1) Auf die Beschwerden der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 23.01.2013 geändert: a) Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern für die Zeit vom 01.06.2013 bis zum 31.10.2013 Regelleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach Maßgabe der Bestimmungen des SGB II zu bewilligen. Im Übrigen wird die Beschwerde gegen die Ablehnung des Eilantrags zurückgewiesen. b) Den Antragstellern wird für das Eilverfahren vor dem Sozialgericht Gelsenkirchen Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt T, Gelsenkirchen, beigeordnet. 2) Den Antragstellern wird für das Beschwerdeverfahren gegen die Ablehnung der einstweiligen Anordnung Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt T, Gelsenkirchen, beigeordnet. 3) Der Antragsgegner hat ¾ der Kosten der Antragsteller in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Gründe:
I.
Die am 00.00.1993 geborene Antragstellerin und Beschwerdeführerin zu 1) ist die Mutter des am 00.00.2011 geborenen Antragstellers und Beschwerdeführers zu 2). Die Antragsteller sind rumänische Staatsangehörige. Die Antragstellerin zu 1) ist mit ihren Eltern im September 2009 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Sie ist im Besitz einer am 10.10.2011 ausgestellten Bescheinigung gem. § 5 FreizügG/EU. Hiernach benötigt sie zur Aufnahme einer unselbständigen arbeitsgenehmigungspflichtigen Erwerbstätigkeit einer Arbeitserlaubnis oder Arbeitsberechtigung-EU. Die Antragsteller leben mit den Eltern der Antragstellerin zu 1) in einem gemeinsamen Haushalt. Die Antragstellerin zu 1) und ihre Eltern mieteten die gemeinsame Wohnung ab 01.11.2012 an, der Mietzins zuzüglich Betriebskosten beträgt 524,30 EUR.
Mit Beschluss vom 28.06.2011 (L 19 AS 317/11 B ER) wies der 19. Senat des LSG Nordrhein-Westfalen eine Beschwerde der Antragstellerin zu 1) und ihrer Eltern gegen einen Beschluss des SG Gelsenkirchen vom 07.02.2011 (S 31 AS 2678/10 ER) zurück. Mit diesem Beschluss hatte das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Gewährung von Arbeitslosengeld II abgelehnt. Mit (rechtskräftigem) Urteil vom 24.09.2012 (S 10 AS 417/11) wies das SG Gelsenkirchen eine Klage der Eltern und der Antragstellerin zu 1) auf Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 03.11.2010 bis zum 31.05.2011 ab.
Am 12.12.2012 beantragten die Antragsteller Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (einschließlich Unterkunftskosten KdU iHv jeweils 131,01 EUR). Sie gaben an, mit Ausnahme des für den Antragsteller zu 2) gezahlten Kindergeldes iHv 184 EUR monatlich über keinerlei Einkünfte zu verfügen und auch keinerlei Unterstützung durch Verwandte oder Bekannte zu erhalten. Bislang habe die Familie sich durch den Verkauf der Obdachlosenzeitung "fifty-fifty" und das Kindergeld "über Wasser gehalten". Die erste Monatsmiete sei durch den in Frankreich lebenden Bruder der Antragstellerin zu 1) zur Verfügung gestellt worden, weitere Mietzahlungen seien jedoch nicht sichergestellt.
Mit Bescheid vom 21.01.2013 lehnte der Antragsgegner den Antrag gestützt auf § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ab. Den Antragstellern stehe kein Leistungsanspruch zu, weil sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergebe. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies der Antragsgegner mit Bescheid vom 12.03.2013 zurück, wogegen die Antragsteller am 21.03.2012 Klage erhoben haben.
Bereits am 19.12.2012 haben die Antragsteller beantragt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu bewilligen und ihren Krankenversicherungsschutz sicherzustellen. Sie seien hilfebedürftig, da sie mit Ausnahme des Kindergelds über keinerlei Einkünfte verfügten. Die Antragstellerin zu 1) bemühe sich intensiv um Arbeit. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II stehe einem Leistungsanspruch nicht entgegen, da diese Vorschrift dem europarechtlichen Diskriminierungsverbot widerspreche. Jedenfalls müsse den Antragstellern im Eilverfahren aufgrund einer Folgenabwägung ein Leistungsanspruch zugebilligt werden. Die Antragstellerin zu 1) hat hinsichtlich ihrer finanziellen Verhältnisse und ihrer Arbeitsuche eine entsprechende eidesstattliche Versicherung vorgelegt. Sie haben die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt.
Der Antragsgegner ist dem Antrag entgegen getreten. Er hat ergänzend gemeint, ein Leistungsanspruch sei aufgrund des Urteils des SG Gelsenkirchen vom 24.09.2012 ausgeschlossen.
Mit Beschluss vom 23.01.2013 hat das SG den Antrag und die Bewilligung von PKH abgelehnt, weil die Antragsteller gem. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II keinen Leistungsanspruch hätten. Europarechtliche Diskriminierungsverbote stünden der Wirksamkeit des Leistungsausschlusses nicht entgegen.
Gegen diese am 25.01.2013 zugestellte Entscheidung richten sich die am 28.01.2013 erhobenen Beschwerden der Antragsteller, für deren Durchführung die Antragsteller PKH beantragt haben. Die Antragsteller meinen, jedenfalls aufgrund einer Folgenabwägung seien ihnen im Eilverfahren Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und für die Durchführung des Eilverfahrens PKH zuzusprechen. Die europarechtliche Zulässigkeit des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II sei hoch umstritten. Der den Antragstellern entstehende Nachteil bei Nichtgewährung der begehrten existenzsichernden Leistungen überwiege den Nachteil, der dem Antragsgegner entstehe, falls sich im Hauptsacheverfahren herausstelle, dass ein Anspruch nicht besteht und gezahlte Leistungen zurückgefordert werden müssten.
Zur Hilfebedürftigkeit haben die Antragsteller unter Beifügung einer entsprechenden eidesstattlichen Versicherung der Antragstellerin zu 1) ergänzend vorgetragen, ab der Geburt des Antragstellers zu 2) sei ihnen für ein Jahr Elterngeld i.H.v 300 EUR zugeflossen. Zusammen mit dem Kindergeld hätten ihnen Einkünfte i.H.v 484 EUR zur Verfügung gestanden. Hiervon sei der Lebensunterhalt bestritten worden. Weitere Einkünfte hätten sie nicht, insbesondere stünden ihnen keine Einkünfte aus Untervermietung der Wohnung zu. Nach Beendigung der Elterngeldzahlung seien sie zur Sicherung des Lebensunterhalts gezwungen gewesen, den Antrag auf SGB II-Leistungen zu stellen.
Ein Anordnungsgrund bestehe auch hinsichtlich der KdU. Wegen der Nichtzahlung von Miete und Kaution habe der Vermieter das Mietverhältnis fristlos gekündigt und die Familie zur Räumung der Wohnung aufgefordert. Die Antragsteller haben ein entsprechendes Schreiben der Fa. C Immobilien vom 01.02.2013 vorgelegt.
Die Antragsteller beantragen,
den Beschluss des SG Gelsenkirchen vom 23.01.2013 zu ändern und den Antragsgegner zu verpflichten, ihnen ab Entscheidung des Sozialgerichts für die darauf folgenden sechs Monate vorläufig Regelbedarfe zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 20 SGB II unter Berücksichtigung des an die Antragstellerin zu 1) gezahlten Kindergeldes in Höhe von 184 EUR monatlich einschließlich der Kosten der Unterkunft iHv je 131,01 EUR zu gewähren und den Antragstellern für das erstinstanzliche Verfahren PKH unter Beiordnung von Rechtsanwalt T, Gelsenkirchen, zu bewilligen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er hält die Entscheidung des SG für zutreffend. Zudem sei die Hilfebedürftigkeit nicht glaubhaft gemacht. Die Antragstellerin zu 1) habe mehrere Jahre in Deutschland gelebt, sie müsse daher über Einkünfte verfügen. Ihren Eltern sei es möglich gewesen, eine Wohnung anzumieten und eine Kaution zu stellen. Auch dies sei ein Zeichen für fehlende Hilfebedürftigkeit. Es gebe Anhaltspunkte für eine Untervermietung der Wohnung. Jedenfalls aufgrund der Kündigung der Wohnung hätten die Antragsteller auch keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland mehr.
Der Senat hat Kontoauszüge der Mutter der Antragstellerin zu 1) beigezogen.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts im Übrigen einschließlich des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Streitakten, der Vorprozessakten LSG Nordrhein-Westfalen L 19 AS 317/11 B ER (SG Gelsenkirchen S 31 AS 2678/10 ER) sowie SG Gelsenkirchen S 10 AS 417/11 und der die Antragsteller betreffenden Verwaltungsakten des Antragsgegners.
II.
Die zulässigen Beschwerden sind teilweise begründet. Das SG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Unrecht abgelehnt, soweit die Regelleistung für die Antragsteller betroffen ist. Auch die Bewilligung von PKH wurde zu Unrecht abgelehnt. Im Übrigen ist die Beschwerde unbegründet.
Nach § 86b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt somit voraus, dass ein materieller Anspruch besteht, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird (Anordnungsanspruch) und dass der Erlass einer gerichtlichen Entscheidung besonders eilbedürftig ist (Anordnungsgrund). Eilbedürftigkeit besteht, wenn dem Betroffenen ohne die Eilentscheidung eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Rechten droht, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05 RdNr. 23 – Breithaupt 2005, 803; Beschluss vom 16.05.1995 – 1 BvR 1087/91 RdNr. 28 – BVerfGE 93, 1). Der gemäß Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) von den Gerichten zu gewährende effektive Rechtsschutz bedeutet auch Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit. Daraus folgt, dass gerichtlicher Rechtsschutz namentlich in Eilverfahren so weit wie möglich der Schaffung solcher vollendeter Tatsachen zuvorzukommen hat, die dann, wenn sich eine Maßnahme bei (endgültiger) richterlicher Prüfung als rechtswidrig erweist, nicht mehr rückgängig gemacht werden können (BVerfG, Beschluss vom 16.05.1995 – 1 BvR 1087/91 RdNr. 28 – BVerfGE 93, 1).
Der geltend gemachte (Anordnungs-)Anspruch und die Eilbedürftigkeit sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 S. 4 SGG in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 Zivilprozessordnung ZPO). Für die Glaubhaftmachung genügt es, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund überwiegend wahrscheinlich sind (vgl. BSG, Beschluss vom 08.08.2001 – B 9 V 23/01 B – SozR 3-3900 § 15 Nr. 4).
Ob ein Anordnungsanspruch vorliegt, ist in der Regel durch summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu ermitteln. Können ohne die Gewährung von Eilrechtsschutz jedoch schwere und unzumutbare Nachteile entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, ist eine abschließende Prüfung erforderlich (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05 RdNr. 23 Breithaupt 2005, 803). Liegt ein Anordnungsanspruch nicht vor, ist ein schützenswertes Recht zu verneinen und der Eilantrag abzulehnen. Hat die Hauptsache hingegen offensichtlich Aussicht auf Erfolg, ist dem Eilantrag stattzugeben, wenn die Angelegenheit eine gewisse Eilbedürftigkeit aufweist. Bei offenem Ausgang muss das Gericht anhand einer Folgenabwägung entscheiden, die die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend einstellt (BVerfG a.a.O. RdNr. 26; vgl. auch Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. § 86b RdNr. 29, 29a).
Den Antragstellern sind hiernach unter Berücksichtigung ihrer grundrechtlichen Belange nach Folgenabwägung Regelleistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes zu gewähren:
Die Rechtskraft des Urteils des SG Gelsenkirchen vom 24.09.2012 (S 10 AS 417/11) steht einer Entscheidung zugunsten der Antragstellerin zu 1) anders als der Antragsgegner meint bereits deshalb nicht entgegen, weil es wie sich aus den Urteilsgründen, die zur Auslegung des klageabweisenden Tenors heranzuziehen sind – auf den Zeitraum vom 03.11.2010 bis zum 31.05.2011 beschränkt ist.
Die Antragstellerin zu 1) hat das 15 Lebensjahr vollendet (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II). Der Antragsteller zu 2) lebt als Nichterwerbsfähiger mit der Antragstellerin zu 1) in einer Bedarfsgemeinschaft (§ 19 Abs. 1 Satz 2 SGB II). Beide Antragsteller haben die Altersgrenze des § 7a SGB II noch nicht erreicht (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 SGB II).
Die Antragsteller haben an ihrem jetzigen Wohnort ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II iVm § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I). Bei der gebotenen summarischen Prüfung ist festzuhalten, dass sich die Antragsteller seit mehreren Monaten unter der im Rubrum angegeben Adresse und seit mehreren Jahren in Deutschland aufhalten und keine Gründe für eine zeitnahe Beendigung des Aufenthaltes in Deutschland vorgetragen wurden oder ersichtlich sind. Bei Besitz einer gültigen Freizügigkeitsbescheinigung sind in Ermangelung besonderer Umstände keine weiteren Anforderungen in rechtlicher Hinsicht an den Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts zu stellen (BSG, Urteil vom 25.01.2012 B 4 AS 138/11 R; zur Bejahung des gewöhnlichen Aufenthalts vergl. auch jüngst BSG, Urteil vom 30.01.2013 B 4 AS 54/12 R). Der Umstand, dass die Wohnung gekündigt ist und der Vermieter mit Räumung gedroht hat, steht der Bejahung des gewöhnlichen Aufenthalts nicht entgegen. Selbst wohnungslose Menschen können die Anforderungen an den gewöhnlichen Aufenthalt iSd § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II erfüllen, solange sie das Inland nicht dauerhaft verlassen (Thie/Schoch, in: LPK-SGB II 4. Aufl., § 7 Rn. 15).
Jedenfalls im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens ist auch von Hilfedürftigkeit gem. §§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 9 Abs. 1 SGB II auszugehen. Die Antragstellerin zu 1) hat plausibel und glaubhaft vortragen, dass sie im Jahr nach der Geburt des Antragstellers zu 2) von Kinder- und Elterngeld gelebt hat und nach Ende des Elterngeldanspruchs lediglich über das Kindergeld verfügt und den jetzt streitigen Leistungsantrag gestellt hat. Vor der Geburt des Kindes mag sie auf die Unterstützung ihrer Eltern angewiesen gewesen sein, deren Einkommens- und Vermögensverhältnisse unklar sein mögen. Dies ist für den aktuell geltend gemachten Leistungsanspruch der Antragsteller jedoch unbeachtlich. Denn gem. § 9 Abs. 3 SGB II sind Einkommen und Vermögen von Eltern leistungsberechtigter Kinder, die wie die Antragstellerin zu 1) ihr Kind bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahrs betreuen, nicht zu berücksichtigen. Die möglicherweise berechtigten Zweifel des Antragsgegners an der Hilfebedürftigkeit der Eltern der Antragstellerin zu 1) sind damit im Rahmen der Prüfung des Anordnungsanspruchs der Antragsteller irrelevant.
Dafür, dass den Antragstellern (abgesehen vom Kindergeld) eigene Einkünfte zufließen, gibt es keine Anhaltspunkte. Der Senat sieht sich auch zu weiteren Ermittlungen nicht gedrängt. Je eilbedürftiger eine Sache ist, desto eher sind Einschränkungen bei der Sachverhaltsermittlung statthaft bzw. geboten (vgl LSG Sachsen, Beschluss v 01.08.2005 – L 3 B 94/05 AS-ER; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer SGG 10. Aufl § 86 b Rn 16a). Dabei ist zu beachten, dass es sich bei den Regelleistungen um Leistungen handelt, deren Gewährung wegen ihrer existenzsichernden Funktion bereits Eilbedürftigkeit innewohnt. Ihre Zahlung ist eine verfassungsrechtliche Pflicht des Staates, die dem Schutz der Menschenwürde dient (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 1 BvR 569/05; s auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 06.05.2013 L 6 SF 62/13 ER). Leistungen mit dieser Zielrichtung dürfen nicht durch bloßes Infragestellen der Hilfebedürftigkeit versagt werden. Mutmaßungen zur (fehlenden) Hilfebedürftigkeit bieten bei fehlender existenzsichernder Grundlage jedenfalls keinen Anlass für weitere Ermittlungen, insbesondere wenn sich diese wie hier maßgeblich auf Umstände in der Vergangenheit stützen. Die Verlagerung von umfangreichen Ermittlungen in das Eilverfahren würde auch die Grenzen zwischen Eil- und Hauptsacheverfahren verwischen. Dem Hauptsacheverfahren ist grundsätzlich die abschließende Klärung innerhalb der dort vorgesehenen verfahrensrechtlichen Rahmenbedingungen vorbehalten, nur ausnahmsweise ist eine frühere vorläufige Regelung zulässig, wenn dies mit Blick auf die verfassungsrechtliche Rechtsschutzgarantie des Art 19 Abs. 4 GG nach Maßgabe der o.a. Kriterien geboten ist (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16.05.2013 L 6 AS 531/13 B ER).
Die Antragstellerin zu 1) ist erwerbsfähig iSd § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 8 Abs. 1 SGB II. Unabhängig von der Frage, ob sie aufgrund ihrer rechtmäßigen Aufenthaltsdauer (noch) einer Arbeitsgenehmigung bedarf, kann ihr diese jedenfalls bei Vorliegen der Voraussetzungen (§ 284 SGB III) erteilt werden. Dies ist ausreichend für die Bejahung der Erwerbsfähigkeit (BSG, Urteil vom 30.01.2013 B 4 AS 54/12 R; vergl. auch Wolff-Dellen, in: Löns/Herold-Tews, SGB II, 3. Aufl. § 8 RdNr. 14 mwN).
Ob mit der glaubhaft gemachten Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen auch ein Anspruch auf Gewährung der Leistungen vorliegt, vermag der Senat im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht abschließend zu entscheiden.
Denn nicht zuverlässig zu beurteilen ist, ob die Voraussetzungen des Leistungsausschlusses des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II, auf den sich der Antragsgegner beruft, erfüllt sind. Gründet sich das Aufenthaltsrecht (allein) auf den Zweck der Arbeitssuche was im vorliegenden Fall im Hinblick auf ein evtl. Aufenthaltsrecht als Familienangehörige (§§ 2 Abs. 2 Nr. 6, 3 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU) bereits zweifelhaft ist – , sind die Voraussetzungen dieser Vorschrift zwar erfüllt. Es spricht aber viel dafür, dass der Leistungsausschluss für die Antragsteller nicht greift, sondern sich ein (inhaltsgleicher) Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Form des Regelbedarfes unmittelbar aus Art. 4 in Verbindung mit Art. 70 Abs. 1 der Verordnung (VO) (EG) 883/2004 des Europäischen Parlamentes und Rates vom 29.04.2004 zur Koordinierung der Systeme der Sozialen Sicherheit ergibt.
Art. 4 VO (EG) 883/2004 regelt, dass Personen, für die die VO gilt und sofern in dieser VO nichts anderes bestimmt ist, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedsstaates haben, wie die Staatsangehörigen dieses Staates.
Diese Bestimmung ist seit dem 01.05.2010 als unmittelbar geltendes Recht anwendbar. Die VO (EG) hat die VO (EWG) 1408/71 abgelöst und ist seit diesem Zeitpunkt in Kraft (s Art. 91 VO (EG) 883/2004 in Verbindung mit der DurchführungsVO (EG) 987/2009). Die VO (EG) 883/2004 erzeugt unmittelbare Rechtswirkungen in allen Mitgliedsstaaten, ohne dass es einer Umsetzung in nationales Recht bedarf; die Regelungen können in diesen Wirkungen auch nicht durch nationale Gesetze oder Maßnahmen eingeschränkt werden (Art. 288 Abs. 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV); BVerfG, Beschluss vom 06.04.2010 2 BvR 2261/06 RdNr. 53; s auch schon EuGH Urteil vom 15.07.1964 RS 6/64 Costa./. E.N.E.L.).
Die Antragsteller unterfallen dem persönlichen Anwendungsbereich der VO (EG) 883/2004. Nach deren Art. 2 Abs. 1 gilt die Verordnung für Staatsangehörige eines Mitgliedsstaates und ihre Familienangehörigen, für die die Rechtsvorschriften eines Mitgliedsstaates gelten oder galten (vgl hierzu Frings, ZAR 2012, 317 auch zu der ggfs. missverständlich formulierten Begrenzung auf versicherte Personen; s. etwa Fuchs, SGb 2008, 201; Schreiber, NZS 2012, 647). Die Voraussetzungen erscheinen erfüllt, da der Aufenthalt der Antragsteller in der Bundesrepublik Deutschland jedenfalls bereits Ansprüche auf Kindergeld ausgelöst hat (s auch Kingreen, SGb 2013, 132).
Die hier in Rede stehenden/zuerkannten Leistungen nach dem SGB II werden gemäß Art 3 Abs. 3 iVm Art 70 Abs. 1, Abs. 2 VO (EG) 883/2004 iVm dem Anhang X Deutschland lit. B) ausdrücklich als besondere beitragsunabhängige Leistungen vom sachlichen Anwendungsbereich der VO erfasst. Es handelt sich insbesondere auch um Rechtsvorschriften im Sinne des Art. 4 VO (EG) 883/2004. Art. 1 Buchstabe l) VO (EG) 883/2004 definiert diesen Begriff zwar als "Gesetze, Verordnungen, Satzungen und alle anderen Durchführungsvorschriften in Bezug auf die in Art. 3 Absatz 1 genannten Zweige der sozialen Sicherheit". Damit ist aber keine für die Einbeziehung des SGB II maßgebliche Beschränkung verbunden (s hierzu auch Frings aaO), denn die Zuordnung nach Art. 3 Abs. 1 VO (EG) 883/2004 erfolgt zuallererst thematisch nach dem Inhalt der Leistung, nicht nach der Finanzierung des Systems der sozialen Sicherheit (s. Art. 3 Abs. 1 (Buchstabe h: "Leistungen bei Arbeitslosigkeit"), Abs. 3 in Verbindung mit Art. 70 Abs. 1, Abs. 2 VO (EG) 883/2004 und Anhang X; VO (EG) 988/2009). Die Frage der Beitrags(un)abhängigkeit ist, wie auch Art. 70 Abs. 3 VO (EG) 883/2004 zeigt, keine Frage des sachlichen Anwendungsbereichs, sondern die Anwendbarkeit vorausgesetzt nur der Anknüpfungspunkt für die Frage, ob die Leistung auch in einen anderen Mitgliedstaat exportiert werden kann (s. Art. 7 VO (EG) 883/2004; hierzu auch SG Berlin, Urteil vom 08.05.2012 S 91 AS 8804/12).
Bei Anwendbarkeit der VO (EG) 883/2004 folgt der Anspruch unmittelbar aus Art 4. Dessen Voraussetzungen sind erfüllt. Bei dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II handelt es sich um eine offene, unmittelbare Diskriminierung, denn das entscheidende Unterscheidungskriterium ist die Staatsangehörigkeit. Eine derartige unterschiedliche Behandlung ist aber nur zulässig, wenn die VO sie ausdrücklich zulässt (Dern in Schreiber/Wunder/Dern VO (EG) Nr. 883/2004 Art. 4 VO RdNr. 5). In der VO (EG) 883/2004 findet sich keine entsprechende Regelung.
Andere Ausnahmen für eine unmittelbare Diskriminierung im Anwendungsbereich der VO (EG) 883/2004 sind nicht vorgesehen. Deshalb vermag auch die Unterscheidung zwischen vollumfänglich freizügigkeitsberechtigten (Alt-)Unionsbürgern einerseits und den nur eingeschränkt freizügigkeitsberechtigte (Neu-)Unionsbürgern, die nicht den gleichen Zugang zum inländischen Arbeitsmarkt wie deutsche Arbeitsuchende oder uneingeschränkt freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger haben, den Leistungsausschluss für rumänische Staatsangehörige als (Neu-)Unionsbürger nicht zu rechtfertigen. Nur für eine mittelbare Ungleichbehandlung dürfte überhaupt die Prüfung einer Rechtfertigung durch objektive, von der Staatsangehörigkeit der betroffenen Arbeitnehmer unabhängige Erwägungen in Betracht kommen, sofern diese in einem angemessenen Verhältnis zu dem Zweck stehen, der mit nationalen Rechtsvorschriften zulässigerweise verfolgt wird (Dern aa0 Rn5, 8).
Stehen den Antragstellern danach aus Art. 4 VO (EG) 883/2004 grundsätzlich die zuerkannten Leistungen nach dem SGB II wie deutschen Staatsangehörigen zu, wird dieser aus dem Gleichbehandlungsgebot erwachsene Anspruch seinerseits nicht durch Art. 24 Abs. 2 2. Alt in Verbindung mit Art. 14 Abs. 4 Buchstabe b) der Richtlinie 2004/38/EG (sog Unionsbürgerrichtlinie) eingeschränkt. Es gilt im Recht der EU nach formellen Kriterien keine Rangordnung zwischen VO und Richtlinie. Nach inhaltlichen Kriterien mag ein Rangverhältnis zwischen den beiden Rechtsquellen nicht ausgeschlossen sein (ein solches bejahend SG Duisburg, Beschluss vom 24.09.2012 S 3 AS 3413/12 ER -; aA Frings aaO). Gegen die Einschränkung des Art. 4 VO (EG) 883/2004 durch die Unionsbürgerrichtlinie auch ggfs als lex specialis spricht aber, dass Richtlinie und VO (EG) das selbe Datum (29.04.2004) tragen. Bei unterschiedlichen Regelungsinhalten hätte man eine ausdrückliche Bestimmung oder systematische Verknüpfung erwarten dürfen, wenn eine solche Einschränkung tatsächlich gewollt war. Im Übrigen lässt Art 4 VO (EG) 883/2004 Ausnahmen ausdrücklich nur durch die VO selbst zu, nach Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG hingegen sollen sie vorbehaltlich spezifischer und ausdrücklich im Vertrag und im abgeleiteten Recht vorgesehener Bestimmungen erfolgen. Selbst wenn man aber im Sinne einer Rangordnung das europäische Sozialrecht als "freizügigkeitsspezifisches Sozialrecht" (Fuchs, Europäisches Sozialrecht (2010) 29)) interpretiert, das dazu bestimmt ist, der Grundfreiheit "Freizügigkeit" zu dienen (so SG Duisburg aaO), betreffen die Ausnahmen vom Gleichbehandlungsgebot in Art. 24 Abs. 2 2. Alt in Verbindung mit Art. 14 Abs. 4 Buchstabe b) der Richtlinie 2004/38/EG soweit hier von Bedeutung nicht den grundsätzlichen Anwendungsbereich der VO (EG) 883/2004.
Aufgrund der Vielzahl der aufgezeigten in Literatur und Rechtsprechung kontrovers diskutierten schwierigen und komplexen Rechtsfragen, die der Senat im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht zuverlässig abschließend beurteilen kann, kommt er im Rahmen der danach entscheidenden Folgenabwägung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05) zu der einstweiligen Regelung zugunsten der Antragsteller. Ohne die beantragten Leistungen drohen ihnen existentielle Nachteile, die sie aus eigener Kraft nicht abwenden können. Demgegenüber hat der Antragsgegner nur finanzielle Nachteile zu gewärtigen, wenn die Antragsteller im Hauptsacheverfahren mit ihrem Begehren nicht durchdringen sollten. Dem hat der Senat durch die Begrenzung des Leistungszeitraums Rechnung getragen. Bei dessen Festlegung hat der Senat auch berücksichtigt, dass den Beteiligten ein ausreichender Zeitraum zur Stellung und Prüfung eines evtl. erforderlichen Folgeantrags verbleiben soll, ohne dass eine Lücke in der Sicherstellung des Lebensunterhalts eintritt.
Der Krankenversicherungsschutz der Antragsteller ist damit über § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V sichergestellt (ebenso LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 25.03.2010 L 7 AS 328/10; LSG Berlin/Brandenburg, Beschluss vom 23.11.2007 L 32 B 2032/07 AS ER). Es handelt sich bei den im Wege der einstweiligen Anordnung zugesprochenen Leistungen nicht um darlehensweise bewilligte Leistungen iS dieser Vorschrift.
Für die geltend gemachten Kosten der Unterkunft und Heizung hingegen fehlt es nach Überzeugung des Senats am Anordnungsgrund; die hierauf gerichtete Beschwerde der Antragsteller hat keinen Erfolg. Denn für diese Kosten ist auch nach der Rechtsprechung des Senats die Eilbedürftigkeit im oben dargelegten Sinn regelmäßig erst dann zu bejahen, wenn konkret Wohnungslosigkeit im Stadium der Räumungsklage droht (s. etwa Beschluss des Senats vom 11.01.2011 – L 6 AS 2084/10 B ER -; vgl auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27.11.2008 – L 9 B 183/08 AS ER – Rn 11 m.w.N.). Das Auflaufen von Mietschulden, eine Kündigung und die Androhung der Räumungsklage begründen diese Annahme nicht.
Angesichts dieser Ausführungen hatte die Rechtsverfolgung von Beginn an hinreichende Aussicht auf Erfolg iSd §§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG, 114 ZPO, so dass PKH für das erst- und zweitinstanzliche Verfahren zu bewilligen war. Dies würde im Übrigen auch gelten, wenn man mit dem SG den Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II für wirksam halten würde. Die Rechtslage ist hoch umstritten, was auch vom SG erkannt worden ist. Angesichts dessen ist eine PKH-Ablehnung zugleich mit der Ablehnung des Eilantrags eine nicht zulässige Verlagerung der Hauptsacheprüfung in das PKH-Verfahren.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie trägt dem Umstand Rechnung, dass dem Begehren der Antragstellerin nur bezogen auf die Regelleistung stattgegeben wurde.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Erstellt am: 05.07.2013
Zuletzt verändert am: 05.07.2013