Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 08.06.2012 abgeändert und dem Kläger Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. D, E, bewilligt.
Gründe:
I.
Der Kläger wendet sich gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe für ein Klageverfahren.
Der Kläger steht im Bezug von Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II).
Der Beklagte händigte dem Kläger eine Aufforderung zur Meldung am 18.10.2011 aus. Der Kläger nahm diesen Termin jedoch nicht wahr, weswegen der Beklagte mit Schreiben vom 18.10.2011 den Kläger wegen einer beabsichtigten Sanktion anhörte und eine Folgeeinladung für einen Termin am 31.10.2011, 07:30 Uhr aussprach.
Nachdem der Kläger auch den Termin am 31.10.2011 nicht wahrgenommen hatte, erließ der Beklagte am 14.12.2011 einen Sanktionsbescheid, durch welchen die Leistungen des Klägers nach dem SGB II in Höhe von 10% des maßgeblichen Regelbedarfs gekürzt wurde. Der Minderungsbetrag belief sich auf monatlich 37,40 EUR.
Zur Begründung gab der Beklagte an, der Kläger sei trotz Kenntnis der Rechtsfolgen zu einem Meldetermin am 31.10.2011 ohne wichtigen Grund nicht erschienen.
Hiergegen hat der Kläger am 13.01.2012 Widerspruch mit der Begründung eingelegt, er habe die Einladung nicht erhalten. Beim Sozialgericht stellte er überdies einen Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs anzuordnen. Das Sozialgericht gab diesem Antrag mit Beschluss vom 21.02.2012 (S 17 AS 157/12 ER SG Duisburg) statt. Zur Begründung führte das Sozialgericht aus, zwar habe die X Post GmbH die Zustellung bestätigt, dieser Bestätigung lasse sich jedoch nicht entnehmen, dass das Schreiben tatsächlich in den Briefkasten des Klägers eingelegt worden sei. Eine förmliche Zustellung sei damit nicht nachgewiesen. Eine solche sei zwar gesetzlich auch nicht vorgeschrieben, werde aber der ordnungsgemäße Zugang bestritten, sei der Beweis des Zugangs durch den Beklagten zu führen. Dem sei der Beklagte bislang nicht hinreichend nachgekommen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27.02.2012 (W 221/12) wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 14.12.2011 zurück. Die Einladung vom 18.10.2011 für den 31.10.2011 sei als Einwurfeinschreiben versandt worden. Der Zugang dieses Einwurfeinschreibens sei am 20.10.2011 durch die X Post GmbH bewirkt worden.
Am 21.03.2012 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Duisburg eingelegt. Zur Begründung hat er zunächst auf die Entscheidung des SG Duisburg vom 21.02.2012 verwiesen. Daneben komme es vorliegend nicht auf die Zustellung, sondern auf die Kenntnisnahme an. Diese Kenntnis habe der Kläger nicht nehmen können, da er die Nachricht nicht erhalten habe. Dies könne daran liegen, dass jemand den Brief aus dem Briefkasten genommen habe. Dieser sei defekt gewesen und habe sich ohne großen Widerstand öffnen lassen. Hierüber habe er sich bei seinem Vermieter und der Hausverwaltung beschwert. Von dort sei jedoch keine Abhilfe geschaffen worden. Er habe in der Vergangenheit sämtliche Post von dem Beklagten erhalten und hierauf auch reagiert.
Er hat beantragt,
den Bescheid vom 14.12.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.02.2012 (W 221/12) aufzuheben.
Darüber hinaus hat er beantragt,
ihm Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. D, E, zu bewilligen.
Der Beklagte vertritt weiterhin die Auffassung, die Sanktion sei rechtmäßig.
Mit Beschluss vom 08.06.2012, dem Kläger zugegangen am 18.06.2012, hat das Sozialgericht den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt.
Hiergegen hat der Kläger am 22.06.2012 Beschwerde beim Sozialgericht eingelegt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die beigezogene Verwaltungsakte sowie die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Für die Annahme einer hinreichenden Erfolgsaussicht genügt eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit. Eine hinreichende Erfolgsaussicht ist gegeben, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Antragstellers aufgrund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält und/oder in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 9. Aufl. 2008, § 73a Rn 7, 7a).
Im vorliegenden Fall ist die Rechtmäßigkeit des Sanktionsbescheids vom 14.12.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.02.2012 streitig, wodurch der Beklagte die dem Kläger bewilligten Leistungen für den Zeitraum von Januar 2012 bis März 2012 in Höhe von 10% des maßgebenden Regelbedarfs abgesenkte.
Nach summarischer Prüfung bestehen Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des Sanktionsbescheides.
Voraussetzung für die Minderung ist nach § 32 Abs. 1 SGB II, dass der Leistungsberechtigte trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis einer Aufforderung des zuständigen Trägers, sich bei ihm zu melden, nicht erscheint.
Vorliegend ist der Kläger unstreitig nicht zum Termin am 31.10.2011 erschienen.
Nach summarischer Prüfung ist jedoch noch nicht abschließend geklärt, ob dem Kläger die Meldeaufforderung – auf deren Missachtung die Sanktion fußt – bekannt gegeben wurde.
Bei der Meldeaufforderung handelt es sich – entgegen der Rechtsauffassung des Klägers – nach herrschender Auffassung um einen Verwaltungsakt (vgl. dazu etwa Berlit in LPK-SGB II, 4. Aufl. 2011, § 32 Rn 7 m.w.N.; Sonnhoff in: jurisPK-SGB II, 3. Aufl. 2012, § 32 Rn 21; Blüggel, in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 59 Rn 11; zur Meldeaufforderung nach § 132 AFG vgl. BSG Urteil vom 20.03.1980 – 7 RAr 21/79 = juris Rn 32; a.A. Rixen in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 31 Rn 26).
Damit ist die Meldeaufforderung in analoger Anwendung des § 130 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) dann bekannt gegeben, wenn sie dergestalt in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass bei Annahme gewöhnlicher Verhältnisse damit zu rechnen ist, er könne von ihr Kenntnis erlangen (BSG Urteil vom 03.06.2004 – B 11 AL 71/03 R = juris Rn 24; BSG Urteil vom 02.09.1977 – RAr 46/76 = juris Rn 13; BVerwG Beschluss vom 22.02.1994 – 4 B 212/93 = juris Rn 3; BGH Urteil vom 03.11.1976 – VIII ZR 140/75 = juris Rn 13 BAG Urteil vom 11.11.1992 – 2 AZR 328/92 = juris Rn 33; Engelmann in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl. 2010, § 37 Rn. 4). Die tatsächliche Kenntnisnahme ist nicht erforderlich.
Beweisbelastet für den Zugang und damit die Bekanntgabe der Meldeaufforderung ist der Beklagte, § 37 Abs. 2 Satz 2 Hs. 2 SGB X.
Ausweislich der Dokumentation der X Post GmbH ist der Zugang eines Einwurfeinschreibens am 20.10.2011 bewirkt worden, wobei es sich – nach dem Vortrag des Beklagten – um die Meldeaufforderung zum 31.10.2011 gehandelt habe. In den Verwaltungsakten findet sich ein korrespondierender Vermerk, dass die Meldeaufforderung vom 31.10.2011 per Einwurfeinschreiben versandt wurde. Dass in der fraglichen Zeit andere Einwurfeinschreiben an den Kläger verschickt worden sein könnten, lässt sich der Verwaltungsakte nicht entnehmen, weswegen im Rahmen der summarischen Prüfung davon ausgegangen werden kann, dass es sich bei dem in der Dokumentation benannten Einwurfeinschreiben um die Meldeaufforderung zum 31.10.2011 gehandelt hat.
In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass es sich bei der durch die X Post GmbH bewirkte Zustellung nicht um eine förmliche Zustellung im Sinne der Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (Landeszustellungsgesetz – LZG NRW) gehandelt hat. Anders als etwa eine Postzustellungsurkunde spricht die Dokumentation der X Post GmbH nicht bereits für sich für die Richtigkeit der Angaben (vgl. zur Postzustellungsurkunde bspw. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Urteil vom 14.09.2000 – 23 B 00.30313 = juris Rn 14). In Anlehnung an die Rechtsprechung zu § 130 BGB kommt die Dokumentation allerdings als Grundlage eines Anscheinsbeweises in Betracht, wenn das ordnungsgemäße Zustellverfahren (Bestätigung der Zustellung nach Einwurf durch Unterschrift und Datumsangabe) von dem Zusteller eingehalten worden ist (Reichold in: jurisPK-BGB, 5. Aufl. 2010, § 130 BGB Rn 41 unter Bezugnahme auf Oberlandesgericht Saarbrücken Urteil vom 20.03.07 – 4 U 83/06 = juris Rn 58; vgl. auch Oberlandesgericht Koblenz Beschluss vom 31.01.2005 – 11 WF 1013/04 = juris Rn 10 vgl. auch Landesarbeitsgericht Köln Urteil vom 14.08.2009 – 10 Sa 84/09 = juris Rn 34 ff – auch zum Streitstand). Demgegenüber wird teilweise vertreten aus dem Vorliegen eines Auslieferungsbeleges lasse sich nicht folgern, dass eine solche Auslieferung auch stattgefunden habe (vgl. Landesarbeitsgericht Hamm Urteil vom 05.08.2009 – 3 Sa 1677/08 = juris Rn 107; LG Potsdam Urteil vom 27.07.2000 – 11 S 233/99 = juris Rn 8; AG Kempen Urteil vom 22.08.2006 – 11 C 432/05 = juris Rn 11). Ein Verlust von Postsendungen während des Zustellvorgangs sei nach der Lebenserfahrung ebenso wenig auszuschließen sei wie das Einstecken in den falschen Briefkasten durch den Zusteller (Potsdam Urteil vom 27.07.2000 – 11 S 233/99 = juris Rn 8; AG Kempen Urteil vom 22.08.2006 – 11 C 432/05 = juris Rn 11).
Der Kläger trägt vor, er habe das Schreiben – anders als zahlreiche andere Schreiben des Beklagten – nicht erhalten. Woran dies liege wisse er nicht. Es könne daran liegen, dass der Briefkasten so beschaffen sei, dass auch Dritte Zugriff auf diesen nehmen könnten. Hierüber habe er sich bereits bei seinem Vermieter und bei der Hausverwaltung beschwert. Allerdings seien bislang im Übrigen Schreiben des Beklagten regelmäßig bei ihm angekommen.
Nach Auffassung des Senats kann das Sozialgericht bei dieser Sach- und Rechtslage den Nachweis des Zugangs des Schreibens nicht als ohne Weiteres geführt ansehen (so auch SG Duisburg Beschluss vom 21.02.2012 – S 17 AS 157/12 ER). Vor diesem Hintergrund war Prozesskostenhilfe zu bewilligen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht erstattungsfähig (§ 73a SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Erstellt am: 14.08.2012
Zuletzt verändert am: 14.08.2012