Auf den Antrag des Antragstellers wird die mit Rechnung vom 14.1.2011 geltend gemachte Vergütung des Antragsgegners gem. § 4 Abs. 1, 7 JVEG auf 0,00 EUR festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten um die fristgerechte Geltendmachung der Mehrwertsteuer für die Erstattung eines medizinischen Sachverständigengutachtens.
Gegenstand des dem Kostenfestsetzungsverfahren zu Grunde liegenden und bereits erledigten Berufungsverfahrens (L 18 R 251/09) war das Vorliegen der Voraussetzung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Unter dem 11.8.2010, eingegangen bei Gericht unter dem 16.8.2010, erstattete der Antragsgegner aufgrund gerichtlicher Beweisanordnung vom 18.5.2010 gem. § 106 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein neurologisch-neurochirurgisches Sachverständigengutachten (Bl. 272 ff. Gerichtsakte).
Mit Kostennote vom 13.8.2010 machte der Antragsgegner für die Erstellung des Gutachtens gegenüber der Staatskasse eine Vergütung in Höhe von insgesamt EUR 2.509,55 geltend.
Die Kosten wurden durch die Kostenbeamtin der Geschäftsstelle antragsgemäß angewiesen.
Mit erneuter Rechnung vom 14.1.2011, eingegangen bei Gericht unter dem 18.1.2011, bat der Antragsgegner um weitere Entschädigung seines Aufwandes in Höhe von EUR 474,91. In der Kostennote heißt es wörtlich: "Aufgrund eines Softwarefehlers wurde versehentlich die Mehrwertsteuer nicht berechnet, welche sich im vorliegenden Fall auf EUR 474,91 beläuft. Ich bitte diesen Fehler zu entschuldigen und bitte um Nachvergütung [ ] auf mein Konto."
Durch Kassenanordnung vom 16.2.2011 wurde auch diese Rechnung in geltend gemachter Höhe beglichen.
Mit Schreiben vom 1.8.2011 wies die Kostenbeamtin den Antragsgegner darauf hin, dass die Erstattung der Mehrwertsteuer in Höhe von EUR 474,91 zu Unrecht erfolgt sei. Die geltend gemachte Forderung sei verjährt, es werde um Rücküberweisung des erstatteten Betrages gebeten.
Nachdem der Antragsgegner trotz mehrfacher Erinnerung nicht reagierte, beantragte der Antragsteller die richterliche Festsetzung der geltend gemachten Mehrwertsteuer. Er ist der Auffassung, die Forderung sei verjährt. Dem Antragsgegner sei auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, da die Fristversäumnis selbst verschuldet sei. In der Anweisung des streitigen Betrages durch die Kostenbeamtin sei auch keine konkludente Gewährung einer Wiedereinsetzung zu erkennen, da über die Wiedereinsetzung nur das Gericht entscheiden könne.
Der Antragsteller beantragt,
den die Vergütung des Antragsgegners festsetzenden Bescheid der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom 16.2.2011 aufzuheben und die mit Rechnung vom 14.1.2011 geltend gemachte Vergütung gem. § 4 Abs. 1, 7 JVEG auf 0,00 EUR festzusetzen.
Der Antragsgegner beantragt sinngemäß,
den Antrag zurückzuweisen.
Der Abrechnungsfehler sei ihm erst "recht spät" aufgefallen, da er im alltäglichen Geschäft bis dato nicht in der Lage gewesen sei, jeden Posten nachzurechnen. Erst als die Zahlungseingänge anhand einer Berechnungsvorlage überprüft worden seien, habe er festgestellt, dass das EDV-Programm über das ganze Jahr hindurch die Umsatzsteuer nicht angerechnet habe. Ihm sei bewusst, dass ihm insoweit eine Sorgfaltspflicht obliege. Er habe die Nachberechnung jedoch sofort, nachdem der Fehler auffiel, erstellt. Die Verjährungsfristen des JVEG seien ihm als Mediziner nicht bewusst gewesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Der Senat entscheidet gemäß § 4 Abs. 7 S. 1 Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetz (JVEG) durch den Berichterstatter als Einzelrichter.
Der gem. § 4 JVEG zulässige Antrag auf richterliche Festsetzung ist begründet.
Es kann dahinstehen, ob die unter dem 16.2.2011 vorgenommene Anweisung der mit Rechnung vom 14.1.2011 durch den Antragsgegner geltend gemachten Mehrwertsteuer in Höhe von EUR 474,91 eine tatsächliche Zahlung (vgl. § 50 Abs. 2 S. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – SGB X) oder aber einen konkludenten (haushaltsrechtlichen) Verwaltungsakt darstellt (vgl. zur Abgrenzung: BSG, Urteil v. 29.10.1992, 10 RKg 4/92, SozR 3-1300 § 50 Nr. 13; Schütze in: von Wulffen, SGB X, 10. Auflage 2007, § 50 Rn. 20; zum haushaltsrechtlichen Verwaltungsakt: BGH, Beschluss v. 5.11.1968, RiZ (R) 4/68, zitiert nach juris), wie es offenbar der Antragsteller sieht, der ausdrücklich die Aufhebung des "Bescheides vom 16.2.2011" beantragt.
Das Gericht ist im Verfahren nach § 4 JVEG nicht an die Feststellungen des Kostenbeamten gebunden. Dessen Abrechnungen sind provisorischer Art und ohne weiteres hinfällig, wenn ein Antrag auf gerichtliche Festsetzung gestellt wird, so dass es keiner förmlichen Aufhebung bedarf. Die Berechnung und Auszahlung der Vergütung steht vielmehr von vornherein unter dem Vorbehalt einer anderweitigen Festsetzung durch das Gericht nach § 4 JVEG (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 6.5.2003, 1 W 308/01, zitiert nach juris). Der Antrag nach § 4 JVEG ist daher auch kein Rechtsbehelf gegen die Feststellungen der Kostenbeamten. Mit dem Antrag geht die funktionelle Zuständigkeit für die Festsetzung vielmehr auf das Gericht über. Konsequenterweise gilt dann auch das sogenannte Verböserungsverbot nicht (LSG Schleswig-Holstein, Beschluss v. 10.12.2008 – L 1 SK 14/08 unter www-sozialgerichtsbarkeit.de; LSG Thüringen, Beschluss v. 13.4.2005 – L 6 SF 2/05 m.w.N., zitiert nach juris).
Die mit Rechnung vom 14.1.2011 geltend gemachte Mehrwertsteuer in Höhe von EUR 474,91 für das bereits unter dem 13.8.2010 abgerechnete Sachverständigengutachten war entsprechend dem Antrag des Antragstellers auf EUR 0,00 festzusetzen.
Der Anspruch des Antragsgegners auf Vergütung der Mehrwertsteuer ist erloschen. Er hat die von der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle zu Unrecht gezahlte Vergütung zu erstatten.
Nach § 2 Abs. 1 JVEG erlischt der Anspruch auf Vergütung, wenn er nicht binnen drei Monaten bei der Stelle, die den Berechtigten herangezogen oder beauftragt hat, geltend gemacht wird (S. 1); die Frist beginnt im Fall der schriftlichen Begutachtung mit Eingang des Gutachtens bei der Stelle, die den Berechtigten beauftragt hat (S. 2 Nr. 1).
Nachdem das Gutachten des Antragsgegners am 16.8.2010 beim Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen als beauftragender Stelle eingegangen war, endete die Frist mit Ablauf des 15.11.2010. Beim Eingang der Rechnung vom 14.1.2011 am 18.1.2011 war sie abgelaufen. Insofern hätte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die Zahlung der Vergütung ablehnen müssen.
Auch die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in die versäumte Frist sind nicht erfüllt. Nach § 2 Abs. 2 S. 1 JVEG gewährt das Gericht dem Berechtigten auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wenn dieser ohne sein Verschulden an der Einhaltung einer Frist nach Absatz 1 gehindert war. Es kann dahinstehen, ob das Schreiben des Antragsgegners vom 14.1.2011 bei ausdrücklich nicht gestelltem Wiedereinsetzungsantrag als solcher zu werten ist. Jedenfalls können seine Ausführungen kein mangelndes Verschulden begründen. Ob ein Verschulden vorliegt, ist nach objektiven Maßstäben unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles zu ermitteln (Schneider, JVEG, 2007, § 2 Rn. 37). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat der Antragsgegner den von ihm zur Begründung der Fristversäumnis angeführten Softwarefehler als Organisationsverschulden im Rahmen seiner allgemeinen Sorgfaltspflicht selbst zu verantworten (vgl. LSG NRW, Beschluss v. 13.10.2011, L 2 SF 253/11 E). Dies gilt insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass es sich bei der Mehrwertsteuer nicht um eine ungewöhnliche und nur selten anfallende Rechnungsposition handelt, sondern vielmehr um einen Standardposten, dessen generelles Fehlen bei Rechnungen – über einen Zeitraum von einem Jahr – augenfällig erkennbar ist. Auch die fehlende Kenntnis der Fristen des JVEG entlastet niemanden, der zugleich Vergütung und Entschädigung nach diesem Gesetz beansprucht (vgl. Schneider, JVEG, 2007, § 2 Rn. 38).
Es ist auch nicht davon auszugehen, dass die Kostenbeamtin dem Antrasgegner mit der Anweisung der Rechnung unter dem 16.2.2011 bereits Wiedereinsetzung gewährt hätte. Hierzu ist die Kostenbeamtin nicht befugt. Kraft ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung in § 2 Abs. 2 S. 1 JVEG trifft die Entscheidung über die Wiedereinsetzung das Gericht, nicht der Anweisungsbeamte (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss v. 7.7.2006, L 6 R 327/02.Ko unter www.sozialgerichtsbarkeit.de; Binz in: Binz/Dörndorfer/Petzold/Zimmermann, JVEG, 2007, § 2 Rn. 6; Meyer/Höver/Bach, JVEG, 25. Aufl. 2011, § 2 Rn. 2.5; Schneider, JVEG, 2007, § 2 Rn. 43; a.A. allein Hartmann, JVEG, 42. Aufl. 2012, § 2 Rn. 17). Dass damit das nach § 4 Abs. 1 JVEG zuständige Gericht gemeint ist, folgt auch bereits aus dem gegen die Entscheidung vorgesehen Rechtsmittel. Gegen die Ablehnung der Wiedereinsetzung kann nach § 2 Abs. 2 S. 3 JVEG (außer bei Entscheidung in zweiter Instanz, vgl. § 2 Abs. 2 S. 6 JVEG i.V.m. § 4 Abs. 4 S. 3 JVEG, die insoweit unanfechtbar ist) das Rechtsmittel der Beschwerde eingelegt werden, das für Entscheidungen des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle gerade nicht das statthafte ist, weil hiergegen die Erinnerung vorgesehen ist (vgl. Schneider, JVEG, 2007, § 2 Rn. 43).
Da die Vergütung durch die Kostenbeamtin zu Unrecht gewährt worden ist, steht der Staatskasse zugleich ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch auf Erstattung der Überzahlung zu (vgl. Thüringer Landessozialgericht, Beschluss v. 12.6.2007, L 6 B 131/06 SF m.w.N. unter www.sozialgerichtsbarkeit.de).
Der Anspruch ist auch noch durchsetzbar. Nach § 2 Abs. 4 JVEG verjährt der Anspruch auf Erstattung zu viel gezahlter Vergütung in drei Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Zahlung erfolgt ist (Satz 1); § 5 Abs. 3 des Gerichtskostengesetzes (GKG) gilt entsprechend (Satz 2). Diese Frist ist auch noch nicht abgelaufen. Dabei ist davon auszugehen, dass § 2 Abs. 4 JVEG auch für die Rückforderung einer zu Unrecht gezahlten Vergütung gilt, da für eine unterschiedliche Behandlung zu einer reinen Überzahlung (lediglich die Höhe der Vergütung ist fehlerhaft festgesetzt, ein grundsätzlicher Anspruch besteht aber) kein Grund ersichtlich ist (Thüringer Landessozialgericht, a.a.O.).
Der Rückforderung steht auch nicht §§ 813 Abs. 1 S. 2, 214 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) entgegen. Nach § 813 Abs. 1 BGB kann das zum Zweck der Erfüllung einer Verbindlichkeit Geleistete auch dann zurückgefordert werden, wenn dem Anspruch eine Einrede gegenübersteht, durch welche die Geltendmachung des Anspruchs dauernd ausgeschlossen wurde (Satz 1); die Vorschrift des § 214 Abs. 2 BGB bleibt unberührt (Satz 2). Nach § 214 Abs. 2 S. 1 BGB kann das zur Befriedigung eines verjährten Anspruchs Geleistete hingegen nicht zurückgefordert werden, auch wenn in Unkenntnis der Verjährung geleistet worden ist.
§ 214 Abs. 2 BGB ist auf den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch betreffend die überzahlte Vergütung eines Sachverständigen allerdings weder direkt noch entsprechend anwendbar. Die direkte Anwendung scheidet bereits deshalb aus, weil der Anspruch des Antragsgegners wegen Ablauf der Antragsfrist erloschen, nicht aber verjährt war. Auch eine entsprechende Anwendung kommt nicht in Betracht, da es sich bei § 2 JVEG um eine abschließende Sonderregelung für die Vergütung von Sachverständigen und die Behandlung von Überzahlungen handelt (Thüringer Landessozialgericht, a.a.O.; vgl. auch BT-Drucksache 15/1971, S. 178 f.).
Kosten für das gerichtliche Festsetzungsverfahren sind nicht zu erstatten (§ 4 Abs. 8 S. 2 JVEG).
Rechtsmittelbelehrung:
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar, § 177 SGG, § 4 Abs. 4 S. 3 JVEG.
Erstellt am: 24.07.2012
Zuletzt verändert am: 24.07.2012