Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 09.03.2012 aufgehoben. Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
1. Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Köln vom 09.03.2012, mit dem der Beschluss über die Bewilligung der Prozesskostenhilfe vom 08.08.2007 aufgehoben wurde, ist statthaft.
Der mit Wirkung zum 01.04.2008 neu eingeführte § 172 Abs. 3 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) steht der Statthaftigkeit der Beschwerde nicht entgegen. Nach dieser Regelung ist die Beschwerde ausgeschlossen gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe, wenn das Gericht ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe verneint. Die Norm des § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG erfasst schon nach ihrem Wortlaut ausschließlich die Ablehnung von Prozesskostenhilfe, nicht dagegen – wie hier den Fall – die nachträgliche Aufhebung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 73a SGG. Auch der Entstehungsgeschichte (hierzu BT-Drucksache 16/7716, S. 106) ist nicht zu entnehmen, dass eine erweiternde Auslegung im vorliegenden Kontext angezeigt wäre (LSG NRW, Beschluss vom 02.03.2011 – L 7 AS 194/11 B; LSG NRW, Beschluss vom 02.09.2008 – L 7 B 228/08 AS; LSG NRW, Beschluss vom 29.11.2010 – L 19 AS 1640/10 B).
2. Die Beschwerde ist auch begründet.
Gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG gelten die Vorschriften der ZPO über die Prozesskostenhilfe im sozialgerichtlichen Verfahren entsprechend. Gemäß § 124 Nr. 2 Alt. 2 ZPO kann das Gericht die Bewilligung der Prozesskostenhilfe aufheben, wenn die Partei absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unrichtige Angaben über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht oder eine Erklärung nach § 120 Abs. 4 Satz 2 ZPO nicht abgegeben hat. Gemäß § 120 Abs. 4 Satz 1 ZPO kann das Gericht gegenüber einer Partei, deren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sich nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe maßgeblich geändert haben, innerhalb von vier Jahren seit der rechtskräftigen Entscheidung oder sonstigen Beendigung des Verfahrens den Beschluss ändern.
Vorliegend kann dahinstehen, ob das SG ohne jeden konkreten Anlass im Rahmen einer rein routinemäßigen Überprüfung eine Aufforderung nach § 120 Abs. 4 ZPO Satz 2 ZPO an die Klägerin richten durfte (ablehnend LSG BW -, Beschlüsse vom 09.06.2011, L 13 AS 120/11 B und vom 11.07.2011 – L 2 AS 1462/11 B unter Hinweis auf den Beschluss LSG NRW vom 07.12.2009 – L 19 B 41/09 AL). Denn jedenfalls wurde das Verfahren nicht fehlerfrei durchgeführt. Zumindest fehlt es an einer wirksamen Aufforderung zur Abgabe der Erklärung gemäß § 120 Abs. 4 Satz 2, § 124 Nr. 2 ZPO. Die Aufforderung zur Mitteilung wesentlicher Änderungen wurde an die Klägerin persönlich und damit nicht an den zutreffenden Adressaten gerichtet. Sie hätte gemäß § 73 Abs. 6 Satz 5 SGG an den Prozessbevollmächtigten gerichtet werden müssen. Danach sind, wenn ein Bevollmächtigter bestellt ist, Zustellungen und Mitteilungen des Gerichts an diesen zu richten. Einer neuen Bevollmächtigung von Rechtsanwalt H für das Überprüfungsverfahren bedurfte es indes nicht. Er war bereits vor Erlass des Prozesskostenhilfebeschlusses vom 08.08.2007 als Bevollmächtigter gemäß § 73 Abs. 2 Satz 1 SGG bestellt und hatte den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe selbst gestellt. Seine Vollmacht ist nicht erloschen, so dass von der Fortdauer der Bestellung zum Prozessbevollmächtigten auszugehen ist. Die ihm von der Klägerin erteilte Vollmacht wirkt auch über die Beendigung des Hauptsacheverfahrens am 06.11.2008 hinaus. Hieraus wiederum folgt, dass auch nach Abschluss des Verfahrens die Aufforderung zur Abgabe der Erklärung gemäß § 120 Abs. 4 Satz 2 ZPO wirksam nur an den Prozessbevollmächtigten der Klägerin gerichtet werden konnte. Dies folgt aus der mit § 172 Abs. 1 ZPO im Wesentlichen identischen Regelung des § 73 Abs. 6 Satz 5 SGG. Das Prozesskostenhilfeüberprüfungsverfahren ist ähnlich wie ein Wiederaufnahmeverfahren ein Annexverfahren zum Ursprungsverfahren, so dass sich die von der Klägerin erteilte Prozessvollmacht auch auf das Prozesskostenhilfeüberprüfungsverfahren erstreckt (LSG NRW, Beschluss vom 18.01.2012 – L 7 AS 1162/10 B; LSG BW, Beschluss vom 11.07.2011 – L 2 AS 1462/11 B, Bundesgerichtshof [BGH], Beschluss vom 08.12.2010 – XII ZB 151/10; Landesarbeitsgericht [LAG] Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 03.08.2011 – 1 Ta 127/11).
Ergänzend weist der Senat noch auf Folgendes hin: Die Klägerin hat (persönlich) am 12.02.2012, d.h. einen Tag vor Zustellung des Beschlusses am 13.03.2012 die von dem SG mehrfach angeforderte Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Anlagen eingereicht. Somit wäre auch materiell-rechtlich zu prüfen, ob die Klägerin hinreichend belegt hat, dass ihre Bedürftigkeit nach § 115 ZPO nicht entfallen ist bzw. sich ihre wirtschaftlichen Verhältnisse nicht wesentlich geändert haben.
Die Klägerin war hiermit nicht präkludiert. Bei der Frist gemäß § 124 Nr. 2 Alt. 2, § 120 Abs. 4 Satz 2 ZPO handelt es sich nicht um eine Ausschlussfrist, so dass die Erklärung auch noch im Beschwerdeverfahren nachgeholt werden kann (LSG NRW, Beschluss vom 02.03.2011 – L 7 AS 194/11 B Rn. 5 juris; Oberlandesgericht [OLG] Hamm, Beschluss vom 04.11.1998 – 8 WF 424/98, FamRZ 2000, S. 1225). Die Gegenansicht (hierzu Kothe/Busch in: jurisPR-ArbR 6/2003 Anm. 6 m.w.N.) überzeugt den Senat nicht. Denn nach der Grundregel des § 571 Abs. 2 Satz 1 ZPO i.V.m. § 202 SGG sind auch neue Tatsachen und Beweismittel grundsätzlich beachtlich und nicht präkludiert. Hätte die Gesetzgebung in Abweichung von diesem Grundsatz verspätete Erklärungen gänzlich ausschließen wollen, so müssten die Vorschriften § 120 Abs. 4 Satz 2 und § 124 Nr. 2 ZPO darüber Aufschluss geben (OLG Hamm, a.a.O.). Im Übrigen bildet der Ausschluss verspäteten Vorbringens im SGG auch nach dessen Reform zum 01.04.2008 (vgl. jetzt § 106a SGG) einen Fremdkörper (Hauck in: jurisPR-SozR 17/2008, Anm. 4).
Gegen einen Ausschluss verspätet vorgebrachter Tatsachen, Beweise und Erklärungen spricht zudem der Zweck der bewilligten Prozesskostenhilfe. Diese stellt eine besondere Form der Sozialhilfe im Bereich der Rechtspflege dar. Anders als beim Bewilligungsverfahren nach § 118 ZPO geht es bei einem Prüfungsverfahren nach § 120 Abs. 4 ZPO um den Fortbestand einer bereits bewilligten Prozesskostenhilfe und damit um einen bereits begründeten und geschützten Besitzstand (so zutreffend OLG Hamm, a.a.O.).
Bei einem Bewilligungsverfahren nach § 118 ZPO erwächst ein ablehnender Prozesskostenhilfebeschluss zudem nicht in materielle Rechtskraft. Denn Prozesskostenhilfe versagende Beschlüsse sind der materiellen Rechtskraft nicht fähig (BGH, Beschluss vom 03.03.2004 – IV ZB 43/03, NJW 2004, S. 1805 m.w.N.). Ein erneuter Prozesskostenhilfeantrag scheitert im Bewilligungsverfahren damit nicht an einer Rechtskraft des ablehnenden Prozesskostenhilfebeschlusses (BSG, Beschluss vom 31.07.2008 – B 1 KR 6/08 BH; zitiert nach Hauck in: jurisPR-SozR 17/2008 Anm. 4). Diese Möglichkeit einer erneuten Antragstellung steht der Klägerin im Aufhebungsverfahren nach § 120 ZPO nicht zur Verfügung.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO.
4. Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht angreifbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 05.06.2012
Zuletzt verändert am: 05.06.2012