Auf die Beschwerde der Kläger wird der Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 11.03.2011 geändert. Den Klägern wird für das Klageverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt S aus E beigeordnet. Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
Nach § 73a Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Aus verfassungsrechtlichen Gründen dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussicht nicht überspannt werden. Die abschließende Klärung der Sach- und Rechtslage darf nicht in das Prozesskostenhilfeverfahren, in dem nur eine summarische Prüfung erfolgt, vorverlagert werden. Letzte Zweifel an der rechtlichen Beurteilung müssen nicht ausgeschlossen sein, denn eine endgültige und abschließende Prüfung der Erfolgsaussichten ist in der Regel weder möglich noch notwendig (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage 2012, § 73a Rn. 7, 7a, 7b). Es reicht für die Bejahung der Erfolgsaussicht aus, dass der Erfolg eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich hat (BSG, Urteil vom 17.02.1998 – B 13 RJ 83/97 R). Diese ist in aller Regel dann anzunehmen, wenn der Rechtsstandpunkt des Klägers vertretbar ist und die behaupteten anspruchsbegründenden Tatsachen nachweisbar erscheinen (Hdb SGG – Udsching, VI Rn. 60; Leitherer, a.a.O., Rn. 7).
Die Klage vom 10.02.2011 gegen den Bescheid vom 10.12.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26.01.201 und des Änderungsbescheids vom 26.03.2011 hat hinreichende Aussicht auf Erfolg. Hinreichende Erfolgsaussicht ist auch dann anzunehmen, wenn der Ausgang eines Verfahrens von einer schwierigen, bislang nicht geklärten Rechtsfrage abhängt. Eine Erfolgsaussicht in diesem Sinne ist auch nicht deswegen zu verneinen, weil die Klärung der Verfassungskonformität der Neuregelung des Regelbedarfs nicht die Verurteilung des Leistungsträgers zur Gewährung eines höheren, genau bezifferten Regelbedarfs bedingt (so LSG NRW, Beschluss vom 15.12.2011 – L 2 AS 1928/11 B). Dies ergibt sich auch mittelbar aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ([BVerfG], Urteile vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09). Denn das BVerfG bestimmt genau in dieser Konstellation, dass "die Verfassungswidrigkeit der vorgelegten Vorschriften und ihrer Nachfolgeregelungen bei Kostenentscheidungen zugunsten der klagenden Hilfebedürftigen angemessen zu berücksichtigen seien, soweit dies die gesetzlichen Bestimmungen ermöglichen" (BVerfG, a.a.O., Rn. 219). Die Frage der hinreichenden Erfolgsaussicht der Klage ist somit davon abhängig, ob eine gute Möglichkeit des Obsiegens in Bezug auf die geltend gemachte Verfassungswidrigkeit besteht (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 27.10.2011 – L 7 AY 3538/11 B; Düring in Jansen, SGG, § 73a Rn. 12).
Diese gute Möglichkeit des Obsiegens ist unter Beachtung des Vortrages der Kläger, die mit Änderungsbescheid vom 26.03.2011 für die Zeit von Januar 2011 bis Juni 2011 berücksichtigten Regelbedarfe seien der Höhe nach verfassungswidrig festgesetzt, zu bejahen. Es handelt sich nach Auffassung des Senats um die bisher nicht geklärte Rechtsfrage, ob das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (RBEG SGB II, SGB XII ÄndG) die vom BVerfG aufgezeigten Anforderungen erfüllt (BVerfG, a.a.O., Rn. 139 ff.).
Ausgehend vom dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nach Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz (GG) obliegt es dem Gesetzgeber, dem das BVerfG insoweit einen Gestaltungsspielraum mit eingeschränkter Überprüfbarkeit zubilligt, das physische und soziokulturelle Existenzminimum zu ermitteln und dem Leistungsberechtigten zur Verfügung zu stellen (BVerfG, a.a.O., Rn. 138). Dabei hat das BVerfG in seiner Entscheidung vom 09.02.2010 klargestellt, dass der Gesetzgeber durch die Regelleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II das Ziel, ein menschenwürdiges Existenzminimum zu gewährleisten, dem Grunde nach zutreffend definiert hat und es sich auch nicht feststellen lässt, dass der Gesamtbetrag der festgesetzten Leistungen zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums evident unzureichend ist. Das BVerfG hat dem Gesetzgeber attestiert, dass dieser ein grundsätzlich geeignetes Berechnungsverfahren zur Bemessung des Existenzminimums gewählt hat. Jedoch ergibt sich die Verfassungswidrigkeit von § 20 Abs. 2 1. Halbsatz, Abs. 3 S. 1 SGB II a.F. i.V.m. § 20 Abs. 1 SGB II a.F. daraus, dass der Gesetzgeber bei der Bemessung der Regelleistung das von ihm gewählte Verfahren nicht stringent beibehalten hat, sondern von den Strukturprinzipien des Statistikmodells ohne sachliche Rechtfertigung abgewichen ist, ohne diese durch andere, erkennbare und tragfähige Kriterien zu ersetzen (BVerfGE, a.a.O., Rn. 139, 173 ff.). Das BVerfG erstreckt den Grundrechtsschutz der Neuregelung der Regelbedarfe auf das Verfahren zur Ermittlung des Grundrechtsschutzes, d.h. auf die Frage, ob der Gesetzgeber im Rahmen seines Gestaltungsspielraums ein zur Bemessung des Existenzminimums im Grundsatz taugliches Berechnungsverfahren gewählt, die erforderlichen Tatsachen im Wesentlichen vollständig und zutreffend ermittelt und in allen Berechnungsschritten mit einem nachvollziehbaren Zahlenwerk innerhalb des gewählten Verfahrens und dessen Strukturprinzipien im Rahmen des Vertretbaren gehalten hat (BVerfG, a.a.O., 141 ff.).
Inwieweit der Gesetzgeber diese Anforderungen des BVerfG (vgl. insoweit BVerfG, a.a.O., 3. Leitsatz) erfüllt hat, ist umstritten (zum Meinungsstand: Gutachten Dr. Becker, Sonderheft Soziale Sicherheit, September 2011, 7 ff.; Prof. Dr. Münder, ebenda, 63 ff.; Rixen, Sozialrecht aktuell, 4/11, 121 ff.; Helga Spindler, info also 6/2011, 243 ff.; Prof. Dr. Lenze, NVwz 2011, 1104 ff.; Ute Kötter, info also 3/2011, 99 ff; LSG NRW, Beschluss vom 16.11.2011 – L 12 AS 1526/11 B; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.10.2011 – L 12 AS 3445/11; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 11.10.2011 – L 2 AS 99/11 B). Beispielhaft wird zu klären sein, ob die Abgrenzung der Referenzgruppen sowie die Nichtberücksichtigung von Verbrauchspositionen den Kriterien eines methodisch korrekten Verfahrens genügen. In diesem Zusammenhang ist fraglich, ob der Ausschluss von Ausgaben als nicht regelsatzrelevant (z.B. Tabakwaren, Alkohol) nicht zu einer Vermischung der Statistik- und Warenkorbmethode und schließlich dazu führt, dass die vom BVerfG geforderte Möglichkeit eines internen Ausgleichs zwischen unter- und überdurchschnittlichen Bedarfen (BVerfG, a.a.O., Rn. 205) nicht mehr garantiert wird. Bei der Bestimmung der Referenzhaushalte kommt es zudem darauf an, ob die unterschiedliche prozentuale Berücksichtigung von 20% (Familien) bzw. 15% (Alleinstehende) aller Haushalte als Referenzgruppe schlüssig und nachvollziehbar vom Gesetzgeber begründet worden ist. Zudem bedarf es der Beurteilung, ob die Regelung des § 3 RBEG den Anforderungen des BVerfG an den Gesetzgeber, diejenigen aus der Referenzgruppe herauszunehmen, deren Nettoeinkommen unter dem Niveau der Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII incl. der Leistungen für Unterkunft und Heizung liegen (BVerfG, a.a.O., Rn. 169), Rechnung trägt, um Zirkelschlüsse zu vermeiden (Lenze in LPK-SGB II, Anh. zu § 20, § 3 RBEG Rn. 1).
Des Weiteren weist der Senat darauf hin, dass auch bereits aus der besonderen Fallkonstellation heraus die Erfolgsaussicht der Klage zu bejahen ist. Denn die gesetzlichen Neuregelungen über die Regelbedarfe und damit die Problematik der Verfassungsmäßigkeit des dem Einzelnen vom Staat zur Verfügung zu stellenden Existenzminimums werden erneut zur Überprüfung gestellt, nachdem das BVerfG im Februar 2010 die gesetzlichen Regelungen über die Regelleistungen mit dem Grundgesetz als unvereinbar erklärt hat. In dieser Entscheidung hat das BVerfG zum einen dem Gesetzgeber einen weiten, nur eingeschränkt überprüfbaren Gestaltungsspielraum zugebilligt, zum anderen aber die Obliegenheit auferlegt, die "zur Bestimmung des Existenzminimums im Gesetzgebungsverfahren eingesetzten Methoden und Berechnungsschritte nachvollziehbar offenzulegen", wobei "das GG dem Gesetzgeber keine bestimmte Methode vorschreibe, sondern im Rahmen der Tauglichkeit und Sachgerechtigkeit die Wahlmöglichkeit erlaube, wobei Abweichungen der gewählten Methode allerdings der sachlichen Rechtfertigung bedürfen" (BVerfG, a.aO. Rn. 139). Damit wird die gesetzgeberische Neufassung an den Vorgaben des BVerfG gemessen und erst im Anschluss an einen Abgleich mit diesen Anforderungen und unter Berücksichtigung des Gestaltungsspielraumes kann letztlich die (erneute) Entscheidung des BVerfG Klarheit hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der Regelungen der Regelbedarfe bringen. Das BVerfG wird letztendlich zu entscheiden haben, ob der Gesetzgeber den von ihm postulierten hohen Anforderungen an die Ermittlung und Begründung unter Berücksichtigung des Gestaltungsspielraumes gerecht geworden ist. Die Rechtshängigkeit dieser Rechtsfrage beim Bundessozialgericht (BSG) als dem ranghöchsten Instanzgericht in der Sozialgerichtsbarkeit wird die Klärung dieser Rechtsfrage im Hinblick auf die hier bestehenden Besonderheiten indessen nicht herbeiführen können. Zwar ist es bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende unabdingbar, dass bei den Sozialgerichten eine tatsächliche und rechtliche Prüfung sowie eine Überprüfung der Bestimmungen des SGB II auf die Vereinbarkeit mit der Verfassung erfolgt (BVerfG, Beschluss vom 18.01.2006 – 1 BvR 2675/05). Jedoch wird in dieser besonderen Konstellation, in der das BVerfG bereits die Rahmenbedingungen für die Herleitung und Bestimmung der Regelbedarfe ab Januar 2011 aufgezeigt und skizziert hat, nur das BVerfG abschließend über die Vereinbarung der gesetzlichen Regelungen mit der Verfassung befinden können.
Auf die Frage, ob zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife über den Antrag auf Prozesskostenhilfe am 16.02.2011 beim BSG Verfahren betreffend die Verfassungsmäßigkeit der Regelbedarfe ab Januar 2011 anhängig waren (11.07.2011 – B 14 AS 131/11 R; 22.08.2011 – B 14 AS 153/11 R), kommt es daher aus den vorgenannten Gründen nicht an (a.A. LSG NRW, Beschluss vom 15.12.2011 – L 2 AS 1774/11 B).
Der Anspruch auf Gewährung von Prozesskostenhilfe besteht für den ersten Bewilligungszeitraum nach dem 01.01.2011, d.h. für das erste gerichtliche Verfahren, mit dem die Verfassungswidrigkeit der Regelbedarfe geltend gemacht wird. Für weitere Zeiträume besteht für denselben Leistungsberechtigten bei Parallelität der Fallgestaltung grundsätzlich kein Anspruch auf Prozesskostenhilfe (BVerfG, Beschluss vom 30.05.2011 – 1 BvR 3151/10 Rn. 12; Beschluss vom 02.09.2010 – 1 BvR 1974/08 Rn. 13 ff.).
Die Kläger sind nach ihren wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage, die Kosten der Rechtsverfolgung aufzubringen.
Kosten werden im Prozesskostenhilfe-Beschwerdeverfahren nicht erstattet (§ 73a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).
Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht angreifbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 09.05.2012
Zuletzt verändert am: 09.05.2012