Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 22.08.2012 geändert. Der Klägerin wird für das Klageverfahren S 25 AS 4812/11 ab dem 08.05.2012 Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt S, C, beigeordnet.
Gründe:
I.
Die Klägerin wendet sich gegen die Ablehnung ihres Antrages auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für einen Rechtsstreit, in dem die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten in einem Widerspruchsverfahren gegen die Festsetzung einer Mahngebühr von 3,00 EUR zu klären ist (§ 63 SGB X).
Die am 00.00.1989 geborene Klägerin bezieht in Bedarfsgemeinschaft mit ihren Eltern und mehreren Geschwistern Leistungen nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 11.03.2011 i.d.F. des Widerspruchsbescheides vom 04.07.2011 (W 5279/11) hob der für die Klägerin zuständige Leistungsträger nach dem SGB II die Leistungsbewilligung an die Klägerin für die Zeit vom 01.01.2010 bis 28.02.2011 anteilig auf und forderte 420,66 EUR an erbrachten Leistungen zurück. Im Widerspruchsverfahren zu diesem Bescheid wie auch im nachfolgenden Klageverfahren (S 25 AS 2564/11, SG Köln), das zur mündlichen Verhandlung am 29.08.2013 geladen ist, wurde die Klägerin zunächst durch einen Rechtsanwalt der Kanzlei vertreten, der auch der die Klägerin im vorliegenden Verfahren vertretende Prozessbevollmächtigte angehört.
Mit Schreiben vom 31.07.2011 mahnte die Beklagte die Klägerin, die Forderung aus dem Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 11.03.2011, die ursprünglich 486,74 EUR betrug, zu begleichen und setzte eine Mahngebühr i.H.v. 3,00 EUR fest. Dem Schreiben ist eine Rechtsmittelbelehrung beigefügt, wonach gegen die Festsetzung der Mahngebühr der Widerspruch zulässig sei.
Gegen die Festsetzung der Mahngebühr legte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin in deren Namen Widerspruch unter Hinweis auf die aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels in der Hauptsache ein. Mit Bescheid vom 15.09.2011 hob die Beklagte den Bescheid vom 31.07.2011 auf und entschied, dass die im Widerspruchsverfahren entstandenen Aufwendungen auf Antrag erstattet würden. Die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten wurde nicht anerkannt. Gegen diesen Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.11.2011 hat die Klägerin im vorliegenden Verfahren am 14.12.2011 Klage erhoben und für deren Durchführung die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt. Diesen Antrag hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 22.08.2012, auf dessen Begründung Bezug genommen wird, abgelehnt. Gegen den am 31.08.2012 zugestellten Beschluss hat die Klägerin Beschwerde unter Bezugnahme auf Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 02.11.2012 – B 4 AS 97/11 R) eingelegt. Die Beklagte sieht keine Vergleichbarkeit der vorliegend zu entscheidenden Konstellation mit dem vom BSG behandelten Sachverhalt. Insbesondere sei die Klägerin mit besseren Verständnismöglichkeiten ausgestattet, als die Klägerin des vom BSG entschiedenen Verfahrens, eine unter Betreuung stehende Analphabetin.
Zu Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Nach §§ 73a Abs. 1 S. 1 SGG, 114 ZPO steht der Klägerin für ihre nicht mutwillige Rechtsverfolgung ab Eingang der Erklärung zu ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen am 08.05.2012 Prozesskostenhilfe zu, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Erfolgsaussicht i.S.v. § 114 ZPO aufweist.
Der verfassungsrechtlich (Art. 19 Abs. 4 GG) verankerte Justizgewährleistungsanspruch verwehrt es regelmäßig, die abschließende Prüfung einer Rechtsfrage in die Prüfung des Anspruches auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe vorzuverlagern. In solchen Fällen steht – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen – regelmäßig Prozesskostenhilfe zu, um die Prüfung der offenen Fragen mit den Möglichkeiten des Hauptsacheverfahrens auch dem Unbemittelten zugänglich zu machen. Denn nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebietet das Grundgesetz eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes. Verfassungsrechtlich ist es dabei unbedenklich, die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. Das Gebot der Rechtsschutzgleichheit verlangt keine völlige Gleichstellung; der Unbemittelte muss vielmehr nur dem Bemittelten gleich gestellt werden, der seine Prozessaussichten vernünftig abwägt und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigt. Die Prüfung der Erfolgsaussicht darf jedoch nicht dazu führen, dass die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe vorverlagert wird und dieses an die Stelle des Hauptverfahrens tritt, denn das Prozesskostenhilfeverfahren soll den verfassungsrechtlich geforderten Rechtsschutz nicht selbst bieten, sondern erst zugänglich machen (Zusammenfassung in BVerfG Beschluss vom 30.06.2009 – 1 BvR 728/09; insbesondere zu der Möglichkeit begrenzter Beweisantizipation vgl. BVerfG Beschluss vom 25.04.2012 – 1 BvR 2869/11).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die abschließende Klärung der Frage, ob die Zuziehung eines Bevollmächtigten i.S.d. § 63 Abs. 2 SGB X notwendig war, dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.
Der Erfolg des Widerspruchs sowie dessen Beruhen auf der Einlegung als Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruches sind gem. § 63 Abs. 1 SGB X anerkannt.
Hinsichtlich der zwischen den Beteiligten allein streitigen Frage, ob die Hinzuziehung notwendig war, besteht eine gute Möglichkeit, dass die Klage unter Beachtung der (dem angefochtenen Beschluss nachfolgenden) Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 02.11.2012 – B 4 AS 97/11 R) erfolgreich sein wird. Im Hinblick auf diese Entscheidung (die in den tragenden Gründen im Übrigen mit der bisherigen Rechtsprechung des BSG zu § 63 Abs. 2 SGB X nicht in vollem Umfang übereinstimmt – vgl. BSG Urteile vom 20.11.2001 – B 1 KR 21/01, 31.05.2006 – B 6 KA 78/04 R und 10.05.2012 – B 6 KA 19/11 R) ist die Rechtsverfolgung vor dem Hintergrund auch der bisherigen Rechtsprechung des Senats (z.B. Beschluss vom 13.08.2012 – L 19 AS 438/12 B), wonach die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Prozessbevollmächtigten i.S.v. § 63 SGB X bei einem Widerspruch gegen die Festsetzung von Mahngebühren geringen Umfangs nicht gegeben ist, wenn der Widerspruchsführer mit der Wahrnehmung seiner Interessen im Rechtsstreit um die Forderung selbst bereits einen Rechtsanwalt eingeschaltet hatte, der ihm hätte mitteilen können, dass der schlichte Hinweis auf bereits eingelegte Rechtsmittel mit aufschiebender Wirkung zur Aufhebung der Mahngebühr führt und auch genügt, nicht ohne Aussicht auf Erfolg.
Grundsätzlich hält der Senat dies auch weiterhin für zutreffend. Auch ohne Vorbefassung eines Anwalts, jedenfalls aber unter Hinzurechnung der Kenntnis eines bereits beauftragten Bevollmächtigten von der aufschiebenden Wirkung eingelegter Rechtsbehelfe gegen Erstattungsbescheide wird kein rational handelnder kostenbewusster Rechtssuchender ein Gebührenrisiko in Höhe eines dreistelligen Eurobetrages auf sich nehmen, wenn er auch im eigenen Namen mit einem sicheren Argument Widerspruch gegen die Festsetzung einer geringfügigen Mahngebühr einlegen kann. Das für die Entscheidung des BSG tragende Argument der (subjektiv herstellungsbedürftigen) "Waffengleichheit" mit dem Leistungsträger greift in diesem Fall nicht bzw. besagt sogar das Gegenteil. Denn der Widerspruchsführer weiß in der beschriebenen Situation mehr, als die offensichtlich ohne Kenntnis eines Rechtsmittels handelnde Vollstreckungsbehörde.
Nach Aktenlage besteht – insoweit im Unterschied zu dem vom BSG entschiedenen Fall – auch keine Veranlassung, an der Erkenntnisfähigkeit der Klägerin zu zweifeln, die mit Gymnasialbildung typischerweise in der Lage gewesen sein dürfte, die Beklagte auf das anhängige Verfahren gegen den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid hinzuweisen. Nach wie vor gibt es auch keinen Grund zur Abkehr von der Auffassung, dass ein im Hauptsacheverfahren beauftragter Rechtsanwalt seinen Mandanten auch unter Berücksichtigung von dessen wirtschaftlichen Interessen zu beraten hat.
Gleichwohl bedürfen Fälle der vorliegenden Art aufgrund der jüngsten Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 02.11.2012 – B 4 AS 97/11 R) einer vertieften Prüfung, die nicht in das Verfahren der Bewilligung von Prozesskostenhilfe vorgezogen werden darf. Auch in dem vom BSG entschiedenen Fall war (wohl) der im Widerspruchsverfahren vertretende Prozessbevollmächtigte bereits im Rechtsstreit um die zugrundeliegende Forderung eingeschaltet (Tatbestand des dem Revisionsverfahren vorangehenden Berufungsverfahrens, Urteil des Bayerischen LSG vom 12.05.2010 – L 16 AS 829/09, juris Rn. 13). Trotzdem ist nach der Entscheidung des BSG die Verneinung der Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten auf Ausnahmen beschränkt. Eine Ausnahme könne z.B. erwogen werden, wenn es um die Klärung tatsächlicher Fragen gehe oder wenn aus dem angegriffenen Bescheid ersichtlich sei, dass die Entscheidung auf einem Missverständnis beruhe, das vom Widersprechenden leicht aufzuklären ist. Die Klägerin des vom BSG entschiedenen Verfahrens habe der Mahnung nicht entnehmen können, dass sie auf der Unkenntnis eines bereits eingelegten Widerspruches beruhe. Dieser Umstand trifft auch auf den vorliegenden Fall zu. Die Frage, ob dennoch eine Ausnahme zu bejahen ist, ist nicht im Verfahren der Prozesskostenhilfe zu klären. Die dem Urteil des BSG nachfolgende Rechtsprechung bestätigt teilweise die Notwendigkeit der Hinzuziehung von Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren gegen Mahngebühren auch bei deren vorheriger Beauftragung in Verfahren gegen zugrundeliegende Forderungsbescheide (z.B. LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 16.04.2013 – L 2 AS 2047/12 B; kritisch dagegen LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 03.06.2013 – L 12 AS 200/13 NZB; für die Annahme eines Ausnahmefalles bei Erhebung einer Mahngebühr trotz bereits aufgehobenen Aufhebungs- und Erstattungsbescheides LSG Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 22.04.2013 – L 11 AL 145/12 B). Auch dies spricht für eine hinreichende Erfolgsaussicht der Klage.
Kosten des Beschwerdeverfahrens nach Ablehnung von Prozesskostenhilfe sind gem. §§ 73a Abs. 1 S. 1 SGG, 127 Abs. 4 ZPO nicht zu erstatten.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 02.10.2013
Zuletzt verändert am: 02.10.2013