Rev. d.Bekl. durch Urteil zurückgewiesen
Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dortmund vom 30.06.2011 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin verlangt von dem beklagten Krankenhaus im Rahmen einer Abrechnungsprüfung die Herausgabe der medizinischen Unterlagen eines Behandlungsfalles an den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) Rheinland-Pfalz.
Die Beklagte betreibt ein nach § 108 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) zur Behandlung der Versicherten der klagenden Krankenkasse zugelassenes Krankenhaus. Dort wurde in der Zeit vom 16.10. bis 10.11.2009 der 1937 geborene Versicherte der Klägerin G (im Folgenden: Versicherter) stationär behandelt. Die Beklagte stellte der Klägerin am 25.11.2009 unter Zugrundelegung der DRG E65C insgesamt 3.953,29 Euro in Rechnung.
Die Klägerin beglich die Rechnung zunächst und beauftragte sodann den MDK Rheinland-Pfalz mit der Prüfung, ob der stationäre Aufenthalt und dabei insbesondere die Überschreitung der oberen Grenzverweildauer medizinisch begründet gewesen sei. Mit Schreiben vom 02.12.2009 bat der MDK das beklagte Krankenhaus unter Hinweis auf §§ 275 Abs. 1, 276 Abs. 2 i. V. m. § 112 Abs. 2 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) um Übersendung des ärztlichen Entlassungsberichts, der Fieberkurven, des Pflegeberichtes, der Operations-, PTCA-, PTR-Berichte sowie der Labordaten. Eine Reaktion der Beklagten erfolgte nicht. Nachdem der MDK den Vorgang unerledigt an die Klägerin zurückgegeben hatte, teilte diese der Beklagten mit Schreiben vom 27.05.2010 mit, es werde Klage erhoben, sofern die Herausgabe der Unterlagen nicht bis zum 10.06.2010 erfolge.
Am 16.08.2010 hat die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht (SG) Dortmund erhoben und ihr Herausgabeverlangen weiterverfolgt. Sie hat vorgetragen, sie sei prozessführungsbefugt, da der Anspruch auf Herausgabe von Behandlungsunterlagen eines Krankenhauses ihr und nicht dem MDK zustehe. Dem Gesetz könne auch nicht entnommen werden, dass ausschließlich der MDK des Bundeslandes, in dem der zu überprüfende Leistungsfall stattgefunden habe, zuständig sei; dies habe das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen bereits im Jahr 2003 entschieden (Urteil vom 27.03.2003 – L 5 KR 141/01 -).
Die Klägerin hat schriftsätzlich beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, die für die medizinische Begutachtung erforderlichen Unterlagen (vollständige Krankenakte und Pflegedokumentation) über den stationären Aufenthalt des Versicherten G in der Zeit vom 16.10.2009 bis zum 10.11.2009 dem MDK Rheinland-Pfalz zur Prüfung zur Verfügung zu stellen.
Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat vorgetragen, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Überlassung von Behandlungsunterlagen an den MDK Rheinland-Pfalz, denn dieser sei nicht für die Überprüfung von Behandlungsfällen in Nordrhein-Westfalen zuständig. Aus der föderalistischen Struktur des MDK i.V.m. § 278 Abs. 1 SGB V ergebe sich die Geltung des sog. "Tatortortprinzips". Aufgrund der landesbezogenen Organisation der Medizinischen Dienste der Krankenversicherung sei von einer konkludenten Zuständigkeitszuweisung auszugehen. Zudem stünden Aspekte der ärztlichen Schweigepflicht und des Datenschutzes einer Überprüfung durch den MDK Rheinland-Pfalz entgegen. Ferner ergebe sich auch aus den Richtlinien über die Zusammenarbeit der Krankenkassen mit den Medizinischen Diensten der Krankenversicherung, dass der MDK eines anderen Bundeslandes nur ausnahmsweise und nicht – wie von der Klägerin durchgeführt – systematisch beauftragt werden könne.
Durch Gerichtsbescheid vom 30.06.2011, auf dessen Gründe verwiesen wird, hat das Sozialgericht die Beklagte antragsgemäß verurteilt.
Gegen den ihr am 18.07.2011 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 26.07.2011 Berufung eingelegt. Sie vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen und trägt ergänzend vor, der MDK sei eine Einrichtung auf Landesebene. Aus der landesbezogenen Organisation des MDK ergebe sich, dass ausschließlich der MDK Nordrhein-Westfalen zuständig sei. Nehme die Klägerin in erheblichem Umfang eine nicht der zuständigen Aufsicht des Landes NRW unterliegende Einrichtung in Anspruch, entziehe die Klägerin diese Sachverhalte der Kontrolle durch die zuständige Aufsicht. Auch der Landesvertrag gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 SGB V verdeutliche, dass ein Überprüfungsrecht nur für den MDK in Nordrhein-Westfalen bestehe. Ferner sei das Kriterium der Sachnähe und Ortskenntnis nur bei einer Überprüfung durch den MDK Nordrhein-Westfalen gewährleistet. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass die Prüfung hier letztlich nicht durch die Klägerin, sondern durch das sog. Krankenhauskompetenzcentrum (KKC) beauftragt worden sei; ob es sich insoweit um eine Arbeitsgemeinschaft i.S.v. § 94 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) handele, müsse bezweifelt werden.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dortmund vom 30.06.2011 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend. Auftraggeber der streitigen Einzelfallprüfung nach § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V sei die Klägerin gewesen. Der Zusammenschluss zum sog. KKC ändere nichts daran, dass die jeweilige Krankenkasse im eigenen Namen stationäre Behandlungsfälle ihrer Versicherten prüfe und im eigenen Namen den MDK beauftrage. Dem Gesetz seien keinerlei Regelungen zu entnehmen, nach denen ausschließlich der MDK des Bundeslandes, in dem der zu überprüfende Leistungsfall stattgefunden habe, zuständig sei. Im Übrigen kooperierten die regionalmedizinischen Dienste fachlich eng miteinander, so dass nicht ansatzweise ersichtlich sei, inwieweit die Beklagte hier in ihren Rechten beeinträchtigt sei, wenn zur Sicherstellung einer zügigen Bearbeitung in Einzelfällen anstelle des MDK Westfalen-Lippe der MDK Rheinland-Pfalz die Begutachtung durchführe. Auch der Landesvertrag nach § 112 Abs. 2 Nr. 2 SGB V sehe kein Überprüfungsrecht nur für den MDK Nordrhein-Westfalen (MDK Nordrhein; MDK Westfalen-Lippe) vor. Aus dem Landesvertrag seien für den MDK weder Rechte noch Pflichten herzuleiten. Eine gesetzlich geregelte Zuständigkeit des MDK gebe es nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Klägerin Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Das SG hat die Beklagte zu Recht zur Herausgabe der medizinischen Unterlagen bezüglich des stationären Aufenthalts des Versicherten in der Zeit vom 16.10.2009 bis zum 10.11.2009 an den MDK Rheinland-Pfalz zwecks Prüfung der sachlichen Richtigkeit der erfolgten Abrechnung verurteilt.
Die von Amts wegen zu beachtenden Sachurteilsvoraussetzungen liegen vor. Streitgegenstand des Verfahrens ist das isolierte Herausgabebegehren der Klägerin gegen die Beklagte. Die Klägerin ist für die Herausgabeklage selbst zur Prozessführung befugt, weil sie insoweit ein eigenes Recht verfolgt. Ein der Tatsachenermittlung für einen Zahlungsanspruch bzw. Erstattungsanspruch dienender Herausgabeanspruch stellt lediglich einen Hilfsanspruch für den zu sichernden Zahlungsanspruch dar. Er kann daher grundsätzlich nur demjenigen zustehen, der auch Gläubiger des Zahlungsanspruchs ist. Gläubigerin des eventuellen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs ist die Klägerin, die deshalb auch den Herausgabeanspruch aus eigenem Recht geltend machen kann (vgl. BSG SozR 4-2500 § 276 Nr. 1).
Die Klage auf Herausgabe der medizinischen Unterlagen an den MDK Rheinland-Pfalz ist begründet.
Rechtsgrundlage des Herausgabeanspruchs der Klägerin zu Gunsten des MDK ergibt sich aus § 276 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 SGB V. Danach sind, soweit die Krankenkassen nach § 275 Abs. 1 bis 3 SGB V eine gutachtliche Stellungnahme oder Prüfung durch den Medizinischen Dienst veranlasst haben, die Leistungserbringer verpflichtet, Sozialdaten auf Anforderung des MDK unmittelbar an diesen zu übermitteln, soweit dies für die gutachtliche Stellungnahme und Prüfung erforderlich ist. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
Die Klägerin hat eine Prüfung der Krankenhausbehandlung nach § 39 SGB V gemäß § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V eingeleitet, was auch von der Beklagten letztlich nicht in Zweifel gezogen wird. Der Umstand, dass die Klägerin mit anderen Betriebskrankenkassen eine Arbeitsgemeinschaft in Form des Krankenhauskompetenzcentrums (KKC) gebildet hat, führt zu keiner anderen Beurteilung. Bei dem KKC handelt es sich um eine Arbeitsgemeinschaft gemäß § 94 Abs. 1a Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Wie sich aus der Verwaltungsakte ergibt, hat die Klägerin die Prüfung gemäß § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V veranlasst und in der Anforderung des MDK Rheinland-Pfalz gemäß § 276 Abs. 2 Satz 1 2. Halbsatz SGB V vom 02.12.2009 wurde die Beklagte zudem auch darauf hingewiesen, dass die Klägerin den MDK mit der Prüfung beauftragt hat. Die Prüfung wurde auch spätestens sechs Wochen nach Eingang der Abrechnung bei der Klägerin und damit innerhalb der Frist gemäß § 275 Abs. 1c SGB V eingeleitet und durch den MDK der Beklagten angezeigt. Dass die Klägerin grundsätzlich zur Prüfung des Krankenhausaufenthalts gemäß § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V verpflichtet war, wird letztlich auch von der Beklagten nicht in Abrede gestellt.
Der Einwand der Beklagten, der MDK Rheinland-Pfalz sei für die Prüfung nicht zuständig gewesen, so dass sie nicht zur Herausgabe an den MDK Rheinland-Pfalz verpflichtet gewesen sei, sondern allenfalls der MDK in Nordrhein-Westfalen (nämlich MDK Westfalen-Lippe oder MDK Nordrhein) eine Herausgabe habe verlangen können, greift nicht durch. Zwar wird der MDK nach § 278 Abs. 1 SGB V auf der Ebene der Bundesländer errichtet. Hintergrund hierfür ist die Regelung der Trägerschaft in § 278 Abs. 2 SGB V, die Bedeutung für die Organisation (§ 279 Abs. 2 SGB V) und vor allem die Finanzierung (§ 281 SGB V) hat. Dem Gesetz kann jedoch nicht entnommen werden, dass ausschließlich der MDK des Bundeslandes, in dem der zu überprüfende Leistungsfall stattgefunden hat, zuständig wäre (vgl. LSG NRW Urteil vom 27.03.2003 – L 5 KR 141/01 – ). Insbesondere für ein Aktengutachten – wie hier – hätte eine solche Forderung keinen Sinn, denn es ist ohne Relevanz, ob der MDK Rheinland-Pfalz oder der MDK Westfalen-Lippe bzw. MDK Nordrhein die Akten auswertet. Das Urteil des BSG vom 21.08.1996 (SozR 3-2500 § 39 Nr. 4) rechtfertigt ebenfalls kein anderes Ergebnis. Das BSG hat hier lediglich entschieden, dass in einem Bundesland abgeschlossene Verträge nach § 112 SGB V auch für Kassen anderer Bundesländer gelten. Daraus folgt aber nicht, dass damit der MDK des "Vertragsbundeslandes" ausschließlich für die Prüfungen zuständig wäre, zumal die örtliche Zuständigkeit des MDK in den Verträgen nicht angesprochen wird (vgl. LSG NRW a.a.O.).
Soweit die Beklagte meint, die Herausgabe könne nur an den MDK Nordrhein-Westfalen verlangt werden, ist darauf hinzuweisen, dass in Nordrhein-Westfalen zwei Medizinische Dienste (MDK Nordrhein und MDK Westfalen-Lippe) errichtet wurden, so dass unter konsequenter Verfolgung des von der Beklagten angenommenen "Tatortprinzips" wohl nur der MDK Westfalen-Lippe zuständig sein dürfte. Eine solche Zuständigkeitsregelung lässt sich – wie letztlich auch die Beklagte annimmt – dem Gesetz jedoch nicht entnehmen.
Die Beklagte kann sich auch nicht auf das Urteil des BSG vom 28.02.2007 (SozR 4-2500 § 276 Nr. 1) stützen. In diesem Urteil hat das BSG entschieden, dass der Anspruch auf Herausgabe von Behandlungsunterlagen eines Krankenhauses an den MDK zur Prüfung der Richtigkeit der Abrechnung nicht dem MDK sondern der Krankenkasse zusteht. Die Krankenkasse könne den Anspruch auf Herausgabe von Unterlagen an den zuständigen MDK aus eigenem Recht und in eigenem Namen gerichtlich geltend machen. Ausführungen zur örtlichen Zuständigkeit des MDK werden in dieser Entscheidung nicht getroffen.
Die Regelung gemäß § 276 Abs. 4 SGB V rechtfertigt ebenfalls nicht die Verweigerung der Herausgabe. Diese Regelung räumt den Ärzten des MDK im Einzelfall bei Erforderlichkeit Zutritts- und Einsichtsrechte ein, enthält aber keine Regelungen bezüglich der örtlichen Zuständigkeit des MDK.
Nach alledem kann die Klägerin die Herausgabe der Krankenakte und der Pflegedokumentation an den MDK Rheinland-Pfalz verlangen. Dass diese Unterlagen für die Prüfung des streitigen stationären Aufenthalts gemäß § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V erforderlich und deshalb gemäß § 276 Abs.2 SGBV zu übermitteln sind, wird auch von der Beklagten nicht in Zweifel gezogen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Der Senat hat die Revision gemäß § 160 Abs. 1 Nr. 1 SGG zugelassen.
Erstellt am: 19.03.2014
Zuletzt verändert am: 19.03.2014