Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 23.08.2012 geändert. Der Antragsgegner wird verpflichtet, dem Antragsteller hinsichtlich der Stromkostennachforderung Leistungen in Höhe von 975,25 EUR als Darlehen zu gewähren. Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen. Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers dem Grunde nach. Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe ab Antragstellung (16.07.2012) für das Ausgangsverfahren S 43 AS 1654/12 ER und ab Antragstellung (25.09.2012) für das Beschwerdeverfahren gewährt und Rechtsanwalt T aus I beigeordnet.
Gründe:
Die zulässige Beschwerde des Antragstellers ist begründet.
Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufigen Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren aus, ist auf der Grundlage einer an der Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu entscheiden (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005, Az.: 1 BvR 569/05, BVerfGK 5, 237 = NVwZ 2005, Seite 927).
Der Antragsteller hat hinsichtlich der Stromkostennachforderung im tenorierten Umfang einen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Ein Anspruch des Antragstellers auf Gewährung eines Darlehens bezüglich der Stromkostennachforderung in Höhe von 975,25 EUR ergibt sich aus § 22 Abs. 8 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Danach können, sofern Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden, auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Geldleistungen sollen als Darlehen erbracht werden. Mit der in § 22 Abs. 8 Satz 1 SGB II genannten Notlage sind solche Konstellationen angesprochen, die mit der Gefährdung der Sicherung der Unterkunft vergleichbar sind. Insbesondere in Form von Energiekostenrückständen kommt eine Behebung einer drohenden Wohnungslosigkeit vergleichbaren Notlage in Betracht. Weiterhin können auch Kosten, die in der Regelleistung enthalten sind, insbesondere Stromschulden, eine vergleichbare Notlage auslösen. Dies gilt vor allem dann, wenn eine Entscheidung dazu führen würde, dass die Wohnung unbewohnbar würde (Berlit in LPK-SGB II, 4. Auflage 2011, § 22 Rn. 193 ff.).
Diese Voraussetzungen liegen unter Beachtung der existentiellen Bedeutung des Wohnraums vor. Entsprechend der vom SG bei der S AG eingeholten Auskunft vom 07.08.2012 hat der Antragsteller hinsichtlich der Stromkosten noch einen Betrag von 975,25 EUR zu begleichen. Infolge dieser Rückstände besteht eine Stromsperre. Die S AG hat im o.g. Schreiben ausgeführt, dass nach Begleichung der Forderung die Energiezufuhr wieder hergestellt wird.
Zudem sind zumutbare Selbsthilfemöglichkeiten vorliegend nicht ersichtlich. Zum einen ist die Stromzufuhr bereits seit Juni 2012 unterbrochen und damit eine faktische Unbewohnbarkeit gegeben. Zum anderen hat der Antragsteller im Beschwerdeverfahren eine eidesstattliche Versicherung vorgelegt, wonach er nicht über nach § 22 Abs. 8 S. 3 SGB II einzusetzendes Schonvermögen verfügt und weder auf einen Bankkredit noch auf ein Darlehen von Freunden zurückgreifen kann. Des Weiteren lehnte die S AG im Falle des Klägers eine Ratenzahlung ab.
Der Antragsteller kann auch nicht ohne weitere Hilfestellung durch den Antragsgegner auf einen Zivilrechtsstreit mit dem Energieversorger verwiesen werden (LSG NRW, Beschluss vom 02.04.2008 – L 7 B 251/07 AS ER; Hammel, info also 6/2011, 251 ff.; Berlit, a.a.O., Rn.194). Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB II muss ein erwerbsfähiger Leistungsberechtigter alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung seiner Hilfebedürftigkeit ausschöpfen. Daraus folgt jedoch nicht, dass der Leistungsberechtigte hinsichtlich rückständiger Energiekosten stets auf zivilgerichtlichen Eilrechtsschutz verwiesen werden darf. Denn nach der Rechtsauffassung mehrerer Zivilgerichte ist der Energieversorgungsträger zu einer Wiederaufnahme der unterbrochenen Energieversorgung erst dann verpflichtet, wenn zuvor die gesamten rückständigen Energiekosten getilgt worden sind (vgl. zur zivilrechtlichen Rechtslage Gotzen, ZfF 2007, S. 248, 249 f.). Zudem entbindet eine Mitwirkungsobliegenheit des erwerbsfähigen Leistungsberechtigten den Grundsicherungsträger nicht von seiner in § 17 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) begründeten Förderungspflicht. Der Verweis auf zivilgerichtlichen Eilrechtsschutz bei Unverhältnismäßigkeit drohender Stromsperren (§ 19 Abs. 2 S. 2 StromGVV) erfordert regelmäßig konsequente Beratung und Unterstützung durch den Leistungsträger (Berlit, a.a.O.). Ebenso verhält es sich vorliegend, wo der Antragsgegner in Frage stellt, ob der Stromversorger zu einer Stromsperre in der derzeitigen Wohnung unter Hinweis auf eine überwiegend aus der vorigen Wohnung resultierenden Forderung überhaupt befugt ist. Denn der Grundsicherungsträger muss dafür Sorge tragen, dass dem erwerbsfähigen Leistungsberechtigten nur die Mitwirkung abverlangt wird, die objektiv und subjektiv zumutbar ist. Dem entspricht es nicht, einen Leistungsberechtigten, dem es regelmäßig an Erfahrung auf dem Gebiet des zivilgerichtlichen Eilrechtsschutzes fehlt, pauschal und ohne das Angebot von (ggf. auch rechtsanwaltlicher) Beratung und Hilfestellung auf diese besondere Form des gerichtlichen Rechtsschutzes zu verweisen.
Auch der erforderliche Anordnungsgrund liegt vor. Die Stromsperre besteht seit Juni 2012.
Die weitergehende Beschwerde ist unbegründet. Denn die Ermittlungen des SG ergaben, dass die S AG die Forderung am 21.08.2012 mit 975,25 EUR bezifferte. Einwendungen gegen diesen Betrag hat der Antragsteller, obwohl er am 10.07.2012 bei Beantragung des einstweiligen Rechtsschutzes 1040,29 EUR geltend gemacht hat, nicht erhoben.
Die Beschwerde des Antragstellers ist auch insoweit begründet, als das SG den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Ausgangsverfahrens abgelehnt hat. Zudem war dem Antragsteller auch für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu gewähren. Denn die Rechtsverfolgung bot aufgrund der o.g. Ausführungen hinreichende Aussicht auf Erfolg nach § 73a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung (ZPO).
Die Kostenentscheidung folgt aus einer analogen Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
Erstellt am: 06.11.2012
Zuletzt verändert am: 06.11.2012