dogmatik: BSGE, 61, 108ff). Da der Kläger die (Zahlung der) Halbwaisenrente (erst) im Februar 2008 beantragt hat, hat die Beklagte die Leistung zu Recht (erst) ab Februar 2007 bewilligt. Der Beginn des Zahlungsanspruchs auf Halbwaisenrente ergibt sich aus § 99 Abs 2 SGB VI. Nach § 99 Abs 2 S 2 SGB VI wird eine Hinterbliebenenrente vom Todestag an geleistet, wenn an den Versicherten – wie hier – im Sterbemonat keine Rente zu leisten ist. § 99 Abs 2 S 3 SGB VI regelt ergänzend, dass eine Hinterbliebenenrente nicht für mehr als zwölf Monate vor dem Monat geleistet wird, in dem die Rente beantragt wird. Die Vorschrift erweitert die dreimonatige (Regel-)Antragfrist des § 99 Abs 1 SGB VI pauschal auf ein Jahr zugunsten von Hinterbliebenen, die aus Unkenntnis über den Tod die Antragsfrist nicht einhalten können (BSG SozR 4-1200 § 14 Nr 13; Bayerisches LSG Urteil vom 28.7.1999, Aktenzeichen (Az) L 16 RJ 133/99 – juris RdNr 14; Kater in Kasseler Komm, Stand April 2010, § 99 SGB VI RdNr 22), schließt aber gleichzeitig eine weitergehende rückwirkende Bewilligung materiell-rechtlich aus.
Der Kläger ist auch nicht so zu stellen, als hätte er die Rente bereits früher beantragt. Er hat weder einen Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (im Folgenden 1.) noch ist er aufgrund eines auf Richterrecht beruhenden Sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen, als habe er den Antrag bereits im Jahr 2000 (oder zu einem sonstigen, eine frühere Leistung rechtfertigenden Zeitpunkt) gestellt (2.).
1. Der Kläger kann einen früheren Rentenbeginn nicht aufgrund der Regelungen zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beanspruchen, § 27 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Allerdings kommt eine Wiedereinsetzung grundsätzlich auch bei Versäumung einer Frist des materiellen Sozialrechts in Frage (BSG SozR 4-1200 § 14 Nr 13; BSG SozR 3-5070 § 21 Nr 3; BSGE 79, 168, 171 = SozR 3-2600 § 115 Nr 1). Dabei braucht vorliegend nicht entschieden zu werden, ob der Gesetzgeber in § 99 Abs 2 S 3 SGB VI eine äußerste Zeitgrenze für die rückwirkende Gewährung von Hinterbliebenenrenten bestimmt hat und deshalb eine Wiedereinsetzung bei Versäumung dieser "Frist" gemäß § 27 Abs 5 SGB X von vornherein nicht in Betracht kommt (in diesem Sinne: Bayerisches LSG, Urteil vom 6.12.2000 – L 20 RJ 79/00 – juris-Rdnr 15; ebenso Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, Handbuch der Rentenversicherung, § 99 SGB VI Rdnr 58, Stand Einzelkommentierung Januar 2008). Der Kläger war jedenfalls nicht iSv § 27 Abs 1 S 1 SGB X ohne Verschulden gehindert, diese Frist einzuhalten, d.h. den Antrag auf Halbwaisenrente jedenfalls binnen eines Jahres nach dem Tod der Versicherten zu stellen. Der vom Kläger für die Fristversäumung angegebene Grund, seinem Vater als seinem damaligen gesetzlichen Vertreter sei nicht bekannt gewesen, dass in der Rentenversicherung Anspruch auf (Halb-) Waisenrente bei Tod nur eines Elternteils bestehe, stellt keinen unverschuldeten (Rechts-)Irrtum dar. Eine Unkenntnis des Rechts und der Befristung seiner Ausübung, die im Gesetz – hier in § 99 Abs 2 S 3 SGB VI – geregelt ist, vermag eine Wiedereinsetzung nicht zu rechtfertigen (BSG, Urteil vom 6.5.2010, Az B 13 R 44/09 R – juris-Rdnrn 20 f; BSG SozR 3-3100 § 60 Nr 3; BSG SozR 3-5070 § 21 Nr. 3 ; BSG, Urteil vom 22.10.1998, Az B 5 RJ 56/97 R – juris-Rdnr 16; BSG, Urteil vom 14.11.2002 – SozR 3-2600 § 115 Nr 9). Dies ergibt sich aus dem Grundsatz der formellen Publizität von Gesetzen. Danach gelten Gesetze mit ihrer Verkündung im Bundesgesetzblatt allen Normadressaten als bekannt, ohne Rücksicht darauf, ob und wann diese tatsächlich davon Kenntnis erhalten haben. Damit korrespondiert, dass die "Fristverlängerung" auf ein Jahr in § 99 Abs 2 SGB VI nach dem zuvor Gesagten ausschließlich der Unkenntnis einer Tatsache (Tod des Versicherten) Rechnung trägt.
2. Der Kläger ist auch nicht im Wege des Sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen, als hätte er den Antrag auf Zahlung einer Halbwaisenrente früher gestellt.
Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruchs kommt grundsätzlich auch neben einer (möglichen) Wiedereinsetzung nach § 27 SGB X in Betracht (BSG, Urteil vom 6.5.2010, Az B 13 R 44/09 R – juris-Rdnrn 25 ff; BSGE 96, 44 = SozR 4-1300 § 27 Nr. 2, Rdnrn 20 ff). Er setzt eine zurechenbare Pflichtverletzung eines Sozialleistungsträgers und einen hierdurch beim Betroffenen hervorgerufenen rechtlichen Nachteil auf dem Gebiet des Sozialrechts voraus; als Rechtsfolge ist der Zustand herzustellen, der ohne die Pflichtverletzung bestünde, wobei dies nur durch eine zulässige Amtshandlung geschehen darf (BSGE 92, 241ff = SozR 4-2600 § 58 Nr 3 Rdnr 19 mwN; BSG SozR 4-2600 § 236 Nr 1 Rdnr 25). Für einen solchen Anspruch fehlt es bereits an einem rechtswidrigen Verhalten, nämlich einer Pflichtverletzung der Beklagten oder einer ihr zurechenbaren Pflichtverletzung eines anderen Leistungsträgers.
a. Die Beklagte hat dadurch, dass sie den Kläger zu keinem Zeitpunkt auf die Beantragung einer Halbwaisenrente hingewiesen hat, keine (allgemeine) Hinweispflicht iSv § 115 Abs 6 SGB VI verletzt.
§ 115 Abs 6 SGB VI regelt als Spezialvorschrift zu § 14 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) eine generelle Hinweispflicht für Fallgestaltungen, in denen Berechtigte eine Leistung nur (rechtzeitig) erhalten können, wenn sie diese beantragen. Sie setzt voraus, dass der Leistungsträger aufgrund der ihm bekannten (gespeicherten bzw archivierten) Daten erkennen kann, dass alle Anspruchsvoraussetzungen gegeben sind, und für die Bewilligung nur (noch) der Antrag des Berechtigten fehlt (BSG SozR 3-2600 § 115 Nrn 1, 2 und 9), es also keiner Nachfrage beim Adressaten oder an anderer Stelle bedarf, um den Beratungsbedarf zu erkennen (BSG SozR 3 – 5868, § 44 Nr. 1, S. 4; BSG, Urteil vom 1.9.99, Az B 13 RJ 73/98; Pflügler in: Juris-Praxiskommentar, SGB VI, 1. Auflage 2008, § 115 Rdnr. 85, 88ff; vgl auch Abs 2 der Präambel der "Richtlinien der Deutschen Rentenversicherung Bund gemäß § 115 Abs. 6 Satz 2 SGB VI"). Dies war vorliegend zu keinem Zeitpunkt vor der Antragstellung im Februar 2008 der Fall. Denn die Beklagte wusste nicht von der Existenz des Klägers als (weiteres) Kind der Versicherten, sondern hat von ihm erst durch die Antragstellung erfahren. Bis zu diesem Zeitpunkt war der Beklagten aufgrund eines von der Versicherten 1989 selbst eingeleiteten Verfahrens auf Anerkennung von Kindererziehungszeiten ( vgl § 56 SGB VI) nur die Existenz der beiden älteren Geschwister des Klägers bekannt; nur für sie waren Kindererziehungszeiten im Versicherungsverlauf gespeichert.
Gleichzeitig ergab sich aus dem der Beklagten bis zur Antragstellung vorliegenden Versicherungsverlauf auch deshalb kein Anspruch auf Halbwaisenrente für Kinder, weil die allgemeine Wartezeit von 60 Beitragsmonaten nach §§ 48 Abs 1 Nr 2, 50 Abs 1 S 1 Nr 3 SGB VI nicht erfüllt war (vgl Löns in: Kreikebohm, SGB VI, 3. Aufl. 2008, Rdnrn 5, 6), sondern nur 58 Monate mit Beitragszeiten vorlagen.
b. Es bestand auch keine Verpflichtung zu einer Anlass- oder Spontanberatung des Klägers (oder seines Vaters als gesetzlichen Vertreters) nach §§ 14 f SGB I wegen der Anfragen des Vaters vom 30.1. und 9.5.2003. Eine Pflicht zur Anlass- oder Spontanberatung kommt bei Fallgestaltungen in Betracht, bei denen eine wirtschaftlich günstige Gestaltungsmöglichkeit offenkundig in Betracht kommt (Mönch-Kalina in: Juris-Praxiskommentar, SGB I, § 14 Rdnr 29 ff, 33; BSG SozR 3 – 1200 § 14 Nr 16; BSG, Urteil vom 5.8.1999, Az B 7 AL 38/98 R – Juris-Rdnr 29; BSG SozR 1200 § 14 Nr 25).
Dabei unterstellt der Senat zugunsten des Klägers, dass der Beklagten die von ihm zu den Akten gereichten Schreiben seines Vaters zugegangen sind. Auch wenn die Beklagte dadurch im Jahre 2003 darauf aufmerksam geworden ist, dass die Versicherte 1999 verstorben ist, folgt daraus keine Beratungspflicht gegenüber dem Kläger. Die Anfrage des Vaters bezog sich offensichtlich (nur) auf seine eigenen Ansprüche auf Altersrente(n). Er ist dabei erkennbar nicht (auch) nicht als gesetzlicher Vertreter für den damals 11-jährigen Kläger tätig geworden, § 36 Abs 1 SGB I, § 11 Abs. 1 Nr 1 SGB X, §§ 106, 1626 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB; Weber in: BeckOnline-Kommentar, SozR, Stand 1.12.2011, § 11 SGB X Rdnrn 7 ff). Von der Existenz des Klägers hat die Beklagte deshalb auch durch die Schreiben des Vaters nicht erfahren. Zudem konnte die Beklagte den Schreiben auch nicht entnehmen, um welche Versicherte es sich bei der genannten Ehefrau gehandelt hat, bei welchem Leistungsträger sie versichert war und ob Ansprüche auf Witwerrente oder Halbwaisenrentenanspruch bestanden haben. Veranlassung, das zu erforschen, bestand nach dem Wortlaut der Anfrage gerade nicht. Nach einer eigenen Witwerrente hatte der Vater ausdrücklich nicht gefragt. Das ist auch stimmig, weil ihm, wie er im Termin vor dem Senat ausdrücklich erklärt hat, die Möglichkeit zur Beantragung einer Witwerrente bekannt war. Vor diesem Hintergrund leuchtet die Argumentation des Klägers nicht ein, im Rahmen einer seines Erachtens notwendigen Beratung des Vaters durch die Beklagte über einen möglichen Witwerrentenanspruch wäre aufgefallen, dass auch ihm ein Hinterbliebenenanspruch zusteht. Vielmehr liegt näher, dass der Vater des Klägers auf einen entsprechenden Hinweis lediglich mitgeteilt hätte, dies sei ihm bekannt.
c. Eine Pflicht zur Beratung gegenüber dem Kläger bzw. seinem Vater als dem gesetzlichen Vertreter kann sich offensichtlich auch nicht aus dem Schreiben der Beklagten an die Versicherte vom 9.8.1988 ergeben. Darin erläutert sie, dass, bei wem und unter welchen Voraussetzungen Zeiten der Kindesentziehung als Versicherungszeiten anerkannt werden. Das Schreiben enthält außerdem den Hinweis, dass die Geburt von nach dem 31.12.1985 zur Welt gekommenen Kindern der Beklagten unmittelbar von den Meldebehörden mitgeteilt werde. Tatsächlich ist das – zumindest im Fall des 1991 geborenen Klägers – nicht geschehen. Diese Angabe richtete sich jedoch ausschließlich an die Versicherte und nicht an den Kläger, der damals noch nicht geboren war, so dass es an einer Falschberatung des Klägers offensichtlich fehlt. Daneben war offenbar weder dem Kläger noch seinem Vater das Schreiben der Beklagten vom 9.8.1988 bekannt, so dass sie nicht im Vertrauen auf dieses Schreiben davon abgesehen haben können, sich wegen möglicher Ansprüche des Klägers nach dem Tod der Versicherten an die Beklagte zu wenden (fehlende Kausalität zwischen dem Fehlverhalten der Beklagten und dem dadurch beim Kläger verursachten Schaden im Rahmen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs, vgl Mönch-Kalina in: Juris-Praxiskommentar, SGB I, § 14 Rdnrn 43, 45; BSGE, Urteil vom 25.10.1978, Az 1 RA 21/78). Tatsächlich haben sie von dem Schreiben offenbar erst im Rahmen der Vorbereitung auf den Termin vom 24.1.2012 Kenntnis genommen und es erst im Termin zu den Akten gereicht. Schließlich hätten der Kläger und sein Vater im Fall der Kenntnis vom Inhalt des Schreibens zwar einerseits davon ausgehen können, dass der Beklagten die Geburt des Klägers bekannt gegeben worden war. Sie hätten dann aber andererseits auch gewusst, dass allein diese Kenntnis der Beklagten nicht für die Berücksichtigung von versicherungsrechtlichen Zeiten für die Kindeserziehung im Rentenkonto der Mutter genügte, sondern dass hierfür – wie bei den Geschwistern des Klägers – zunächst ein Feststellungsverfahren einzuleiten war. Allein durch die Kenntnis von der Geburt eines weiteren Kindes der Versicherten stünde überdies nicht fest, welchem Elternteil die Erziehungszeit nach § 56 Abs 2 SGB VI zuzuordnen ist. Soweit der Kläger etwa geltend machen will, ihm sei durch eine falsche Information seiner Mutter ein (Dritt-)Schaden entstanden, wäre für einen solchen Schadensersatzanspruch aus einer Amtspflichtverletzung der Rechtsweg nicht zu den Sozialgerichten, sondern zu den ordentlichen Gerichten gegeben (vgl Art 34 S 3 Grundgesetz). Es kann dahin stehen, in welchen Fällen die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit über Schadenersatzansprüche mitentscheiden, vgl § 17 Abs 2 Satz 1 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG). Denn jedenfalls sind Amtshaftungsansprüche ausdrücklich ausgenommen, § 17 Abs 2 Satz 2 GVG. Auch eine Verweisung kommt in Fällen des § 17 Abs 2 GVG nicht in Betracht (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer. SGG. Kommentar. 9. Aufl. 2009, § 51 Rdnr 41 mwN).
d. Die Beklagte muss sich auch keinen Beratungsfehler der DAK zurechnen lassen. Die Zurechnung der Pflichtverletzung eines anderen Leistungsträgers im Rahmen des Sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs kommt in Betracht, wenn zwischen zwei Leistungsträgern eine "Funktionseinheit" in der Weise besteht, dass ein Leistungsträger in den Verwaltungsablauf desjenigen Leistungsträgers arbeitsteilig eingeschaltet ist, gegen den sich der Anspruch richtet, dieser sich also für die Erfüllung der ihm obliegenden sozialrechtlichen Aufgabe kraft Gesetzes oder Vertrages jenes Leistungsträgers bedient (stRspr, zB BSG, Urteil vom 6.05.2010, Az B 13 R 44/09 R; BSG SozR 3-1200 § 14 Nr 22; BSG SozR 4-2600 § 4 Nr 2; BSG SGb 2010, S 47 Rdnrn 29, 31). Die DAK als Krankenversicherungsträger ist nicht in den Verwaltungsablauf der Beklagten bei der Bearbeitung und Bescheidung von Hinterbliebenenrenten aus der gesetzlichen Rentenversicherung einbezogen, so dass die Beklagte sich Fehlverhalten von Sachbearbeitern der DAK nicht wie eigene Beratungsfehler zurechnen lassen muss. Für die Annahme einer Funktionseinheit reicht nicht aus, dass den Hinterbliebenenrenten oft Leistungen der Krankenversicherung vorausgehen, so zB bei Erkrankungen der Versicherten, die zum Tod führen (BSG, Urteil vom 6.05.2010, Az B 13 R 44/09 R zum noch näher liegenden Verhältnis von Berufsgenossenschaft und Rentenversicherung bei Unfalltod). Es kann daher dahinstehen, ob die DAK gehalten war, der Beklagten die Geburt des Klägers mitzuteilen. Tatsächlich war sie aufgrund der Verordnung zur Durchführung von regelmäßigen Datenübermittlungen der Meldebehörden an Behörden oder sonstige öffentliche Stellen des Bundes vom 31.7.1995 (Bundesgesetzblatt I 1995, 1011) nicht berechtigt, die Namen und Anschriften möglicher Hinterbliebenenrentenanspruchsinhaber der Beklagten mitzuteilen (Pflügler in: Juris- Praxiskommentar, 1. Aufl. 2008, § 115 SGB VI, Rdnr 127). Dies mag der Grund dafür sein, dass die Geburt des Klägers der Beklagten auch tatsächlich nicht bekannt war.
Die Zurechnung der Pflichtverletzung eines anderen Leistungsträgers wird von der Rechtsprechung ausnahmsweise auch dann bejaht, wenn sich aufgrund eines konkreten Verwaltungskontakts zwischen dem Bürger und einem Leistungsträger für diesen erkennbar ein zwingender sozialrechtlicher Beratungsbedarf in einer gewichtigen Frage für einen Leistungsbereich außerhalb seiner eigenen Zuständigkeit ergibt (BSG, Urteil vom 6.5.2010, Az B 13 R 44/09 R; BSGE 73, 56, 59 ff = SozR 3-1200 § 14 Nr 9 S 27 f; BSG SozR 3-1200 § 14 Nr 22 S 75 f; BSG SozR 3-2600 § 58 Nr 2 S 6 f; BSG SozR 4-2600 § 4 Nr. 2 Rdnrn 22 f). Ist anlässlich eines Kontakts des Bürgers mit einem anderen Versicherungsträger für diesen ein zwingender rentenversicherungsrechtlicher Beratungsbedarf ersichtlich, so besteht für den aktuell angegangenen Leistungsträger auch ohne ein entsprechendes Beratungsbegehren zumindest die Pflicht, dem Bürger nahezulegen, sich vom Rentenversicherungsträger beraten zu lassen, §§ 2 Abs 2 2. Hbs, 17 Abs 1 SGB I. Eine solche Spontanberatungspflicht eines Leistungsträgers, der kein Rentenversicherungsträger ist, kommt aber nur dann in Betracht, wenn die in dem konkreten Verwaltungskontakt zu Tage tretenden Umstände insoweit eindeutig ("glasklar") sind, d.h. ohne weitere Ermittlungen einen dringenden rentenversicherungsrechtlichen Beratungsbedarf erkennen lassen (vgl zu den Voraussetzungen einer "Spontanberatung": BSGE 41, 126, 128 = SozR 7610 § 242 Nr 5; BSGE 46, 124, 126 = SozR 2200 § 1290 Nr 11 S 14; BSG SozR 3-1200 § 14 Nr 12 S 35; BSGE 60, 79, 86 = SozR 4100 § 100 Nr 11 S 33). Es lässt sich bereits nicht mehr feststellen, ob bei der DAK Außenstelle in I eine Mitarbeiterin mit Namen M tätig war. Es lässt sich des Weiteren nicht feststellen, welche Informationen eine solche Mitarbeiterin im Jahre 1999 hatte und ob sich daraus eine Beratungsbedarf ergab bzw. ob tatsächlich eine Beratung (nicht) stattgefunden hat. Erst recht lässt sich nicht feststellen, ob bei einem konkreten Verwaltungskontakt in der DAK Außenstelle eindeutige ("glasklare") Umstände zu Tage getreten sind, die ohne weitere Ermittlungen einen dringenden rentenversicherungsrechtlichen Beratungsbedarf erkennen ließen. Allein die Kenntnis vom Tod der Versicherten und der Existenz des Klägers dürften insoweit nicht genügen. Die Mitarbeiterin der Außenstelle der DAK konnte anhand dieser Informationen nicht erkennen, ob der Kläger und/oder sein Vater Hinterbliebenenrente beantragt hatten oder (später) bereits bezogen. Der Umstand, dass der Vater (und gesetzliche Vertreter) des Klägers ein Versicherungsbüro betrieb, dürfte eher gegen einen "glasklaren" Beratungsbedarf gesprochen haben. Tatsächlich war ihm – wie erwähnt – die Möglichkeit auch bekannt, Witwerrente zu beantragen.
e. Nach dem zuvor Gesagten ist im Ergebnis ohne Belang, dass der strittige Anspruch bereits aus Rechtsgründen jedenfalls nicht im geltend gemachten Umfange bestehen kann. Im Rahmen eines Sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs können Sozialleistungen – wie die Halbwaisenrente – höchstens für einen Zeitraum von bis zu vier Jahren nach Nachholung der erforderlichen Antragstellung gewährt werden. Dieser allgemeiner Rechtsgrundsatz ergibt sich aus § 44 Abs 4 S 1 SGB X und gilt auch für den Sozialrechtlichen Herstellungsanspruch (so die herrschende Meinung in Rspr. und Literatur: BSG, Beschluss vom 25.8.2009 – B 3 KS 1/09 B -; BSG SozR 1300 § 44 Nr 17; BSGE 60, 245, 246 f = SozR 1300 § 44 N. 24; BSG SozR 1300 § 44 Nr 25; BSG SozR 3-1300 § 44 Nr 25; BSGE 87, 280 = SozR 3-1200 § 14 Nr 31; BSGE 98, 162, 163 = SozR 4-1300 § 44 Nr 9, jeweils Rdnr 13 f mwN; Mutschler, WzS 2009, 193, 199; Mrozynski, aaO, § 14 Rdnr 43; zweifelnd Schütze in: von Wulffen, SGB X, 6. Aufl. 2008, § 44 Rdnr 33 mwN; a. BSG SozR 4-1300 § 44 Nr 12 Rdnr 32). Danach hätte dem Kläger Halbwaisenrente ohnehin frühestens ab 2004 gewährt werden können.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183 S 1, 193 Abs 1 S 1SGG.
III. Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht, § 160 Abs 2 SGG. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch weicht der Senat mit seiner Entscheidung von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts ab. Der Senat stützt seine Entscheidung vielmehr auf die höchstrichterliche Rechtsprechung.
Erstellt am: 25.04.2012
Zuletzt verändert am: 25.04.2012