Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 27.01.2009 wird zurückgewiesen. Der Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Revision wird nicht zugelassen. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 50.740,18 EUR festgesetzt.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten, ob der Beklagte als überörtlicher Träger der Sozialhilfe der Klägerin als Trägerin der Jugendhilfe Aufwendungen für eine stationäre Wohnheimunterbringung des am 00.00.1985 geborenen M (im Folgenden: der Betroffene) in der Zeit von Juni 2005 bis November 2006 zu erstatten hat.
Der Betroffene ging als einziges Kind aus der 1985 geschlossenen Ehe seiner 1965 geborenen Eltern hervor. Etwa anderthalb Jahre nach der Eheschließung trennte sich die Mutter vom Vater. Die Mutter heiratete später noch zweimal. Aus einer dieser Ehen stammt eine 1991 geborene Halbschwester des Betroffenen. Dessen frühkindliche Entwicklung verlief verlangsamt. Er spielte destruktiv und weinte nicht. Im familiären Zusammenleben kam es ihm gegenüber auch zu Gewalttätigkeiten. Im Alter von vier bis sechs Jahren besuchte er einen Sonderkindergarten. Mit sieben Jahren wurde er altersgerecht in die Lernbehindertenschule in C eingeschult. Einige Male wurde er ambulant im Sozialpädiatrischen Zentrum (SPZ) der Universitätskinderklinik B behandelt. Jedenfalls seit Ende der neunziger Jahre lebte er bei seiner Mutter in C (damals Kreis B). Nachdem sich seine Mutter wegen Überforderung an den Beklagten bzw. das Amt für Kinder, Jugend und Familienberatung der Stadt B gewandt hatte, wurde der Betroffene am 18.11.1998 in die heilpädagogische Tagesgruppe des Kinderheims St. K in F aufgenommen. Die Kosten dafür trug der Kreis B aufgrund eines Bescheides vom 03.12.1998 als teilstationäre Leistung der Hilfe zur Erziehung nach dem Sozialgesetzbuch Achtes Buch – Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII).
Im Zusammenhang mit der Aufnahme des Betroffenen in die Tageseinrichtung wurden Bescheinigungen der Sonderschule vom 23.10.1998 sowie des Gesundheitsamtes des Kreises B vom 25.11.1998 aktenkundig, wonach er unter einer Lernbehinderung, nicht jedoch unter einer geistigen Behinderung leide. Die Erziehungsschwierigkeiten seien in erster Linie aus einer schwierigen Mutter/Kind-Beziehung zu erklären.
Nachdem es im häuslichen Umfeld im Oktober 1998 und im März 1999 (mindestens) zweimal zu gewaltsamen sexuellen Handlungen des Betroffen an seiner 1991 geborenen Halbschwester gekommen war, wurde er ab dem 14.09.1999 in die jugendpsychiatrische Abteilung der S Kliniken W eingewiesen (Beschluss des Amtsgerichts (AG) B vom 06.09.1999 – 23 F 244/99). Dort verblieb er bis Februar 2000. Aus diesem Grund hob der Kreis B den Bescheid vom 03.12.1998 auf.
Im Hinblick auf die im Februar 2000 anstehende Entlassung aus den S Kliniken W beantragte seine Mutter für den Betroffenen die Gewährung von Heimerziehung. Nach entsprechender Bewilligung (Bescheid des Kreises B vom 25.02.2000) wurde der Betroffene ab dem 01.03.2000 in eine Jugendgruppe des B-heimes T aufgenommen. Wegen schwieriger Integration in die Gruppe erhielt er zusätzlich wöchentlich drei Stunden heilpädagogische Einzelförderung und zwei Stunden Förderung der Psychomotorik als Gruppenangebot. Daneben besuchte er weiterhin die Lernbehindertenschule. Wurde er anfangs von seiner Klassenlehrerin als nicht beschulbar eingestuft, nahm er nach im Laufe der Zeit eingetretener Besserung weiter am Unterricht teil. Im Mai 2002 absolvierte er im Rahmen einer beruflichen Rehabilitationsmaßnahme ein 14-tägiges Praktikum im Küchenbereich, das mit negativem Ergebnis endete. Obwohl sich im Gesamtverlauf insgesamt eine Verbesserung sowohl in der schulischen als auch der persönlichen Entwicklung zeigte, beendete der Betroffene das 10. Schuljahr der Lernbehindertenschule ohne Abschluss; ein weiteres Praktikum hatte er dabei ohne großes Interesse absolviert. Da er auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht vermittelbar erschien, wurde er am 02.12.2002 (zunächst auf Probe) in den Eingangsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) – der Caritas-Behindertenwerk GmbH -aufgenommen.
Wegen der anstehenden Volljährigkeit des Betroffenen wurde von der Heimverwaltung beim AG F ein Betreuungsverfahren eingeleitet. Dieses mündete in die Einrichtung einer Betreuung für die Aufgabenkreise Gesundheitsfürsorge, Aufenthaltsbestimmung, alle Vermögensangelegenheiten sowie Vertretung bei Behörden und Leistungsträgern (Beschluss des AG F vom 19.12.2003 – 41 XVII L 4035).
Auch nach dem Eintritt der Volljährigkeit verblieb der Betroffene weiterhin im B-heim. Der Kreis B bewilligte ihm hierfür mit Bescheid vom 19.11.2003 Hilfe für junge Volljährige nach § 41 i.V.m. § 34 SGB VIII für den Zeitraum vom 21.11.2003 bis zum 20.02.2004.
Am 09.02.2004 beantragte der Betroffene beim Kreis B die Weitergewährung von Leistungen der Jugendhilfe zum Verbleib im B-heim "über den 21.02.2004" hinaus. Parallel dazu stellte er unter Beifügung ausführlicher Befundunterlagen am 16.02.2004 beim Beklagten einen Antrag auf Bewilligung vollstationärer Leistungen. Es sei bereits Kontakt mit der Caritas M GmbH zur Aufnahme in eine Wohngruppe in X aufgenommen worden. Der Beklagte gelangte zu dem Ergebnis, dass dem Betroffenen mindestens bis zum 21. Lebensjahr weiter Leistungen der Jugendhilfe gewährt werden müssten, weil er sich in einer laufenden Maßnahme befinde und keine geistige Behinderung vorliege. Hierüber informierte der Beklagte den Betreuer und leitete die Unterlagen mit Schreiben vom 17.03.2004 "zur Bearbeitung in eigener Zuständigkeit" an den Kreis B weiter (Eingang dort am 22.03.2004).
Zwischenzeitlich wurde der Betroffene am 23.11.2004 in das Wohnheim X der Caritas M GmbH aufgenommen (zu Einzelheiten des dortigen Betreuungskonzepts wird auf Blatt 334-342 der Verwaltungsvorgänge der Klägerin Bezug genommen). Zwischen dem Wohnheim X der Caritas X GmbH und dem Beklagten besteht eine Leistungs- und Prüfvereinbarung, wonach (§ 2 Abs. 1) in der Einrichtung in der Regel geistig behinderte Erwachsene betreut werden. Eine Leistungsvereinbarung zwischen dem Kreis B oder der Klägerin und der Caritas X GmbH bestand und besteht nicht.
Vor diesem Hintergrund prüfte der Kreis B die weitere Gewährung von Leistungen der Jugendhilfe und bewilligte dem Hilfeempfänger mit Bescheid (erst) vom 19.04.2005 "auf seinen Antrag vom 23.11.2003" (an späterer Stelle des Bescheides bezeichnet als Antrag vom 13.11.2003) Hilfe für junge Volljährige gemäß § 41 SGB VIII "rückwirkend zum 21.11.2003" bis zum 20.11.2006.
Der Betroffene verblieb in der Einrichtung der Caritas X GmbH und arbeitete parallel dazu weiter in der WfbM (bis zum 01.03.2003 im Eingangsbereich, danach im Berufsbildungsbereich und ab dem 02.03.2005 im Arbeitsbereich). Die Kosten trug ebenfalls der Kreis B. Unter Anrechnung von Einkünften aus Kostenbeiträgen sowie des vereinnahmten Kindergeldes entstanden in der Zeit vom 01.06.2005 bis 20.11.2006 für Heimunterbringung und Beschäftigung in der WfbM Kosten i.H.v. 50.740,18 EUR (hinsichtlich der Berechnung dieses Betrages im Einzelnen wird Bezug genommen auf Blatt 20/21 der Gerichtsakten).
Ab Frühjahr 2006 stellte der Kreis B intern seine Leistungspflicht in Frage. Anlässlich seines Übergangs in den Arbeitsbereich der WfbM beantragte der Betroffene beim Beklagten die Übernahme der für die Tätigkeit in der Werkstatt anfallenden Kosten. Auch diesen Antrag leitete der Beklagte unter Hinweis auf die dortige Zuständigkeit wegen der Heimunterbringung an den Kreis B weiter (Schreiben vom 20.10.2005).
Mit Schreiben vom 21.06.2006 (Eingang bem Beklagten am 23.06.2006) wies der Kreis B darauf hin, dass er dem Betroffenen rückwirkend zum 21.11.2003 eine Kostenzusage für die Heimunterbringung im Rahmen der Hilfe für junge Volljährige erteilt habe. Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII sei zu keiner Zeit gewährt worden, da eine seelische Behinderung nicht im Vordergrund gestanden habe. Seit dem Wechsel in den Arbeitsbereich der WfbM am 02.03.2005 trage das Jugendamt außerdem auch die Kosten für die dortige Betreuung. Ein Gespräch mit dem Fachdienstleiter der WfbM habe ergeben, dass der Betroffene erst seit Eingliederung in das Wohnheim und die WfbM eine ihm angemessene Förderung erfahre; die früher unter dem Fokus der Lernbehinderung ausgewählten Unterstützungsmaßnahmen seien dagegen nicht erfolgreich gewesen. Diese Erkenntnisse seien Veranlassung gewesen, erneut das Vorliegen einer geistigen Behinderung zu prüfen. Diese Prüfung in Form der Beiziehung verschiedener aktenkundiger Testungen des Intelligenzquotienten (IQ) des Betroffenen habe eine geistige Behinderung bestätigt; der Kreis B sei daher seit Feststellung dieser Behinderung am 15.07.2002 (Testung durch die Psychologin des B-heims T, Frau T, mit dem Ergebnis eines Gesamt-IQ von 63) für die Gewährung von Leistungen nicht mehr zuständig gewesen. Hiervon habe der Kreis jedoch erst Anfang 2006 Kenntnis erlangt. Er bitte daher um zügige Übernahme des Falles in die dortige Zuständigkeit sowie um Erstattung sämtlicher Aufwendungen für den Betroffenen rückwirkend ab dem 01.06.2005 gemäß § 105 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X).
Der Beklagte holte eine Stellungnahme seines medizinischen Fachdienstes (MPD) ein. Diese gelangte zu dem Ergebnis, Anlass für die stationäre Aufnahme des Betroffenen sei nicht die Intelligenzminderung gewesen, sondern die wegen der häuslichen Bedingungen entwickelte seelische Behinderung. Der Beklagte lehnte deshalb mit Schreiben vom 07.07.2006 die Kostenerstattung gegenüber dem Kreis B mangels Zuständigkeit ab. Weitere Korrespondenz (Schreiben des Kreises vom 09.10.2006 sowie des Beklagten vom 26.10.2006) führte zu keinem anderen Ergebnis.
Zwischenzeitlich hatte der gesetzliche Vertreter im August bzw. Oktober 2006 im Hinblick auf die Vollendung des 21. Lebensjahres des Betroffenen erneut die Kostenübernahme für die Wohnheimunterbringung und die Beschäftigung in der WfbM beim Beklagten beantragt. Nachdem der Beklagte dies wiederum unter Hinweis auf die Zuständigkeit des Kreises B abgelehnt hatte, bewilligte der Kreis B mit Bescheid vom 20.11.2006 dem Betroffenen vorläufig weiter Leistungen der Hilfe zur Erziehung für junge Volljährige ab dem 21.11.2006.
Parallel dazu meldete der Kreis B am 27.11.2006 unter Hinweis auf § 102 SGB X bei dem Beklagten erneut einen Kostenerstattungsanspruch für die Zeit ab dem 21.11.2006 an. Der Beklagte forderte daraufhin die aktuellen Hilfepläne zur Prüfung an; anschließend bewilligte er dem Betroffenen für die Zeit ab dem 01.07.2007 Leistungen der Eingliederungshilfe für die Unterbringung in dem Wohnheim X bewilligte (Bescheid vom 02.07.2007) und erkannte den Erstattungsanspruch des Kreises B für die Zeit vom 21.11.2006 bis zum 30.06.2007 an (Schreiben vom 02.07.2007).
Die Kostenträgerschaft des Beklagten besteht bis heute fort. Der Betroffene lebte zunächst weiter im Wohnheim der Caritas M GmbH in X. Im November 2007 sollte er dort eine geistig behinderte Mitbewohnerin vergewaltigt haben; mit Unterbringungsbefehl des AG B wurde er daraufhin ab dem 02.05.2008 in die S Kliniken C eingewiesen. Am 10.10.2008 wurde er aus der Klinik entlassen und mit Urteil des Landgerichts B vom 11.11.2008 freigesprochen. Seitdem ist er in einer Einrichtung des Paritätischen Alten-, Behinderten- und Kinderhilfswerkes e.V. untergebracht.
Der Betroffene wurde im Laufe der Zeit verschiedentlich neurologisch-psychiatrisch untersucht, behandelt und/oder begutachtet. Die Ärzte der S Kliniken W diagnostizierten nach Abschluss seines Aufenthalts von September 1999 bis Februar 2000 eine kombinierte Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen mit sexuell übergriffigem Verhalten, Distanzlosigkeit, Regelverletzungen bei negativem Selbstkonzept, Beziehungs- und Kontaktproblemen auf dem Hintergrund einer komplizierten Mutter/Kind- Beziehung und traumatischer Erfahrungen im Säuglings- und Kleinkindalter sowie eine intellektuelle Minderbegabung im unteren Bereich der Lernbehinderung. Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. N diagnostizierte bei einer Begutachtung zur Einrichtung der Betreuung eine intellektuelle Minderbegabung im Bereich der Lernbehinderung sowie eine kombinierte Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen. Der Arzt für Psychotherapie Dr. H stellte später im Betreuungsverfahren (Gutachten vom 15.01.2008) eine dissoziale Persönlichkeitsstörung und eine leichte Intelligenzminderung mit deutlicher Verhaltensstörung fest. Ein weiteres im Betreuungsverfahren erstelltes Gutachten des Fachbereichsleiters Forensik der S Kliniken C vom 29.09.2008 gelangte ebenfalls zu einer leichten Intelligenzminderung mit eindeutigen Verhaltensstörungen bei dissozialer Persönlichkeitsstörung.
Schwerbehindertenrechtlich bestand seit dem Jahr 2000 ein Grad der Behinderung (GdB) von 80 (zuvor 70) unter Zuerkennung des Merkzeichens "G".
Zum Intelligenzniveau des Betroffenen wurden im Laufe der Zeit verschiedene Tests bzw. Untersuchungen durchgeführt:
– Dipl.-Psychologin F (Kinderheim St. K) von Anfang 1999: "CFT 20" (= Culture Fair Test) – durchweg große Schwierigkeiten mit den Aufgabenstellungen dadurch verunsichert; gemessen an der Altersnorm IQ 59, gemessen an der Klassennorm IQ 56.
– Psychologin T (B-heim T) vom 11.07.2002: "CFT 20" ohne Wortschatz- und Zahlenfolgetest; IQ 63.
– Dres. E vom 10.09.2002: mäßige kognitive Beeinträchtigungen, die sich im Dem-Tect-Test in einem Punktwert von 9 niederschlagen (ab 8 Demenzverdacht, 13-18 altersgemäße kognitive Leistung); MWTB-Test (= Mehrfachwahl-Wortschatz-Intelligenztest); IQ 86.
– Dr. U (B Krankenhaus B) vom 28.12.2005: "CFT 20" mit Wortschatz- und Zahlenfolgetest, Testrohwert IQ 60; MWTB-Test IQ 89; Zahlenfolgetest IQ 70 – Gesamtergebnis: leichte Intelligenzminderung.
Am 08.05.2008 hat der Kreis B Klage vor dem Sozialgericht Aachen erhoben.
Er hat zunächst die Auffassung vertreten, der Beklagte sei für den Zeitraum vom 01.06.2005 bis zum 30.01.2006 nach § 105 SGB X sowie für die Zeit vom 30.01.2006 bis zum 20.11.2006 nach § 102 SGB X verpflichtet, die Aufwendungen für die Unterbringung und Betreuung des Betroffenen zu erstatten. Nach dem Inhalt der aktenkundigen Gutachten sei eine geistige Behinderung nicht nur nicht auszuschließen, sondern nachgewiesen. Der MWTB-Test mit einem IQ-Ergebnis von 86 stehe dem nicht entgegen; denn dieser bilde nur einen Teil des gesamten IQ-Testbereichs ab. Eingliederungshilfe gemäß § 35a SGB VIII für seelisch Behinderte junge Menschen sei zu keinem Zeitpunkt erfolgt; über die gesamte Zeit seien die Leistungen als Hilfe zur Erziehung erbracht worden. Die Annahme einer seelischen Behinderung durch den Beklagten sei nicht nachvollziehbar. Gemäß § 10 Abs. 4 S. 2 SGB VIII gingen Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII für junge Menschen, die körperlich oder geistig behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht seien, denen nach dem SGB VIII vor. Dies gelte für alle Leistungen des SGB VIII, nicht nur für Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII. Ein erzieherischer Bedarf habe spätestens mit der Unterbringung des Hilfeempfängers im Caritas Wohnheim X und der Beschäftigung in der WfbM nicht mehr bestanden. Ein weiterer Betreuungsbedarf aufgrund der geistigen Behinderung werde gleichwohl von allen beteiligten Fachkräften bestätigt. Selbst wenn man einen Anspruch auf Eingliederungshilfe gemäß § 35a SGB VIII wegen einer seelischen Behinderung des Betroffenen annähme, so wäre der Jugendhilfeträger im fraglichen Zeitraum nicht zuständig gewesen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts – BVerwG – (Urteil vom 23.09.1999 – 5 C 26/98) komme es nicht auf den Schwerpunkt des Hilfebedarfs an. Die Sozialhilfe sei grundsätzlich vorrangig, wenn Maßnahmen der Jugendhilfe erforderlich seien und gleichzeitig vom Umfang her identische Leistungen nach dem SGB XII. Die in der Vergangenheit unter dem Fokus der Lernbehinderung eingeleiteten Unterstützungsmaßnahmen hätten nicht zum gewünschten Erfolg geführt. Erst die Unterbringung in einer Einrichtung für geistig Behinderte habe eine zielführende Unterstützung leisten können. Somit seien sowohl die geistige Behinderung als auch vorhandene erzieherische Defizite maßgebend für die stationäre Unterbringung des Hilfeempfängers gewesen. Ein erzieherischer Bedarf und damit ein Bedarf an Hilfe für junge Volljährige hätte im Übrigen auch schon deshalb in Frage gestellt werden müssen, weil Jugendhilfe über das 18. Lebensjahr hinaus nur fortgesetzt werden solle, wenn dies für die Persönlichkeitsentwicklung und für eine eigenverantwortliche Lebensführung hilfreich sei. Da der Beklagte aber eine adäquate Hilfe für geistig Behinderte stets abgelehnt habe und dem Kreis B gesicherte Erkenntnisse über die geistige Behinderung des Betroffenen erst Anfang 2006 vorgelegen hätten, habe der Kreis aufgrund des offensichtlich bestehenden Bedarfs weiterhin Jugendhilfe gewährt. Aufgrund der geistigen Behinderung habe für den Betroffenen ein Anspruch auf Eingliederungshilfe nach dem SGB XII bestanden; dieser dürfe ihm nicht deswegen versagt werden, weil das SGB VIII dem Grunde nach eine Leistung, nämlich die Hilfe für junge Volljährige gemäß §§ 41, 27 ff. SGB VIII, vorsehe. Der Kreis B habe zu keinem Zeitpunkt die Auffassung vertreten, Hilfe nach § 41 SGB VIII setze das Erreichen der Fähigkeit zur einer eigenverantwortlichen Lebensführung bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres voraus.
Der Kreis B hat beantragt,
den Beklagten zur verurteilen, ihm 50.740,18 EUR zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat eine Kostenerstattung für die vom 01.06.2005 bis zum 20.11.2006 erbrachten Aufwendungen weiterhin abgelehnt. Die Zuständigkeit des Kostenträgers für die stationäre Maßnahme bestimme sich nach § 10 Abs. 4 SGB VIII durch Abgrenzung zwischen geistiger Behinderung einerseits und seelischer Behinderung andererseits. Beim Hilfeempfänger bestehe ausweislich der zahlreichen ärztlichen Berichte eine intellektuelle Minderbegabung im Bereich der Lernbehinderung sowie eine kombinierte Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen. Nirgends werde ausgeführt, dass die geistigen Beeinträchtigungen eine stationäre Unterbringung erforderlich machten. Die Eingliederungshilfe sei deshalb nicht wegen der Schwäche der intellektuellen Fähigkeiten, sondern ausschließlich wegen der extremen Verhaltensauffälligkeiten des Hilfeempfängers notwendig gewesen. Sei aber die vollstationäre Unterbringung nicht wegen der geistigen Behinderung erforderlich geworden, fehle zugleich die notwendige Kongruenz von Sozialhilfe- und Jugendhilfeleistungen, welche allein eine vorrangige Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers begründen könne (§ 10 Abs. 4 S. 2 SGB VIII). Selbst wenn die Verhaltensauffälligkeiten ihre Ursache in der geistigen Behinderung haben sollten, ergebe sich keine Leistungskonkurrenz und damit keine vorrangige Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers. Denn die vollstationäre Unterbringung hätte auch dann ihre Ursache allein in der Verhaltensauffälligkeit; ohne sie wäre eine vollstationäre Unterbringung überhaupt nicht notwendig. Ein Hilfebedarf wegen geistiger Behinderung bestehe von vornherein nicht. Die zahlreichen Stellungnahmen und ärztlichen Berichte stellten vorrangig auf die gravierenden sozialen Auffälligkeiten ab, welche eine Integration des Betroffenen in einem altersentsprechenden Entwicklungsrahmen unmöglich machten. In einer solchen Situation, in der die geistige Beeinträchtigung eine Verhaltensstörung bedinge, bestehe ein Anspruch auf Eingliederungshilfe nach § 35a Abs. 1 SGB VIII; denn es sei gerade nicht die geistige Störung behandlungsbedürftig gewesen, sondern deren Auswirkungen auf die seelische Verfassung des Betroffenen (Bezugnahme auf Verwaltungsgerichtshof (VGH) Bayern, Urteil vom 12.10.2005 – 12 B 03.1068). Die Entscheidung betreffe eine vergleichbare Fallkonstellation.
Durch Urteil vom 27.01.2009 hat das SG den Beklagten antragsgemäß verurteilt, den geltend gemachten Betrag an den Kreis B zu zahlen. Der Zahlungsanspruch ergebe sich jedoch weder aus § 102 SGB X noch aus § 105 SGB X. Die Voraussetzungen des § 102 SGB X lägen nicht vor, weil der Kreis B jedenfalls im Verhältnis zum Beklagten nicht "auf Grund gesetzlicher Vorschriften vorläufig Sozialleistungen erbracht habe", die Voraussetzungen des § 105 SGB X deshalb nicht, weil der Kreis die Sozialleistungen nicht als unzuständiger Leistungsträger erbracht habe. Ein Erstattungsanspruch stehe ihm jedoch nach § 104 Abs. 1 SGB X zu. Denn er habe für den Betroffenen Sozialleistungen als nachrangig verpflichteter Leistungsträger erbracht; vorrangig wäre aber der Beklagte verpflichtet gewesen, die Eingliederungshilfe für den Betroffen zu leisten, der geistig und seelisch wesentlich behindert sei. Dies ergebe sich aus den zahlreichen Berichten und Gutachten über den Betroffenen; beispielhaft hat das SG insoweit auf die Ausführungen im Gutachten des Dr. N vom 19.10.2003 abgestellt. Im Entlassungsbericht des B-Krankenhauses B vom 28.12.2005 werde bei einem IQ von 70 eine Intelligenzminderung diagnostiziert. Die Behinderungen des Betroffenen hätten auch stationäre Hilfeleistungen erforderlich gemacht. Hierfür seien im streitigen Zeitraum sowohl der Kreis B als auch der Beklagte zuständig gewesen, der Kreis für die Hilfe zur Erziehung gemäß § 27 SGB VIII, der Beklagte für Eingliederungshilfe gemäß den §§ 53 Abs. 1, 54 Abs. 1 SGB XII. Die sachliche Zuständigkeit des Beklagten für die stationäre Eingliederungshilfe ergebe sich aus § 2 Abs. 1 der Ausführungsverordnung zum SGB XII des Landes Nordrhein-Westfalen (AV-SGB XII NRW). Entgegen der Ansicht des Beklagten sei der Betroffene geistig nicht nur behindert, sondern wesentlich behindert im Sinne des § 53 Abs. 1 S. 1 SGB XII. Denn er sei in Folge einer Schwäche (auch) seiner geistigen Kräfte in erheblichem Umfang in seiner Fähigkeit zur Teilhabe am Leben in der Gesellschaft eingeschränkt (vgl. § 2 Eingliederungshilfeverordnung (EinglHV)). Wesentlich sei eine Behinderung, wenn die Gefahr bestehe, dass der behinderte Mensch durch sie aus der Gesellschaft ausgegliedert werde oder dies bereits sei (SG Karlsruhe, Beschluss vom 18.09.2007 – S 4 SO 4036/07). So sei es bei dem Betroffenen; dessen geistige Behinderung zeichne sich insbesondere durch eine Intelligenzminderung (Lernbehinderung) aus. Diese stehe neben seiner seelischen Behinderung, welche ebenfalls Hilfebedarf hervorgerufen habe. Soweit der Beklagte auf die Zuständigkeit des Jugendhilfeträgers verweise, verkenne er die Vor- und Nachrangregelung des § 10 Abs. 4 S. 2 SGB VIII. Danach seien Maßnahmen der Eingliederungshilfe nach dem Sozialhilferecht, wenn diese mit Jugendhilfeleistungen nach dem SGB VIII konkurrierten, vorrangig zu erbringen (BVerwG, Urteil vom 23.09.1999 – 5 C 26/98 sowie Verwaltungsgericht (VG) Düsseldorf, Urteil vom 14.05.2003 – 19 K 3248/03). Bestehe – wie beim Betroffenen – sowohl ein Anspruch nach dem Jugendhilferecht gegen den Träger der Jugendhilfe als auch ein Anspruch auf Eingliederungshilfe gegen den Sozialhilfeträger, bleibe neben dem Anspruch gegen den vorrangigen auch der Anspruch gegen den nachrangigen Leistungsträger bestehen; der eine Anspruch schließe den anderen nicht aus. § 10 Abs. 4 S. 2 SGB VIII stelle nicht darauf ab, wo der Schwerpunkt der Behinderung liege, sondern allein auf den Bedarf und die Art der Leistung. Bestünden – wie hier – gleichartige Ansprüche sowohl nach Jugendhilferecht als auch nach Sozialhilferecht, bestimme § 10 Abs. 4 S. 2 SGB VIII den Vorrang der Sozialhilfe. Nur bei fehlendem Nebeneinander von seelischer und geistiger und/oder körperlicher Behinderung eines Kindes oder Jugendlichen stelle das BVerwG bei der Abgrenzung der Zuständigkeit auf den Schwerpunkt des Bedarfs oder des Leistungszwecks oder -ziels ab; ein solcher Fall liege hier jedoch nicht vor.
Gegen das ihm am 09.02.2009 zugestellte Urteil hat er Beklagte am 06.03.2009 Berufung eingelegt. Er vertritt die Auffassung, er sei nicht aufgrund einer geistigen Behinderung zur Übernahme stationärer Betreuungskosten verpflichtet gewesen; gleichartige Leistungsansprüche des Betroffenen gegen beide Beteiligte bestünden gerade nicht. Vielmehr sei dessen stationäre Unterbringung allein wegen schwerer Verhaltensauffälligkeiten – also aufgrund seelischer Behinderung – veranlasst gewesen, nicht hingegen wegen der vergleichsweise geringen Intelligenzminderung. Die Rechtsprechung des BVerwG stütze die Ansicht des Kreises B nicht; denn sie setze eine Konstellation voraus, in der gleichartige Ansprüche sowohl nach Jugendhilferecht als auch nach Sozialhilferecht bestünden. Die Erforderlichkeit einer stationären Betreuung des Betroffenen im Rahmen von Eingliederungshilfe wegen seiner Intelligenzminderung habe der Beklagte im Anschluss an das Urteil des SG durch seien MPD untersuchen und bewerten lassen. Der MPD sei zu der Einschätzung gelangt, die Intelligenzminderung hätte zu keinem Zeitpunkt eine stationäre Unterbringung erforderlich gemacht. Die Relevanz der Intelligenzminderung sei für sich betrachtet vielmehr begrenzt. Das Intelligenzniveau schwanke je nach testpsychologischem Befund zwischen einem IQ von 60 und 86, also zwischen "leichter Intelligenzminderung" und "niedriger Intelligenz" im unteren Bereich der Norm. Diese relative starke Schwankung lasse sich durch eine unterschiedliche Kooperationsbereitschaft des Hilfeempfängers erklären; hierauf sei insbesondere in der Beschreibung der Testdurchführung vom 08.07.2007 hingewiesen worden, die zu dem niedrigen Wert eines IQ von 63 geführt habe. Maßgeblich für die Heimunterbringung sei demnach ausschließlich – und nicht nur schwerpunktmäßig – das massive dissoziale Verhalten des Betroffenen gewesen. Diese Zusammenhänge habe das SG nicht hinreichend gewürdigt. Zwar hätte die intellektuelle Minderbegabung als solche spezielle Fördermaßnahmen begründet, jedoch noch keine stationäre Unterbringung. Der Kreis B sei weiterhin bemüht, die intellektuellen Defizite zumindest als mitursächlich für die stationäre Unterbringung darzustellen; er übersehe dabei jedoch, dass diese Defizite für sich betrachtet keinesfalls ein Ausmaß gehabt hätten, welches eine Heimunterbringung erforderlich gemacht hätte. Die Annahme, eine geistige Behinderung des Betroffenen sei die Ursache für sein aggressives Sexualverhalten, überzeuge nicht; es gebe viele behinderte Menschen mit vergleichbaren intellektuellen Defiziten, die derartige Verhaltensauffälligkeiten von vornherein nicht zeigten.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 27.01.2009 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Der Betroffene sei nicht nur wegen seiner Verhaltensauffälligkeiten, sondern hauptsächlich wegen seiner geringen intellektuellen Leistungsfähigkeit und der daraus resultierenden mangelnden Einsichts- und Urteilsfähigkeit nicht in der Lage gewesen, sein Leben außerhalb einer geschützten Einrichtung zu gestalten. Ohne intensive Hilfen seitens einer darauf ausgerichteten Einrichtung könne er selbst einfache alltägliche Abläufe (Körperpflege, Aufräumen, Einkaufen, Kochen usw.) nicht bewältigen. Die Stellungnahme des MPD sei deshalb unverständlich. Der Betroffene habe im fraglichen Zeitraum sowohl Anspruch auf Hilfe für junge Volljährige nach dem SGB VIII als auch auf Eingliederungshilfe nach dem SGB XII gehabt. Die von beiden Sozialleistungsträgern bedarfsorientiert zu gewährenden Leistungen hätten im Besuch einer WfbM und in der Unterbringung in einem Wohnheim bestanden. Die Leistungen seien somit im Sinne der Rechtsprechung des BVerwG "gleich, gleichartig, einander entsprechend, kongruent, einander überschneidend oder deckungsgleich" gewesen, so dass nach § 10 Abs. 2 SGB VI der überörtliche Träger der Sozialhilfe für die Erbringung der Leistungen vorrangig zuständig sei. Auslöser der Heimunterbringung im Jahre 2000 möge zwar primär das grenzüberschreitende Verhalten des damals 15-jährigen Betroffenen gewesen sein; spätestens im streitbefangenen Zeitraum sei die stationäre Betreuung jedoch nicht nur wegen seiner Verhaltensauffälligkeiten und des sexuell übergriffigen Verhaltens angezeigt gewesen, sondern auch aufgrund der aus der geistigen Behinderung resultierenden Unfähigkeit, einsichtiges Verhalten zu zeigen sowie ein eigenständiges Leben zu führen.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens des Neurologen und Psychiaters S vom 08.07.2011. Der Sachverständige hat am 16.06.2011 eine weitere IQ-Testung (Wechsler-Intelligenztest für Erwachsene (WIE)) durchgeführt und dabei einen IQ des Hilfeempfängers von 56 ermittelt. In einer ergänzenden Stellungnahme vom 15.12.2011 hat er sich mit einer weiteren fachlichen Stellungnahme des MPD vom 25.11.2011 auseinandergesetzt. Schließlich hat er in der mündlichen Verhandlung vom 18.06.2012 sein Gutachten weiter erläutert. Hinsichtlich der Einzelheiten des Gutachtens, der IQ-Testung sowie der Befragung des Sachverständigen durch den Senat wird Bezug genommen auf Blatt 160-198, 279-281, 293-306 der Gerichtsakten sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 18.06.2012.
Bezüglich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird verwiesen auf den Inhalt der Prozessakten und der beigezogenen Akten (Verwaltungsvorgänge des Klägers und der Beklagten, bei der Klägerin über den Hilfeempfänger geführte Schwerbehindertenakte, Betreuungsakte des AG F – 41 XVII L 4035 = AG B – 69 XVII L 829). Der Inhalt ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
I. Gegenstand des Verfahrens ist einzig die Frage, ob der Beklagte zu Recht verurteilt wurde, der Klägerin für den Zeitraum vom 01.06.2005 bis zum 20.11.2006 die Aufwendungen für die Unterbringung des Betroffenen in dem Wohnheim der Caritas X GmbH X bzw. der Beschäftigung in der WfbM zu erstatten. Die gerichtliche Prüfung erstreckt sich damit ausschließlich auf das mit Schreiben des Kreises B vom 21.06.2006 am 23.06.2006 bei dem Beklagten angemeldete Erstattungsbegehren: die – im Übrigen bereits anerkannte – Erstattungsforderung vom 27.11.2006 ist hingegen im vorliegenden Zusammenhang ohne Bedeutung.
II. Die nach § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung ist unbegründet. Denn die Klage ist zwar zulässig, aber unbegründet.
1. Der Sozialrechtsweg ist jedenfalls aufgrund der insoweit bindenden Entscheidung des SG eröffnet (§ 17a Abs. 5 Gerichtsverfassungsgesetz).
Für das Begehren der Klägerin ist die allgemeine Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG) statthaft (vgl. Roos in von Wulffen, SGB X, 7. Auflage 2010, vor § 102 Rn. 25, sowie Urteil des Senats vom 14.02.2011 – L 20 SO 110/08 Rn. 50); diese ist im Übrigen ohne weiteres zulässig.
Auf der Klägerseite hat ein Beteiligtenwechsel stattgefunden, weil der ursprüngliche Kläger (Kreis B) aufgrund des Städteregion-B-Gesetzes (B-Gesetz) vom 26.02.2008 mit Ablauf des 20.10.2009 aufgelöst wurde (§ 1 Abs. 1 S. 2 B-Gesetz). Rechtsnachfolgerin ist die jetzige Klägerin, die in alle vom Kreis B begründeten Rechtsbeziehungen eingetreten ist (§ 2 Abs. 1 B-Gesetz). Die dadurch begründete Klageänderung (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage 2012, § 99 Rn. 6) ist nach § 99 Abs. 1 und Abs. 2 SGG zulässig.
Die Beteiligtenfähigkeit der Klägerin ergibt sich aus § 70 Nr. 1 SGG, weil sie die Rechtsstellung eines Kreises hat (§ 3 Abs. 1 B-Gesetz).
2. Die Klage ist auch begründet. Der Erstattungsanspruch für den streitgegenständlichen Zeitraum ergibt sich – wie das SG zutreffend entschieden hat – aus § 104 SGB X.
a) Vorrangige spezialgesetzliche Erstattungsregelungen sind nicht einschlägig.
aa) Die Voraussetzungen des § 14 Abs. 4 S. 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) sind nicht erfüllt. Als spezielle, gegenüber dem SGB X vorrangige Sonderregelung (dazu Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 25.08.2011 – B 8 SO 7/10 R Rn. 11) dient die Vorschrift dem Schutz des zweiten Trägers, der auf der Grundlage einer Weiterleitung durch einen ersten Träger nach § 14 Abs. 1 S. 2-4 SGB IX (und damit "aufgedrängt") zuständig geworden ist (vgl. zum Ganzen Luik in jurisPK-SGB IX, § 14 Rn. 98 ff., insb. Rn. 99, 104). Eine solche "aufgedrängte" Zuständigkeit des Kreises B bestand jedoch nicht. Denn trotz Ungenauigkeiten im Bescheid vom 19.04.2005 ist eindeutig, dass der Kreis über den (nach den Ausführungen im Bescheid am 23. bzw. 13.11.2003, tatsächlich aber) am 09.02.2004 bei ihm selbst gestellten Antrag entschieden hat. Der weitere, vom Beklagten weitergeleitete Antrag wurde dort erst später, nämlich am 16.02.2004, gestellt. Dass der Antrag vom 09.02.2004 seinem Wortlaut nach auf die Weiterbewilligung von Leistungen im B-heim gerichtet war, schadet dabei nicht; denn seiner Formulierung ist jedenfalls klar zu entnehmen ist, dass Jugendhilfeleistungen – und nicht etwa Leistungen der Sozialhilfe – beansprucht wurden. Damit handelt es sich nicht um eine Leistungsbewilligung durch einen Rehabilitationsträger nach § 14 Abs. 1 S. 2-4 SGB IX; dies ohnehin auch schon deswegen, weil die Weiterleitung des weiteren Antrags durch den Beklagten erst am 17.03.2004 und damit außerhalb der Zweiwochenfrist des § 14 Abs. 1 S. 1 SGB IX erfolgte. Als erstangegangenem Leistungsträger war dem Kreis B im Übrigen die Geltendmachung eines Erstattungsanspruches nach § 104 SGB X nicht versperrt (vgl. dazu auch BSG, 28.11.2007 – B 11a 29/06 R Rn. 18).
bb) Auch die Vorschriften der §§ 89 ff. SGB VIII sind im Verhältnis der Klägerin zum Beklagten nicht einschlägig. Sie betreffen im Wesentlichen Erstattungssituationen zwischen Jugendhilfeträgern untereinander oder andere Erstattungssituationen, um die es hier ebenfalls nicht geht (z.B. § 89d SGB VIII – Erstattungsanspruch gegen das Land).
b) Nach § 104 Abs. 1 S. 1 SGB X ist, wenn ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte (hier: der Betroffene) vorrangig einen Anspruch hat oder hatte. Nachrangig verpflichtet ist ein Leistungsträger, soweit er bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre (§ 104 Abs. 1 S. 2 SGB X). Ein solcher Erstattungsanspruch setzt damit voraus, dass Leistungspflichten (mindestens) zweier Leistungsträger nebeneinander bestehen und miteinander konkurrieren (dazu aa, bb), wobei die Verpflichtung eines der Leistungsträger der Leistungspflicht des anderen nachgehen muss (dazu cc; vgl. zu den Anspruchsvoraussetzungen auch BVerwG, Urteil vom 19.10.2011 – 5 C 6/11 Rn. 7 m.w.N., vom 22.10.2009 – 5 C 19.08 Rn. 8 sowie vom 02.03.2006 – 5 C 15.05).
aa) Die Voraussetzungen für einen Anspruch des Betroffenen gegen den Kreis B nach dem SGB VIII waren im streitgegenständlichen Zeitraum erfüllt.
(1) Der Kreis B war insoweit der sowohl örtlich als auch sachlich zuständige Träger der Jugendhilfe.
Die örtliche Zuständigkeit richtet sich dabei im Ergebnis nach § 86a Abs. 4 S. 1 3. Var. SGB VIII (a.F.). Danach bleibt der Träger der Jugendhilfe örtlich zuständig, der für eine vorangegangene Leistung – etwa nach §§ 27-35a SGB VIII – zuständig war. Um eine solche Konstellation handelt es sich hier; denn der Betroffene hat vor Aufnahme in das Wohnheim X der Caritas M GmbH vom Kreis B Leistungen der Jugendhilfe nach § 34 SGB VIII in Form der Unterbringung im B-heim T erhalten. Diese Leistungen (vor Vollendung des 18. Lebensjahres) hat der Kreis nicht nur tatsächlich erbracht; er war hierfür auch örtlich zuständig. Denn es ist davon auszugehen, dass die vom Vater geschiedene und zwischenzeitlich zum zweiten Mal wiederverheiratete Mutter des Hilfeempfängers zumindest auch (d.h. gemeinsam mit dem Vater), wenn nicht sogar allein personensorgeberechtigt gewesen ist. Insofern kommt es auf den letzten gewöhnlichen Aufenthalt (§ 30 Abs. 3 S. 2 SGB I) des Betroffenen bzw. seiner Mutter vor Aufnahme in das B-heim T an (vgl. § 86 Abs. 2 S. 1 und 2 SGB VIII). Seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt vor Aufnahme in das B-heim hatten der Betroffene und seine Mutter an deren Wohnsitz C; die Stadt gehörte damals zum Gebiet des Kreises B. Unmittelbar vor Aufnahme ins B-heim befand sich der Betroffene zwar noch für etwa fünfeinhalb Monate in den S Kliniken W. Die dortige Unterbringung erfolgte jedoch zwangsweise aufgrund Beschlusses des AG B vom 06.09.1999 – 23 F 244/99 und war ausweislich des Entlassungsberichts der S Kliniken W vom 14.02.2000 erkennbar nur auf eine vorübergehende Behandlung sowie die Ermittlung der zukünftigen Lebens- bzw. Unterbringungsperspektiven gerichtet; hierdurch konnte deshalb ein vom Wohnsitz abweichender gewöhnlicher Aufenthalt nicht begründet werden (§ 30 Abs. 3 S. 2 SGB I).
Die sachliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 85 Abs. 1 SGB VIII, wonach grundsätzlich der örtliche Träger zuständig ist. Eine ausnahmsweise Zuständigkeit des überörtlichen Trägers der Jugendhilfe nach § 85 Abs. 2 SGB VIII bestand nicht. Nach § 69 Abs. 1 S. 2 SGB VIII (in der maßgebenden, seit dem 01.01.2005 geltenden Fassung) sind örtliche Träger die Kreise und kreisfreien Städte. Danach war der Kreis B sachlich zuständiger örtlicher Träger. Aus der Verordnung über die Bestimmung großer kreisangehöriger Städte und mittlerer kreisangehöriger Städte zu örtlichen Trägern der öffentlichen Jugendhilfe vom 08.11.1991 (vgl. § 69 Abs. 2 S. 1 SGB VIII a.F.) ergibt sich nichts anderes; denn die Stadt C ist dort nicht genannt.
(2) Die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für eine Leistungsverpflichtung der Klägerin waren im streitigen Zeitraum erfüllt.
Diese ergeben sich bezogen auf die Heimunterbringung aus § 41 SGB VIII (Hilfe für junge Volljährige) i.V.m. § 34 SGB VIII oder § 35a SGB VIII. Da der Betroffene im Juni 2005 das 18. Lebensjahr bereits vollendet hatte (Volljährigkeit am 21.11.2003), war er junger Volljähriger i.S.d. § 7 Abs. 1 Nr. 3 SGB VIII. Im Übrigen ist zwischen den Beteiligten unstreitig und nach dem Inhalt der vorliegenden medizinischen Unterlagen auch nicht zweifelhaft, dass eine Heimunterbringung des Betroffenen ab Juni 2005 – auch jugendhilferechtlich – indiziert war. Ob es sich dabei eher um eine Hilfe zur Erziehung (§ 34 SGB VIII) oder um eine Leistung der Eingliederungshilfe (§ 35a SGB VIII) handelte, kann der Senat offen lassen. Denn für die zwischen den Beteiligten streitige Abgrenzungsfrage nach § 10 Abs. 4 S. 2 SGB VIII kommt es nicht darauf an, ob es sich jugendhilferechtlich um Eingliederungshilfe oder um eine andere Maßnahme handelte.
Für die Tätigkeit des Betroffenen in der WfbM ergibt sich die Leistungspflicht des Kreises B aus § 42 Abs. 2 Nr. 3 SGB IX i.V.m. § 35a SGB VIII. Auch insoweit ist die Notwendigkeit der Maßnahme nicht zweifelhaft und zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.
Ein Leistungsanspruch des Betroffenen gegen die Klägerin nach § 41 SGB VIII ist nicht deswegen zu verneinen, weil möglicherweise schon im Zeitpunkt seines Wechsels vom B-heim T in das Wohnheim X der Caritas M GmbH im November 2004 absehbar gewesen wäre, dass bis weit über die Vollendung seines 21. Lebensjahres hinaus eine vollstationäre Heimunterbringung einschließlich einer Tätigkeit in einer WfbM erforderlich sein würde (zu einem solchen Fall und den sich daraus ergebenden Konsequenzen vgl. das Urteil des Senats vom 21.05.2012 – L 20 SO 608/10 (Revision zugelassen)). Denn der Betroffene stand im Zeitpunkt des Einrichtungswechsels noch etwa zwei Jahre vor Vollendung des 21. Lebensjahres und damit vor Erreichung der Regelgrenze des § 41 Abs. 1 S. 2 SGB VIII; ihm waren zudem schon Jahre vorher durchgehend Leistungen der Jugendhilfe zuerkannt worden, so dass die (weitere) Heimunterbringung eindeutig Fortsetzungscharakter hatte.
Der Rechtmäßigkeit der Leistungserbringung durch den Kreis B steht nicht etwa entgegen, dass er – anders als der Beklagte – keine Leistungsvereinbarung (nach § 78a ff. SGB VIII) mit der Caritas M GmbH geschlossen hatte. Denn jedenfalls für einen Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X reicht es aus, wenn die Leistung ihren materiellen Voraussetzungen nach rechtmäßig erbracht wurde. Ob sie auch erbringungsrechtlich zutreffend erfolgte, ist nicht entscheidend, weil Ziel der Regelung nur die Herstellung des materiell-rechtlichen Nachranges ist.
bb) Zugleich waren im streitigen Zeitraum die Voraussetzungen für einen Leistungsanspruch des Betroffenen gegen den Beklagten erfüllt; auch dieser wäre zur Übernahme der Kosten für die Heimunterbringung und für die Tätigkeit im Arbeitsbereich der WfbM verpflichtet gewesen.
(1) Die Zuständigkeit des Beklagten als überörtlicher Träger der Sozialhilfe ergibt sich aus § 98 Abs. 2 SGB XII (örtliche Zuständigkeit) sowie aus § 97 Abs. 2 S. 1 SGB XII i.V.m. § 1 Landesausführungsgesetz zum SGB XII für das Land Nordrhein-Westfalen und § 2 Abs. 1 Nr. 1a AV-SGB XII NRW (sachliche Zuständigkeit).
Der sachlichen Zuständigkeit des Beklagten steht nicht entgegen, dass der Betroffene bereits vor Antragstellung bei dem Beklagten einen Antrag auf Übernahme der Kosten beim Kreis B gestellt und dieser den Antrag nicht nach § 14 SGB IX an den Beklagten weitergeleitet hat. Die Vorschrift bezweckt allein, für den Leistungsempfänger Rechtssicherheit hinsichtlich der Leistungszuständigkeit des angegangenen Trägers zu schaffen. Für den Erstattungsanspruch zwischen zwei Leistungsträgern kommt es hingegen nur auf die wirkliche sachliche Zuständigkeit an; dies zeigt bereits § 14 Abs. 4 SGB IX.
(2) Der Betroffene hatte einen Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Sechsten Kapitel des SGB XII auch gegen den Beklagten.
Er gehörte nach § 53 Abs. 1 S. 1 SGB XII i.V.m. §§ 2 und 3 EinglHVO zu dem insoweit berechtigten Personenkreis. Denn bei ihm bestand sowohl eine wesentliche seelische als auch eine wesentliche geistige Behinderung. Das Vorliegen einer seelischen Behinderung in Form der wiederholt diagnostizierten Persönlichkeits- und Verhaltensstörung (§ 3 Nr. 4 EinglHVO) war zwischen den Beteiligten auch nie streitig.
Zudem bestand jedoch eine wesentliche geistige Behinderung i.S.v. § 2 EinglHVO. Nach den üblichen Maßstäben zur Abgrenzung der geistigen Behinderung von einer lediglich unterdurchschnittlichen Intelligenz (dazu z.B. Oberverwaltungsgericht (OVG) NRW vom 20.02.2002 – 12 A 5322/00 Rn. 46-52; Dillmann/Dannat, ZfF 2009, 25 ff, 27f.), die der Senat zu Grunde legt, kann allein von unterdurchschnittlicher Intelligenz nicht mehr gesprochen werden, wenn der der IQ unterhalb von 70 liegt. In einem IQ-Bereich von 55-69 wird eine zwar leichte, aber dennoch wesentliche geistige Behinderung angenommen.
Der IQ des Betroffenen liegt nach den Feststellungen des Sachverständigen S bei 56 und damit im unteren Bereich einer leichten geistigen Behinderung. Der Senat hat keine Bedenken, sich dieser Beurteilung des Sachverständigen anzuschließen. Sie deckt sich mit den Ergebnissen der Testungen durch die Psychologinnen F (1999) und T (2002). Die zum Teil abweichenden Testergebnisse der Dres. E und des Dr. U (2002 und 2008) stehen dem nicht entgegen. Denn der Sachverständige hat sowohl in seinem schriftlichen Gutachten als auch bei seiner ergänzenden Befragung in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar dargelegt, dass mit dem WIE-Test – anders als mit dem MWTB-Test – im Falle des Betroffenen zuverlässigere Ergebnisse zu erzielen waren, und weshalb sein IQ in der Vergangenheit nicht deutlich höher gelegen haben kann. Die Beurteilung des Sachverständigen wird, was die Einschätzung des IQ und die Annahme einer geistig wesentlichen Behinderung angeht, im Übrigen auch vom MPD des Beklagten nicht in Zweifel gezogen.
Die Kosten für die notwendige Heimunterbringung und die Tätigkeit des Betroffenen im Arbeitsbereich der WfbM hätte der Beklagte daher nach § 54 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 55 SGB IX (Heimunterbringung; vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 22.10.2009 – 5 C 19/08 Rn. 14 m.w.N.) bzw. nach § 54 Abs. 1 S. 1 SGB XII i.V.m. §§ 41, 42 Abs. 2 Nr. 4 SGB IX (Tätigkeit in der WfbM) tragen müssen.
cc) Waren deshalb sowohl der Kreis B als auch der Beklagte für die dem Hilfeempfänger erbrachten Hilfen leistungspflichtig, so bestand für den Kreis B im Verhältnis zu dem Beklagten diese Pflicht nur nachrangig.
Das Vorrang-/Nachrangverhältnis zwischen Jugend- und Sozialhilfe richtet sich nach § 10 Abs. 2 SGB VIII in der vom 01.01.2005 bis 30.09.2005 geltenden Fassung bzw. § 10 Abs. 4 SGB VIII in der seit dem 01.10.2005 geltenden Fassung; beide Fassungen unterscheiden sich betreffend die hier fragliche Abgrenzungsproblematik inhaltlich nicht. Dem Grundsatz nach gehen die Leistungen nach dem SGB VIII den Leistungen nach dem SGB XII vor (§ 10 Abs. 4 (Abs. 2) S. 1 SGB VIII). Die Rückausnahme des § 10 Abs. 4 (Abs. 2) S. 2 (oder 3) SGB VIII (dazu ausführlich Urteil des Senats vom 14.02.2011 – L 20 SO 110/08 Rn. 59 ff.), die zu einem Vorrang der Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII gegenüber allen Leistungen nach dem SGB VIII führt, setzt voraus, dass eine wesentliche körperliche oder geistige Behinderung vorliegt, sowohl ein Anspruch auf Jugendhilfe als auch ein Anspruch auf Eingliederungshilfe nach dem SGB XII gegeben ist und beide Leistungen gleich, gleichartig, einander entsprechend, kongruent, einander überschneidend oder deckungsgleich sind (dazu zuletzt BVerwG, Urteil vom 19.10.2011 – 5 C 6/11 Rn. 15 ff.; BSG, Urteil vom 24.03.2009 – B 8 SO 29/07 R Rn. 17; beide m.w.N.).
Wie sich aus den vorstehenden Ausführungen unter bb (2) ergibt, bestand beim Betroffenen (jedenfalls auch) eine wesentliche geistige Behinderung. Er besaß zudem sowohl gegen den Kreis B als auch gegen den Beklagten einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Heimunterbringung und die Tätigkeit im Arbeitsbereich der WfbM (s.o. aa, bb).
Kommt es deshalb nur noch darauf an, ob sich die Leistungen im vorgenannten Sinne ähnelten, so war auch dies der Fall. Denn die vollstationäre Heimunterbringung ist sowohl Leistungsgegenstand der Eingliederungshilfe als auch Inhalt der Jugendhilfeleistung nach § 41 SGB VIII (§ 41 Abs. 2 SGB VIII entweder i.V.m. § 34 SGB VIII oder i.V.m. § 35a SGB VIII). Beide Leistungspflichten sind im Übrigen nicht nur teilweise, sondern vollständig deckungsgleich. Die jugendhilferechtliche Heimunterbringung umfasst nach § 39 SGB VIII nicht nur die pädagogische Betreuung, sondern auch den laufenden Unterhalt. Nichts anderes gilt für die vollstationäre Unterbringung im Rahmen der Eingliederungshilfe, die ebenfalls nach § 76 Abs. 2 SGB XII Unterkunft und Verpflegung einschließt (BVerwG a.a.O. Rn. 16). Dass die Leistungen für die Tätigkeit in der WfbM auf dasselbe Ziel gerichtet waren, bedarf keiner näheren Erläuterung.
Der Einwand des Beklagten, die Rückausnahme des § 10 Abs. 4 (Abs. 2) S. 2 (oder S. 3) SGB VIII komme dennoch nicht zum Tragen, weil allein die wesentliche seelische Behinderung ursächlich für die Heimunterbringung gewesen sei bzw. die (wesentliche) geistige Behinderung alleine keinen Heimaufenthalt erforderlich gemacht habe, greift nicht durch.
Das vom Beklagten in Bezug genommene Urteil des VGH Bayern (vom 12.10.2005 – 12 B 03.1068) stützt seine Ansicht keinesfalls. Die Entscheidung betraf insofern einen wesentlich anderen Fall, als es dort um einen ausschließlich seelisch – und nicht um einen (auch) geistig oder körperlich – Behinderten ging. In einem solchen Fall stellt sich die hier zu beurteilende Konkurrenzfrage von vorneherein nicht.
Im Übrigen lässt der Senat dahin stehen, ob – wie der Sachverständige ausgeführt hat – die geistige Minderbegabung des Betroffenen sogar überwiegende Ursache für seine – den Betreuungsbedarf begründenden – Verhaltensauffälligkeiten gewesen ist. Im Anschluss an die Beweisaufnahme steht jedenfalls fest, dass die intellektuellen Defizite (mithin die geistige Behinderung) mit den Verhaltensauffälligkeiten bzw. der Persönlichkeitsstörung (also der seelischen Behinderung) dergestalt verknüpft sind, dass die geistige Behinderung die seelische Behinderung mit beeinflusst und einzelne Verursachungsbeiträge nicht auseinander gehalten werden können.
Hierfür stützt sich der Senat auf die Ausführungen des Sachverständigen S in seinem Gutachten vom 08.07.011, seine ergänzende Stellungnahme vom 15.12.2011 und seine erläuternden Ausführungen in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat. Der Sachverständige hat dabei zwar eingeräumt, dass nicht bei jedem geistig Minderbegabten Verhaltensauffälligkeiten zu Tage treten müssen, wie dies jedoch bei dem Betroffenen der Fall ist. Er hat aber andererseits nachvollziehbar dargelegt, dass Verhaltensauffälligkeiten bei intellektueller Minderbegabung jedenfalls häufig auftreten; deswegen werde nach wissenschaftlicher Lehrmeinung von einem Zusammenhang zwischen Verhaltensauffälligkeiten und intellektueller Minderbegabung ausgegangen, ohne dass sich im Einzelnen anlagebedingte Verursachungsbeiträge einerseits und Umwelteinflüsse bzw. Entwicklungsbedingungen andererseits klar voneinander trennen ließen. Der Senat hat keine Bedenken, den in sich schlüssigen Ausführungen des Sachverständigen zu folgen. Die vom Beklagten bzw. seinem MPD vorgebrachten methodischen Einwände gegen das Gutachten des Sachverständigen kann der Senat nicht nachvollziehen. Der Sachverständige hat hierzu in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 15.12.2011 und in der mündlichen Verhandlung sein Vorgehen bei der Begutachtung im Einzelnen erläutert und die vom Beklagten geäußerten Bedenken entkräftet. Dies gilt insbesondere für seine Anamneseerhebung als solche sowie hinsichtlich der Forderung nach der Erhebung einer speziellen Sexualanamnese. Letztere war schon deswegen nicht geboten, weil sich die Beweisfragen – wie der Sachverständige zu Recht ausgeführt hat – nur auf den Bereich der geistigen Behinderung bezogen. Schließlich hat der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung auf Nachfrage des Beklagten nochmals für den Senat in nachvollziehbarer Weise erläutert, dass es nicht möglich ist, die seelische Behinderung einerseits und die geistige Behinderung andererseits in ihrer Ursächlichkeit für den Hilfebedarf getrennt zu betrachten.
Dieser – offensichtlichen und sich in allen Fällen dieser Art stellenden – Schwierigkeit des Individualisierens bzw. der Gewichtung einzelner Verursachungsbeiträge im Überschneidungsbereich von geistiger und seelischer Behinderung hat die Rechtsprechung des BVerwG (a.a.O. Rn. 18 f. m.w.N.) und des BSG (a.a.O.), der sich der Senat anschließt, bereits dadurch Rechnung getragen, dass sie für die Anwendung der Konkurrenzregelung des § 10 Abs. 4 (Abs. 2) S. 2 (oder S. 3) SGB VIII das Bestehen kongruenter Leistungspflichten als ausreichend angesehen hat. Danach enthält die Vorschrift keine eng auszulegende Ausnahme von dem in § 10 Abs. 4 (Abs. 2) S. 1 SGB VIII angeordneten Vorrang der Jugendhilfe. Im Übrigen stellt der Schwerpunkt des Bedarfs oder des Leistungszwecks bzw. des Leistungsziels im vorliegenden Zusammenhang kein taugliches Abgrenzungskriterium dar, weil häufig ein Faktorenbündel aus Ursachen, Wirkungen und Gründen vorliegt, das sich allenfalls künstlich auflösen lässt (OVG NRW, Beschluss vom 15.04.2010 – 12 A 728/09 Rn. 22 m.w.N.). § 10 Abs. 4 (Abs. 2) S. 2 (oder S. 3) SGB VIII ist daher auch nicht in dem Sinne einschränkend auszulegen, dass er nur zur Anwendung käme, wenn der Schwerpunkt des Bedarfs oder des Leistungszwecks bzw. -ziels im Bereich der Eingliederungshilfe liegt. Vielmehr stellt die Vorschrift schon nach ihrem unmissverständlichen Wortlaut nur auf das formale Kriterium der Gleichartigkeit der Leistungspflichten ab. Sie vermeidet damit Rechtsunsicherheiten, die mit der Verwendung des materiellen Kriteriums des Schwerpunkts des Bedarfs oder des Leistungszwecks bzw. -ziels verbunden wären.
Hiermit ist die Argumentation des Beklagten nicht zu vereinbaren. Denn sie führt letztlich zurück zu einer Abgrenzung von Sozial- und Jugendhilfe nach Schwerpunkten bzw. dem Gewicht von Verursachungsbeiträgen. Eine solche Schwerpunktbildung oder die Individualisierung von Verursachungsbeiträgen ist jedoch weder vom Gesetz gewollt noch – wie der vorliegende Fall zeigt – im Überschneidungsbereich von seelischer und geistiger Behinderung wissenschaftlich möglich (vgl. zu einem ähnlichen Fall auch Landessozialgericht NRW, Urteil vom 14.12.2011 – L 12 SO 482/10 Rn. 25).
dd) Andere Gründe, die einer Geltendmachung des Erstattungsanspruches nach § 104 SGB X entgegen stehen könnten, sind nicht ersichtlich.
(1) Ein Fall des § 103 Abs. 1 SGB X (vgl. § 104 Abs. 1 S. 1 2. HS SGB X) liegt nicht vor, weil der Leistungsanspruch des Betroffenen gegen den Kreis B nicht nachträglich weggefallen ist.
Der Erstattungsanspruch ergibt sich auch nicht (vorrangig) aus § 102 SGB X oder § 105 SGB X. Der Kreis B hat die Leistungen in dem hier fraglichen Zeitraum nicht aufgrund gesetzlicher Vorschriften für den endgültig verpflichteten Leistungsträger vorläufig erbracht, so dass eine Anwendung von § 102 SGB X ausscheidet. Denn – anders als in dem nicht streitbefangenen Zeitraum ab dem 21.11.2006 (dazu Bescheid vom 20.11.2006) – ist sein Wille, für den Beklagten leisten zu wollen, in dem hier fraglichen Zeitraum nicht nach außen erkennbar hervorgetreten (vgl. zu dieser Voraussetzung Roos in von Wulffen, SGB X, 7. Auflage 2010, § 102 Rn. 6 m.w.N.). § 105 SGB X greift ebenfalls nicht ein, weil der Kreis B nicht als (sachlich oder örtlich) unzuständiger Leistungsträger tätig geworden ist (s.o. aa, (1)).
(2) Die Ausschlussfrist des § 111 SGB X steht dem Erstattungsanspruch ab dem 01.06.2005 ebenfalls nicht entgegen. Denn nach § 111 S. 1 SGB X konnte der Erstattungsanspruch zumindest noch bis Ende Juni 2006 bezogen auf die für die Zeit ab dem 01.06.2005 erbrachten Leistungen geltend gemacht werden. Deswegen war die Frist am 23.06.2006, dem Tag der Geltendmachung des Erstattungsanspruches, noch nicht abgelaufen.
ee) Schließlich besteht der Erstattungsanspruch nach § 104 Abs. 3 SGB X auch in voller Höhe. Die Klägerin hat im Einzelnen dargelegt, in welchem Umfang ihr bzw. dem Kreis B Kosten für die Heimunterbringung des Betroffenen und seine Tätigkeit in der WfbM unter Anrechnung von Kostenbeiträgen und Kindergeld entstanden sind. Diese Kosten wären in gleicher Höhe entstanden, wenn die Heimträgerin bzw. die Trägerin der WfbM nicht mit dem Kreis B, sondern (betreffend die Heimkosten in Anwendung der Leistungsvereinbarung) direkt mit dem Beklagten abgerechnet hätte. Rechnerische Mängel sind nicht ersichtlich. Auch der Beklagte selbst hat keine Bedenken hinsichtlich der Höhe der Erstattungsforderung geltend gemacht.
III. Die Kostenentscheidung folgt – ebenso wie für das Verfahren erster Instanz – aus § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 1, 162 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.
IV. Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) bestehen nicht. Der Senat hält die Kriterien, nach denen die Abgrenzung von Sozial- und Jugendhilfe im Rahmen von § 10 Abs. 4 S. 2 SGB VIII zu erfolgen hat, durch die genannte Rechtsprechung des BVerwG und des BSG für geklärt.
V. Nach § 197a SGG i.V.m. §§ 52 Abs. 1 und Abs. 3, 63 Abs. 2 S. 1 Gerichtskostengesetz ist der Streitwert – wie für die erste Instanz – endgültig auf 50.740,18 EUR festzusetzen. Denn dies ist der Wert der Beschwer, der sich aus dem angefochtenen Urteil des SG für den Beklagten ergibt.
Erstellt am: 01.08.2012
Zuletzt verändert am: 01.08.2012