Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 21.03.2012/04.04.2012 geändert und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Streitig ist die Versicherungspflicht der Antragstellerin in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).
Die 1978 geborene Antragstellerin ist tschechische Staatsangehörige und reiste im Februar 2009 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sie war hier vom Zeitpunkt ihrer Einreise bis November 2010 hauptberuflich selbständig erwerbstätig. Nunmehr bezieht sie seit dem 01.04.2011 durchgängig Arbeitslosengeld II nach §§ 19, 20 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Im Mai 2009 schloss die Antragstellerin einen privaten Krankenversicherungsvertrag bei der D Krankenversicherung AG ab. Im Rahmen der Antragstellung gab sie u.a. an, seit dem Jahr 2000 bis April 2009 gesetzlich krankenversichert gewesen zu sein. Diesen Vertrag focht die D AG nach § 123 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) mit der Begründung an, dass die Antragstellerin in dem Versicherungsantrag falsche Angaben gemacht habe; gleichzeitig trat die D AG vorsorglich gemäß § 19 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) von dem Versicherungsvertrag zurück. Die D AG wies die Antragstellerin außerdem darauf hin, dass die Antragstellerin verpflichtet sei, Versicherungsschutz bei einem anderen Unternehmen der privaten Krankenversicherung (PKV) zu beantragen. Hierfür bestehe ein Kontrahierungszwang (Schreiben vom 08.07.2011). Einen sodann bei der C Krankenversicherung a.G. gestellten Antrag auf Versicherung im Basistarif lehnte diese unter dem 14.10.2011 ab.
Am 14.07.2011 zeigte die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin ihre Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) an. Die Antragsgegnerin lehnte die Feststellung der Versicherungspflicht ab und führte hierzu aus, dass die Antragstellerin trotz Anfechtung des Versicherungsvertrages dem System der PKV zuzuordnen sei (Bescheid vom 26.07.2011). Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Antragsgegnerin zurück (Widerspruchsbescheid vom 03.11.2011).
Die Antragstellerin hat bei dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf Klage erhoben und den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Das SG hat die Antragsgegnerin einstweilen verpflichtet, der Antragstellerin für die Zeit ab 01.04.2011 Krankenversicherungsschutz zu gewähren und die Wirkungen der einstweiligen Anordnung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens befristet (Beschluss vom 21.03.2012; Berichtigungsbeschluss vom 04.04.2012).
Hiergegen hat die Antragsgenerin am 02.05.2012 Beschwerde eingelegt.
II.
Die Beschwerde ist zulässig. Der angefochtene Beschluss ist der Antragsgegnerin am 23.03.2012 zugestellt worden. Diesen Beschluss hat das SG durch Beschluss vom 04.04.2012 berichtigt, nachdem dieser nicht mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen war. Wird eine gerichtliche Entscheidung bei fehlender Rechtsmittelbelehrung gemäß § 138 Sozialgerichtsgesetz (SGG) berichtigt und mit zutreffender Rechtsmittelbelehrung erneut zugestellt, beginnt die Rechtsmittelfrist erst mit der neuen Zustellung (Humpert in: Jansen, SGG, 3. Aufl. 2008, § 138, Rdn. 9 m.w.N.). Für die Antragsgegnerin begann die Rechtsmittelfrist demnach mit der Zustellung des berichtigten Beschlusses am 17.04.2012, so dass der Eingang der Beschwerde am 02.05.2012 fristgerecht erfolgt ist.
Die Beschwerde ist auch begründet. Ein Anspruch der Antragstellerin auf vorläufige Feststellung der Versicherungspflicht in der GKV im Wege einstweiliger Anordnung besteht nicht.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes voraus. Ein Anordnungsanspruch liegt vor, wenn der Antragsteller das Bestehen eines Rechtsverhältnisses glaubhaft macht, aus dem er eigene Ansprüche ableitet. Maßgeblich sind in erster Linie die Erfolgsaussichten der Hauptsache (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 86b, Rdn. 27 ff.). Ein Anordnungsgrund ist nur dann gegeben, wenn der Antragsgegner glaubhaft macht, dass ihm unter Berücksichtigung der widerstreitenden öffentlichen Belange ein Abwarten bis zur Entscheidung der Hauptsache schlechterdings nicht zuzumuten ist.
Nach Maßgabe dieser Voraussetzungen fehlt es bereits an einem Anordnungsanspruch, weil ein Versicherungspflichttatbestand nicht gegeben ist.
Versicherungspflicht für die Zeit ab 01.04.2011 ergibt sich nicht aus § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V. Nach dieser Vorschrift sind Personen in der Zeit, für die sie Arbeitslosengeld II beziehen nach Maßgabe weiterer Voraussetzungen versicherungspflichtig in der GKV. Nicht versicherungspflichtig nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V ist jedoch gemäß § 5 Abs. 5a Satz 1 SGB V, wer unmittelbar vor dem Bezug von Arbeitslosengeld II privat krankenversichert war oder weder gesetzlich noch privat krankenversichert war und zu den in Absatz 5 oder den in § 6 Abs. 1 oder 2 genannten Personen gehört oder bei Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit im Inland gehört hätte. Hintergrund dieser Regelung ist, dass es der Gesetzgeber angesichts der Verpflichtung der PKV zur Bereitstellung eines bezahlbaren Basistarifs nicht länger für erforderlich gehalten hat, Bezieher von Arbeitslosengeld II auch dann in die Versicherungspflicht in der GKV einzubeziehen, wenn sie unmittelbar vor dem Leistungsbezug privat krankenversichert waren oder dem Personenkreis angehören, der als solcher dem System der PKV zuzuordnen ist (FraktEntw GKV-WSG, BT-Drucks 16/3100, S. 94 f.; Felix in: jurisPK-SGB V, 2. Aufl. 2012, § 5 Rdn. 40 m.w.N.).
Die Antragstellerin war bis zum Zugang der Anfechtungserklärung (§ 143 Abs. 1 BGB) vom 08.07.2011 in der PKV und damit unmittelbar vor Beginn des Bezuges von Arbeitslosengeld II am 01.04.2011 i.S.d. § 5 Abs. 5a Satz 1 Alt. 1 SGB V privat krankenversichert, so dass Versicherungspflicht in der GKV gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V nicht eintreten konnte. Geht man von einer wirksamen Anfechtung aus, ist der Versicherungsvertrag aus dem Jahr 2009 zwar zivilrechtlich als von Anfang an nichtig anzusehen (§ 142 Abs. 1 BGB). Diese gesetzliche Fiktion führt jedoch nicht dazu, dass die Antragstellerin im sozialversicherungsrechtlichen Sinne als zu keinem Zeitpunkt privat krankenversichert anzusehen ist. Denn die Beurteilung des krankenversicherungsrechtlichen Status kann und darf nicht von dem Eintritt eines ungewissen späteren Ereignisses – wie z.B. einer Anfechtung – abhängen. Bis zur Anfechtungserklärung ist somit von einem zwar anfechtbaren, gleichwohl jedoch wirksamen Versicherungsvertrag zwischen der Antragstellerin und der D AG auszugehen (vgl. SG Dresden, Beschluss v. 14.06.2012 – S 18 KR 156/12 ER).
Die wirksam erklärte Anfechtung wegen Drohung oder arglistiger Täuschung berechtigt das anfechtende Versicherungsunternehmen lediglich, einen erneuten Antrag des (ehemaligen) Versicherungsnehmers auf Abschluss eines Versicherungsvertrages im Basistarif abzulehnen (vgl. § 12 Abs. 1b Satz 4 Versicherungsaufsichtsgesetz [VAG], § 193 Abs. 5 Satz 4 Nr. 1 VVG). Daraus ergibt sich zum einen, dass der Kontrahierungszwang in der PKV im Hinblick auf den Basistarif gemäß § 193 Abs. 5 Satz 1 VVG als solcher unberührt bleibt und Vertragsverletzungen aus früheren Versicherungsverhältnissen andere Versicherungsunternehmen nicht zur Ablehnung eines Vertragsschlusses berechtigen (vgl. auch Voit in: Prölls/Martin, VVG, 28. Aufl. 2010, § 193 VVG, Rdn. 30). Zum anderen hat der Gesetzgeber mit der Regelung des auch bei einer schweren Vertragsverletzung nach wie vor grundsätzlich bestehenden Kontrahierungszwangs zum Ausdruck gebracht, dass es bei der einmal getroffenen Zuordnung zur PKV in den Fällen verbleiben soll, in denen bereits eine Versicherung in der PKV bestanden hat und aus den in § 193 Abs. 5 Satz 4 Nr. 1 und 2 VVG genannten Gründen beendet wurde. Ginge man demgegenüber davon aus, dass bei der Anfechtung eines privaten Krankenversicherungsvertrages wegen Drohung oder Täuschung der Versicherungsnehmer nachträglich als unversichert gälte und vor diesem Hintergrund Versicherungspflicht in der GKV einträte, wären die Vorgaben der §§ 12 Abs. 1b Satz 4 VAG, 193 Abs. 5 Satz 4 VVG letztlich ohne Anwendungsbereich und liefen ins Leere (so auch SG Dresden, Beschluss v. 14.06.2012, a.a.O.; Sächsisches LSG, Beschluss v. 14.06.2012 – L 1 KR 71/12 B ER). Angesichts dessen muss sich die Antragstellerin weiterhin an Unternehmen der PKV halten, wobei die Wahl nicht auf die C a.G. beschränkt ist (zur Höhe der vom SGB II-Träger zu übernehmenden Prämien vgl. BSGE 107, 217 = SozR 4 – 4200 § 26 Nr. 1).
Die Frage, ob Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V auch wegen der jedenfalls bis November 2010 ausgeübten selbständigen Tätigkeit gemäß § 5 Abs. 5a Satz 1 Alt. 2 SGB V ausgeschlossen ist, kann im vorliegenden Zusammenhang offen bleiben (vgl. hierzu LSG NRW, Beschluss v. 23.08.2010 – L 16 KR 329/10 B ER; Beschluss v. 30.04.2012 – L 16 KR 134/12 B ER; a.A. z.B. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 11.03.2011 – L 1 KR 326/10 – Revision anhängig unter B 12 KR 11/11 R).
Eine Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 a) oder b) SGB V kommt nicht in Betracht, weil die Antragstellerin zuletzt nicht gesetzlich, sondern privat krankenversichert war. Anzuknüpfen ist diesbezüglich, wie bei der Prüfung des § 5 Abs. 5a Satz 1 Alt. 1 SGB V, an die zuletzt bestehende Krankenversicherung. Bestand somit zuletzt eine Versicherung in der PKV, bleibt diese weiterhin zuständig. War der Betroffene demgegenüber zuletzt in der GKV versichert, ist er weiterhin dieser zugewiesen (vgl. LSG NRW, Beschluss v. 30.04.2012, a.a.O., juris Rdn. 10 m.w.N.).
Nachdem kein Anordnungsanspruch besteht, kann dahingestellt bleiben, ob die Antragstellerin einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht hat.
Die Beiladung der von den Beteiligten benannten Sozialleistungsträger und Unternehmen der PKV erschien dem Senat im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht tunlich und sollte der Hauptsache vorbehalten bleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Der Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 09.10.2012
Zuletzt verändert am: 09.10.2012