Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 23.7.2012 geändert. Dem Kläger wird ab Antragstellung ratenfreie Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung von Rechtsanwalt O, N, bewilligt. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Kläger wendet sich gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe (PKH). Im Hauptsacheverfahren begehrt er höheres Arbeitslosengeld II unter Berücksichtigung eines höheren Regelbedarfs für die Zeit vom 1.1.2011 bis zum 5.1.2012.
Der Beklagte bewilligte dem am 00.00.1987 geborenen Kläger für die Zeit vom 1.1.2011 bis zum 5.1.2012 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Vom 1.1.2011 bis zum 24.8.2011 berücksichtigte er bei Festsetzung der Leistungshöhe für den bis zu diesem Zeitpunkt alleinstehenden Kläger einen Regelbedarf i.H.v. 364.- EUR monatlich. Ab dem 25.8.2011 lebte der Kläger mit seiner Lebensgefährtin N (geb. am 00.00.1990) in einer Bedarfsgemeinschaft. Ab diesem Zeitpunkt berücksichtigte der Beklagte für den Kläger einen Regelbedarf i.H.v. 328.- EUR. Ab dem 1.1.2012 legte der Beklagte der Leistungsberechnung einen Regelbedarf i.H.v. 337.- EUR (Bekanntmachung über die Höhe der Regelbedarfe nach § 20 Abs. 5 SGB II für die Zeit ab 1.1.2012 vom 20.10.2011; BGBl. I, 2093) zugrunde (Bescheide vom 18.10.2010, 26.3.2011, 18.4.2011, 30.8.2011, 18.10.2011 und 26.11.2011). Neben dem Regelbedarf bewilligte der Beklagte Kosten der Unterkunft und Heizung. Die Bewilligungsbescheide wurden jeweils bestandskräftig.
Unter dem 5.1.2012 (bei dem Beklagten eingegangen am 12.1.2012) beantragte der Kläger – gestützt auf § 44 SGB X – eine Überprüfung der Leistungshöhe "für die Zeit ab 1.1.2011 bis heute". Die Regelsätze seien falsch.
Mit Bescheid vom 10.1.2012 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Den nicht näher begründeten Widerspruch wies der Beklagte mit Bescheid vom 13.4.2012 zurück.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die am 23.4.2012 erhobene Klage, für die der Kläger PKH unter Beiordnung von Rechtsanwalt O beantragt hat. Er meint – u.a. unter Bezugnahme auf den Beschluss des SG Berlin vom 25.4.2012 (S 55 AS 9238/12) – der Regelbedarf für alleinstehende Leistungsberechtigte sei verfassungswidrig zu niedrig festgesetzt.
Mit Beschluss vom 23.7.2012 hat das Sozialgericht den Antrag auf Bewilligung von PKH unter Beiordnung von Rechtsanwalt O abgelehnt. Eine Aussetzung des Verfahrens nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG und Einholung einer Entscheidung des BVerfG komme nicht in Betracht, da die Festsetzung des Regelbedarfs nicht verfassungswidrig sei.
Gegen diese am 28.7.2012 zugestellte Entscheidung richtet sich die am 2.8.2012 eingelegte Beschwerde.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Das Sozialgericht hat die Bewilligung von PKH zu Unrecht abgelehnt. Der Kläger hat einen Anspruch auf PKH und Beiordnung eines Rechtsanwalts.
PKH ist gem. §§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG, 114 ZPO zu bewilligen, wenn – wie hier – die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen vorliegen und die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht, wenn eine Rechtsfrage aufgeworfen wird, die in der Rechtsprechung noch nicht geklärt, aber klärungsbedürftig ist (BVerfG vom 14.6.2006 – 2 BvR 626/06 u.a.; Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl., § 73a RdNr. 7b; ständige Rechtsprechung des Senats, vergl. nur Beschluss vom 26.10.2012 – L 6 AS 1837/11 B). Bei Vorliegen einer dem Rechtsschutzbegehren entgegenstehenden höchstrichterlichen Rechtsprechung ist PKH-Bewilligung nicht ausgeschlossen, wenn schlüssig dargelegt werden kann, dass diese Rechtsprechung nicht zutreffend oder im speziellen Fall nicht anwendbar sei (Breitkreuz, in: Breitkreuz/Fichte, SGG, § 73a RdNr. 11). Macht der Kläger nicht geltend, dass der Beklagte eine entscheidungserhebliche gesetzliche Regelung falsch angewendet habe, sondern dass das Gesetz verfassungswidrig sei, sind Erfolgsaussichten gegeben, wenn die Möglichkeit, dass das Gericht das Gesetz für verfassungswidrig hält und das Verfahren gem. Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG aussetzt, nicht fernliegend ist (in diesem Sinne auch LSG Bayern, Beschlüsse vom 22.8.2012 – L 11 AS 549/12, L 11 AS 550/12, L 11 AS 551/12).
Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe ist die Bewilligung von PKH geboten. Die Klage hatte zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife des PKH-Antrags noch hinreichende Erfolgsaussicht:
Die Erfolgsaussicht des Klageverfahrens scheitert nicht bereits an § 40 Abs. 2 Nr. 2 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 1 SGB III. Liegen die in § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsakts vor, weil er auf einer Rechtsnorm beruht, die nach Erlass des Verwaltungsakts für nichtig oder für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt oder in ständiger Rechtsprechung anders als durch den Leistungsträger ausgelegt worden ist, so ist der Verwaltungsakt hiernach, wenn er unanfechtbar geworden ist, nur mit Wirkung für die Zeit nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oder ab dem Bestehen der ständigen Rechtsprechung zurückzunehmen. Nach der Rechtsprechung des BSG gilt diese Einschränkung jedoch nicht, wenn – wie hier – das Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X schon vor dem in § 330 Abs. 1 SGB III bezeichneten Zeitpunkt in Gang gesetzt worden ist. Die Vorschrift soll nur verhindern, dass "Trittbrettfahrer" von einer Rechtsprechungsänderung profitieren (BSG, Urteil vom 8.2.2007 – B 7a AL 2/06 R, SozR 4-4300 § 330 Nr. 4).
Der Bewilligung von PKH steht für den vorliegenden Fall die Rechtsprechung des BSG zur Verfassungsmäßigkeit der Regelbedarfe für alleinstehende Leistungsberechtigte gem. §§ 19 Abs. 1 Satz 1, 20 Abs. 1 und Abs. 2 SGB II in der Fassung des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des SGB II und SGB XII (Urteile vom 12.7.2012 B 14 AS 153/11 R; B 14 AS 189/11 R) noch nicht entgegen:
Allerdings ist, jedenfalls nachdem das BVerfG die im Verfahren B 14 AS 153/11 R erhobene Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen hat (BVerfG, Beschluss vom 20.11.2012 – 1 BvR 2203/12 u.a.), die entscheidungserhebliche Rechtsfrage höchstrichterlich geklärt (ebenso LSG Niedersachsen, Beschluss vom 18.10.2012 – L 11 AS 1165/11 B). Hieran ändert der Vorlagebeschluss des SG Berlin vom 25.4.2012 (S 55 AS 29249/12, ZFSH/SGB 2012, 345) nichts (ebenso LSG Bayern, Beschlüsse vom 22.8.2012 – L 11 AS 549/12; L 11 AS 550/12; L 11 AS 551/12). Das BSG hat sich mit diesem Vorlagebeschluss ausdrücklich auseinandergesetzt (BSG, Urteil vom 12.7.2012 – B 14 AS 153/11 R, Juris RdNr. 58) und auch angesichts der Überlegungen des SG Berlin keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Höhe des Regelbedarfs im Sinne einer im Rahmen des Art. 100 GG vorausgesetzten Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit. Auch der Umstand, dass der Kläger seit dem 25.8.2011 mit seiner Lebensgefährtin in einer Bedarfsgemeinschaft lebt und der Beklagte ab diesem Zeitpunkt gem. § 20 Abs. 4 SGB II nur noch einen Regelbedarf von 328.- EUR bzw. (ab 1.1.2012) 337.- EUR (jeweils geringfügig mehr als 90% des Regelbedarfs für Alleinstehende) berücksichtigt hat, begründet Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der getroffenen Regelung nicht. Die durch § 20 Abs. 4 SGB II angeordnete Absenkung des Regelbedarfs beruht auf der Annahme, dass der zur Sicherung des Existenzminimums zu deckende Bedarf für zwei Partner insgesamt 180% des entsprechenden Bedarfs eines Alleinstehenden beträgt. Diese Überlegung ist vom BVerfG ausdrücklich gebilligt worden (BVerfG, Urteil vom 9.2.2010 – 1 BvL 1/09 u.a., Juris RdNr. 189, SozR 4-4200 § 20 Nr. 2 = BVerfGE 125, 175).
Ungeachtet dessen war der Beschwerde stattzugeben. Der PKH-Antrag war spätestens mit Vorlage der Verwaltungsakte des Beklagten am 2.7.2012 entscheidungsreif. Zu diesem Zeitpunkt waren die Urteile des BSG vom 12.7.2012 noch nicht ergangen. Erst nach Kenntnis der schriftlichen Urteilsgründe steht fest, dass eine dem Rechtsschutzbegehren entgegenstehende höchstrichterliche Rechtsprechung existiert, gegen die nicht schlüssig dargelegt worden ist, dass diese Rechtsprechung nicht zutreffend oder im speziellen Fall nicht anwendbar sei (zur Bewilligung von PKH bei Einwendungen gegen die Höhe der Regelleistung vor Veröffentlichung der schriftlichen Begründung der Urteile des BSG vom 12.7.2012 vergl. auch Beschlüsse des Senats vom 26.10.2012 – L 6 AS 1837/11 B und vom 28.9.2012 – L 6 AS 1895/11 B).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG, 127 Abs. 4 ZPO.
Die Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Erstellt am: 04.04.2013
Zuletzt verändert am: 04.04.2013