Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dortmund vom 26.1.2010 wird als unzulässig verworfen. Kosten sind auch im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist (große) Witwenrente.
Mit unterschriebenem Schreiben vom 20.2.2008 wandte sich die Klägerin an die Beklagte und beantragte die Gewährung einer Witwenrente nach N A (im Folgenden: Versicherter), dessen Witwe sie sei. Dem Antrag fügte sie Belege bei über die Tätigkeit eines am 00.00.1923 in C in Marokko geborenen "N N B A" (Arbeitserlaubnis der Stadt X vom 28.9.1970) bzw eines 1923 geborenen "N B A" sowie eine Bestätigung des marokkanischen Staates über den Tod eines "N A", geb. am 00.00.1922 in C am 25.10.2007. Einen Beleg dafür, dass sie mit dem Versicherten im Augenblick seines Todes verheiratet war, fügte sie nicht bei.
Die Beklagte, die über keine einschlägigen Verwaltungsvorgänge (mehr), verfügt, fand in ihren elektronisch gespeicherten Konten einen Versicherten N A, geb. am 0.00.1923 in C. In dem für diese Person gespeicherten elektronischen Gesamtkontospiegel (Gesamtheit der elektronisch gespeicherten Daten) ist vermerkt, dass der Versicherte am 15.3. und am 16.11.1989 Rente beantragt habe. Diese Anträge seien jedoch mit Bescheiden vom 15.7.1989 sowie vom 1.2.1990 abgelehnt worden, weil dem Versicherten auf seinen Antrag bereits mit Bescheid vom 7.12.1971 Beiträge in Höhe von 1.137 EUR für die von ihm in Deutschland bis zum 8.3.1971 zurückgelegten Beitragszeiten erstattet worden seien. Eine am 7.3.1990 erneut beantragte Beitragserstattung sei aus diesem Grund mit Bescheid vom 15.5.1990 abgelehnt worden.
Auf dieser Grundlage lehnte die Beklagte den Antrag auf Witwenrente ab: Voraussetzung für die Gewährung einer Witwenrente sei unter anderem, dass die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren erfüllt sei. Im Fall des Versicherten seien auf die Wartezeit anrechenbare deutsche Versicherungszeiten nicht mehr vorhanden. Die vom Versicherten in der Zeit vom 14.11.1961 bis zum 8.3.1971 entrichteten Beiträge seien ihm mit Bescheid vom 7.12.1973 erstattet worden. Mit dieser Beitragserstattung sei das Versicherungsverhältnis endgültig aufgelöst worden. Ansprüche aus den bis zur Erstattung zurückgelegten rentenrechtlichen Zeiten bestünden nicht mehr. Versicherungszeiten nach dem 7.12.1973 seien weder erwiesen noch behauptet (Bescheid vom 17.03.2008; Widerspruchsbescheid vom 4.3.2009).
Die hiergegen mit unterschriebener Klageschrift vom 26.3.2009, eingegangen am 15.4.2009, erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Dortmund abgewiesen: Es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass die sich aus dem Gesamtkontospiegel ergebenden Grunddaten fehlerhaft seien könnten. Es sei somit von einer Erstattung der Beiträge mit Bescheid vom 7.12.1973 auszugehen, das bis dahin bestehende Versicherungsverhältnis gelte damit als aufgelöst. Die Klägerin könne daraus keine Rechte mehr herleiten. Neue, nach der Erstattung entstandene bundesdeutsche Versicherungszeiten seien weder nachgewiesen noch behauptet (Gerichtsbescheid vom 26.1.2010).
Mit Schreiben vom 1.3.2010, das ausschließlich in französischer Sprache verfasst ist, begehrt die Klägerin die "Revision" der Entscheidung des Sozialgerichts. Das Schreiben weist unter dem maschinell verfassten Text anstelle einer Unterschrift (nur) ein Kreuz auf, bestehend aus zwei kurzen, im Wesentlichen geraden und ungefähr im rechten Winkel aufeinander treffenden Strichen (ähnlich einem Pluszeichen). Auf die Aufforderung des Gerichts mitzuteilen, von wem das Schreiben stamme und ob damit von ihr Berufung eingelegt werden solle, hat die Klägerin nicht reagiert. Ebenso wenig hat sie die vom Gericht angeforderte vollständige Ablichtung ihres Passes zu den Akten gereicht oder die Berufung (weiter) begründet, auch nicht nach wiederholter gerichtlicher Aufforderung und Fristsetzung.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung ist für die Klägerin niemand erschienen. Die Klägerin ist mit Einschreiben/Rückschein zum Termin geladen und darauf hingewiesen worden, dass auch im Falle ihres Nichterscheinens verhandelt und entschieden werden kann.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Aus dem Versicherungskonto des Versicherten ergebe sich, dass für alle Beschäftigungszeiträume die entrichteten Rentenversicherungsbeiträge erstattet worden seien.
Die Botschaft des Königreichs Marokko in Berlin hat mitgeteilt, dass nach dem Gesetz "arabisch" marokkanische Amtssprache sei, in allen Ministerien jedoch "französisch" als Amtssprache gesprochen werde. Die Rechtsabteilung des Generalkonsulats des Königreichs Marokko in Düsseldorf hat ergänzt, dass in behördlichen und gerichtlichen Verfahren nur die arabische Sprache zugelassen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitverhältnisses wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten betreffend den Versicherten verwiesen. Sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Obwohl für die Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung niemand erschienen ist, kann der Senat aufgrund (einseitiger) mündlicher Verhandlung entscheiden. Denn die Klägerin ist in der ordnungsgemäß erfolgten Ladung (§§ 63 Abs. 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), 175 Zivilprozessordnung iVm Art 31 Abs. 1 Satz 3 des Deutsch-Marokkanischen Sozialversicherungsabkommens (DMSVA) vom 25.03.1981, in Kraft seit dem 01.08.1986, BGBl II 1986; 550 ff, 562, 772) auf diese Möglichkeit hingewiesen worden, § 62 SGG.
Es kann offen bleiben, ob die Berufung schon deshalb unzulässig ist, weil mit einem in französischer Sprache verfassten Schreiben bei einem deutschen Gericht nicht wirksam Berufung eingelegt werden kann. Grundsätzlich ist die Gerichtssprache deutsch, § 61 SGG iVm § 184 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG); eine in einer anderen Sprache eingelegte Berufung wahrt (vorbehaltlich zwischenstaatlicher Sonderregelungen) die Rechtsmittelfrist nicht. Diese Regelung ist zwingend und von Amts wegen zu beachten (BSG, SozR 1500 § 61 Nr 1; LSG Berlin, Urt vom 22.03.2001, Aktenzeichen (Az) L 3 U 23/00). Es kommt allerdings ernsthaft in Betracht, eine Berufung in französischer Sprache aus Marokko ausnahmsweise gleichwohl als zulässig anzusehen, weil sie (nach Art 31 Abs 2 des Sozialversicherungsabkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Marokko, aufgrund der tatsächlichen Handhabung der jeweiligen Verbindungsstellen und wegen der tatsächlichen Verwendung als Amtssprache in Marokko) wie eine Amtssprache Marokkos im Rechtsverkehr mit dem (europäischen) Ausland zu bewerten ist (vgl dazu auch: Urteil des Senats vom 15.11.2011, Az L 18 KN 30/10).
Die Berufung ist schon deshalb als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht in der vorgeschriebenen Schriftform eingelegt worden ist, § 158 Satz 1 iVm § 151 Abs 1 Satz 1 SGG. Die für die (wirksame) Einlegung der Berufung erforderliche Schriftform ist mit dem Schreiben vom 1.3.2010 nicht gewahrt. Es kann nämlich nicht zuverlässig festgestellt werden, dass die Klägerin Urheberin der Berufungsschrift ist.
Entscheidend für die Auslegung des Begriffs "schriftlich" in § 151 Abs 1 SGG ist der Sinn und Zweck der Regelung, nach dem mit dem Schriftformerfordernis gewährleistet werden soll, dass (1) die abzugebende Erklärung – hier: die Einleitung des Rechtsmittelverfahrens "Berufung" – dem Schriftstück hinreichend zuverlässig entnommen werden kann – es sich also nicht nur um einen Entwurf handelt – und dass (2) das Schriftstück mit Wissen und Wollen des Berechtigten dem Gericht zugeleitet worden ist (BSG SozR 3-1500 § 151 Nr 4 = NJW 01, 2492 mit Hinweisen auf GemS BGHZ 75, 340, 352 = SozR 1500 § 164 Nr 14 und GemS NJW 00, 2340 = SozR 3-1750 § 130 Nr 1; BSG SozR 3-1500 § 67 Nr 21 = NZS 03, 106). Das setzt die zweifelsfreie Identifikation des Urhebers voraus, die sich in der Regel aus der eigenhändigen Unterschrift ergibt, sich aber ausnahmsweise auch aus sonstigen Umständen ergeben kann. Das Schriftformerfordernis ist danach in der Regel nicht eingehalten, wenn das (fristwahrende) Schreiben nicht unterschrieben ist und der Urheber auch sonst nicht zweifelsfrei ermittelt werden kann (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer. SGG. 10. Auflage 2012. § 151 Rdnr 3a; BSG SozR 1500 § 151 Nr 3; BVerwGE 43, 113, 114; BFHE 115, 17; grds kritisch: Willms. NVwZ 87, 479; allgemein Kunz-Schmidt NJW 87, 1296). So liegt der Fall hier, weil es unter dem maschinengeschriebenen Text anstelle einer Unterschrift lediglich ein handschriftliches Kreuz (in Form eines Pluszeichens) aufweist. Das unter dem Schriftsatz vom 1.3.2010 befindliche, handschriftliche Kreuz kann nicht als Unterschrift gewertet werden. Eine eigenhändige Unterschrift muss zwar nicht unbedingt lesbar sein (BGH NJW 92, 243; BAG AP Nr 46 zu § 518 ZPO; BFHE 147, 199). Da die Unterschrift jedoch ein die Identität des Unterschreibenden kennzeichnender individueller Schriftzug ist, muss er zumindest charakteristische Merkmale aufweisen (BSG SozR Nr 12 zu § 151 SGG; BGH NJW 87, 1333; BFHE 138, 151; 140, 424). Jemand, der den Namen des Unterzeichnenden kennt, muss in dem Schriftbild Buchstaben dieses Namens wenigstens andeutungsweise erkennen und auf dieser Grundlage den Namen herauslesen können (BSG SozR Nr 12 zu § 151 SGG; SozR 1500 § 151 Nr 3 = SGb 76, 97 mit abl Anm Cuntz; BGH FamRZ 97, 737; BGH NJW 2005, 3775). Diese Voraussetzungen erfüllt das handschriftliche Kreuz unter dem Schriftsatz vom 1.3.2010 anders als der im Verwaltungsverfahren und bei Klageerhebung in erster Instanz verwandte Schriftzug nicht. Insbesondere diese Abweichung von den Schreiben der Klägerin im Verwaltungs- und Klageverfahren lässt zumindest als gut möglich erscheinen, dass die Berufungsschrift von einer anderen Person als der Klägerin (etwa aus ihrem Umfeld) stammt.
Ein Ausnahmefall, in dem das Schriftformerfordernis erfüllt ist, obwohl es an einer Unterschrift fehlt, liegt nicht vor. Anhaltspunkten, die eine der Unterschrift vergleichbare Gewähr für die Urheberschaft und den Willen der Klägerin bieten, Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts vom 26.1.2010 einzulegen, liegen nicht vor (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer. AaO. § 151 Rdnr 4a ff). Zwar ähneln das Schriftbild und die Formatierung des Schriftsatzes vom 1.3.2010 denjenigen des letzten von der Klägerin zuvor unterschriebenen Schriftsatzes vom 7.12.2009; das legt jedoch allenfalls nahe, dass derselbe PC / Drucker verwandt wurde. Über die (geistige) Urheberschaft besagt dies hingegen nichts, zumal gerichtsbekannt ist, dass viele Kläger aus Marokko ihre Schriftsätze nicht selbst verfassen, sondern hierbei fremde Hilfe (zB von Marktschreibern) in Anspruch nehmen. Keine andere Bewertung ergibt sich daraus, dass der Erhalt des erstinstanzlichen Gerichtsbescheids ebenfalls nur mit einem Kreuz – ähnlich dem unter der Berufungsschrift – auf dem Rückschein bestätigt worden ist. Für den Nachweis der Zustellung eines Gerichtsbescheids ist nämlich nicht entscheidend, dass der Adressat ihn persönlich erhalten hat. Es genügt eine (Ersatz-) Zustellung an einen in der Wohnung des Zustellungsempfängers angetroffenen erwachsenen Familienangehörigen, eine angestellte Person oder einen erwachsenen Mitbewohner, §§ 202 SGG iVm 178 Abs 1 Nr 1 ZPO. Aus dem Rückschein ergibt sich mithin nicht, dass die Klägerin Verfasserin der Berufungsschrift ist.
Die Klägerin ist zu diesem Sachverhalt angehört worden, § 62 SGG. Das Gericht hat sie frühzeitig auf die Zweifel an der Urheberschaft der Berufungsschrift hingewiesen und sie aufgefordert, zu bestätigen, dass sie mit dem Schreiben vom 1.3.2010 Berufung einlegen wollte, und eine vollständige Kopie ihres Passes zu übersenden. Mit den mehrfachen Hinweisen und Nachfragen (sogar in arabischer Sprache) sind auch die Grundsätze eines fairen Verfahrens eingehalten worden (vgl dazu BVerfGE 78, 123 = NJW 88, 2787; BVerfG SozR 4-1100 Art 2 Nr 1; BGH NJW 99, 60; BFHE 188, 528). Da die Klägerin darauf nicht reagiert hat, konnten die aufgezeigten Zweifel an der Urheberschaft der Berufungsschrift nicht beseitigt werden.
Eine materielle Prüfung des Rentenbegehrens ist dem Senat damit verwehrt. Gegen den Anspruch könnte aber bereits sprechen, dass die von der Klägerin zu den Akten gereichten Unterlagen, die den Versicherten betreffen sollen, bei Namen, Geburtsdatum und Geburtsort (zumindest leicht) variieren, die Identität des Versicherten also nicht sicher feststeht, und die Klägerin bisher auch nicht belegt hat, dass sie im Augenblick des Todes des Versicherten mit diesem verheiratet war und sie heute noch lebt.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183 Satz 1, 193 Abs 1 Satz 1 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor, § 160 Abs 2 SGG.
Erstellt am: 10.07.2012
Zuletzt verändert am: 10.07.2012