Die Vollstreckung aus dem Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 23.08.2013 wird insoweit einstweilen ausgesetzt, als der Antragssteller verpflichtet wird, Leistungen für Unterkunft und Heizung sowie Regelleistungen über den 30.11.2013 hinaus zu erbringen. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt. Der Antragsteller hat 1/3 der Kosten des Antragsgegners zu erstatten.
Gründe:
Die Entscheidung beruht auf § 199 Abs. 2 SGG. Danach kann der Vorsitzende des Gerichts, das über das Rechtsmittel zu entscheiden hat, die Vollstreckung durch einstweilige Anordnung aussetzen, wenn das Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung hat.
Der Aussetzungsantrag ist zulässig. Der vom Antragsteller mit der Beschwerde angefochtene Beschluss des Sozialgerichts ist ein vollstreckbarer Titel (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 SGG). Mit ihm wurde der Antragssteller als Antragsgegner des Eilverfahrens im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, Arbeitslosengeld II (d.h. gem. § 19 Abs. 1 S. 3 SGB II den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts sowie den Bedarf für Unterkunft und Heizung) zu zahlen. Der Umstand, dass es sich um eine Verpflichtung zur Leistung dem Grunde nach handelt, ohne dass die Höhe des Betrages genannt ist, steht der Vollstreckbarkeit des Beschlusses nicht entgegen (vergl. zur insoweit parallelen Rechtslage bei der Vollstreckung aus Grundurteilen nach § 130 SGG Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl., § 201 Rn. 2 mwN). Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung (§ 175 S. 1 und 2 SGG).
Der Antrag ist teilweise begründet. Die Anordnung nach § 199 Abs. 2 SGG, die Vollstreckung einstweilen auszusetzen, ist eine Ermessensentscheidung (BSG Beschluss vom 08.12.2009 – B 8 SO 17/09 R; LSG Baden-Württemberg Beschluss vom 26.01.2006 – L 8 AS 403/06 ER; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer SGG 10. Aufl., § 199 Rn 8 mwN; abweichend BSG Beschluss vom 06.08.1999 – B 4 RA 25/98 B). Sie erfordert regelmäßig eine Abwägung des Interesses des Gläubigers an der Vollziehung mit dem Interesse des Schuldners, nicht vor der Beendigung des Instanzenzuges zu leisten (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer SGG 10. Aufl., § 199 Rn 8 mwN).
Für die einstweilige Aussetzung der Vollstreckung bedarf es allerdings regelmäßig besonderer rechtfertigender Umstände, die über die Nachteile hinausgehen, die für den Antragsteller mit der Zwangsvollstreckung aus einem noch nicht rechtskräftigen Titel als solcher verbunden sind. Dies folgt aus der Entscheidung des Gesetzgebers, dass die Rechtsmittel Berufung und Beschwerde grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung haben (§§ 154, 175 SGG; hierzu auch BSG Beschluss vom 05.09.2001 – B 3 KR 47/01 R).
Für die Aussetzung der Vollstreckung aus einer einstweiligen Anordnung kommt hinzu, dass schon das in der Hauptsache geführte Eilverfahren darauf gerichtet ist, effizienten Rechtsschutz unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu gewährleisten (so etwa BVerfG Beschluss vom 10.10.2003 – 1 BvR 2025/03). Daher bedarf es für eine vorläufige Aussetzung der Vollstreckung nach § 199 Abs. 2 SGG der Glaubhaftmachung weiterer schwerer und unzumutbarer, nicht anders abwendbarer Beeinträchtigungen, die durch die Entscheidung über die Beschwerde – obwohl Eilverfahren – nicht mehr beseitigt werden können (in diesem Sinne auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom 06.06.2013 – L 6 SF 12713 ER, 16.05.2013 – L 6 SF 68/13 B ER, 19.04.2013 – L 6 SF 62/13 ER).
Sind existenzsichernde Leistungen zum Lebensunterhalt im Streit, ist zudem zu berücksichtigen, dass deren Gewährung einer verfassungsrechtlichen, dem Schutz der Menschenwürde dienenden Pflicht des Staates entspricht (BVerfG Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05). Auch deshalb müssen in diesen Fällen die Interessen des Antragstellers gegenüber der existenzsichernden Funktion der zuerkannten Leistungen für den Antragsgegner deutlich überwiegen (ähnlich Bayerisches LSG, Urteil vom 08.02.2006 – L 10 AS 17/06 ER; LSG Baden-Württemberg Beschluss vom 24.06.2008 – L 7 AS 2955/08 ER).
Damit verengt sich der Anwendungsbereich des § 199 Abs. 2 SGG in Eilverfahren nach dem SGB II auf Fallgestaltungen, in denen die Vollstreckung gegen den Leistungsträger ganz erheblich über die Nachteile hinausgeht, die für ihn regelmäßig mit der Zwangsvollstreckung aus dem Titel verbunden sind.
Nach Maßgabe dieser Kriterien ergibt die Abwägung einen Vorrang der Interessen der Antragsgegner an der Vollziehung, d.h. am Erhalt der Leistungen, soweit die Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts bis zum 30.11.2013 betroffen ist (1). Im Übrigen überwiegt das Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung (2).
1) Hinsichtlich der Zubilligung der Regelleistung bis zum 30.11.2013 ist als Nachteil auf Seiten des Antragstellers lediglich zu berücksichtigen, dass er – würde die Zwangsvollstreckung nicht einstweilen ausgesetzt – eine etwaige Rückforderung ggfs. nicht realisieren kann, wenn auf die Beschwerde hin der angefochtene Beschluss ganz oder teilweise geändert wird. Dies rechtfertigt – wie ausgeführt – die Aussetzung der Vollstreckung nicht.
2) Hinsichtlich des aus dem Tenor ersichtlichen Umfangs der Aussetzung liegt jedoch ein Ausnahmefall vor. Denn das Sozialgericht hat in der angefochtenen Entscheidung wesentliche Grundsätze des einstweiligen Anordnungsverfahrens missachtet, was insoweit eine Aussetzung der Vollstreckung gebietet:
a) Das Ermessen zur Bestimmung des Zeitraums, für den Leistungen im Eilverfahren zugesprochen werden, ist in Anlehnung an § 41 Abs. 1 S. 4 SGB II regelmäßig dahingehend auszuüben, dass dieser auf maximal sechs Monate beschränkt wird. Nachdem die Antragsgegner (als Antragsteller des Eilverfahrens) nach in diesem Verfahrensstadium beurteilbarer Aktenlage einen Bescheid (29.05.2013) angefochten haben, mit dem ein Leistungsanspruch ab 01.06.2013 abgelehnt wird, ist der Zeitraum, für den Leistungen zugesprochen werden, damit bis zum 30.11.2013 zu begrenzen.
b) Hinsichtlich der Kosten der Unterkunft und Heizung haben die Antragsgegner einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht (§§ 86b Abs. 2 SGG, 920 Abs. 2 ZPO). Für das Vorliegen eines Anordnungsgrundes im einstweiligen Rechtsschutzverfahren bezüglich der Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung ist es erforderlich, dass Wohnungs- und Obdachlosigkeit droht. Ein Anordnungsgrund ist damit grundsätzlich erst bei einer Rechtshängigkeit einer Räumungsklage gegeben. Selbst eine fristlose Kündigung reicht für die Bejahung der Eilbedürftigkeit nicht aus, dies gilt erst recht für die hier allein vorgetragenen "Mietrückstände". Denn selbst für den Fall einer fristlosen Kündigung und einer sich anschließenden Räumungsklage kann die Kündigung noch abgewendet werden. Für den Fall der Räumungsklage enthält § 22 Abs. 9 SGB II Regelungen zur Sicherung der Unterkunft. Hiernach ist das Amtsgericht verpflichtet, dem Grundsicherungsträger unverzüglich Tatsachen und näher bezeichnete Einzelheiten einer Räumungsklage nach der Kündigung von Wohnraum wegen Zahlungsverzuges mitzuteilen. Dies dient der Prävention von Obdachlosigkeit und soll es den Leistungsträgern ermöglichen, auch unabhängig von einem Antrag zu prüfen, ob die Kündigung durch Übernahme der Mietrückstände abzuwenden ist (Berlit in LPK-SGB II, 4. Auflage 2011, § 22 Rn. 200). Denn gemäß § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) wird eine Kündigung unwirksam, wenn der Vermieter spätestens bis zum Ablauf von zwei Monaten nach Eintritt der Rechtshängigkeit des Räumungsanspruchs hinsichtlich der fälligen Miete und der fälligen Entschädigung nach § 546a Abs. 1 BGB befriedigt wird oder sich eine öffentliche Stelle zur Befriedigung verpflichtet. Unerheblich ist dabei, dass durch eine Räumungsklage des Vermieters Kosten für den Leistungsberechtigten entstehen können. Maßgebliches Kriterium für die Beurteilung eines Anordnungsgrundes für die Geltendmachung des Bedarfs für Unterkunft und Heizung ist jedoch nicht die Vermeidung von Mehrkosten, sondern die drohende Wohnungs- bzw. Obdachlosigkeit (Beschlüsse des Senats vom 07.01.2013, L 19 AS 2281/12, L 19 AS 2282/12; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom 25.05.2012 L 7 AS 742/12 B ER ; 25.05.2011 – L 12 AS 381/11 B ER).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Die Anordnung der Aussetzung der Vollstreckung ist unanfechtbar (§ 199 Abs. 2 S. 3 SGG), auch im Übrigen ist dieser Beschluss nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 13.09.2013
Zuletzt verändert am: 13.09.2013