Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 10.09.2010 abgeändert. Der Beklagte wird unter Aufhebung seiner Bescheide vom 21.01.2009 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 12.03.2009 verurteilt, die Kosten für nächtliche Sitzwachen für den Kläger zu 1) in der Zeit vom 01.04.2009 bis zum 07.12.2010 und die Kosten für nächtliche Sitzwachen für den Kläger zu 2) in der Zeit vom 01.04.2009 bis zum 16.10.2010 dem Grunde nach zu übernehmen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Kläger in beiden Instanzen. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die zusätzliche Übernahme der Kosten für Nachtwachen zur Beaufsichtigung der Kläger im Rahmen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen gem. §§ 53 ff. SGB XII.
Die im Jahre 1986 geborenen Kläger sind Zwillingsbrüder. Sie sind beide nahezu gehörlos und leiden an Minderbegabung, einem Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätssyndrom sowie einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung. Die Kläger stehen unter gesetzlicher Betreuung. Betreuerin ist ihre Mutter.
Die Kläger hatten vor Aufnahme in eine stationäre Einrichtung ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort im Landkreis U. Dort wurden sie zuerst in einen Schulkindergarten, später dann in den Schulbereich der M-schule I, einer Staatlichen Heimsonderschule für Kinder und Jugendliche als stationäre Einrichtung, aufgenommen. Am 09.09.2002 verließen sie auf Grund des Umzugs der Mutter aus dem Landkreis U nach Nordrhein-Westfalen die Einrichtung und wohnten im westfälischen Schülerinternat N. Am 23.07.2005 erfolgte die Aufnahme in das Wohnheim "Haus X" der Beigeladenen, deren Werkstatt für Behinderte sie ab Mitte September 2004 besuchten. Die Beigeladene hielt von dem dort erzielten Einkommen der Kläger deren Eigenanteil nach Maßgabe von § 88 Abs. 2 SGB XII ein. Die Kläger verfügten über kein Vermögen. Sie erhielten jeweils eine Gehörlosenbeihilfe von monatlich 77 Euro.
Die Kosten im Übrigen übernahm der Beklagte.
Am 17.04.2006 vergewaltigten sie gemeinschaftlich eine Mitbewohnerin. Nach Bekanntwerden der Tat wurden die Kläger zunächst für mehrere Wochen in der Westfälischen Klinik für Psychiatrie in N untergebracht. Im Juni 2006 kehrten beide – nunmehr getrennt – in Wohnheime der Beigeladenen zurück: Der Kläger zu 1) in die Einrichtung "Haus H", der Kläger zu 2) in die Einrichtung "H1". Zugleich waren die Kläger in von der Beigeladenen getragenen Behindertenwerkstätten tätig: Der Kläger zu 1) in einer Schreinerei, der Kläger zu 2) zunächst im gärtnerischen Bereich und dann in einer Wäscherei.
Zum Schutz der Mitbewohnerinnen richtete die Beigeladene jeweils zusätzliche Nachtwachen vor den Zimmern der Kläger ein, welche in den Nachtstunden von 22:00 Uhr bis 06:30 Uhr das unbeaufsichtigte Verlassen der Zimmer durch die Kläger verhindern sollten. Mit Schreiben an die Beigeladene vom 21.06.2006 sagte der Beklage die Übernahme der Unterbringungskosten auf Grundlage des Leistungstyps 10 (Menschen mit geistiger Behinderung und hohem sozialem Integrationsbedarf, etwa wegen schwieriger Persönlichkeitsstruktur und Verhaltensauffälligkeiten) und der (höchsten) Hilfebedarfsgruppe 3 nach der zwischen dem Beigeladenen und dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) abgeschlossenen Vergütungsvereinbarung zu. Den Antrag der Beigeladenen auf Übernahme zusätzlicher Kosten, wie u.a. derjenigen der Nachtwache, lehnte der Beklagte mit Schreiben vom 02.07.2007 zunächst ab. Nach Beteiligung des LWL und Überprüfung des Betreuungssettings vor Ort durch dessen Mitarbeiter erklärte sich der Beklagte mit Schreiben vom 16.01.2008 gegenüber der Beigeladenen sodann doch zur Übernahme eines vergütungstäglichen Zuschlages in Höhe von 26,11 EUR für Q sowie in Höhe von 23,05 EUR für P zur Abgeltung der zusätzlichen Personalkosten für die Nachtwachen für die Zeit vom 01.06.2006 bis zum 31.05.2008 bereit.
Mit Urteil vom 18.04.2008 lehnte das Amtsgericht N den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Unterbringung der Kläger in einem psychiatrischen Krankenhaus gem. § 63 StGB ab, da eine Wiederholung der Tat nach Einschätzung des vom Gericht beauftragten Sachverständigen Dr. G möglich, aber eher unwahrscheinlich und die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus unverhältnismäßig sei. Eine intensive und umfassende Betreuung, wie sie den Klägern seit der Tat zuteil werde, sei ausreichend.
Der Beklagte verlängerte mit Schreiben vom 26.05. und 10.12.2008 die Zusage zu den Kosten der Unterbringung und Betreuung einschließlich der Zusatzkosten für die Nachtwachen zunächst bis zum 31.12.2008 und sodann nochmals bis zum 31.03.2009. Die Beigeladene stellte in Sozial- und Verlaufsberichten aus August 2008 fest, dass die Kläger weiterhin zum Schutz der Mitbewohner einer ständigen Kontrolle bedürften, da sie sich andernfalls grenzüberschreitend verhielten. So nutze der Kläger zu 1) unbeobachtete Momente weiterhin, um in fremde Zimmer zu gehen. Der Kläger zu 2) überprüfe, ob er noch kontrolliert werde.
Mit an die Mutter der Kläger adressierten Bescheiden vom 21.01.2009 bewilligte der Beklagte die weitere Kostenübernahme für eine Unterbringung der Kläger in den Einrichtungen der Beigeladenen für den Zeitraum vom 01.04.2009 bis zum 31.03.2011. Hinsichtlich der Zusatzkosten verwies der Beklagte auf den Bescheiden in Kopie beigefügte Schreiben an die Beigeladene, in welchen er die Übernahme der Kosten für die Sitzwachen ablehnte: Trotz der bereits über 2 ½ – jährigen Sitzwache habe eine ausreichende Absprachefähigkeit der Kläger nicht erreicht werden können. Die weitere Erforderlichkeit von Sicherungsmaßnahmen solle die Betreuerin beim Vormundschaftsgericht klären lassen.
Die Kläger legten gegen diese Bescheide mit Schreiben vom 04.02.2009 Widerspruch ein und führten zur Begründung aus, sie hätten sich seit der Gewalttat sehr wohl positiv entwickelt. Der mit einem Abbruch der Sitzwachen verbundene Umfeldwechsel werde sämtliche bisherigen Therapieanstrengungen zunichte machen. Ein Einschließen der Kläger stellte einen deutlich gravierenderen Grundrechtseingriff dar und sei in Hinblick auf den Erfolg der bisherigen Überwachung unverhältnismäßig. Die Kostenfrage rechtfertige einen gesteigerten Grundrechtseingriff nicht. Der Beklagte wies die Widersprüche der Kläger mit Widerspruchsbescheiden vom 12.03.2009, den Klägerbevollmächtigten zugestellt am 17.03.2009, zurück: Die nächtlichen Sitzwachen vor den Zimmertüren der Kläger stellten auf Dauer keine Maßnahme der Eingliederungshilfe dar. Es handele sich vielmehr um eine Sicherungsmaßnahme zum Schutz der anderen Heimbewohner. Es sei allen Beteiligten bewusst gewesen, dass der Beklagte die Kosten hierfür nur übergangsweise bis zur Beendigung des strafgerichtlichen Verfahrens übernommen habe.
Die Kläger haben hiergegen am 16.04.2009 Klage zum Sozialgericht Münster erhoben. Auf die parallel zum Verfahren in der Hauptsache von den Klägern gestellten Anträge auf Erlass einstweiliger Anordnungen hat das Sozialgericht den Beklagten mit Beschlüssen vom 27.04.2009 (Az. S 12 SO 36/09 ER), 24.07.2009 (Az. S 12 SO 90/09 ER) und 29.12.2009 (Az. S 12 SO 145/09 ER) vorläufig verpflichtet, die Kosten der nächtlichen Sitzwachen in der Zeit vom 01.04.2009 bis zum 28.02.2010 zu übernehmen.
Die Kläger haben die Auffassung vertreten, dass die nächtlichen Sitzwachen eine Maßnahme der Eingliederungshilfe darstellten. Der von ihm vorgelegten Stellungnahme der Diplom-Pädagogin Völkel-Recht vom 14.06.2009 zum bisherigen Betreuungsverlauf lasse sich entnehmen, dass sich bei beiden eine positive Entwicklung zeige. Es sei ein Lernprozess über viele Jahre erforderlich.
Die Kläger haben beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung der Bescheide vom 21.01.2009 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 12.03.2009 zu verurteilen, ihm Rahmen der Gewährung von Sozialhilfe in Gestalt der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen ab dem 01.04.2009 die Kosten der nächtlichen Sitzwachen, die in der Wohnstätte "Haus H" in N zu Gunsten des Klägers zu 1) und in der Wohnstätte "H1" in N zu Gunsten des Klägers zu 2) abgehalten werden, zu übernehmen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Nachtwachen dienten der Gefahrenabwehr für Dritte und dies sei keine Aufgabe der Eingliederungshilfe.
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt und ausgeführt, in 2009 hätten die Nachtwachen in fünf Fällen bzw. in acht Fällen dafür sorgen müssen, dass der Kläger zu 2) bzw. der Kläger zu 1) ihre Zimmer nicht unbeaufsichtigt verließen.
Das Sozialgericht Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens von dem psychologischen Psychotherapeuten C eingeholt. Dieser hat in seinem schriftlichen Gutachten vom 04.01.2010 nach Gesprächen mit beiden Klägern, der Mutter der Kläger sowie mehreren Personen aus dem (täglichen) Umfeld der Kläger unter anderem ausgeführt, dass bei den Klägern vorhandene allereinfachste Niveau moralisch-ethischen Empfindens werde zur Verhaltenssteuerung nicht ausreichen, um die Persönlichkeitsrechte anderer hinreichend zu schützen, wenn sich für die Kläger eine Gelegenheit zu sexueller Betätigung ergebe. Der bisher von den Einrichtungen, in welchen die Kläger lebten, verfolgte Ansatz werde auf Dauer im Bereich des sexuellen Verhaltens nicht mit Erfolg fortsetzbar sein. Empfohlen werde bei beiden eine sexualtherapeutische Intervention. Die Prognose werde jedoch längerfristig für erfolgversprechend gehalten, da zahlreiche prosoziale Verhaltensweisen und Entwicklungen zu verzeichnen seien. Eine nächtliche Sitzwache sei für beide Kläger auch über den 31.03.2010 hinaus erforderlich. Die Notwendigkeit ergebe sich daraus, dass Gefahren für Dritte abzuwehren seien. Andere Gründe für eine Sitzwache seien nicht erkennbar. Vom Zeitpunkt der Gutachtenerstellung an gerechnet sei es erforderlich, die Sitzwache um fünf Jahre zu verlängern. Durch ein Einschließen würde der erzieherische Zugang zu den Klägern erheblich erschwert, wenn nicht vollständig in Frage gestellt werden. Auf längere Sicht sei es jedoch erforderlich, die Kläger zu befähigen, ethische Maßstäbe einzusehen und danach zu handeln. Dies sei aus psychologischer Sicht grundsätzlich auch möglich. Im Übrigen wird auf das Gutachten (Bl. 87 ff. der Prozessakten) Bezug genommen.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 10.09.2010 abgewiesen: Die Nachtwachen dienten allein der Gefahrenabwehr. Dies sei jedoch keine Aufgabe der Eingliederungshilfe. Soweit die Nachtwachen einen erzieherischen Aspekt hätten, trete dieser ersichtlich in den Hintergrund.
Die Kläger und die Beigeladene haben gegen das ihren Bevollmächtigten am 14.10.2010 bzw. 13.10.2010 zugestellte Urteil am 09.11.2010 bzw. am 12.11.2010 Berufung eingelegt. Der Kläger zu 2) ist am 17.10.2010 und der Kläger zu 1) am 08.12.2010 aus der jeweiligen Wohnstätte des Beigeladenen ausgezogen.
Die Kläger sind der Auffassung, dass ihre Betreuung und Versorgung aufgrund einer ganzheitlichen Maßnahme erfolgte. Eine Aufteilung in zwei selbständige Teile in Form von Eingliederungshilfe und Sicherung sei nicht möglich. Die Nachtwachen hätten ihrer Reintegration gedient. Sie hätten hierdurch lernen sollen, dass man nachts sein Zimmer nicht beliebig verlassen dürfe. Das Sozialgericht habe in seinem Urteil nicht berücksichtigt, dass nicht die Sicherung, sondern die Eingliederungshilfe im Vordergrund stehe. Die Kläger hätten einen Anspruch auf kontinuierliche Hilfeleistung und Teilhabe. Eine Beeinträchtigung von Freiheitsrechten sei danach möglichst zu vermeiden.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 10.09.2010 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, die Kosten für nächtliche Sitzwachen für den Kläger zu 1) in der Zeit vom 01.04.2009 bis zum 07.12.2010 sowie die Kosten für nächtliche Sitzwachen für den Kläger zu 2) in der Zeit vom 01.04.2009 bis zum 16.10.2010 dem Grunde nach zu übernehmen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte vertritt die Auffassung, dass jede einzelne Maßnahme, auch wenn sie zu einem Gesamtpaket von Eingliederungsmaßnahmen gehöre, für sich genommen überwiegend Teilhabegesichtspunkten dienen müsse. Er habe die Übernahme der Kosten für die Nachtwachen auch nicht zu einem beliebigen Zeitpunkt eingestellt, sondern als deutlich geworden sei, dass weder das Strafverfahren noch das vom Amtsgericht eingeholte Gutachten Klarheit über die Geeignetheit und Notwendigkeit der einzelnen Maßnahmen geschafft habe.
Die Beigeladene hat ihre Berufung in der mündlichen Verhandlung vom 20.12.2012 zurückgenommen und stellt keinen Antrag. Sie ist der Ansicht, dass sich die von ihr vorgehaltenen Leistungen nicht in selbständige Teile aufspalten ließen. Auch seien die Nachtwachen im Rahmen des Leistungstyps 10 Hilfebedarfsgruppe 3 nicht zu finanzieren. Schließlich habe der Sachverständige C im Gespräch mit Mitarbeitern der Beigeladenen selbst die Auffassung vertreten, dass die Nachtwachen eine integrative Komponente gehabt hätten.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die die Kläger betreffenden Verwaltungsakten des Beklagten und Aktenauszüge (in Kopie) der Akten der Staatsanwaltschaft N/ des Amtsgerichts N (Az.: 19b Ls 63 Js 2925/06), die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Kläger ist begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gem. § 54 Abs. 1 Satz 1 Fall 1, Abs. 4, § 56 SGG statthafte Klage ist begründet.
1. Den Klägern steht gegen den Beklagten ein Anspruch auf Übernahme der durch die Einrichtung von Nachtwachen entstandenen Kosten auch für die Zeit seit dem 01.04.2009 dem Grunde nach zu. Ein solcher Anspruch der Kläger folgt aus den §§ 19 Abs. 3, 53, 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII, 55 Abs. 2 Nr. 6 SGB IX.
a) Der Beklagte ist für Leistungen der Eingliederungshilfe an die Kläger gem. §§ 53 ff. SGB XII örtlich und sachlich zuständig. Die örtliche Zuständigkeit folgt aus § 98 Abs. 2 Sätze 1 und 2 SGB XII. Danach ist für stationäre Leistungen der Träger örtlich zuständig, in dessen Bereich die Leistungsberechtigten ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt der Aufnahme haben oder in den zwei Monaten vor der Aufnahme zuletzt gehabt hatten. Waren bei Einsetzen der Sozialhilfe die Leistungsberechtigten aus einer Einrichtung im Sinne des Satzes 1 in eine andere Einrichtung oder von dort in weitere Einrichtungen übergetreten oder tritt nach dem Einsetzen der Leistung ein solcher Fall ein, so ist der gewöhnliche Aufenthalt der für die erste Einrichtung maßgebend war, entscheidend. Die Kläger hatten vor erstmaliger Aufnahme in eine stationäre Einrichtung im Jahr 1990 – der M-schule in I – ihren Wohnsitz in S im Gebiet des Beklagten. Von dort kamen die Kläger 2002 in das westfälische Schulinternat N und 2005 in die Einrichtungen der Beigeladenen. Da sich die Kläger somit seit 1990 ohne relevante Unterbrechung in stationären Einrichtungen aufgehalten haben, ist der Beklagte örtlich zuständig geblieben. Die sachliche Zuständigkeit des Beklagten als örtlicher Träger der Sozialhilfe ergibt sich aus § 97 Absätze 1 und 2 SGB XII in Verbindung mit § 1 des Gesetzes zur Ausführung des SGB XII in Baden-Württemberg vom 01.07.2004 (GBl. 2004, 469, 534 und § 8 SGB XII.
b) Gem. § 19 Abs. 3 SGB XII wird Eingliederungshilfe nach dem Sechsten Kapitel nur geleistet, soweit den Leistungsberechtigten, ihren nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern und, wenn sie minderjährig und unverheiratet sind, auch ihren Eltern oder einem Elternteil die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach dem Elften Kapitel nicht zuzumuten ist. Die Kläger verfügten im hier streitigen Zeitraum über Einkommen aus nichtselbständiger Tätigkeit in den Behindertenwerkstätten der Beigeladenen. Hinsichtlich der Anrechnung des Erwerbseinkommens ist § 88 Abs. 2 SGB XII (in der vom 07.12.2006 bis zum 31.12.2010 geltenden Fassung = a.F.) zu berücksichtigen. Danach wird bei einer stationären Leistung in einer stationären Einrichtung von dem Einkommen, das der Leistungsberechtigte aus einer entgeltlichen Beschäftigung erzielt, die Aufbringung der Mittel in Höhe von einem Achtel des Eckregelsatzes zuzüglich 25 vom Hundert des diesen Betrag übersteigenden Einkommens aus der Beschäftigung nicht verlangt. § 82 Abs. 3 SGB XII ist nicht anzuwenden. Die Beigeladene hat den Eigenanteil der Kläger unmittelbar von deren Arbeitsentgelt aus der Tätigkeit in den Behindertenwerkstätten einbehalten, so dass die Kläger über kein anrechenbares Erwerbseinkommen verfügten. Darüber hinaus erhielten die Kläger nach landesrechtlichen Bestimmungen Gehörlosenbeihilfe in Höhe von monatlich jeweils 77,- EUR. Diese ist jedoch als zweckbestimmte Einnahme gem. § 83 Abs. 1 SGB XII nicht als Einkommen zu berücksichtigen (Schmidt in jurisPK-SGB XII, 1. Auflage 2010, § 83 Rn 14; ebenso zum Blindengeld BSG, Urteil vom 11.12.2007, Az. B 8/9b SO 20/06 R). Über Vermögen verfügten die Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum ebenfalls nicht.
c) Nach § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII erhalten Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach den Besonderheiten des Einzelfalles, insbesondere nach Art und Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Leistungen der Eingliederungshilfe sind gem. §§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII, 55 Abs. 2 Nr. 6 und 7 SGB IX insbesondere Hilfen zu selbstbestimmtem Leben in betreuten Wohnmöglichkeiten sowie Hilfen zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben.
Es bedarf vorliegend keiner Festlegung zu der Frage, ob die streitgegenständlichen Nachtwachen selbst unmittelbar einem pädagogischen Zweck und somit der Eingliederung der Kläger in die Gesellschaft dienten, oder ob es sich insoweit ausschließlich oder ganz überwiegend um eine Sicherungsmaßnahme zugunsten der Mitbewohner(innen) der Kläger handelte. Denn die Nachtwachen und die mit ihnen verbundenen Kosten können nicht isoliert von dem therapeutischen Gesamtzusammenhang gesehen werden, in dem sie stehen. Bei der Unterbringung der Kläger und ihrer umfassenden Betreuung in den verschiedenen Wohnstätten der Beigeladenen handelt es sich um eine von dem Beklagten im Rahmen der Eingliederungshilfe zu tragende Eingliederungsmaßnahme. Ohne die Nachtwachen jedoch wäre das gesamte Betreuungssetting nicht durchführbar gewesen, die Eingliederungsmaßnahme als Ganze hätte abgebrochen werden müssen. Der Sachverständige C hat in seinem Gutachten bestätigt, dass die Sitzwachen über den 31.03.2010 (gemeint war wohl 2009) hinaus erforderlich seien, um Gefahren für Mitbewohner zu vermeiden. Da die Nachtwachen somit in einem untrennbaren funktionalen Zusammenhang zur Gesamtmaßnahme stehen, sind sie auch hinsichtlich der Kosten in einer Einheit mit dieser zu sehen. Wollte man dies anders bewerten, so wäre der Träger der Eingliederungshilfe stets nur zur Übernahme jener Einzelschritte verpflichtet, die einen unmittelbaren Integrationsbezug haben, nicht aber jener Maßnahmeteile, die selbst nur vorbereitenden Charakter haben, ohne welche die Gesamtmaßnahme jedoch nicht denkbar wäre. Ein solches Ergebnis wäre weder praxisgerecht noch würde es der am Integrationsziel orientierten gesetzlichen Konzeption der §§ 53 ff. SGB XII entsprechen. Das Bundessozialgericht hat die Bedeutung des funktionalen Zusammenhanges im Rahmen der §§ 53 ff. SGB XII bereits in seinem Urteil vom 09.12.2008, Az. B 8/9b SO 10/07 R (u.a. Rn. 18), hervorgehoben. Danach sind auch die Kosten des in einer Behindertenwerkstatt eingenommenen Mittagessens vom Träger der Eingliederungshilfe zu übernehmen, da dieses in einem funktionalen Zusammenhang mit der in der Einrichtung gewährten Eingliederungshilfe stehe und deshalb integraler Bestandteil der eigentlichen Aufgabenerfüllung sei. Erforderlich sei eine ganzheitliche Betrachtung. Selbst wenn man der Auffassung folgt, dass das im Urteil des Bundessozialgerichts streitgegenständliche Mittagessen in noch engerem Zusammenhang zur Gesamtleistung steht als die hier im Streit stehenden Nachtwachen, so ändert dies an der Erforderlichkeit einer Gesamtbetrachtung nichts. Denn auch die Nachtwachen sind jedenfalls im vorliegend zu entscheidenden Fall integrale Bestandteile der Aufgabenerfüllung insgesamt.
Die Nachtwachen sind zudem als Teil des Gesamtsettings geeignet, das Integrationsziel zu erfüllen. Da es sich insoweit um eine prognostische Entscheidung handelt, ist der Beginn des jeweiligen Bewilligungszeitraumes maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt. Auf die spätere Entwicklung, insbesondere auf die Gründe für das spätere Ausscheiden der Kläger aus den jeweiligen Wohnstätten kommt es nicht an. Die Nachtwachen waren aus der ex-ante-Perspektive als Teil der Gesamtmaßnahme geeignet, die Kläger näher an ein Leben in der Gesellschaft heranzuführen. Der Sachverständige C hat in seinem Gutachten überzeugend ausgeführt, die Prognose werde auf lange Sicht für erfolgversprechend gehalten, da zahlreiche prosoziale Verhaltensweisen und Entwicklungen zu verzeichnen seien. Er hat auch deutlich gemacht, dass bei den Klägern insoweit in längeren Zeiträumen gedacht werden muss. Der Bewertung der Nachtwachen als im Gesamtkonzept geeignet stehen die weiteren Ausführungen des Sachverständigen C nicht entgegen, wonach der bisher von den Einrichtungen verfolge Ansatz auf Dauer im Bereich des sexuellen Verhaltens allein nicht zum Erfolg führen und eine sexualtherapeutische Intervention notwendig sein werde. Eine solche sexualtherapeutische Intervention stellt eine Ergänzung und kein aliud zu dem im streitgegenständlichen Zeitraum verfolgten Ansatz dar und stellt die Sinnhaftigkeit des Unterbringungskonzepts somit nicht in Frage.
Die Nachtwachen sind zur Aufrechterhaltung des gesamten Unterbringungskonzeptes auch erforderlich. Insbesondere gibt es kein kostengünstigeres und gleich geeignetes Mittel zur Sicherung des Unterbringungskonzeptes. Ein solches kann insbesondere nicht in einem nächtlichen Einschließen der Kläger gesehen werden. Es kann dahinstehen, in welchem Umfang bei der Wahl zwischen verschiedenen Maßnahmeschritten die Grundrechte des betroffenen Hilfeempfängers Berücksichtigung finden müssen. Denn der Sachverständige C hat für den Senat nachvollziehbar und überzeugend unter Würdigung seiner umfassenden Analyse der von ihm geführten Gespräche, insbesondere mit den Klägern und Mitarbeiterinnen der Beigeladenen, die Auffassung der Beigeladenen bestätigt, dass bei einem Einschließen der Kläger der erzieherische Zugang zu diesen erheblich erschwert, wenn nicht vollständig in Frage gestellt werden würde. Schon deshalb ist das ggfls. kostengünstigere Einschließen nicht in gleicher Weise geeignet.
d) Dem Anspruch der Kläger auf Übernahme der durch die Nachtwachen entstehenden Kosten kann überdies nicht entgegengehalten werden, dass die Kläger ihrerseits zivilrechtlich gegenüber der Beigeladenen nicht zu einer entsprechenden Kostenübernahme verpflichtet wären. Zwar entspricht es der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, dass ein Anspruch des Heimbewohners gegen den Sozialhilfeträger auf Übernahme der Heimkosten voraussetzt, dass er seinerseits gegenüber dem Heimträger aus dem mit diesem geschlossenen Vertrag zur Übernahme entsprechender Heimkosten verpflichtet ist (BSG, Urteil vom 02.02.2010, Az. B 8 SO 20/08 R, Rn. 12; Urteil vom 02.02.2012, Az. B 8 SO 5/10 R, Rn. 14). Dies ergibt sich unmittelbar aus der Bedarfsbezogenheit der Sozialhilfe.
Der Heimträger kann eine höhere Vergütung für die zusätzlich erbrachte Leistung nur verlangen, wenn diese Erhöhung dem in einer Vereinbarung gem. §§ 75 Abs. 3, 77 SGB XII zwischen Heimträger und dem für den Sitz der Einrichtung zuständigen Träger der Sozialhilfe festgelegten Entgelt entspricht. Dies folgt für die Zeit ab dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Regelung von Verträgen über Wohnraum mit Pflege- oder Betreuungsleistungen (WBVG) vom 29.07.2009 (BGBl. I 2319) am 01.10.2009 aus §§ 7 Abs. 2, 9 Abs. 1, 15 WBVG. Das für die Zeit bis 30.9.2009 maßgebende Heimgesetz kannte zwar keine dem WBVG völlig entsprechende Regelung zur unmittelbaren Geltung der in den "Leistungserbringungsverträgen" geregelten Vergütungshöhe; eine dem WBVG vergleichbare Schutzwirkung muss aber, soweit sich eine Koppelung mit den "Leistungserbringungsverträgen" nicht bereits aus § 7 Abs. 4 und 5 HeimG ergibt, § 32 SGB I entnommen werden, und zwar entweder durch Übernahme der gesetzlichen Wertung oder wegen des Charakters der Verträge nach §§ 75 ff. SGB XII als Normverträge (so BSG, Urteil vom 02.02.2012, Az. B 8 SO 5/10 R, Rn. 15, zur vergleichbaren Vereinbarung mit den Pflegekassen gem. § 75 Abs. 5 SGB XII).
Die Beigeladene ist jedoch auch unter Berücksichtigung der von ihr mit dem LWL abgeschlossenen Vergütungsvereinbarung berechtigt, gegenüber den Klägern zusätzliche Kosten für die Einrichtung der Nachtwachen zu verlangen. Nach § 1 Abs. 2 der Vergütungsvereinbarung besteht die (tägliche) Vergütung "mindestens" aus der Grundpauschale, dem Investitionsbetrag und der Maßnahmepauschale. Die Grundpauschale beläuft sich im maßgeblichen Zeitraum gem. § 2 der Vereinbarung auf 13,37 EUR und die Investitionspauschale auf 6,07 EUR. Die Maßnahmepauschale beträgt in Leistungstyp 10 und der höchsten Hilfebedarfsgruppe 3 98,99 EUR. Wegen gesondert abrechenbarer Aufwendungen verweist § 5 der Vergütungsvereinbarung auf § 16 des Landesrahmenvertrages gem. § 79 Abs. 1 SGB XII für Nordrhein-Westfalen. Dieser benennt exemplarisch Aufwendungen, die gesondert abgerechnet werden können, soweit sie nicht als Bestandteil des jeweiligen Leistungstyps in die Maßnahmepauschale einzubeziehen sind. Zwar zählen Aufwendungen der Überwachung des Hilfebedürftigen wegen Gefährdung Dritter nicht zur Aufzählung gesondert abrechenbarer Aufwendungen gem. § 16 Abs. 1 des Rahmenvertrages. Dies ist jedoch unschädlich, da es sich insoweit um eine nicht abschließende Aufzählung handelt (" kommen für Leistungsbezieher u.a. in Betracht "). Auch sind die Kosten für umfangreiche Überwachungsmaßnahmen nicht bereits als Bestandteil des Leistungstyps 10 in die Maßnahmepauschale einbezogen. Der Leistungstyp 10 wird in der Anlage zu § 11 des Rahmenvertrages als "Wohnangebote für Erwachsene mit geistiger Behinderung und hohem sozialem Integrationsbedarf" definiert und hinsichtlich der Zielgruppe, der Maßnahmeziele, der Art und des Umfangs der Leistungen sowie der Qualitätsmerkmale eingehend beschrieben. Überwachungstätigkeiten, insbesondere zur Nachtzeit und über mehrere Stunden, sind danach in diesem Leistungstyp nicht vorgesehen und können somit grundsätzlich zusätzlich vergütet werden. Es ist darüber hinaus vorliegend in Hinblick auf den Umfang der Überwachungsmaßnahmen und der hieraus folgenden Kosten ein billiges Interesse der Beigeladenen an einer gesonderten Abrechnung dieser von der Maßnahmepauschale nicht erfassten Aufwendungen anzuerkennen. Dies gilt zumal deshalb, weil weder der Beklagte noch der von dieser im Verwaltungsverfahren eingeschaltete LWL Einwendungen gegen die gesonderte Abrechenbarkeit als solche erhoben haben.
e) Ungeachtet der Frage, unter welchen Voraussetzungen der in § 2 Abs. 1 SGB XII verankerte Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe praktische Auswirkungen zeitigt (vgl. hierzu Coseriu, jurisPK zum SGB XII, Stand 09.10.2012, § 2 Rn 11 ff.), kommt schließlich eine Kostenübernahme durch öffentliche Träger außerhalb der Sozialhilfe – etwa im Rahmen der Gefahrenabwehr – schon deshalb nicht in Betracht, weil die Unterbringung und Sicherung der Kläger weder behördlich noch gerichtlich angeordnet worden ist. Ein anderweitiger Kostenträger ist demnach nicht ersichtlich. Auch der Beklagte hat die Kläger zu keiner Zeit auf konkrete alternative Ansprüche, bei dessen es sich zudem um bereite Mittel handeln müsste, verwiesen.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und Abs. 4 SGG.
3. Der Senat lässt die Revision zu gem. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsfrage, ob die Kosten für Sicherungsmaßnahmen als Teil der Eingliederungshilfe vom Sozialhilfeträger zu übernehmen sind, wenn sie in einem notwendigen Zusammenhang mit den sonstigen Eingliederungsleistungen stehen.
Erstellt am: 29.10.2014
Zuletzt verändert am: 29.10.2014