Das Gesuch des Klägers auf Ablehnung des Sachverständigen Dr. T aus S wird für begründet erklärt.
Gründe:
I.
In der Hauptsache streiten die Beteiligten um die Folgen eines Arbeitsunfalls, den der Kläger am 10.06.1994 erlitten hat.
Nach Ablehnung von Verletztenrente mit Bescheid vom 21.02.2002 und Zurückweisung des hiergegen eingelegten Widerspruchs mit Widerspruchsbescheid vom 21.10.2002 hat das Sozialgericht die hiergegen gerichtete Klage mit Urteil vom 15.11.2005 abgewiesen.
Im Berufungsverfahren hat der Senat jeweils im Rahmen einer Begutachtung aufgrund ambulanter Untersuchung des Klägers sowie mehrerer ergänzender Stellungnahmen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Prof. Dr. I sowie von Amts wegen Dr. L gehört. Während Prof. Dr. I das Vorliegen unfallbedingter Erkrankungen auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet bejaht und hierfür eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 60 vom Hundert (v.H.) angenommen hat, hat Dr. L auch von ihm diagnostizierte Erkrankungen des Klägers auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet nicht als unfallbedingt angesehen und die MdE auf 0 v.H. geschätzt.
In der öffentlichen Sitzung vom 17.09.2012 hat der Senat sowohl den Sachverständigen Dr. L als auch die Sachverständige Prof. Dr. I persönlich gehört. Hierbei ist der zunächst als Sachverständiger gehörte Dr. L bei seiner Einschätzung geblieben und hat insbesondere dargelegt, dass und warum der Kläger seiner Ansicht nach infolge des Unfalls keine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) erlitten habe. Bei der alsdann erfolgenden Anhörung der Sachverständigen Prof. Dr. I ist Dr. L anwesend gewesen. Prof. Dr. I hat im Rahmen ihrer Anhörung dargelegt, es gebe Hinweise für eine vom Kläger unfallbedingt erlittene posttraumatische Epilepsie, denen weiter nachgegangen werden müsse. Beide Sachverständige sind alsdann entlassen worden. Der Senat hat die mündliche Verhandlung vertagt, weil der Sachverhalt weiter aufgeklärt werden soll.
Mit Schreiben vom 18.09.2012 hat Dr. L alsdann aus eigenem Antrieb zu den "Äußerungen und ( …) zum Teil medizinisch nicht begründbaren Kausalitätsvermutungen" Frau Prof. Dr. Is, die "medizinisch in keiner Weise nachzuvollziehen" seien, "um es sehr vorsichtig zu formulieren", Stellung genommen. Die Darlegungen der Sachverständigen seien zum Teil "eine reine Spekulation" ( …), "die Darlegung, dass eine posttraumatische Epilepsie aus dem Jahre 1994 entstanden ist, ist einfach unter Beachtung der strengen Kausalitätsnormen, wie sie im Unfallversicherungsrecht gelten, absurd", so Dr. L. Die Ausführungen Prof. Dr. Is seien "einfach medizinisch in keiner Weise begründbar". Im Übrigen sei es, so Dr. L, das erste Mal, dass er dem Gericht ungefragt Mitteilung mache über seine medizinische Einschätzung.
Dieses Schreiben ist beim Prozessbevollmächtigten des Klägers am 01.10.2012 "zur Kenntnis" eingegangen.
Mit am 15.10.2012 eingegangenem Schriftsatz vom selben Tage lehnt der Prozessbevollmächtigte des Klägers den Sachverständigen Dr. U L wegen der Besorgnis der Befangenheit ab. Grund für den Ablehnungsantrag sei das Schreiben Dr. Ls vom 18.09.2012. Der Inhalt dieses Schreibens begründe die Besorgnis der Befangenheit, da der Sachverständige ungefragt seinen Gutachterauftrag überschreite und überdies einseitig Partei für die Beklagte beziehe, indem er sich auf deren Beratungsarzt Dr. Dr. X beziehe. Wenn Dr. L nach Schluss der mündlichen Verhandlung ungefragt und unaufgefordert von sich aus eine weitere Stellungnahme abgebe, widerspreche dies deutlich den Gepflogenheiten eines unbefangenen Gerichts. Auch versuche Dr. L, dem Senat subtil zu vermitteln, dass er die 2.000 Seiten der Akte kenne und Frau Prof. Dr. I anscheinend nicht.
Hierzu zur Stellungnahme aufgefordert, hat sich Dr. L nicht für befangen gehalten. Er habe sich nicht ungefragt geäußert. Vielmehr sehe er seine Ausführungen als zwingende Ergänzung zu seinen Äußerungen anlässlich seiner Vernehmung als Sachverständiger in der öffentlichen Sitzung vom 17.09.2012 an. Hätte er zu den Ausführungen Prof. Dr. Is im Rahmen ihrer Anhörung vom 17.09.2012 nicht Stellung genommen, so wäre er seiner Aufgabe als medizinischer Sachverständiger nur extrem unvollständig nachgekommen. Aufgrund der Ausführungen Prof. Dr. Is sei eine Ergänzung zwingend notwendig gewesen.
II.
Das sich auf die von Dr. L so bezeichneten "ergänzenden Ausführungen anlässlich der mündlichen Verhandlung vom 17.09.2012" mit Schreiben vom 18.09.2012 beziehende Ablehnungsgesuch ist zulässig, insbesondere innerhalb der 2-Wochen-Frist des § 118 Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 406 Abs. 2 Satz 1, 411 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) gestellt worden.
Das Ablehnungsgesuch ist auch begründet.
Nach §§ 406 Abs. 1 Satz 1, 42 Abs. 1 und 2 ZPO findet die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen zu rechtfertigen. Der Grund, der das Misstrauen rechtfertigt, muss bei objektiver und vernünftiger Würdigung vom Standpunkt der Partei aus vorliegen (vgl. nur Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 24.01.2012, L 2 SF 385/11 B, Rn. 11). Insbesondere kann es einen Ablehnungsgrund darstellen, wenn ein Sachverständiger ungefragt mit seinen Feststellungen über die durch den Beweisbeschluss vorgegebenen Beweisfragen hinausgeht und vom Auftrag nicht umfasste Fragen beantwortet. Maßgeblich ist insoweit, ob der Sachverständige sich aus Sicht der Beteiligten quasi an die Stelle des Gerichtes setzt und seine Neutralitätspflicht verletzt, indem er dem Gericht oder den Beteiligten den aus seiner Sicht für richtig gehaltenen Weg der Entscheidungsfindung weist (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 23.11.2011, Az.: 5 W 40/11, Rn. 5).
Dies ist hier der Fall. Nicht nur ist der Sachverständige über vorgegebene Beweisfragen hinausgegangen, sondern hat sich sogar,noch am Tag nach seiner Anhörung in der öffentlichen Sitzung des Senats und dazu noch ungefragt zu den dortigen Ausführungen der ebenfalls geladenen Sachverständigen Prof. Dr. I geäußert und dem Senat eindringlich zu verdeutlichen versucht, dass er seine Entscheidung jedenfalls nicht auf die Äußerungen Prof. Dr. Is stützen könne.
Nun verbietet sich zwar auch in solchen Fällen eine schematische Betrachtungsweise (vgl. OLG München, Beschluss vom 21.03.2011, 1 W 110/11, Rn. 13). Äußert sich der Sachverständige allerdings in seiner ungefragten Stellungnahme auch noch unangemessen und polemisch zu den Ausführungen einerweiteren medizinischen Sachverständigen, die eben eine andere Meinung vertritt, so rechtfertigt dies die Befürchtung, der Sachverständige sei einseitig und nicht mehr unbefangen genug und begründet somit gegen ihn die Besorgnis der Befangenheit (vgl. dazu OLG München, Beschluss vom 14.09.1992, 1 W 2173/92, Rn. 17 f.).
So aber liegt der Fall hier. Denn Ausführungen einer anderen medizinischen Sachverständigen – hier: Prof. Dr. I -, die den Senat immerhin zu weiteren Ermittlungen veranlassen, ungefragt als "reine Spekulation" und "absurd" zu bezeichnen, überschreitet den Rahmen der gebotenen kritischen Auseinandersetzung mit der Meinung des Sachverständigen entgegenstehenden weiteren sachverständigen Äußerungen und rechtfertigt die Befürchtung des Klägers, der Gutachter sei einseitig und nicht mehr unbefangen genug.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 18.07.2016
Zuletzt verändert am: 18.07.2016