Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 18.05.2012 geändert. Der Antragsgegner wird einstweilen und vorläufig verpflichtet, den Antragstellern die Regelbedarfe vom 01.11.2012 bis zum 30.04.2013 sowie die Kosten der Unterkunft und Heizung für die mit Ordnungsverfügung der Stadt L vom 17.10.2012 ab dem 15.11.2012 zugewiesene Wohnung L, F-straße 00, 2. Obergeschoss Mitte für die Zeit vom 15.11.2012 bis 31.04.2013 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller für das Beschwerdeverfahren zu 1/2. Weitere Kosten sind nicht zu erstatten. Auch den Antragstellerinnen zu 2) und 3) wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ab Antragstellung (29.10.2012) bewilligt und Rechtsanwältin T aus L beigeordnet.
Gründe:
Die zulässige Beschwerde der Antragsteller ist teilweise begründet.
Der Antragsgegner ist verpflichtet, den Antragstellern die Regelbedarfe für die Zeit vom 01.11.2012 bis zum 30.04.2013 sowie die Kosten der Unterkunft und Heizung für die mit Ordnungsverfügung der Stadt L vom 17.10.2012 ab dem 15.11.2012 zugewiesene Wohnung in L für die Zeit vom 15.11.2012 bis 30.04.2013 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Für die Zeit vom 03.04.2012 (Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung) bis zum 31.10.2012 bzw. 14.11.2012 ist die Beschwerde unbegründet.
Die Voraussetzungen des § 86b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) liegen ab dem 01.11.2012 (Regelbedarfe) bzw. ab dem 15.11.2012 (Kosten der Unterkunft) vor. Nach dieser Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruches, d. h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d. h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren aus, ist auf der Grundlage einer an der Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu entscheiden (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 -1 BvR 569/05-, NVwZ 2005, S. 927).
Für die Zeit vom 03.04.2012 bis zum 31.10.2012 fehlt es unter Berücksichtigung der von dem Antragsteller in der Zeit vom 15.05.2012 bis Mitte Oktober 2012 und der von der Antragstellerin zu 2) in der Zeit vom 05.06.2012 ebenfalls bis Mitte Oktober 2012 ausgeübten Beschäftigungen und der gezahlten Löhne (monatlich jeweils ca. 600,00 Euro netto) sowie des gewährten Kindergeldes an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes. Darüber hinaus hat der Antragsteller im Erörterungstermin vom 08.11.2012 ausgeführt, noch über Rücklagen von 500,00 Euro zu verfügen. Schließlich kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass den Antragstellern Anfang April 2012 ein Betrag von 835,00 Euro von einem Verwandten aus Bulgarien durch Überweisung zur Verfügung gestellt worden ist.
Ab dem 01.11.2012 war jedoch der Antragsgegner im Rahmen einer Folgenabwägung zur Gewährungen der Regelbedarfe und zusätzlich ab dem 15.11.2012 bezüglich der Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem SGB II vorläufig zu verpflichten. Die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 Nr. 1-4 SGB II sind glaubhaft gemacht. Denn der Antragsteller zu 1) und die Antragstellerin zu 2) haben das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II). Sie sind bedürftig (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II) und haben ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II). Eine Erwerbsfähigkeit im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II liegt ebenfalls vor. Sie erfüllen die Voraussetzungen des § 8 SGB II. Insbesondere kann ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt werden (§ 8 Abs. 2 SGB II).
Ob dem Anspruch der Antragsteller der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II entgegensteht, kann im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht abschließend geklärt werden. Nach dieser Vorschrift besteht ein Leistungsausschluss für Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen.
Zwar sind nach dem Wortlaut dieser Norm die Voraussetzungen für den Leistungsausschluss nach summarischer Prüfung erfüllt. Denn die Antragsteller sind als bulgarische Staatsangehörige Ausländer, wobei sich das Aufenthaltsrecht der Antragsteller zu 1) und der Antragstellerin zu 2) allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt. Ein anderer, Unionsbürgern gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 7 Freizügigkeitsgesetz/EU zur Freizügigkeit und somit zum Aufenthalt in einem anderen EU-Mitgliedstaat berechtigender Aufenthaltszweck, welcher nach einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum die Anwendung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ausschließt (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 08.06.2009, L 10 AS 617/09; LSG NRW, Beschluss vom 20.01.2008, L 20 B 76/07 SO ER; Spellbrink und Blüggel in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage 2008, § 7 Rn. 16 und 24 und § 8 Rn. 46c), liegt (jedenfalls ab dem 01.11.2012) nicht vor.
In Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, ob die Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II, die einen Leistungsausschluss ohne entsprechende Öffnungsklausel insbesondere für sog. "Alt-Unionsbürger" normiert, mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar und damit für EU-Bürger einschränkend auszulegen ist (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 29.02.2012 – L 20 AS 2347/11 B ER – und vom 03.04.2012 – L 5 AS 2157/11 – mit weiteren Hinweisen auf den Meinungsstand; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 03.05.2010 – L 7 B 489/09 AS ER). Soweit der erkennende Senat in Entscheidungen, in denen es um den Leistungsausschluss von sog. "EU-Neubürgern" aus Rumänien und Bulgarien infolge ihrer eingeschränkten EU-Freizügigkeit geht, davon ausgegangen ist, dass die Vorschrift des § 7 Abs.1 Satz 2 Nr. 2 SGB II mit dem Europäischen Gemeinschaftsrecht vereinbar ist (vgl. Beschluss des Senats vom 18.11.2011 – L 7 AS 614/11 B ER), betrafen diese Sachverhalte, in denen die Antragsteller nicht im Besitz einer Arbeitsgenehmigung-EU gewesen sind oder Schwarzarbeit verrichtet haben. Zwar besitzen der Antragsteller zu 1) und die Antragstellerin zu 2) weiterhin keine Arbeitserlaubnis. So ist gegenüber dem Antragsteller zu 1) für die ab dem 15.05.2012 ausgeübte Beschäftigung ein Antrag auf Erteilung einer Arbeitsgenehmigung vom 01.10.2012 mit Bescheid vom 09.10.2012 mit der Begründung abgelehnt worden, der Arbeitgeber sei nicht mehr an einer Einstellung interessiert gewesen. Nach der Bescheinigung gemäß § 5 Freizügigkeitsgesetz/EU vom 27.02.2012 benötigt der Antragsteller zu 1) zur Aufnahme einer unselbständigen, arbeitsgenehmigungspflichtigen Erwerbstätigkeit eine Arbeitserlaubnis oder Arbeitsberechtigung-EU. Eine anderslautende Regelung wird hinsichtlich der Antragstellerin zu 2) nicht behauptet und ergibt sich auch nicht aus den Akten.
Vorliegend besteht jedoch die Besonderheit, dass die von dem Antragsteller zu 1) und der Antragstellerin zu 2) ausgeübten Beschäftigungen, die jeweils durch Kündigung seitens des selben Arbeitgebers beendet wurden, auf der Grundlage abgeschlossener Arbeitsverträge erfolgten und Gesamtsozialversicherungsbeiträge abgeführt wurden. Darüber hinaus ist mit der Antragstellerin zu 2) eine unter dem 31.07.2012 bis zum 30.01.2013 gültige Eingliederungsvereinbarung abgeschlossen worden. Zudem ist in der vorliegenden Konstellation die Berufung auf einen Verstoß gegen Art. 45 AEUV (ehemals Art. 39 EGV) nicht von vorneherein ausgeschlossen. Der EuGH hat in seiner Entscheidung vom 04.06.2009 (vgl. EuGH, C 22/08, C 23/08) klargestellt, dass sich EU-Bürger, die sich ausschließlich zur Arbeitsuche in einem anderen Mitgliedsstaat aufhalten, auf einen Verstoß gegen Art. 39 EG (jetzt Art. 45 AEUV) berufen können, wenn der Mitgliedsstaat eine finanzielle Leistung verweigert, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern soll und der Unionsbürger in dem Mitgliedsstaat bereits eine Verbindung zum Arbeitsmarkt geschaffen hat. Zur Überzeugung des Senats ist es in der vorliegenden Konstellation gerechtfertigt, die Antragsteller mit uneingeschränkt zum Arbeitsmarkt zugangsberechtigte Unionsbürger gleichzustellen und aufgrund einer Folgenabwägung zu entscheiden.
Im Rahmen der Folgenabwägung ist auch die Bedeutung der beantragten Leistungen für die Antragsteller gegen das fiskalische Interesse des Antragsgegners abzuwägen, die vorläufig erbrachten Leistungen im Fall des Obsiegens in der Hauptsache möglicherweise nicht zurück zu erhalten. Bei ungeklärten Erfolgsaussichten in der Hauptsache geht die Interessenabwägung vorliegend zugunsten der Antragsteller aus, da es sich für sie um existenzsichernde Leistungen handelt und das auch ausländischen Staatsangehörigen zustehende Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum gemäß Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz (GG) betroffen ist. Zur Überzeugung des Senats sind die Antragsteller zur Sicherstellung des Existenzminimums wegen der bestehenden Nähe zum Arbeitsmarkt nicht auf die Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII zu verweisen.
Die Leistungsberechtigung der Antragstellerin zu 3) ergibt sich aus § 7 Abs. 2 Satz 1 SGB II in Verbindung mit § 19 Abs. 1 Satz 2 SGB II. Danach erhalten nichterwerbsfähige Leistungsberechtigte, die mit einem erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben, Sozialgeld.
Der Anordnungsgrund ergibt sich aus der derzeitigen finanziellen Situation der Antragsteller. Den Antragstellern ist nicht zuzumuten, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten.
Hinsichtlich der Kosten für Unterkunft und Heizung liegt neben einem Anordnungsanspruch ab dem 15.11.2012 auch ein Anordnungsgrund vor. Denn die mit Ordnungsverfügung der Stadt L vom 17.10.2012 ab dem 15.11.2012 zugewiesene Wohnung L, F-straße 00, 2. Obergeschoss Mitte können die Antragsteller nur beziehen, wenn eine Übernahme der Kosten der Unterkunft gewährleistet ist. Zudem droht den Antragstellern Obdachlosigkeit, weil in der Ordnungsverfügung vom 17.10.2012 ausgeführt ist, dass am 15.11.2012 die Zwangsaussetzung aus der gewerblichen Obdachlosenunterkunft Hotel Gästehaus F in L durchgeführt werden soll.
Die abschließende Klärung, ob den Antragstellern ein Anspruch auf Gewährung der Regelbedarfe sowie der Kosten der Unterkunft und Heizung, auch für die Zeit vor dem 01.11.2012 zusteht, muss dem Hauptsacheverfahren S 33 AS 2197/12 vorbehalten bleiben.
Der Senat hat die Dauer der Leistungen bis zum 30.04.2013 befristet. Dabei hat der Senat der Vorschrift des § 41 Abs. 1 Satz 4 SGB II Rechnung getragen, wonach die Leistungen jeweils für sechs Monate bewilligt werden sollen.
Da die Rechtsverfolgung Aussicht auf Erfolg hatte, war auch den Antragstellerinnen zu 2) und 3) ebenfalls Prozesskostenhilfe zu gewähren (§ 73a Abs. 1 SGG i.V.m. § 114 ZPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG und entspricht dem teilweisen Obsiegen der Antragsteller im Beschwerdeverfahren.
Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 19.12.2012
Zuletzt verändert am: 19.12.2012