Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 10.07.2013 geändert. Der Antrag wird abgelehnt. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Antragsgegner wendet sich gegen seine Verpflichtung zur Erbringung eines Darlehens für den Ausgleich von Schulden des Antragstellers aus einem Energielieferungsvertrag.
Der am 00.00.1992 geborene Antragsteller bezog bis zur Aufnahme des nach dem BAföG geförderten Besuch einer Abendrealschule Leistungen nach dem SGB II bis einschließlich Januar 2012. Am 07.01.2013 sprach der Antragsteller beim Antragsgegner vor und teilte den Abbruch der Schulausbildung wegen Fehlzeiten mit. Er beabsichtige jedoch, die Ausbildung fortzusetzen und wolle auch einen Antrag auf erneute Bewilligung von BAföG-Leistungen stellen. Am 10.01.2013 beantragte der Antragsteller förmlich Leistungen nach dem SGB II, die überbrückungsweise bis zur Bewilligung des BAföG gezahlt werden sollten. Am 07.02.2013 teilte der Antragsteller mit, er besuche ab dem 04.02.2013 die Abendrealschule wieder.
Mit Bescheiden vom 10.01.2013 und 15.04.2013 bewilligte der Antragsgegner vorläufig Leistungen nach dem SGB II unter Einschluss von Leistungen für Unterkunft und Heizung für den Zeitraum vom 01.01.2013 bis 30.06.2013. Mit Bescheid vom 10.06.2013 lehnte der Antragsgegner die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II (endgültig) ab. Mit Bescheid vom 21.06.2013 bewilligte der Antragsgegner Leistungen unter Einschluss von Leistungen für Unterkunft und Heizung darlehensweise für Juni 2013.
Mit Schreiben vom 04.03.2013 beantragte der Antragsteller "erneut" ein Darlehen zur Begleichung von Strom- und Heizkosten. Er legte die Jahresrechnung seines Energielieferanten für den Zeitraum September 2011 bis September 2012 vor, aus der sich eine Nachforderung für Haushaltsstrom und Nachtstrom von 452,18 EUR bzw. zzgl. des aktuell fälligen Abschlages von 123,00 EUR, insgesamt 575,18 EUR, ergibt.
Diesen Antrag lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 14.03.2013 ab, weil es sich um vor dem Bezug von Leistungen nach dem SGB II entstandene Stromschulden handele. Dieser Bescheid wurde nicht angefochten.
Am 24.04.2013 beantragte der Antragsteller die Überprüfung des Ablehnungsbescheides vom 14.03.2013 nach § 44 SGB X. Er habe seit vier Monaten keinen Strom mehr und benötige Geld, um seine Stromrechnung zu bezahlen. Mit Bescheid vom 30.04.2013 lehnte der Antragsgegner den Antrag ab. Über den Widerspruch des Antragstellers vom 08.05.2013 gegen diese Entscheidung ist nach Aktenlage bislang nicht entschieden worden.
Am 20.06.2013 hat der Antragsteller beim Sozialgericht beantragt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zur Übernahme seiner Stromschulden zu verpflichten. Der Antragsgegner ist dem entgegengetreten, weil der Antragsteller nach § 7 Abs. 5 SGB II grundsätzlich vom Bezug von Leistungen nach diesem Gesetz ausgeschlossen sei und die Gewährung eines Darlehens nach §§ 27 Abs. 5, 22 Abs. 8 SGB II am fehlenden tatsächlichen Bezug von Leistungen nach dem BAföG scheitere.
Auf Nachfrage des Sozialgerichts hat der Energieversorger des Antragstellers mit Schreiben vom 03.07.2013 mitgeteilt, nach vorhergehender Sperrankündigung vom 10.01.2013 sei die Stromversorgung am 17.01.2013 unterbrochen worden. Zum Zeitpunkt der Sperrung sei ein Betrag i.H.v. 876,18 EUR offen gewesen, aktuell betrage die Forderung 1.650,69 EUR. Bei Zahlung per Bareinzahlung bestehe Bereitschaft, den Antragsteller wieder mit Energie zu versorgen. Eine Ratenzahlung sei nicht mehr möglich.
Mit Beschluss vom 10.07.2013 hat das Sozialgericht den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, Energiekostenrückstände i.H.v. 1.650,69 EUR darlehensweise zu übernehmen. Ein Anspruch bestehe gem. § 22 Abs. 8 SGB II vor dem Hintergrund, dass der Antragsgegner dem Antragsteller Leistungen nach dem SGB II unter Einschluss von Leistungen für Unterkunft und Heizung i.S.v. § 22 SGB II bewilligt habe.
Gegen den am 12.07.2013 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde des Antragsgegners vom 31.07.2013. Eine Gewährung von Leistungen auf der Rechtsgrundlage von § 24 Abs. 1 SGB II sei ausgeschlossen, weil es sich um Altschulden aus Zeiten vor Beginn des Leistungsbezuges handele. Eine Gewährung auf der Grundlage von §§ 27 Abs. 5, 22 Abs. 8 SGB II scheide aus, weil die Gewährung von Leistungen nach dem BAföG mit Bescheid vom 16.05.2013 abgelehnt worden sei.
Der Antragsteller stützt den angefochtenen Beschluss.
Auf Aufforderung des Senats hat der Antragsteller Kontenauszüge vorgelegt. Das Amt für Ausbildungsförderung der Stadt Gelsenkirchen hat mitgeteilt, der Antragsteller habe zuletzt im Bewilligungszeitraum von Februar 2012 bis November 2012 Ausbildungsförderung nach dem BAföG erhalten. Der auf den Folgeantrag vom 25.02.2013 wegen fehlender Mitwirkung erteilte Ablehnungsbescheid vom 16.05.2013 sei angefochten worden. Seitens des Antragstellers bislang fehlende Unterlagen seien nachgereicht worden. Über den Bewilligungszeitraum Februar 2013 bis Juni 2013 werde entschieden, sobald der Antragsgegner seinen Erstattungsanspruch beziffert habe. Mit Bescheid vom 13.08.2013 sei über den BAföG-Anspruch ab Juli 2013 entschieden worden.
Zu Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners ist begründet. Der angefochtene Beschluss ist abzuändern und der Antrag auf einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners zur darlehensweisen Übernahme der Verbindlichkeiten des Antragstellers aus dem Energielieferungsvertrag abzulehnen.
Voraussetzungen für den Erlass einer Regelungsanordnung nach § 86b SGG sind die Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs im Sinne eines im Hauptsacheverfahren durchzusetzenden materiell-rechtlichen Anspruchs auf die begehrte Leistung sowie ein Anordnungsgrund i.S.d. Eilbedürftigkeit des gerichtlichen Einschreitens. Jedenfalls ein Anordnungsgrund ist vorliegend nicht glaubhaft gemacht.
Nachdem das Amt für Ausbildungsförderung der Stadt Gelsenkirchen nunmehr mit Bescheid vom 13.08.2013 offenbar Leistungen nach dem BAföG für die Zeit ab Juli 2013 bewilligt hat, kommt als Anspruchsgrundlage für das Begehren des Antragstellers § 27 Abs. 5 SGB II i.V.m. § 27 Abs. 8 SGB II in Betracht. Nach § 22 Abs. 8 SGB II können, sofern Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden, auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Geldleistungen sollen als Darlehen erbracht werden (§ 22 Abs. 8 S. 4 SGB II). Nach den Gesetzesmaterialien zum inhaltsgleichen § 22 Abs. 5 SGB II a.F. sind Schulden, die übernommen werden können, auch Energieschulden (vgl. BT-Drs 16/688, S. 14). Dem systematischen Zusammenhang nach handelt es sich um Schulden, die Kosten der Unterkunft und/oder Heizung (KdU) betreffen. Wegen der vergleichbaren Notlage bei Energierückständen für sonstigen Haushaltsstrom, der nicht zu den KdU, sondern zur Regelleistung zählt (§ 20 Abs. 1 S. 1 SGB II) gehen Rechtsprechung und Literatur allerdings davon aus, dass auch solche Schulden im Rahmen von § 22 Abs. 8 SGB II übernommen werden können (vgl. z.B. LSG NRW Beschluss vom 18.07.2012 – L 7 AS 1256/12 B ER; Beschlüsse des Senats vom 15.06.2012 – L 19 AS 728/12 B ER und 19.07.2013 – L 19 AS 2334/12 B; LSG Sachsen-Anhalt Beschluss vom 13.03.2012 – L 2 AS 477/11 B ER; LSG Schleswig-Holstein Beschluss vom 13.01.2012 – L 3 AS 233/11 B ER; LSG Mecklenburg-Vorpommern Beschluss vom 29.09.2011 – L 8 B 509/09 ER; Berlit in LPK-SGB II, 4. Aufl. 2011 § 22 Rn 193 m. w. N.; Boerner in Löns/Herold-Tews, 3. Aufl. 2011 § 22 Rn. 125 m. w. N.; Zusammenfassung in LSG NRW, Beschluss vom 13.05.2013, – L 2 AS 313/13 B ER).
Es fehlt jedoch an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes.
An die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes sind im vorliegenden Fall schon deshalb erhöhte Anforderungen zu stellen, weil zum einen im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Vorwegnahme der im Hauptsacheverfahren alleine möglichen Leistung begehrt wird, zum anderen, weil einem Anspruch auf die begehrte Leistung an sich die Bestandskraft des Bescheides vom 14.03.2013 entgegensteht (§ 77 SGG), mit dem der Antragsgegner den Antrag vom 04.03.2013 auf darlehensweise Übernahme von Stromschulden bestandskräftig abgelehnt hat. Im Regelfall ist einem Antragsteller nach Einleitung eines Überprüfungsverfahrens gem. § 44 SGB X zuzumuten, die Entscheidung über den Überprüfungsantrag im Verwaltungs- und ggf. in einem anschließenden gerichtlichen Hauptsacheverfahren abzuwarten (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 05.04.2011 – L 5 AS 342/10 B ER; LSG Thüringen, Beschluss vom 14.09.2011 – L 10 AL 434/10 ER). Deshalb sind in einem solchen Fall besonders strenge Anforderungen an die Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes zu stellen (z.B. Beschluss des Senats vom 05.04.2013 – L 19 AS 529/13 B ER). Dem genügt der Vortrag des Antragstellers vor dem Hintergrund der schon im Normalfall – ohne bestandskräftigen Ablehnungsbescheid – bestehenden Anforderungen hinsichtlich zumutbarer Eigenbemühungen auf Wiederherstellung der Stromversorgung nicht. Die Darlehensgewährung nach § 22 Abs. 8 SGB II seitens des Grundsicherungsträgers bzw. dessen Verpflichtung durch die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes wird erst erforderlich, wenn zumutbare Möglichkeiten des Leistungsempfängers ergebnislos ausgeschöpft worden sind, eine Fortsetzung der Energielieferung zu erreichen (vgl. hierzu LSG NRW Beschlüsse vom 20.08.2012 – L 2 AS 1415/12 B ER, 13.05.2013 – L 2 AS 313/13 B ER, 18.07.2012, – L 7 AS 1256/12 B ER; Beschlüsse des Senats vom 16.04.2012 – L 19 AS 556/12 B ER, 19.07.2013 – L 19 AS 2334/12 B; LSG Sachsen-Anhalt Beschluss vom 13.03.2012 – L 2 AS 477/11 B ER; LSG Schleswig-Holstein Beschluss vom 13.01.2012 – L 3 AS 233/11 B ER; LSG Berlin-Brandenburg Beschlüsse vom 23.09.2011 – L 14 AS 1533/11 B ER, 05.08.2011 – L 5 AS 1097/11 B ER m.w.N.; Berlit in LPK-SGB II, 4. Aufl. § 22 Rn. 194).
Vor dem Hintergrund der Regelung in § 2 Abs. 1 SGB II, wonach die leistungsberechtigte Person alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung ihrer Hilfebedürftigkeit ausschöpfen muss, sind zunächst sämtliche zur Verfügung stehenden Mittel und Möglichkeiten einzusetzen, bevor öffentliche Leistungen, wie hier die Gewährung eines Darlehens zur Schuldentilgung, in Anspruch genommen werden dürfen. Dies gilt in besonderem Maße für die Übernahme rückständiger Energiekosten, da der Leistungsträger sonst zum "Ausfallbürgen der Energieversorgungsunternehmen" würde (vgl. Hammel, info also 2011, 251, 253 m. w. N.). Das Risiko des Energieversorgers, die von ihm an seinen Kunden erbrachten Leistungen auch abgegolten zu erhalten, muss zunächst weitgehend im zugrundeliegenden zivilrechtlichen Rechtsverhältnis geklärt sein, bevor ein etwaiger Einstand des Leistungsträgers und damit eine Risikoüberleitung auf den Steuerzahler in Betracht kommt. Entsprechend hat der Leistungsberechtigte sich sowohl um Ratenzahlungsvereinbarungen mit dem bisherigen Energieversorger als auch um einen Vertragsabschluss mit einem anderen Stromanbieter zu bemühen (LSG NRW Beschluss vom 20.08.2012 – L 2 AS 1415/12 B ER; LSG Sachsen-Anhalt Beschluss vom 13.03.2012 – L 2 AS 477/11 B ER; LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 23.09.2011 – L 14 AS 1533/11 B ER). Letzteres gilt in besonderem Maße, wenn der Leistungsberechtigte die Möglichkeit hat, zu einem anderen Grundversorger (vgl. § 36 Abs. 2 S. 1 EnGW) zu wechseln. Zahlungsrückstände bei anderen Energielieferanten kann der Grundversorger dem Haushaltskunden nicht entgegenhalten (§ 2 Abs. 5 der Stromgrundversorgungsverordnung – StromGVV). Ebenfalls ist es dem Leistungsberechtigten regelmäßig zumutbar, sich im Zivilrechtsweg gegen eine angekündigte oder ausgeübte Stromsperre zu wenden (LSG NRW Beschlüsse vom 20.08.2012 – L 2 AS 1415/12 B ER, 13.05.2013 – L 2 AS 313/13 B ER m.w.N.; LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 05.08.2011 – L 5 AS 1097/11 B ER), jedenfalls dann, wenn der Leistungsberechtigte Kenntnis von dieser Möglichkeit hat (LSG NRW Beschluss vom 08.10.2012 – L 12 AS 1442/12 B ER ) bzw. vom Leistungsträger diesbezüglich beraten und unterstützt wird (so LSG NRW Beschlüsse vom 18.07.2012 – L 7 AS 1256/12 B ER, 22.02.2012 – L 7 AS 1716/11 B, 15.10.2012 – L 7 AS 1730/12 B ER und 13.08.2013 – L 7 AS 1134/13 B ER mit der Annahme einer Verpflichtung des Leistungsträgers insoweit; LSG Sachsen-Anhalt Beschluss vom 13.03.2012 – L 2 AS 477/11 B ER; Berlit a.a.O. § 22 Rn 194). Die Hürden für Energieversorger, eine Liefersperre zivilrechtlich durchzusetzen, gelten als hoch.
Die Glaubhaftmachung von Eigenbemühungen ist vorliegend weitgehend unterblieben, nach aktenkundigem Sachverhalt ist es vielmehr offenbar, dass der Antragsteller sich erstmals mehrere Monate nach Erhalt der Rechnung über die Nachforderung seines Energieversorgers mit diesem zwecks Vereinbarung einer Ratenzahlung in Verbindung gesetzt hat, erst mehrere Monate nach Sperrung seiner Energieversorgung im Verhältnis zum Antragsgegner aktiv geworden ist und zivilrechtliche Bemühungen um Abwendung der Stromsperre oder Wiederherstellung seiner Energiebelieferung bislang insgesamt unterlassen hat. Nicht nachgewiesen ist zudem bislang, dass der Antragsteller sich bei einem anderen Anbieter um Stromversorgung bemüht hat bzw. ob und warum dies abgelehnt worden sein könnte.
Ohne Erfolg bezieht sich der Antragsteller "beispielhaft" auf den in einer anderen Sache ergangenen Beschluss des Amtsgerichtes Gelsenkirchen-Buer vom 09.08.2013 – 5 C 373/13. Ein Bezug des dort geltend gemachten (vertragsrechtlichen) Anspruches auf Unterlassung der Androhung einer Stromsperre zur hier dargestellten notwendigen Eigenbemühungen zur Abwendung einer Stromsperre bzw. nun deren Aufhebung ist ebenso wenig ersichtlich wie eine Vergleichbarkeit der jeweils in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Erstellt am: 09.09.2013
Zuletzt verändert am: 09.09.2013