Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 07.03.2012 wird zurückgewiesen.
Gründe:
I.
Mit Schreiben vom 07.02.2012 hat der Kläger den derzeit beim Sozialgericht (SG) Duisburg tätigen Richter am Landessozialgericht M wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Das SG hat den Antrag zurückgewiesen (Beschluss vom 07.03.2012). Anhaltspunkte für eine herkunftsbezogene Diskriminierung des Klägers durch den abgelehnten Richter oder dessen unsachliche Einstellung bzw. willkürliches Verhalten fänden sich nicht. In der Rechtsmittelbelehrung wird darauf hingewiesen, dass der Beschluss gemäß § 172 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht anfechtbar ist. Diese Entscheidung hat der Kläger am 10.03.2012 mit der Beschwerde angegriffen. In der Sache hat er trotz Aufforderung mit Fristsetzung nicht weiter vorgetragen.
II.
Die Beschwerde ist statthaft und im Übrigen zulässig (nachfolgend 1.), sie ist indes unbegründet (nachfolgend 2.).
1. Die Beschwerde ist statthaft.
a) Durch Art. 8 Ziffer 4b) i. V. m. Art. 23 des Vierten Gesetz zur Änderung des Vierten Buches des Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 22.12.2011 (4. Gesetz zur Änderung des SGB IV und anderer Gesetze) ist § 60 Abs. 1 Satz 2 SGG ("Über die Ablehnung entscheidet außer im Falle des § 171 das Landessozialgericht durch Beschluss.") mit Wirkung zum 01.01.2012 aufgehoben worden (BGBI I 3057). Seither ist das SG funktionell zuständig, über Befangenheitsanträge gegen Richter/innen erster Instanz zu entscheiden. Ob und inwieweit diese Entscheidung mit der Beschwerde angegriffen werden kann, ist dem Gesetz nicht mit der gebotenen Deutlichkeit zu entnehmen.
b) Zur Überzeugung des Senats ist die Beschwerde aus nachfolgenden Gründen statthaft:
aa) Nach § 46 Abs. 2 Zivilprozessordung (ZPO) findet gegen einen Beschluss, durch den das Befangenheitsgesuch für begründet erklärt wird, kein Rechtsmittel und gegen den Beschluss, durch den das Gesuch für unbegründet erklärt wird, die sofortige Beschwerde statt (hierzu § 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Infolge von Art. 8 Nr. 4 Ziff. a) des 4. Gesetzes zur Änderung des SGB IV und anderer Gesetze wurden in § 60 Abs. 1 SGG die Wörter "§§ 41 bis 44, 45 Abs. 2 Satz, §§ 47 bis 49" durch die Angabe "§§ 41 bis 49" ersetzt. Nunmehr lautet § 60 Abs. 1 SGG: "Für die Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen gelten die §§ 41 bis 49 der Zivilprozessordnung entsprechend." Demzufolge ist § 46 Abs. 2 Halbs. 2 ZPO nach dem eindeutigen Wortlaut in Bezug genommen und die Beschwerde unter den genannten Voraussetzungen statthaft.
bb) Gegenläufig bestimmt allerdings § 172 Abs. 2 SGG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes (SGGArbGGÄndG) vom 26.03.2008 (BGBl. I 444), dass u. a. Beschlüsse über die Ablehnung von Gerichtspersonen nicht mit der Beschwerde angefochten werden können. In diesem Zusammenhang heißt es im Gesetzentwurf der Bundesregierung zum 4. Gesetz zur Änderung des SGB IV und anderer Gesetze (BR-Drs. 315/11, S. 40; BT-Drs. 17/6764, S. 27):
Da § 46 Zivilprozessordnung (ZPO) für entsprechend anwendbar erklärt wird, ist die bisher in Satz 2 enthaltene Regelung entbehrlich. § 172 Absatz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) geht als speziellere Norm dem § 46 Absatz 2 ZPO vor, so dass weiterhin Beschlüsse über die Ablehnung von Gerichtspersonen nicht mit der Beschwerde angefochten werden können.
Dies zugrunde gelegt hat der Gesetzgeber einerseits eine eindeutige Regelung getroffen, nämlich Statthaftigkeit der Beschwerde (§ 60 Abs. 1 SGG i.V.m. § 46 Abs. 2 Halbs. 2 ZPO), andererseits steht dem § 172 Abs. 2 SGG mit dem darin formulierten Beschwerdeausschluss entgegen. Die Gesetzesbegründung (s. soeben) favorisiert § 172 Abs. 2 SGG auf der Grundlage insoweit unterstellter Gesetzesspezialität. Ob und inwieweit dies zutrifft, ist zu prüfen.
(1) Dabei gilt vorab: Die Meinungsäußerung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Verfassungsorgane bzw. von Mitgliedern dieser Organe ist zwar zur Kenntnis zu nehmen, sie ist indes für die Auslegung der maßgebenden Vorschriften von nachrangiger Bedeutung. Motive, die in Gesetzentwürfen zum Ausdruck kommen und die in der Regel in Ministerien formuliert werden, können nicht kurzerhand jenen Personen untergeschoben werden, die den Gesetzbeschluss gefasst haben (Zippelius, Juristische Methodenlehre, 10. Auflage, 2006, S. 24). Es kommt ferner nicht darauf an, was der Gesetzgeber regeln wollte oder meint, geregelt zu haben, sondern auf den durch das Gericht im Wege der Auslegung zu ermittelnden Inhalt des Gesetzes selbst, den "objektivierten Willen des Gesetzgebers", in dessen Bestimmung die Motive des Gesetzgebers allenfalls sekundär einfließen können (hierzu Zippelius, a.a.O., S. 21 ff. und Kramer, Juristische Methodenlehre, 2. Auflage, 2005, S. 113 ff., 152 f.; vgl. auch Bundesfinanzhof, Urteil vom 23.09.1999 – IV R 56/98 – ; Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 20.02.1964 – 8 RV 649/62 -; Senat, Beschlüsse vom 04.05.2011 – L 11 KA 120/10 B ER – und 17.06.2009 – L 11 B 6/09 KA ER -).
Enthält sich der Gesetzgeber – wie hier – einer eindeutigen Entscheidung, ist die Normenkonkurrenz durch die Gerichte aufzulösen (vgl. auch Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 03.04.1990 – 1 BvR 1186/89 -). Hat der Gesetzgeber allerdings eine eindeutige Entscheidung (etwa pro oder contra Statthaftigkeit der Beschwerde) getroffen, darf ein Gericht dies nicht aufgrund eigener rechtspolitischer Vorstellungen verändern oder durch judikative Lösungen ersetzen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.06.2007 – 2 BvR 1447/05, 2 BvR 136/05 -). Der Richter darf sich nicht dem vom Gesetzgeber festgelegten Sinn und Zweck des Gesetzes entziehen. Er muss die gesetzgeberische Grundentscheidung respektieren und den Willen des Gesetzgebers (auch) unter gewandelten Bedingungen möglichst zuverlässig zur Geltung bringen. Er hat hierbei den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung zu folgen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 12.11.1997 – 1 BvR 479/92, 1 BvR 307/94 – und 26.06.1991 – 1 BvR 779/85 -). Eine Interpretation, die als richterliche Rechtsfortbildung den klaren Wortlaut des Gesetzes hintanstellt, keinen Widerhall im Gesetz findet und vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich oder – bei Vorliegen einer erkennbar planwidrigen Gesetzeslücke – stillschweigend gebilligt wird, greift unzulässig in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers ein (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 16.02.2012 – 1 BvR 127/10 – und 14.06.2007 – 2 BvR 1447/05, 2 BvR 136/05 -).
(2) Nach Maßgabe dieser Grundsätze ergibt sich: Zwei hierarchisch gleichrangige Normen stehen im Widerstreit. Die Normenkonkurrenz ist im Wege der Auslegung aufzulösen.
(a) Eine Auslegung nach Maßgabe des jeweiligen Wortlauts führt nicht weiter. Zwar erklärt § 60 Abs. 1 SGG die §§ 41 bis 49 ZPO nur für entsprechend anwendbar. Die Sinngehalt der &8243;entsprechenden Anwendbarkeit&8243; erschließt sich daraus, dass die §§ 41 bis 49 ZPO auf das zivilprozessuale Verfahren zugeschnitten sind (z. B. Parteien statt Beteiligte, sofortige Beschwerde statt Beschwerde), folglich ohnehin nicht unmittelbar angewandt werden können. Die bezogenen Vorschriften sind daher nur maßgebend, soweit nicht grundsätzliche Unterschiede der Verfahrensarten dem entgegenstehen (zu § 202 SGG: vgl. Straßfeld in Jansen, SGG, 3. Auflage, 2009, § 202 Rdn. 1; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage, 2012, § 202 Rdn. 3). Ausgeschlossen ist damit das in § 46 Abs. 2 Halbs. 2 ZPO vorgesehene Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde (hierzu § 567 Abs. 1 ZPO). Hieraus lässt sich indes nicht herleiten, dass § 46 Abs. 2 Halbs. 2 ZPO nicht anzuwenden ist. Der Gesetzgeber hat das Gegenteil bestimmt. Er hat auch diese Norm in Bezug genommen und sie damit in das SGG-Verfahren einbezogen. Sie kann damit nicht gesetzwidrig hinweg interpretiert werden. Dies gilt umso mehr, als das im Gesetzgebungsverfahren federführende Bundesministerium mehrfach auf die ungelöste Normenkonkurrenz hingewiesen worden ist (s. unten) und dennoch keinen Anlass gesehen hat, die schon im Referentenentwurf (März 2011) vorgesehene Bezugnahme des § 60 Abs. 1 SGG auf §§ 41 bis §§ 49 ZPO in eine solche auf §§ 41 bis 45, 46 Abs. 1 und Abs. 2 Halbs. 1, 47 bis 49 ZPO zu ändern. Die vom Gesetzgeber angeordnete &8243;entsprechende Anwendung&8243; bedeutet sonach nur, dass statt der sofortigen Beschwerde (§ 567 Abs. 1 ZPO) der im SGG vorgesehene, vergleichbare Rechtsbehelf zum Zuge kommt; das ist die &8243;einfache&8243; Beschwerde nach § 172 Abs. 1 SGG.
(b) Die Gesetzesbegründung meint, infolge Spezialität verdränge § 172 Abs. 2 SGG die gegenläufige Regelung des § 60 Abs. 1 SGG i. V. m. § 46 Abs. 2 Halbs. 2 ZPO. Das trifft nicht zu. Die sich inhaltlich widersprechenden Regelungen des § 60 Abs. 1 SGG i. V. m. § 46 Abs. 2 Halbs. 2 ZPO einerseits und § 172 Abs. 2 SGG andererseits begründen einen der systematischen Interpretation zuzuordnen Normenkonflikt, denn auf ein und denselben Sachverhalt erscheinen – isoliert betrachtet – mehrere gesetzliche Tatbestände anwendbar. In derartigen Fällen der Gesetzeskonkurrenz kann eine der Normen einen weiteren (generellen) Anwendungsbereich haben als die konkurrierende speziellere Norm. Gemeinhin wird dann das Prinzip "lex specialis derogat legi generali" vertreten. Dies könnte auf einen Vorrang des § 172 Abs. 2 SGG hindeuten (so die Gesetzesbegründung a.a.O.). Das ist indessen nicht der Fall. Die Anwendung vorgenannter Regel setzt ein Spezialitätsverhältnis voraus. Spezialität läge vor, wenn alle Sachverhalte, die unter § 172 Abs. 2 SGG subsumiert werden können, gleichzeitig auch § 60 Abs. 1 SGG i.V.m. § 46 Abs. 2 Halbs. 2 ZPO zurechenbar sind, nicht aber umgekehrt (vgl. auch Senat, Beschluss vom 14.06.2010 – L 11 KR 199/10 KL – m.w.N.). Tatsächlich sind die Normen im Tatbestand deckungsgleich (negativer Beschluss des SG über ein Befangenheitsgesuch), weichen indes (nur) in der angeordneten Rechtsfolge diametral voneinander ab. Damit geht es entgegen der Gesetzesbegründung nicht um die Frage der Spezialität im Sinne vom &8243;lex specialis derogat legi generali&8243; mit der Folge, dass die Gesetzesbegründung nicht trägt.
Grundsätzlich gilt im Bereich der systematischen Auslegung, dass eine Norm im Zweifel so zu interpretieren ist, dass die konkurrierende Norm nicht obsolet wird (Kramer, a.a.O., S. 94). Ausgehend hiervon hat der Gesetzgeber mit der Bezugnahme des § 60 Abs. 1 SGG auf § 42 Abs. 2 Halbs. 2 ZPO bewusst und zielgerichtet die Beschwerdemöglichkeit eröffnet. Dem die Grundlage dadurch zu entziehen, dass mittels der nicht tragfähigen Gesetzesbegründung der unnötigen Regelung (s. unten unter (c) (aa)) des § 172 Abs. 2 SGG verdrängende Wirkung beigemessen wird, verbietet sich hiernach. Mit Blick auf die zeitliche Gesetzeskonkurrenz (hierzu Kramer, a.a.O., S. 101) ist zudem maßgebend, dass jüngeres Recht widersprechendes älteres Recht aufhebt (lex posterior derogat legi priori) und nicht umgekehrt (vgl. Zippelius, a.a.O., S. 40; Kramer, a.a.O., S. 101 f.; hierzu auch Senat, Beschlüsse vom 13.04.2011 – L 11 KA 133/10 B ER, L 11 KA 17/11 B ER – und 14.06.2010 – L 11 KR 199/10 KL -). Sonach verdrängt § 60 Abs. 1 SGG i. V. m. § 42 Abs. 2 Halbs. 2 ZPO die ältere Regelung des § 172 Abs. 2 SGG. Allerdings bedarf es jeweils einer genauen Analyse, ob vorgenannter Grundsatz gilt, denn möglicherweise ergibt die Auslegung, dass eine Norm einer anderen Vorschrift vorgehen oder sie aufheben soll (Zippelius, a.a.O., S. 41). Gleichermaßen denkbar ist, dass der Gesetzgeber einer fragwürdigen Regelung (hier § 172 Abs. 2 SGG) nunmehr einen realen Sinngehalt gibt und deswegen der Grundsatz &8243;lex posterior derogat legi priori&8243; nicht greift. Das führt indes nicht weiter, was sich nachfolgend ergibt.
(c) Zu fragen ist zunächst nach dem Regelungsgehalt des § 172 Abs. 2 SGG.
(aa) Der Wortlaut ist eindeutig. Beschlüsse über die Ablehnung von Gerichtspersonen können nicht mit der Beschwerde angefochten werden. Mit dem Begriff "Gerichtspersonen" werden die in § 60 Abs. 1 SGG und in §§ 41 bis 49 ZPO benannten Richter, ehrenamtlichen Richter und Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erfasst (vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 27.04.2011 – 1 So 15/11 – m.w.N. zu § 146 Abs. 2 VwGO). Die Beschwerde ist hiernach nicht statthaft. Gleichwohl ist die Vorschrift zutreffend als unnötig (vgl. Leitherer, a.a.O., § 172 Rdn. 6f) bzw. fehlsam (Zeihe, SGG, § 172 Rdn. 13) bezeichnet worden. § 172 Abs. 2 SGG &8243;regelte&8243; im hier interessierenden Zusammenhang allein, dass Befangenheitsbeschlüsse des LSG (§ 60 Abs. 1 Satz 2 SGG a. F.) nicht mit der Beschwerde angefochten werden konnten. Das folgt indes schon aus § 177 SGG. Damit bleibt zu klären, ob der Gesetzgeber mittels des 4. Gesetzes zur Änderungen des SGB IV und anderer Gesetze § 172 Abs. 2 SGG einen neuen und weiteren Regelungsgehalt beigemessen hat, der dazu führt, dass diese Norm die jüngere Regelung des § 60 Abs. 1 SGG i.V.m. § 46 Abs. 2 Halbs. 2 ZPO entgegen dem Grundsatz des &8243;lex posterior derogat legi priori&8243; verdrängt. Da ein Spezialitätsverhältnis entgegen der in der Gesetzesbegründung vertretenen Auffassung nicht vorliegt (s. oben), bedarf es einer weitergehenden Analyse.
(bb) Der Satzteil &8243;und über die Ablehnung von Gerichtspersonen&8243; ist durch Art. 29 des SGGArbGGÄndG m.W.v. 01.04.2008 in § 172 Abs. 2 SGG eingefügt worden (BGBl I 444). Mittels des SGGArbGGÄndG sollte die Sozialgerichtsbarkeit insgesamt entlastet werden, und zwar durch eine Straffung des sozialgerichtlichen Verfahrens, die es den Gerichten erlaubt, ihrer Amtsermittlungspflicht zum Einen besser nachzukommen, zum Anderen aber auch Verzögerungen des Verfahrens, die durch die Verfahrensbeteiligten selbst verursacht werden, zu sanktionieren (vgl. BT-Drs. 16/7716 S. 1). Diesem Ziel diente auch die Ausweitung der Regelungen über den Beschwerdeausschluss in § 172 SGG. Dabei sollte mit der Änderung in § 172 Abs. 2 SGG im Interesse der Vereinheitlichung der Verfahrensordnungen eine Anpassung an § 146 VwGO bewirkt werden (vgl. BT-Drs. 16/7716 S. 22 zu Nr. 29 Buchst. a)). Dort war bereits mit dem 6. VwGO-Änderungsgesetz vom 01.12.1996 (BGBl I 1626) in § 146 Abs. 2 VwGO eine der jetzigen Fassung des § 172 Abs. 2 SGG entsprechende Bestimmung über den Ausschluss der Beschwerde bei Beschlüssen über die Ablehnung von Gerichtspersonen aufgenommen worden, die wie alle Rechtsänderungen in der genannten Gesetzesnovelle der Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung der seinerzeit überlasteten Verwaltungsgerichte diente (vgl. BT-Drs. 13/5098 S. 1 f.). Der Gesetzgeber hielt es nicht für sinnvoll, den Beteiligten einen Instanzenzug gegen den Beschluss, mit dem ein Ablehnungsgesuch abgelehnt wird, auch dann zu gewähren, wenn die Hauptsacheentscheidung nicht oder nur nach besonderer Zulassung anfechtbar ist; zugleich sollte den Beteiligten der Anreiz genommen werden, Ablehnungsgesuche allein zur Hinauszögerung der Hauptsacheentscheidung anzubringen (BT-Drs. 13/3993, S. 22 f.; BT-Drs. 13/5098, S. 24 f.).
(cc) Die den Beschwerdeausschluss nach § 146 Abs. 2 VwGO (n.F.) tragenden Erwägungen greifen für das SGG nur schwerlich. Das SGG kennt im Gegensatz zu § 124 VwGO keine Zulassungsberufung. Somit verbleibt nur das wenig überzeugende "Anreizargument" (vgl. oben), um die § 142 Abs. 2 VwGO (n.F.) zugrundeliegenden gesetzgeberischen Erwägungen auf die Neuregelung des § 172 Abs. 2 SGG i.d.F. des SGGArbGGÄndG zu übertragen. Hinzu kommt, dass mittels § 146 Abs. 2 VwGO (n.F.) zielgerichtet das zuvor bestehende Beschwerderecht (vgl. OVG Sachsen, Beschluss vom 01.08.2000 – 1 B 58/99 -) ausgeschlossen werden sollte, mithin der Regelungsgehalt dieser Norm insoweit klar war. Für § 172 Abs. 2 SGG gilt indes Anderes. Über das Befangenheitsgesuch entschied bislang das LSG (§ 60 Abs. 1 Satz 2 SGG a.F.). Die Beschwerde konnte schon deswegen nicht ausgeschlossen werden, weil sie losgelöst von § 172 Abs. 2 nicht statthaft war (§ 177 SGG). Insoweit war die Neufassung des § 172 Abs. 2 unnötig bzw. fehlsam (s. oben). Dementsprechend war die mit der Einfügung der Worte "und über die Ablehnung von Gerichtspersonen" verfolgte Zielrichtung des SGGArbGGÄndG äußerst bescheiden; es ging nur um eine Anpassung an § 146 VwGO im Interesse der Vereinheitlichung der Verfahrensordnungen (BT-Drs. 16/7716, S. 27). Angesichts dieser gesetzgeberischen Konzeption des § 172 Abs. 2 SGG ist es wenig überzeugend, wenn der auslegungstechnisch nicht tragfähigen Meinung des "Gesetzgebers" beigetreten wird, § 172 Abs. 2 SGG verdränge die an sich gegebene Beschwerdemöglichkeit nach § 60 Abs. 1 SGG i. V. m. § 46 Abs. 2 ZPO.
(dd) Hinzu kommt: Anliegen des 4. Gesetzes zur Änderung des SGB IV und anderer Gesetze ist es zwar, die Verfahren zu beschleunigen und die Effizienz in der Sozialgerichtsbarkeit zu steigern (BT-Drs. 315/11 S. 2, 22). Dieses Ziel hat der Gesetzgeber allerdings selbst konterkariert, indem er mittels Streichung des § 60 Abs. 1 Satz 2 SGG die Zuständigkeit der hoch belasteten Sozialgerichte für Entscheidungen in Befangenheitssachen geschaffen hat. Diese Zuständigkeitsverlagerung ist überdies ineffektiv. Waren bei den Landessozialgerichten die Zuständigkeiten für Befangenheitssachen betreffend Richter vielfach einem Senat zugewiesen und damit der Sachverstand gebündelt, kann hiervon nunmehr keine Rede mehr sein, wenn ausweislich des Gesetzesbegründung jeweils der geschäftsplanmäßige Vertreter zuständig sein soll, mithin statt einer Zuständigkeitsbündelung nunmehr zu diversifizieren ist. Schon deswegen verbietet es sich, die Neuregelung allein mit Blick auf die Gesichtspunkte der Effizienzsteigerung bzw. Verfahrensbeschleunigung zu interpretieren, um einer Beschwerde die Statthaftigkeit abzusprechen.
(ee) Wird zudem zutreffend angenommen, dass Entscheidungen der Sozialgerichte über die Ablehnung von Sachverständigen mit der Beschwerde angegriffen werden können (ganz h.M.; vgl. nur LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 04.01.2011 – L 4 KR 324/10 B – mit zustimmender Anmerkung von Hellweg in ZMGR 2011, 184, jeweils m.w.N.; OVG Hamburg, Beschluss vom 27.04.2011 – 1 So 15/11 – zu § 146 Abs. 2 VwGO; Leitherer, a.a.O., § 172 Rdn. 6f.; a.A. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 27.01.2010 – L 7 R 3206/09 B -), kommt es zu nicht nachvollziehbaren Wertungswidersprüchen, wenn die in der Gesetzesbegründung und damit nur beiläufig geäußerte Auffassung des "Gesetzgebers" als maßgebend angesehen wird.
(ff) Schließlich gilt unter systematischen Gesichtspunkten, dass § 172 Abs. 2 SGG eine Ausnahmevorschrift darstellt (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 04.01.2011 – L 4 KR 324/10 B -; Hellweg in ZMGR 2011, 184) und als solche schwerlich geeignet ist, § 60 Abs. 1 i.V.m. § 42 Abs. 2 ZPO zu verdrängen. Als Grundregel bestimmt § 172 Abs. 1 SGG, dass gegen die Entscheidungen der Sozialgerichte die Beschwerde an das LSG stattfindet, soweit im SGG nichts anderes bestimmt ist. Letzteres ist mit § 172 Abs. 2 SGG der Fall. Diese Norm steht in einem Spezialitätsverhältnis zu § 172 Abs. 1 SGG. Nichts anderes gilt für § 60 Abs. 1 SGG i.V.m. § 46 Abs. 2 Halbs. 2 ZPO, denn diese Normenkette bekräftigt für ihren Anwendungsbereich (Befangenheitssachen) spezialgesetzlich nochmals die Grundregel des § 172 Abs. 1 SGG. Stehen sonach zwei spezialgesetzliche Normen im Widerstreit, kann das Spannungsverhältnis jedenfalls nicht dadurch beseitigt werden, dass der einen Norm (§ 172 Abs. 2 SGG) mit dem schlichten Hinweis auf die Gesetzesbegründung eine verdrängende Wirkung gegenüber der anderen Norm (§ 60 Abs. 1 SGG i.V.m. § 46 Abs. 2 Halbs. 2 ZPO) beigemessen wird. Vielmehr gilt dann, dass der Ausnahmetatbestand (§ 172 Abs. 2 SGG) durch die neu geschaffene Spezialregelung des § 60 Abs. 1 SGG i.V.m. § 46 Abs. 2 Halbs. 2 ZPO neutralisiert wird.
(gg) Von einem redaktionellen Versehen des Gesetzgebers kann zudem nicht ausgegangen werden, denn im Gesetzgebungsverfahren ist das federführende Bundesministerium mehrfach auf diese Unstimmigkeiten hingewiesen worden. So heißt es in der Stellungnahme 26/11 des Deutschen Richterbundes aus Oktober 2011 (www.drb.de):
Das Ziel einer Verfahrensbeschleunigung kann im Übrigen nur erreicht werden, wenn die Entscheidungen über die Ausschließung oder Ablehnung des Richters nicht mit der Beschwerde angefochten werden kann, da ansonsten das Verfahren im Vergleich zum derzeit geltenden Recht sogar verlängert würde. Davon geht auch der Gesetzentwurf aus, wenn er in der Begründung auf S. 48 ausgeführt, dass Beschlüsse über die Ablehnung von Gerichtspersonen nicht mit der Beschwerde angefochten werden könnten, da § 172 Abs. 2 SGG dem § 46 Abs. 2 ZPO als speziellere Norm vorgehe. Dies ergibt sich allerdings aus dem Wortlaut des § 60 SGG-E nicht eindeutig. Zur Klarstellung regen wird daher an, die im Entwurf enthaltene Verweisung auf § 46 Abs. 2 ZPO (der eine Beschwerde vorsieht) zu streichen.
(hh) Letztlich bleibt zur Kenntnis zu nehmen, dass die Verfasser des 4. Gesetzes zur Änderung des SGB IV und anderer Gesetze (wohl) die Beschwerdemöglichkeit gegen Beschlüsse, mit denen eine Befangenheitsantrag gegen Richter abgelehnt wird, abschaffen wollten. Losgelöst von der dem entgegenstehenden Auslegung der maßgebenden Normen (s. oben), kann vom Gesetzgeber allerdings erwartet werden, dass er eine Beschneidung von Rechtsschutzmöglichkeiten eindeutig und unmissverständlich formuliert. Dies gebieten die Gesichtspunkte der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens. Geschieht das – wie hier – nicht, spricht Einiges dafür, zunächst an der bisherigen Rechtslage festzuhalten; nötigenfalls mag gesetzgeberisch &8243;nachgebessert&8243; werden.
c) Sonach: Wortlaut, Gesetzessystematik, Entstehungsgeschichte und teleologische Gesichtspunkte sprechen entgegen der Gesetzesbegründung für eine Beschwerdemöglichkeit nach Maßgabe des § 60 Abs. 1 SGG i.V.m. § 46 Abs. 2 ZPO.
2. In der Sache ist die Beschwerde unbegründet. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat in entsprechender Anwendung des § 153 Abs. 2 SGG Bezug auf die angefochtene Entscheidung.
III.
Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 10.05.2012
Zuletzt verändert am: 10.05.2012