Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 20.06.2012 dahingehend abgeändert, dass ab dem 01.10.2012 statt des Antragsgegners der Beigeladene zu 2) im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet wird, den Antragstellern vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bis zum 31.12.2012 in Höhe von 410,64 Euro monatlich zu gewähren. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
Die Beschwerde des Antraggegners ist nur im tenorierten Umfang begründet.
Das Sozialgericht (SG) Köln hat dem Antrag der Antragsteller auf einstweiligen Rechtsschutz mit Beschluss vom 20.06.2012 zu Recht im tenorierten Umfang stattgegeben.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufigen Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren aus, ist auf der Grundlage einer an der Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu entscheiden (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005, Az.: 1 BvR 569/05, BVerfGK 5, 237 = NVwZ 2005, Seite 927).
Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Entgegen der Rechtsauffassung des Antragsgegners steht dem Leistungsanspruch der Antragsteller auch nicht entgegen, dass der Ablehnungsbescheid vom 31.05.2012 in Bestandskraft erwachsen ist. Die Antragsteller haben vorgetragen, mit Schreiben vom 08.06.2012 Widerspruch gegen diesen Bescheid eingelegt zu haben und jedenfalls mit Schriftsatz vom 29.11.2012 Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand beantragt. Der Umzug der Antragsteller in das Frauenhaus T und damit in den Zuständigkeitsbereich des Beigeladenen zu 2) am 04./05.07.2012 führt gemäß § 40 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 2 Abs. 3 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) nicht zu einer Änderung der Zuständigkeit des Antragsgegners. Nach dieser Vorschrift muss der bislang zuständige Leistungsträger die bewilligten Leistungen noch so lange erbringen, bis sie von dem dann zuständigen Leistungsträger fortgesetzt werden. Vorliegend nahm der Beigeladene zu 2) mit Bescheid vom 29.08.2012 zum 01.10.2012 die Leistungserbringung auf. Der erneute Umzug der Antragsteller nach Köln am 18.09.2012 hat mangels einer Aufnahme der Leistungen durch den dort zuständigen Leistungsträger nicht zu einem erneuten Zuständigkeitswechsel geführt. Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass für den Fall, dass der am 19.12.2011 entsprechend Art. 16 b) Satz 2 EFA erklärte Vorbehalt wirksam ist, weiter umstritten ist, ob der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II gegen europäisches Gemeinschaftsrecht, insbesondere gegen Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 zu Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit verstößt. Vertreten wird, dass aufgrund des in der Verordnung normierten Gleichbehandlungsgebotes alle in den persönlichen und sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung fallende Unionsbürger umfassend zum Bezug insbesondere auch der Leistungen nach dem SGB II berechtigt werden (so SG Berlin, Beschluss vom 08.05.2012, Az.: S 91 AS 8804/12 ER, SG Dresden, Beschluss vom 05.08.2011, Az.: S 36 AS 3461/11 ER, Schreiber in NZS 2012, Seite 647 ff., a.A. LSG NRW, Beschluss vom 02.10.2012, Az: L 19 AS 1393/12 B ER, SG Berlin, Beschluss vom 14.05.2012, Az.: S 124 AS 7164/12 ER und Beschluss vom 11.06.2012, Az.: S 205 AS 11266/12; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16.05.2012, Az.: L 3 AS 1477/11 – Revision anhängig unter dem Az.: B 4 AS 54/12 R -, LSG Berlin Brandenburg, Beschluss vom 29.02.2012, Az.: L 20 AS 2347/11 B ER).
In einem solchen Fall ist aufgrund einer Folgenabwägung zu entscheiden (Bundessverfassungsgericht – BVerfG -, Beschluss vom 12.05.2005, Az.: 1 BvR 569/05). Im Rahmen der Folgenabwägung ist auch die Bedeutung der beantragten Leistungen für die Antragstellerinnen gegen das fiskalische Interesse des Antragsgegners abzuwägen, die vorläufig erbrachten Leistungen im Fall des Obsiegens in der Hauptsache möglicherweise nicht zurück zu erhalten. Bei ungeklärten Erfolgsaussichten in der Hauptsache geht die Interessenabwägung vorliegend zugunsten der Antragstellerinnen aus, da es sich für sie um existenzsichernde Leistungen handelt und das auch ausländischen Staatsangehörigen zustehende Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum gemäß Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz (GG) betroffen ist. Insbesondere sind Antragstellerinnen zur Sicherstellung des Existenzminimums wegen der auch diesbezüglich bestehenden klärungsbedürftigen Rechtsfragen auch nicht auf die Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII zu verweisen (a.A. dazu LSG NRW, Beschluss vom 02.10.2012, Az.: L 19 AS 1393/12 B ER).
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Der Beschluss ist mit der Beschwerde nicht angreifbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 29.01.2013
Zuletzt verändert am: 29.01.2013