Auf die Beschwerde der Kläger vom 21.10.2011 wird der Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 07.10.2011 geändert. Den Klägern wird für die Zeit ab Antragstellung ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. D, E, bewilligt. Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
In der Hauptsache begehren die Kläger höhere Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) ab 01.01.2011.
Die am 00.00.1989 geborene Klägerin zu 1) und ihr Sohn, der am 00.00.2009 geborene Kläger zu 2), leben in einer Bedarfsgemeinschaft. Die Klägerin zu 1) bezieht laufend Leistungen nach dem SGB II. Für die Zeit vom 01.01.2011 bis zum 30.06.2011 bewilligte die Beklagte ihr monatliche Leistungen in Höhe von 692,46 Euro (Bescheid vom 23.03.2011). Der Kläger zu 2) erhielt in dem streitigen Zeitraum keine Leistungen nach dem SGB II, da die Beklagte ihm ein seinen Gesamtbedarf übersteigendes Einkommen aus Kindergeld, Leistung nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UVG) und Wohngeld zurechnete. Von dem übersteigendem Einkommen des Klägers zu 2) wurde der Klägerin zu 1) ein Betrag von 20,77 Euro angerechnet (50,77 Euro Kindergeld abzüglich der Versicherungspauschale von 30,00 Euro).
Die Kläger legten gegen den Bescheid der Beklagten Widerspruch mit der Begründung ein, dass die Neuregelung der Regelbedarfe ab 01. Januar 2011 verfassungswidrig sei. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21.07.2011 zurück. Die Festlegung der Regelbedarfe entspreche den gesetzlichen Vorgaben.
Die Kläger haben am 23.08.2011 Klage erhoben. Sie wenden sich gegen die Höhe der Regelbedarfe. Die Ermittlung der Regelbedarfe sei mit einer Vielzahl von Fehlern behaftet, die den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts widersprächen. Deshalb sei die Höhe verfassungswidrig zu niedrig festgesetzt worden.
Das Sozialgericht Duisburg hat den zeitgleich mit der Klageerhebung gestellten Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts mit Beschluss vom 07.10.2011 abgelehnt. Das Klagebegehren habe keine Aussicht auf Erfolg. Zur Überzeugung des Gerichts stehe fest, dass die mit Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 25.02.2011 (SGB II n.F.) vorgesehenen Regelbedarfe mit dem GG in Einklang stünden. Insbesondere seien die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in dessen Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09, 3/09, 4/09) eingehalten worden (wird ausgeführt).
Gegen den am 17.10.2011 zugestellten Beschluss haben die Kläger am 21.10.2011 Beschwerde eingelegt. Sie wiederholen und vertiefen ihr erstinstanzliches Vorbringen.
Der Beklagte hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Dieser ist Gegenstand der Beratung gewesen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
Voraussetzung für die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) ist nach § 73a Abs. 1 S. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. § 114 der Zivilprozessordnung (ZPO) unter anderem, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Eine hinreichende Erfolgsaussicht besteht, wenn das Gericht nach vorläufiger Prüfung den Standpunkt des Antragstellers auf Grund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für zutreffend oder doch für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 73a Rz. 7a; st. Rspr. des erkennenden Senats, z.B. Beschluss vom 23.03.2010, L 6 B 141/09 AS). Der Erfolg braucht nicht sicher zu sein, muss aber nach den bisherigen Umständen eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich haben. Dabei dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung nicht überspannt werden. Die Prüfung der Erfolgsaussicht darf nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung in das Nebenverfahren der PKH vorzuverlagern (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer aaO § 73a Rz. 7). Das PKH-Verfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nicht selbst bieten, sondern zugänglich machen. Ein Fachgericht, das § 114 Satz 1 ZPO dahin auslegt, dass auch schwierige, noch nicht geklärte Rechtsfragen im Prozesskostenhilfeverfahren "durchentschieden" werden können, verkennt damit die Bedeutung der in Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verbürgten Rechtsschutzgleichheit (vgl. BVerfG vom 14.06.2006 – 2 BvR 626/06 -, vom 08.11.2004 – 1 BvR 2095/04 – und 04.02.2004 – 1 BvR 596/03 – alle juris). Wird eine Rechtsfrage aufgeworfen, die in der Rechtsprechung noch nicht geklärt, aber klärungsbedürftig ist, muss PKH bewilligt werden. Klärungsbedürftig in diesem Sinn ist aber nicht bereits jede Rechtsfrage, die noch nicht höchstrichterlich entschieden ist. Vielmehr ist maßgeblich, ob die entscheidungserhebliche Rechtsfrage im Hinblick auf die einschlägige gesetzliche Regelung oder die durch die bereits vorliegende Rechtsprechung gewährten Auslegungshilfen schwierig erscheint (vgl. BVerfG Beschluss vom 13.03.1990 – 2 BvR 94/88 – juris Rz. 29 – BVerfGE 81, 347). Ist dies der Fall, muss die bedürftige Person die Möglichkeit haben, ihren Rechtsstandpunkt im Hauptsacheverfahren zu vertreten und ggf. Rechtsmittel einlegen zu können (BVerfG Beschluss vom 10.12.2001 – 1 BvR 1803/97 – juris Rz. 9 – NJW-RR 2002, 793).
Vorliegend sind die für den Zeitraum Januar 2011 bis Juni 2011 bewilligten Regelbedarfe im Streit, für welche die Kläger geltend machen, dass die der Berechnung der Regelleistungen zugrunde liegenden Normen (§§ 19 Abs. 1 Satz 1, 20 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 SGB II) nicht mit Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG sowie den Vorgaben des BVerfG in seinem Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 – in Einklang zu bringen seien. Bei der Frage der Verfassungsmäßigkeit der Regelbedarfe in der Neugestaltung durch das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.03.2011 (BGBl. I S. 453ff) handelt es sich nach Auffassung des Senats um eine schwierige, bisher nicht höchstrichterlich geklärte Rechtsfrage (so auch: LSG NRW Beschluss vom 31.05.2012 – L 12 AS 1862/11 B -; Beschluss vom 12.07.2012 – L 7 AS 813/12 B -; Beschluss vom 06.08.2012 – L 19 AS 734/12 B -). Das gilt auch vor dem Hintergrund, dass das BSG laut seiner Terminsmitteilung vom 12.07.2012 (Terminbericht Nr. 40/12) keinen Anlass gesehen hat, das Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG auszusetzen und die Entscheidung des BVerfG zur Vereinbarkeit von § 19 Abs. 1 Satz 1, § 20 Abs. 1 und Abs. 2 Abs. 1 SGB II (neue Fassung) mit Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG einzuholen. Der Senat schließt sich der Auffassung an, dass letztlich das BVerfG zu entscheiden haben wird, ob der Gesetzgeber den von ihm postulierten hohen Anforderungen an die Ermittlung und Begründung der Regelbedarfe unter Berücksichtigung des Gestaltungsspielraums gerecht geworden ist. In der besonderen Situation, in der das BVerfG bereits die Rahmenbedingungen für die Herleitung und Bestimmung der Regelbedarfe ab Januar 2011 aufgezeigt und skizziert hat, wird nur das BVerfG abschließend über die Vereinbarkeit der gesetzlichen Regelungen mit der Verfassung befinden können (LSG NRW Beschluss vom 12.07.2012 – L 7 AS 813/12 B -). Im Hinblick auf die Entscheidung des BVerfG vom 18.07.2012 zu den Regelungen des Asylbewerberleistungsgesetzes (Aktenzeichen: 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 -; Pressemitteilung Nr. 56/2012 vom 18. Juli 2012) kann zudem nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass die Kläger selbst bei unterstellter Verfassungswidrigkeit der seit 01.01.2011 geltenden Regelbedarfe keine höheren Leistungen für die Vergangenheit zu erwarten hätten. Das BVerfG hat in der zitierten Entscheidung eine Übergangsregelung dergestalt getroffen, dass die Höhe der Geldleistungen auch im Anwendungsbereich des Asylbewerberleistungsgesetzes entsprechend den Grundlagen der Regelungen für den Bereich des Zweiten und Zwölften Buches des Sozialgesetzbuches zu berechnen seien. Dies gelte rückwirkend für nicht bestandskräftig festgesetzte Leistungen ab 2011 und im Übrigen für die Zukunft, bis der Gesetzgeber seiner Pflicht zur Neuregelung nachgekommen sei. Aus den vorgenannten Gründen kann daher dem auf Zahlung höherer Regelbedarfe gerichteten Verfahren der Kläger nicht von vornherein die hinreichende Erfolgsaussicht abgesprochen werden. Dies gilt auch für den Kläger zu 2), dessen anzurechnendes Einkommen den auf der Grundlage der geltenden Regelbedarfe errechneten Gesamtbedarf nur um 50,77 Euro übersteigt.
Die Kläger sind ausweislich ihrer Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bedürftig. Sie verfügen über kein im Rahmen des § 115 ZPO einzusetzendes Einkommen oder Vermögen, so dass ihnen (ratenfrei) Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren zu bewilligen ist.
Die Beiordnung des Verfahrensbevollmächtigten der Kläger ist auch erforderlich i.S.v. § 73a SGG i.V.m. § 121 Abs. 2 ZPO. Die Erforderlichkeit im Sinne des § 121 Abs. 2 ZPO beurteilt sich nach dem Umfang und der Schwierigkeit der Sache sowie nach der Fähigkeit des Beteiligten, sich mündlich und schriftlich auszudrücken (vgl. BVerfG Beschluss vom 12.04.1983 – 2 BvR 1304/80, 2 BvR 432/81 – juris Rz. 39). Entscheidend ist, ob ein Bemittelter in der Lage des Unbemittelten vernünftigerweise einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hätte. Davon ist regelmäßig dann auszugehen, wenn im Kenntnisstand und in den Fähigkeiten der Prozessparteien ein deutliches Ungleichgewicht besteht (vgl. BVerfG Beschluss vom 24.03.2011 – 1 BvR 1737/10 – juris Rz. 16 m.w.N.). Zu berücksichtigen ist ferner, ob dem Beteiligten rechtskundige und prozesserfahrene Vertreter einer Behörde gegenüberstehen (vgl. BVerfG Beschluss vom 06.05.2009 – 1 BvR 439/08 – juris Rz. 18). In einem solchen Fall wird ein vernünftiger Rechtsuchender regelmäßig einen Rechtsanwalt einschalten, wenn er nicht ausnahmsweise selbst über ausreichende Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt, um das Verfahren in jedem Stadium durch sachdienlichen Vortrag und Anträge effektiv fördern zu können (vgl. BVerfG Beschluss vom 24.03.2011 – 1 BvR 1737/10 – juris Rz. 18). Eine andere Bewertung kann allerdings dann gelten, wenn der Rechtsuchende mehrere parallel gelagerte Verfahren betreibt. Lässt sich die anwaltliche Beratung ohne wesentliche Änderungen auf alle übrigen Fälle übertragen, so gebietet es das Grundrecht auf Rechtsschutzgleichheit nicht, dem unbemittelten Rechtsuchenden für jeden einzelnen Gegenstand erneut einen Rechtsanwalt beizuordnen (vgl. BVerfG Beschluss vom 30.05.2011 – 1 BvR 3151/10 – juris Rz. 16).
Nach Auffassung des Senats ist den Klägern bezogen auf das erste von ihnen geführte Klageverfahren, das die Verfassungswidrigkeit der Regelsätze zum Inhalt hat, ein Rechtsanwalt beizuordnen. Dabei kann den Klägern nicht entgegengehalten werden, dass es bereits "Musterverfahren" gibt, die beim BSG anhängig sind (so: LSG NRW Beschluss vom 06.08.2012 – L 19 AS 734/12 B -). Die Erforderlichkeit der Beiordnung ist aus der individuellen Sicht des unbemittelten Rechtsuchenden zu prüfen. Diesem kann auch bei bereits anhängigen "Musterverfahren" nicht das Recht abgesprochen werden, seinen Rechtsstandpunkt unter Zuhilfenahme eines Rechtsanwalts zu vertreten. Das beinhaltet die rechtliche Prüfung und Entscheidung, ob das eigene Verfahren im Hinblick auf ein Musterverfahren ruhen kann oder ob es angesichts individueller Besonderheiten doch eigenständig geführt werden soll. Für weitere Verfahren gleichen Inhalts gilt das hingegen nicht. Denn für solche ist zu unterstellen, dass auch ein Bemittelter in der Lage des Unbemittelten vernünftigerweise keinen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragen würde.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 19.12.2012
Zuletzt verändert am: 19.12.2012