Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 18.04.2012 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass festgestellt wird, dass der Bescheid des Beklagten vom 16.05.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.07.2011 rechtswidrig ist. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers auch im Berufungsverfahren. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger im Zeitraum vom 01.07.2011 bis zum 30.06.2012 nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) Anspruch auf Ausgabe einer Wertmarke für die Beförderung im öffentlichen Personenverkehr ohne Entrichtung eines Betrages in Höhe von 60 Euro hatte.
Bei dem 1952 geborenen Kläger wurde vom Beklagten mit Bescheid vom 15.6.2004 ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie das Vorliegen der Voraussetzungen der Merkzeichen G ("erhebliche Beeinträchtigung in der Beweglichkeit im Straßenverkehr") und B ("Notwendigkeit ständiger Begleitung bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel") festgestellt. Der Kläger bezieht eine Rente wegen Erwerbsminderung und seit 01.01.2005 in Bedarfsgemeinschaft mit seiner Ehefrau ergänzende Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Auf seine jeweiligen Anträge stellte der Beklagte ihm ein Beiblatt zur unentgeltlichen Beförderung im öffentlichen Personennahverkehr aus, zuletzt mit Gültigkeit bis zum 30.06.2011. Erneut beantragte der Kläger mit Schreiben vom 05.05.2011 (eingegangen am 09.05.2011) die Ausstellung einer unentgeltlichen Wertmarke, weil er (weiterhin) Leistungen nach dem SGB II beziehe. Zum Nachweis übersandte er den aktuellen Leistungsbescheid des Jobcenters S vom 03.05.2011, in dem ihm und seiner Ehefrau für die Zeit vom 01.06.2011 bis 30.11.2011 monatliche Leistungen in Höhe von 193,50 Euro bewilligt wurden. Hiervon entfielen 100,68 Euro auf den Kläger und 92,82 Euro auf seine Ehefrau. Die Zahlungen erfolgten auf das Konto des Klägers.
Der Beklagte lehnte den Antrag auf Ausstellung eines kostenfreien Beiblattes mit Bescheid vom 16.05.2011 ab. Der Kläger habe für sich alleine einen Gesamtbedarf von 717,00 Euro. Demgegenüber stehe ein Einkommen von 944,50 Euro. Eine Verrechnung des Überschusses mit ungedeckten Bedarfen weiterer Personen in einer Bedarfsgemeinschaft sei nach dem Schwerbehindertenrecht nicht möglich. Den gegen diesen Bescheid eingelegten Widerspruch des Klägers vom 20.05.2011 wies die Bezirksregierung Münster mit Widerspruchsbescheid 14.07.2011 zurück. Auf den Kläger treffe keine der Voraussetzungen zu, die in der gesetzlichen Aufzählung des § 145 SGB IX zur Abgabe einer kostenlosen Wertmarke genannt seien.
Der Kläger hat am 27.07.2011 Klage zum Sozialgericht Köln (SG) erhoben und begehrt, ihm ein kostenfreies Beiblatt zum Schwerbehindertenausweis für die Zeit vom 01.07.2011 bis zum 30.06.2012 zu erteilen. Er sei Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft zusammen mit seiner Ehefrau S und beziehe ausweislich des vorgelegten Bescheides des Jobcenters Leistungen nach dem SGB II. Die Begründung des Beklagten zur Ablehnung der Wertmarke sei unzutreffend. Denn wie dem Leistungsbescheid zu entnehmen sei, erhalte er nach Abzug seines Einkommensüberhangs eine Sozialleistung i.H.v. 100,68 Euro. Die Voraussetzungen, eine Wertmarke zu erteilen, lägen also vor.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, dass der Kläger zwar als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft hilfebedürftig sei, aber § 145 Abs. 1 S. 5 Nr. 2 SGB IX nicht auf die Hilfebedürftigkeit des schwerbehinderten Menschen, sondern auf das Erhalten von Leistungen abstelle. Da der Kläger nicht Adressat des Bewilligungsbescheides sei, liege kein Erhalten im tatsächlichen Sinne vor. Auf das Urteil des BSG vom 17.07.2008 – B 9/9a SB 11/06 R – werde verwiesen.
Das SG hat den Beklagten mit Urteil vom 18.04.2012 unter Zulassung der Berufung verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 01.07.2011 bis zum 30.06.2012 eine kostenlose Wertmarke zur unentgeltlichen Beförderung im öffentlichen Personennahverkehr zu erteilen. Nach § 145 Abs. 1 S. 5 Nr. 2 SGB IX bestehe der Anspruch dann, wenn der schwerbehinderte Mensch unter anderem Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II erhalte. Dies sei bei dem Kläger der Fall. Ausweislich der Bescheide des Jobcenters S1 erhalte nicht nur die Ehefrau S Leistungen, sondern es sei auch jeweils dem Kläger ein Betrag zugewiesen. Dies entspreche auch den Regelungen des SGB II. Nach § 19 Abs. 1 SGB II erhielten unter anderem nicht erwerbsfähige Leistungsberechtigte, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft lebten, Sozialgeld, soweit sie keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) hätten. Nach § 9 Abs. 2 SGB II sei dann, wenn in einer Bedarfsgemeinschaft nicht der gesamte Bedarf aus eigenen Kräften und Mitteln gedeckt werden könne, jede Person der Bedarfsgemeinschaft im Verhältnis des eigenen Bedarfs zum Gesamtbedarf hilfebedürftig. Damit sei klar, dass der Kläger selbst Empfänger von Leistungen nach dem SGB II sei, nicht nur seine Ehefrau. Dass die Ehefrau Adressatin der jeweiligen Bescheide des Jobcenters sei, habe allein formale Gründe, denn sie habe den Antrag für die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft gestellt. Dies bedeute, dass auch der Kläger einen Antrag stellen könne und er dann Adressat des Bescheides wäre. Solche Zufälligkeiten könnten nicht über die Leistungsberechtigung der kostenlosen Wertmarke entscheiden.
Das Urteil des BSG vom 17.07.2008 – B 9/9a SB 11/06 R stehe dem nicht entgegen. Dieses Urteil sei für den Bereich des SGB XII ergangen. Im Recht der Grundsicherung für dauerhaft Erwerbsgeminderte und Rentner gebe es keine Bedarfsgemeinschaft. Das BSG habe ausdrücklich offen gelassen, ob die Rechtsprechung zum SGB XII auch auf das SGB II anzuwenden sei. Nach dem Wortlaut könne dies aber nicht in Betracht kommen. Der Leistungsbezug werde in § 9 Abs. 2 S. 3 SGB II keinesfalls fingiert, die Regelung sei vielmehr eine Ausprägung der Realität von nicht getrennt lebenden Ehepartnern, die in aller Regel aus einem Topf wirtschafteten und eine Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft bildeten. Reiche in einer Gemeinschaft das gemeinsame Einkommen nicht für beide aus, so seien beide bedürftig. Ebenso seien beide bedürftig, wenn nur einer Einkommen beziehe und der anderen unterhalten werden müsse. Im SGB II werde Einkommen und Vermögen eines Ehegatten dem anderen Ehegatten ohne Einkommen und Vermögen angerechnet. Die Kehrseite dessen, dass Ehegatten verpflichtet seien, ihr Einkommen und Vermögen mit dem bedürftigen Ehepartner zu teilen, sei völlig zutreffend, dass in der Bedarfsgemeinschaft beide hilfebedürftig seien, wenn das Einkommen und Vermögen für beide nicht ausreiche. Genau dies bildeten auch die Bescheide des Jobcenters ab, in denen jeweils auch der Kläger als Leistungsempfänger eines Betrages ausgewiesen werde.
Gegen das ihm am 08.05.2012 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 05.06.2012 Berufung eingelegt. Er ist der Auffassung, dass der Kläger keine Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II "erhalte". Nach § 9 Abs. 2 S. 3 SGB II werde eine Hilfebedürftigkeit im vorliegenden Fall lediglich fingiert. Zwischen dem Erhalt von Leistungen und der Fiktion einer Hilfebedürftigkeit bestehe allerdings ein Unterschied. Da das Gesetz als Regelfall die Ausgabe der zur Freifahrt berechtigenden Wertmarken nur gegen eine Eigenbeteiligung i.H.v. 60 Euro im Jahr vorsehe und § 145 Abs. 1 S. 5 Nr. 2 SGB IX hierzu einen Ausnahmefall darstelle, sei diese Norm eng auszulegen. Bei Berücksichtigung seines individuellen Bedarfs stünde dem Kläger kein Anspruch auf die kostenlose Wertmarke zu, da er diese aus eigenen Mitteln bestreiten könne. Die bisherige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts habe in einer zu Leistungen der Sozialhilfe innerhalb einer Einstandsgemeinschaft ergangenen Entscheidung auch allein auf den individuellen Bedarf des Berechtigten abgestellt. Im Rahmen des SGB II könne diese Frage nicht anders beurteilt werden. Der Unterschied zwischen dem Bezug von Arbeitslosengeld II und Sozialgeld bestehe nur darin, dass bei Ersterem ein Teil der Bedarfsgemeinschaft noch erwerbsfähig sei und dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehe. Allein die Tatsache, dass wegen der noch bestehenden Erwerbsfähigkeit eines Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft die Anwendung des SGB II erforderlich sei, könne aber keine Ungleichbehandlung gegenüber einer Lebensgemeinschaft von erwerbsunfähigen Mitgliedern begründen.
Der Kläger hat mit Schreiben vom 04.09.2012 einen erneuten Antrag auf Ausstellung einer kostenlosen Wertmarke beim Beklagten gestellt, den dieser mit Bescheid vom 22.10.2012 wiederum abgelehnt hat. In der Rechtsbehelfsbelehrung wird darauf hingewiesen, dass der Bescheid Gegenstand des anhängigen Klageverfahrens werde.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 18.04.2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 18.04.2012 mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass festgestellt wird, dass der Bescheid des Beklagten vom 16.05.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.07.2011 rechtswidrig ist.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und verweist auf sein bisheriges Vorbringen.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten des Beklagten sowie der Leistungsakten des Jobcenters S1 verwiesen. Dieser ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
Da der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat seinen ursprünglichen Antrag auf Ausgabe einer kostenfreien Wertmarke nicht weiter verfolgt hat, ist Gegenstand des Verfahrens nur noch die Fortsetzungsfeststellungsklage, auf die der Kläger seine ursprüngliche Anfechtungs- und Leistungsklage umgestellt hat.
Die Voraussetzungen für eine Fortsetzungsfeststellungsklage liegen vor. Gemäß § 131 Abs. 1 S. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, wenn sich der Verwaltungsakt nach Klageerhebung vor der gerichtlichen Entscheidung durch Zurücknahme oder anders erledigt, sofern der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Diese Regelung des SGG gilt zwar ausdrücklich nur für Anfechtungsklagen, ist aber entsprechend auf kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklagen anzuwenden (BSG Urteil vom 25.10.2012 – B 9 SB 1/12 R Rn. 18 m.w.N.).
Der Kläger hat mit seiner Klage ursprünglich die Ausgabe einer kostenfreien Wertmarke für den Gültigkeitszeitraum vom 01.07.2011 bis zum 30.06.2012 begehrt. Auf diesen Zeitraum bezieht sich der streitgegenständliche Bescheid vom 16.05.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.07.2011. Wenngleich der Beklagte nicht ausdrücklich einen konkreten Geltungszeitraum benannt hat, so ergibt sich aus dem Formularantrag im Sachzusammenhang mit der Vorschrift des § 145 Abs. 1 S. 3 bis 5 SGB IX (in der bis 31.12.2012 geltenden Fassung vom 30.07.2009, BGBl I, 2495 – im Folgenden a.F.) sowie der Ausgabepraxis des Beklagten, dass der Antrag auf die Ausgabe einer Wertmarke gerichtet ist, deren Gültigkeitsdauer sich an den Zeitraum der vorigen Wertmarke anschließt (BSG Urteil vom 25.10.2012, B 9 SB 1/12 R Rn 19). Dem Kläger sind auch konkret jahrelang bis Ende Juni 2011 kostenfreie Wertmarken für jeweils ein Jahr ausgehändigt worden. Dies bestätigt, dass die Gültigkeitsdauer der dem Kläger erteilten Wertmarken jeweils von Juli eines Jahres bis Juni des Folgejahres reichte.
Soweit der Kläger am 04.09.2012 einen neuen Antrag auf Ausstellung einer kostenfreien Wertmarke ab 01.07.2012 gestellt hat und dieser Antrag vom Beklagten mit Bescheid vom 22.10.2012 abgelehnt worden ist, ist der Anschlusszeitraum nicht Gegenstand des Verfahrens geworden. Der neue Bescheid betrifft den Zeitraum ab Juli 2012, der im gerichtlichen Verfahren angefochtene Bescheid den Zeitraum bis Ende Juni 2012. Sind aber verschiedene Zeiträume betroffen, kann der neue Bescheid (entgegen der dortigen Rechtsbehelfsbelehrung) den angefochtenen Verwaltungsakt nicht im Sinne von § 96 SGG ändern oder ersetzen.
Im Hinblick auf den genannten Zeitbezug des streitgegenständlichen Verwaltungsakts vom 16.05.2011 hat sich dieser auf andere Weise, nämlich durch Zeitablauf, erledigt (§ 131 Abs. 1 S. 3 SGG i.V.m. § 39 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – SGB X). Mit Ablauf des Geltungszeitraums Ende Juni 2012 konnte die ursprüngliche Anfechtungs- und Leistungsklage dem Kläger, der die Wertmarke auch nicht gegen Kostentragung erworben hat, keine günstige Rechtsposition mehr verschaffen. Entsprechend ist für diese ursprünglich zulässig gewesene Klage das für die Fortführung notwendige Rechtsschutzbedürfnis während des laufenden Berufungsverfahrens entfallen. Der Kläger hat diesem Umstand durch eine entsprechende Umstellung des Klageantrags in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat Rechnung getragen.
Das für die nunmehr geführte Fortsetzungsfeststellungsklage gem. § 131 Abs. 1 S. 3 SGG notwendige Feststellungsinteresse des Klägers liegt vor, weil eine Wiederholungsgefahr besteht. Eine solche ist gegeben, wenn die nicht entfernt liegende Möglichkeit eines wiederholten Auftretens der Rechtsfrage zwischen den Beteiligten besteht, etwa, wenn sich konkret abzeichnet, dass unter im Wesentlichen unveränderten Umständen ein gleichartiges Leistungsbegehren wieder auftreten kann und wieder negativ beschieden wird (vgl. BSG Urteil vom 25.10.2012 – B 9 SB 1/12 R Rn. 22 m.w.N.). Diese Gefahr hat sich hier bereits manifestiert, weil der Beklagte auch den auf den nächsten Geltungszeitraum gerichteten Folgeantrag des Klägers abschlägig beschieden hat (Bescheid vom 22.10.2012).
Der streitgegenständliche Bescheid des Beklagten vom 16.05.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.07.2011 ist rechtswidrig. Der Kläger hat für den Gültigkeitszeitraum vom 01.07.2011 bis zum 30.06.2012 gem. § 145 Abs. 1 S. 5 Nr. 2 SGB IX Anspruch auf Ausgabe einer Wertmarke zur Beförderung im öffentlichen Personenverkehr ohne Entrichtung des gesetzlich vorgesehenen Eigenanteils. Zu Recht hat das SG in der angefochtenen Entscheidung ausgeführt, dass der Kläger die Voraussetzungen für die unentgeltliche Beförderung erfüllte.
Der Kläger gehörte aufgrund der Zuerkennung des Merkzeichens "G" zu dem in § 145 Abs. 1 S. 1 SGB IX a.F. genannten Personenkreis, der eine unentgeltliche Beförderung im öffentlichen Personenverkehr in Anspruch nehmen konnte. Er erfüllte auch die Voraussetzungen des § 145 Abs. 1 S. 5 Nr. 2 SGB IX a.F. für eine Befreiung von der in § 145 Abs. 1 S. 3 SGB IX a.F. für ein Jahr erforderlichen Entrichtung eines Betrages von 60 Euro, weil er im streitigen Zeitraum Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II im Sinne der Vorschrift "erhalten" hat.
Soweit der Beklagte die Auffassung vertritt, eine Hilfebedürftigkeit werde beim Kläger nur fingiert und § 145 Abs. 1 S. 5 Nr. 2 SGB IX a.F., der eng ausgelegt werden müsse, sei daher nicht anwendbar, verkennt er die Maßstäbe zur Beurteilung der Bedürftigkeit von Einzelpersonen in einer Bedarfsgemeinschaft nach dem SGB II, dies insbesondere im grundlegenden Unterschied zur Prüfung der Bedürftigkeit der jeweiligen Mitglieder einer Einsatzgemeinschaft im SGB XII. Aufgrund dieser Divergenz ist das zum Leistungsbezug nach dem SGB XII ergangene Urteil des BSG vom 17.07.2008 – B 9/9a SB 11/06 R nicht auf den – hier vorliegenden – Leistungsbezug nach dem SGB II zu übertragen. Leistungen nach dem SGB II werden beim Kläger nicht "fingiert", sondern sind diesem auf sein Konto tatsächlich und aufgrund individueller Anspruchsberechtigung zugeflossen. Ein "Erhalten" der Leistungen nach dem SGB II i.S.v. § 145 Abs. 1 S. 5 Nr. 2 SGB IX a.F. liegt damit auch bei enger Auslegung dieser Vorschrift (vgl. hierzu BSG Urteil vom 06.10.2011 – B 9 SB 7/10 R Rn. 58 unter Verweis auf BSG Urteil vom 17.07.2008 – B 9/9a SB 11/06 R Rn. 18) vor.
Leben mehrere Personen in einer Bedarfs- bzw. Einstandsgemeinschaft, sind sowohl nach dem SGB XII als auch dem SGB II nicht Ansprüche "der Gemeinschaft", sondern allein die jeweiligen ggf. bestehenden Individualansprüche der Einzelpersonen gegenüber dem Leistungsträger zu ermitteln (vgl. zum SGB II z.B. BSG Urteil vom 07.07.2011 – B 14 AS 144/10 R juris Rn. 16, zum SGB II und SGB XII z.B. BSG Urteil vom 09.06.2011 – B 8 SO 20/09 R juris Rn. 13 m.w.N.). Die Frage, wie sich Einkommen einzelner Personen auf die übrigen Personen der Bedarfs- bzw. Einstandsgemeinschaft auswirkt, folgt jedoch unterschiedlichen Berechnungsweisen. Während im SGB XII die Berechnung der Einzelansprüche durch die Verteilung des den jeweiligen Bedarf übersteigenden Einkommens und Vermögens erfolgt (sog. vertikale Berechnungsmethode), wird im SGB II eine Zuordnung von Anteilen an dem nicht durch Einkommen und Vermögen gedeckten Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft zu deren einzelnen Angehörigen (Bedarfsanteilsmethode oder sog. horizontale Berechnungsmethode, vgl. Mecke in Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013 § 9 Rn. 46) vorgenommen.
Die unterschiedliche Berechnungsweise wirkt sich maßgeblich auf einen etwaigen Leistungsanspruch des einzelnen Mitglieds der Gemeinschaft aus. Nach der vertikalen Berechnung im SGB XII ist ein Mitglied einer Einsatzgemeinschaft selbst nicht hilfebedürftig, wenn es ausreichendes Einkommen zur Deckung seines Bedarfes erzielt. Entsprechend kann dieses Mitglied keine Sozialhilfeleistungen beanspruchen. Dies gilt unabhängig davon, ob weitere Mitglieder der Einsatzgemeinschaft selbst kein bzw. kein ausreichendes Einkommen erzielen. Derjenige, der selbst nicht bedürftig ist, wird nicht etwa wegen einer "gemeinsamen" Berücksichtigung von Einkommen innerhalb der Gemeinschaft bedürftig bzw. selbst zum Leistungsbezieher (BSG Urteil vom 09.06.2011 – B 8 SO 20/09 R juris Rn. 19; Urteil vom 17.07.2008 – B 9/9a SB 11/06 R juris Rn. 23).
Anderes gilt für die horizontale Berechnungsweise nach dem SGB II. Bei der Berechnung der individuellen Leistungsansprüche der in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Einzelpersonen ist nach § 9 Abs. 2 S. 3 SGB II einerseits der Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft und andererseits deren Gesamteinkommen zu ermitteln. Dabei ist der nicht durch Einkommen gedeckte Gesamtbedarf im Verhältnis des jeweiligen Einzelbedarfs am Gesamtbedarf der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft aufzuteilen. Dies gilt grundsätzlich auch in Fällen, in denen – wie vorliegend – das Einkommen einzelner Personen innerhalb der Bedarfsgemeinschaft zur Deckung ihrer eigenen Bedarfe, nicht jedoch zur Deckung des Gesamtbedarfs der Bedarfsgemeinschaft genügt (z.B. BSG Urteil vom 17.06.2010 – B 14 AS 17/10 R juris Rn. 12 m.w.N.; Urteil vom 21.12.2009 – B 14 AS 42/08 R juris Rn. 18 m.w.N.). Konkret und im Unterschied zum SGB XII bedeutet dies, dass derjenige, der in einer Bedarfsgemeinschaft nach dem SGB II lebt, auch dann einen originären eigenen und nicht nur einen fiktiven Leistungsanspruch gegenüber dem Jobcenter hat, wenn sein Einkommen zwar seinen eigenen Bedarf deckt, nicht aber zur Deckung der Bedarfe aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft ausreicht (vgl. auch Mecke a.a.O. § 9 Rn. 16). Dies ist bei dem Kläger der Fall. Er wäre aufgrund seines eigenen Einkommens nur dann nicht hilfebedürftig nach dem SGB II, wenn er allein leben würde. In der von ihm mit seiner Ehefrau gebildeten Bedarfsgemeinschaft hingegen, in der sein Einkommen nicht für den Bedarf beider reicht, ist er selbst gem. § 9 Abs. 2 S. 3 SGB II – hier in Höhe der vom Beklagten monatlich errechneten und als Individualanspruch bewilligten 100,98 Euro – hilfebedürftig und anspruchsberechtigt.
Soweit der Beklagte die Auffassung vertritt, der Kläger "erhalte" keine Leistungen im Sinn von § 145 Abs. 1 S. 5 Nr. 2 SGB IX a.F., weil er nicht Adressat des Leistungsbescheides des Jobcenters sei, ist dies ebenfalls irrig. § 38 SGB II stellt lediglich eine Vermutung dafür auf, dass eine Person innerhalb einer Bedarfsgemeinschaft bevollmächtigt ist, Leistungen nach dem SGB II auch für die anderen Angehörigen der Gemeinschaft zu beantragen und entgegenzunehmen. Aus dieser vermuteten Bevollmächtigung ergeben sich aber keine Rückwirkungen auf die materiellen Ansprüche der einzelnen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft; diese sind und bleiben Inhaber eines Individualanspruchs, der dann "nur" vom vermuteten Bevollmächtigten für sie geltend gemacht wird (Boerner in Löns/Herold-Tews, 3. Aufl. 2011, § 38 Rn. 4 m.w.N.). Die Vermutungsregelung gilt im Übrigen nur für das Verwaltungsverfahren; im Klageverfahren muss jedes Mitglied der Bedarfsgemeinschaft seinen Einzelanspruch selbst geltend machen (vgl. z.B. BSG Urteil vom 07.11.2006 – B 7b AS 8/06 R Rn. 26).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die Änderung des Klageantrags im Berufungsverfahren sowie entsprechend des Entscheidungstenors ist allein dem Zeitablauf des Geltungszeitraums der Wertmarke geschuldet. Auswirkungen auf die Kostenentscheidung ergeben sich hieraus nicht. Von der Verhängung von Kosten nach § 192 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 S. 2 SGG gegen den Beklagten hat der Senat allein deshalb einmalig abgesehen, weil dieser sich – trotz besserer Einsicht – einer verbindlichen Weisung der Aufsichtsbehörde beugen musste.
Der Senat hat die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG) nicht als gegeben angesehen.
Erstellt am: 11.09.2013
Zuletzt verändert am: 11.09.2013