Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Detmold vom 23.04.2010 geändert. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller ab 03.09.2012 für die Dauer von 6 Monaten, längstens jedoch bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens, Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende in Form der Regelleistung i. H. v. 374,00 Euro pro Monat zu bewilligen. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Dem Antragsteller wird für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt T, C, bewilligt.
Gründe:
I.
Im zugrundeliegenden Verfahren streiten die Beteiligten über die Frage, ob dem Antragsteller Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II zu bewilligen sind.
Der im Januar 1977 geborene Antragsteller, der griechischer Staatsbürger ist, er lebte von 1991 – 1997 in der BRD, wo er zuletzt eine Vollzeittätigkeit als Gebäudereiniger ausübte. 1997 ging er zurück nach Griechenland, um den Militärdienst zu absolvieren. Am 05.03.2012 reiste er erneut aus Griechenland in die Bundesrepublik Deutschland ein. Ausweislich einer Bescheinigung der Stadt C vom 08.03.2012 ist er seit dem Tag seiner Einreise in C gemeldet, wo er sich ausschließlich zum Zwecke der Arbeitssuche nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 Alternative 2 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern auf (FreizügG/EU) in Deutschland aufhält.
Am 07.03.2012 beantragte er beim Antragsgegner Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II. Der Antrag wurde mit Bescheid vom 15.03.2012 abgelehnt, da der Antragsteller nach § 7 Abs.1 S. 2 Nr. 1 SGB II vom Leistungsbezug ausgeschlossen sei, und er aktuell keinen Arbeitsnehmerstatus innehabe. Darüber hinaus falle er unter den Leistungsausschuss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II, da sein Aufenthalt in Deutschland nur der Arbeitssuche diene und er damit ebenfalls keinen Arbeitnehmerstatus begründe.
Mit seinem hiergegen gerichteten Widerspruch machte der Antragsteller geltend, für ihn als griechischer Staatsbürger gelte das Europäische Fürsorgeabkommen (EFA). Das Bundessozialgericht habe am 19.10.2010 – B 14 AS 23/10 – entschieden, dass der Leistungsausschuss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr.2 SGB II für Staatsangehörige von Vertragsstaaten des EFA keine Anwendung finde. Der von der Bundesrepublik am 19.12.2012 nach 7 Jahren erklärte Vorbehalt gegen dieses Abkommen sei nichtig, da er einer Teilkündigung des Abkommens gleichkomme. Im Übrigen sei der Ausschluss arbeitsuchender Unionsbürger europarechtswidrig. Der Anspruch ergebe sich aus gegenüber dem SGB II höherrangigen Rechtsgrundsätzen, nämlich dem Gleichheitsgrundsatz des Artikel 19 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Im Übrigen ergebe sich der Anspruch für arbeitsuchende Unionsbürger seit 01.05.2010 unabhängig vom EFA aus der EG-Verordnung (EG-VO) Nr. 883/2004.
Am 23.03.2010 ersuchte der Antragsteller beim Sozialgericht Detmold um Gewährung vorläufigen Rechtschutzes. Zur Begründung bezog er sich im Wesentlichen auf sein Vorbringen im Widerspruchsverfahren.
Der Antragsgegner ist der Auffassung, sowohl der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II als auch der nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II greife vorliegend ein. Die Vorschriften seien geltendes Recht (Artikel 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG)). Eine Rechtswidrigkeit ergebe sich insbesondere nicht aus der zitierten EG VO 883/2004. Der Antragsteller könne sich hierauf nicht berufen, da die Bundesrepublik für Leistungen nach dem SGB II einen Vorbehalt gegen das EFA , der am 19.12.2011 in Kraft getreten sei, erklärte habe. Danach finde der Leistungsausschluss auch auf Angehörige der EFA-Staaten Anwendung.
Das Sozialgericht Detmold hat mit Beschluss vom 23.04.2012 den Antrag abgelehnt. Rechtsgrundlage der begehrten einstweiligen Anordnung sei § 86 b Abs. 2 S.1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), dessen Voraussetzungen jedoch nicht vorlägen, denn der Antragsteller habe einen Anordnungsanspruch nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Eine offensichtliche Rechtwidrigkeit des streitigen Ablehnungsbescheides vom 15.03.2012 sei nicht erkennbar. Die grundsätzliche Leistungsberechtigung ergebe sich aus § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 (Vollendung des 15. Lebensjahres und Nichterreichen der Altersgrenze nach § 7a SGB II), Nr. 2 (Vorlegen von Erwerbsfähigkeit), Nr. 3 (Hilfebedürftigkeit) und Nr. 4 (gewöhnlicher Aufenthalt in der BRD). Nach Satz 2 der Vorschrift seien ausgenommen Ausländer und Ausländerinnen, die weder in der Bundesrepublik Deutschland, Arbeitnehmerinnen/Arbeitnehmer oder Selbstständige noch aufgrund des § 2 Abs. 3 des FreizügigG/EU freizügigkeitsberechtigt seien und ihre Familienangehörigen für die ersten 3 Monate des Aufenthalts (Nr. 1), Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergebe und ihrer Familienangehörigen (Nr. 2) und Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes (Nr. 3). Nach Satz 3 der Vorschrift gelte Satz 2 Nr. 1 jedoch nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der BRD aufhielten. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen blieben unberührt (S. 4). Zwar halte sich der Antragsteller als EU-Bürger rechtmäßig in der BRD auf, da er freizügigkeitsberechtigt nach § 2 Abs. 2 und 3 des FreizügG/EU sei, jedoch gelte für ihn der in § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II geregelte Leistungsausschuss, nachdem ihm während der ersten drei Monate seines Aufenthalts in der BRD keine Leistungen zustünden. Dieser Zeitraum ende erst am 15.06.2012 – (Ergänzung: zutreffend: 05.06.2012) -. Zu diesem Leistungsausschluss normierte Ausnahmen lägen nicht vor, da der Antragsteller weder Arbeitnehmer noch Selbstständiger sei und auch keine Tatbestandvarianten des § 2 Abs. 3 des FreizügG/EU (vorübergehende Erwerbsminderung unfreiwillige Arbeitslosigkeit nach weniger als einem Jahr Beschäftigung) erfülle. Der Antragsteller halte sich auch nicht aufgrund eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 2 des Aufenthaltsgesetzes (Aufenthalt aus völkerrechtlichen, humanitären und politischen Gründen) in der BRD auf. Die Kammer habe keine Bedenken hinsichtlich der Europarechtskonformität des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II. Selbst wenn hieran Zweifel bestünden würden, reichten diese nicht aus, ein formelles Gesetz als unwirksam zu behandeln. Der zeitlich begrenzte Ausschlussgrund beruhe auf europarechtlichen Bestimmungen der Richtlinie 2004/38 EG. Der Gesetzgeber habe mit der Regelung des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II von der Möglichkeit des Artikels 24 Abs. 2 dieser Richtlinie Gebrauch gemacht, von der grundsätzlichen Verpflichtung zur Gleichbehandlung von EU-Ausländern mit Inländern hinsichtlich des Anspruches auf Sozialleistungen abzuweichen und neu Einreisende aus den EU-Mitgliedstaaten für die ersten 3 Monate von den Sozialleistungen auszuschließen. Dem stünden auch nicht die Bestimmungen des EFA, insbesondere das Gleichbehandlungsgebot des Artikels 1 dieses Abkommens entgegen. Der Antragsteller sei als griechischer Staatsbürger zwar grundsätzlich vom Schutzbereich des EFA erfasst, der Leistungsausschlussgrund greife jedoch, weil die BRD auf der Grundlage des Artikels 16b EFA gegenüber dem Europarat den Vorbehalt gegen die Anwendbarkeit des EFA hinsichtlich der Leistungen nach dem SGB II erklärt habe. Dieser Vorbehalt sei zum 19.12.2011 in Kraft getreten. Das Gericht gehe davon aus, dass der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II entgegen der Auffassung des Antragstellers auch keine Ungleichbehandlung im Sinne des Artikel 4 der EGVO 883/2004 darstelle. Es sei insbesondere zu berücksichtigen, dass der mit den Bestimmungen der Verordnung verfolgte Zweck der der Koordinierung der Sozialsysteme der Mitgliedsstaaten sei, nicht jedoch die Vereinheitlichung des materiellen Standards (LSG Berlin Brandenburg, Beschluss vom 29.12.2012 – L 20 AS 2347/11 B ER -). Zwar ergebe sich aus Artikel 4 der EGVO 883/2004 eine ungleiche Behandlung der Unionsbürger gegenüber deutschen Staatsbürgern, diese sei jedoch unter Berücksichtigung weiterer europarechtlicher Bestimmungen gerechtfertigt, da die Unionsbürgerrichtlinie, die in Artikel 24 Abs. 2 die Möglichkeit eines Leistungsausschlusses eröffne, am selben Tag, nämlich am 29.04.2004 in Kraft gesetzt worden sei. Im Übrigen sei zu berücksichtigen, dass nach Artikel 64c der EGVO 883/2004 der Leistungsanspruch eines arbeitslosen Unionsbürgers, den er gegenüber seinem Heimatstaat habe, in einem Zeitraum von 3 Monaten von dem Zeitpunkt grundsätzlich aufrecht erhalten bleibe, ab dem er der Arbeitsverwaltung seines Mitgliedsstaates, den er verlassen habe, nicht mehr zur Verfügung gestanden habe. Daraus folge, dass eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung von deutschen Staatsbürgern und EU-Bürgern nicht gegeben sein könne, denn die Sicherung des Lebensunterhalts des EU-Bürgers für die ersten 3 Monate seines Aufenthalts in der BRD sei grundsätzlich geschützt durch die zitierte Vorschrift. Demgegenüber habe der deutsche Staatsangehörige keinen Leistungsanspruch gegenüber einem anderen Mitgliedstaat, so dass es an der Vergleichbarkeit von deutschen Staatsangehörigen und EU-Bürgern während der ersten 3 Monate von deren Aufenthalt in der BRD fehle. Diese Vorschriften konkretisierten damit insbesondere auch den Zweck der Verordnung, nämlich die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedsstaaten. Ob im Falle des Antragstellers auch der dauerhafte Leistungsausschuss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SBG II Anwendung finde, könne dahin stehen, da vorliegend bereits der Leistungsausschluss nach Nr. 1 der zitierten Vorschrift greife.
Gegen den seinem Bevollmächtigten am 26.04.2012 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde des Antragstellers vom 03.05.2012. Die Auffassung des Sozialgerichts verstoße gegen Europarecht. Nach der Rechtsprechung des EUGH – Urteil vom 04.06.2009 (C-22/08 und C-23/08) – könne der Leistungsausschluss für EU-Bürger nicht auf die EGVO 2004/38 gestützt werden. Im Übrigen sei der Leistungsausschluss von EU-Bürgen, die sich in Deutschland rechtmäßig zum Zwecke der Arbeitssuche aufhielten mit europäischem Primärrecht nicht vereinbar.
Der Antragsgegner hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Gegen die Auffassung des Antragstellers habe der EUGH in der zitierten Entscheidung vom 04.06.2009 nur für Arbeitnehmer entschieden, dass eine Anwendung von Artikel 24 Abs. 2 der EGVO 2004/38 ausscheide. Nach der Entscheidung sei es hingegen legitim, dass ein Mitgliedsstaat eine Beihilfe erst dann gewähre, wenn der Arbeitssuchende eine tatsächliche Verbindung zum Arbeitsmarkt des Staates habe. Eine solche Verbindung habe der Antragsteller hingegen nicht. Im Übrigen sei nicht ersichtlich, mit welcher Begründung der Antragsteller die ausführliche und umfassende Begründung des Sozialgerichts hinsichtlich des Gleichbehandlungsgebotes bzw. das Nichtvorliegen eines Verstoßens, für angreifbar halte. Im Übrigen sei der Auffassung des Antragstellers nicht zu folgen, nach der der Vorbehalt der Bundesregierung vom 19.12.2011 unzulässig sei. Bereits in seiner Entscheidung vom 19.10.2010 – B 14 AS 23/10 R – habe das BSG grundsätzlich einen solchen Vorbehalt für möglich gehalten.
Wegen der weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakte sowie auf den Vortrag der Beteiligten im Übrigen Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere fristgerecht erhoben, jedoch nur teilweise begründet.
Nach § 86b Abs. 2 S. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regellung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zu Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs (d. h. eines materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird) sowie das Vorliegen des Anhörungsgrundes (d. h. der Unzumutbarkeit, bei Abwägung eines betroffenen Interesses die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten) voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bzw. die besondere Eilbedürftigkeit sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 S. 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung – ZPO -).
Hinsichtlich des Zeitraums, der vor der vom Senat erlassenen einstweiligen Anordnung seit Antragstellung liegt und bereits abgelaufen ist, sieht der Senat keine Notwendigkeit, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller für diesen Zeitraum Leistungen zu bewilligen. Die mit der Konformität der hier insbesondere maßgeblichen Vorschrift des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II mit europarechtlichen Vorschriften im Zusammenhang stehenden Fragen können in einem Hauptsacheverfahren geklärt werden, ohne dass der Antragsteller hierdurch ersichtliche Nachteile erleidet. Ein Eilbedürfnis und damit ein Anordnungsgrund bestehen insoweit nicht.
Demgegenüber ergibt sich für den in der Zukunft liegenden Zeitraum ab Beschlussfassung durch den Senat aus dem im Beschlusstenor ersichtlichen Umfang eine andere Beurteilung. Insoweit sind Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
Der Antragsteller gehört zum bezugsberechtigten Personenkreis des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bis 4 SGB II. Er hat das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht (Nr. 1), ist erwerbsfähig, (Nr. 2) und hilfebedürftig, (Nr. 3) Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller seinen Lebensunterhalt aus eigener Kraft sicherstellen kann, bestehen nicht. Die Eltern des Antragstellers, die eine geringe Rente beziehen, sind dauerhaft nicht in der Lage ihren Sohn zu unterstützen. Als griechischer Staatsangehöriger und damit Altunionsbürger ist er gemeinschaftsrechtlich freizügigkeitsberechtigt und damit berechtigt, ohne Arbeitserlaubnis eine Arbeit in der Bundesrepublik Deutschland aufzunehmen. Er hat auch seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik (Nr. 4); vgl. hierzu BSG, Urteil vom 25.01.2012 – B 14 AS 138/11 R – Jurisausdruck Rdz 17 m. w. N.).
Fraglich ist, ob dem Anspruch der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II nach Ablauf des 3-monatigem Leistungszeitraum des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II ab dem 4. Monat des Aufenthalts des Antragstellers, also ab 05.06.2012, entgegensteht. Nach dieser Vorschrift sind Ausländer von den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ausgenommen, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt. Nach dem Wortlaut der Vorschrift sind vorliegend die Voraussetzungen des Leistungsausschlusses erfüllt. Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte und ausweislich der Bescheinigung der Ausländerbehörde der Stadt C vom 08.03.2012 hält der Antragsteller sich ausschließlich zum Zwecke der Arbeitssuche i. S. d. § 2 Abs. 2 Nr. 1 Alternative 2 FreizügG/EU in der Bundesrepublik Deutschland auf. Ein Aufenthaltsrecht nach anderen Vorschriften des Freizügigkeitsgesetzes ist nicht ersichtlich, hierzu wurde auch nichts vorgetragen.
Fraglich ist jedoch, ob die Vorschrift des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II mit Gemeinschaftsrecht der europäischen Gemeinschaft vereinbar ist. Hierüber bestehen in Rechtsprechung und Literatur unterschiedliche Auffassungen (vgl. hierzu zur Darstellung des Meinungsstandes und statt aller: Hacketal jurisPK SGB II 3. Auflage 2012 § 7 Rdz 37 ff.). Die Bedenken gegen die Europarechtskonformität der genannten Vorschrift ergeben sich einerseits aus dem Streit über die Frage, ob es sich bei den Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II um Sozialhilfeleistungen handelt (vgl. hierzu die Beschlüsse des erkennenden Senats vom 14.11.2010 – L 12 AS 1669/10 B ER – und vom 20.08.2012 – L 12 AS 531/12 B ER – ) oder ob es sich um Leistungen der sozialen Sicherheit bzw. zur Eingliederung in Arbeit handelt, die freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern unter Verstoß gegen das Verbot der Differenzierung nach Staatangehörigkeit und/oder das allgemeine Differenzierungsverbot vorenthalten werden (vgl. hierzu Hacketal, a. a. O. Rdz. 38). Andererseits ist die Vereinbarkeit des Vorbehalts des Artikels 24 Abs. 2 der RL 2004/38 mit dem Gleichbehandlungsgebot nach Artikel 4 der EGVO 883/2004 und dabei insbesondere die Frage, in welchem Verhältnis die beiden Vorschriften zueinander stehen, umstritten, da es sich bei den Leistungen nach dem SGB II um besondere beitragsunabhängige Leistungen im Sinne von Artikel 70 der EGVO 883/2004 handelt (vgl. hierzu LSG Berlin Brandenburg, Beschluss vom 03.04.2012 – L 5 AS 2157/11 B ER – und LSG Niedersachsen Bremen, Beschluss vom 23.05.2012 – L 9 AS 347/12 B ER). Der persönliche Geltungsbereich der EGVO 883/2004 ist gemäß Artikel 2 Abs. 1 für den Antragsteller als griechischer Staatsbürger gegeben. Vor 1997 arbeitete der Antragsteller in der BRD vollzeitbeschäftigt als Gebäudereiniger und war danach zumindest durch Ableistung des Militärdienstes in das Sozialleistungssystem in Griechenland integriert. Andererseits ist umstritten, ob das europäische Fürsorgeabkommen (EFA) die Anwendbarkeit der Vorschrift des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II im Fall des Antragstellers ausschließt. Zwar unterfällt der Antragssteller als griechischer Staatsangehöriger dem EFA, da Griechenland das Abkommen ratifiziert hat (vgl. hierzu BSG Urteil vom 19.10.2010 – B 14 AS 23/10 R -, Jurisausdruck Rdz. 26). Auch handelt es sich bei dem SGB II um ein Fürsorgegesetz i. S. d. Europäischen Fürsorgeabkommens, sodass aufgrund der in diesem Abkommen angeordneten Gleichbehandlung von Staatsangehörigen der Vertragsstaaten mit Inländern die Vorschrift des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II auf Staatsangehörige der Vertragsstaaten keine Anwendung findet, solange seitens der Bundesrepublik kein Vorbehalt nach Artikel 16 lit. b) EFA erklärt worden ist. (vgl. hierzu BSG Urteil vom 19.10.2010 – B 14 AS 23/ 10 R -). Die Bundesrepublik Deutschland hat aber am 19.12.2011 einen Vorbehalt zum EFA notifiziert, wonach die Regierung der Bundesrepublik Deutschland keine Verpflichtung übernimmt die im SGB II in der jeweils geltenden Fassung vorgesehene Leistungen an Staatsangehörige der übrigen Vertragsstaaten in gleicher Weise und unter den gleichen Bedingungen wie den eigenen Staatsangehörigen zuzuwenden. Die Wirksamkeit dieser Vorbehaltserklärung ist gleichsam umstritten (verneinend LSG Berlin Brandenburg, Beschluss vom 09.05.2012 – L 19 AS 794/12 B ER – und SG Berlin Beschluss vom 25.04.2012 – S 55 AS 9238/12 -; bejahend LSG Berlin, Brandenburg, Beschluss vom 05.03.2012 – L 29 AS 414/12 B ER – und SG Berlin, Beschluss vom 14.05.2012 – S 124 AS 7164/12 ER – LSG NRW, Beschluss vom 22.05.2012 – L 6 AS 412/12 B ER -).
Angesichts der aufgezeigten komplexen ungeklärten Rechtsfragen zur Wirksamkeit des Leistungsausschlusses in § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II – die Bedenken bestehen in gleicher Weise gegen die Vorschrift der Nr. 1 – hält der Senat eine abschließende Klärung des Anspruchs auf die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht für möglich.
In einem solchen Fall ist aufgrund einer Folgenabwägung zu entscheiden (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05 -). Die grundrechtlichen Belange des Antragstellers sind dabei umfassend in die Abwägung einzubeziehen. Die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II dienen der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens. Diese Sicherstellung ist eine verfassungsrechtliche Pflicht des Staates, die aus dem Gebot zum Schutz der Menschenwürde i. V. m. dem Sozialstaatsgebot folgt (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 a. a. O.) und sich auf alle Personen unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit im Geltungsbereich des Grundgesetzes erstreckt.
Diese Folgenabwägung führt vorliegend zu dem Ergebnis, dass dem Antragsteller vom Tage der Beschlussfassung an für die Dauer von 6 Monaten, längstens jedoch bis zur Entscheidung in der Hauptsache, Leistungen zu gewähren sind, die sein anders nicht sichergestelltes Existenzminimum bei fortbestehender Hilfebedürftigkeit decken. Im Vergleich dazu hat das Erstattungsinteresse des Antragsgegners zurückzustehen. Aus diesem Grunde waren ihm Leistungen nach dem SGB II in Form der Regelleistung in der im streitigen Zeitraum gültigen Höhe von 374,00 Euro monatlich – vom Tage der Beschlussfassung bis zum Ende des laufenden Monats anteilig – zuzusprechen. Im Hinblick auf den existenzsichernden Charakter dieser Leistung hält der erkennende Senat deren Absenkung nicht für geboten.
Angesichts dessen sieht der Senat auch den Anordnungsgrund als glaubhaft gemacht an.
Die Zuerkennung von Kosten der Unterkunft (KdU) kommt hingegen nicht in Betracht. Ungeachtet der Tatsache, dass der Antragsteller hierzu nichts vorgetragen hat – bereits bei der Antragstellung wurde der Vordruck KdU nicht ausgefüllt, sodass mangels entgegenstehenden Anhaltspunkte davon auszugehen ist, dass der Antragsteller kostenfrei bei seinen Eltern wohnt – käme der Erlass einer einstweiligen Anordnung schon allein wegen des Fehlens des glaubhaft gemachten Anordnungsgrundes nicht in Betracht. Nach der Rechtsprechung des Senats setzt die Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes im Zusammenhang mit den KdU voraus, dass dem Leistungsempfänger andernfalls Obdachlosigkeit droht. Dies ist erst dann der Fall, wenn eine Räumungsklage wegen Mietrückständen erhoben worden ist (vgl. hierzu Beschlüsse des Senats vom 21.12.2011 – L 12 AS 1469/11 B ER und L 12 AS 1470/11 B – und Beschluss vom 24.01.2012 – L 12 AS 1773/12 B ER-). Dafür bestehen keine Anhaltspunkte.
Im Zusammenhang mit der Kostenentscheidung geht der Senat davon aus, dass im Hinblick auf die aufgezeigten komplexen Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Europarechtskonformität des § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II der Beschwerde auch für den Zeitraum ab Beginn der Antragstellung statt zu geben gewesen wäre. Der Umstand, dass im Zeitpunkt der Beschlussfassung durch den Senat der von dieser Vorschrift betroffene Zeitraum bereits abgelaufen war, kann nicht zum Nachteil des Antragstellers gereichen.
Der Beschluss ist nicht anfechtbar (177 SGG).
Dem Antragsteller war bei Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 73a SGG, 114 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO) – Bedürftigkeit, hinreichende Erfolgsaussicht und fehlende Mutwilligkeit – Prozesskostenhilfe für das Verfahren zu bewilligen.
Erstellt am: 01.10.2012
Zuletzt verändert am: 01.10.2012