Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 18.10.2013 geändert. Der Antragsgegner wird für die Zeit vom 01.09.2013 bis zum 28.02.2014, längstens für die Dauer des Bezugs von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, einstweilig verpflichtet, dem Antragsteller Leistungen zur Lernförderung nach § 28 Abs. 5 SGB II für die Teilnahme an einer wöchentlich eine Stunde umfassenden Lese-/Rechtschreibförderung im Institut "C, LRS" der Legasthenietherapeutin C, L-Straße 00, C durch Zahlung der geschuldeten Rechnungsbeträge an das Institut zu erbringen. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers in beiden Rechtszügen zu 3/4.
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt Leistungen nach § 28 Abs. 5 SGB II für die Teilnahme an einer Lese- und Rechtschreibförderung.
Bei dem am 00.00.2002 geborene Antragsteller wurde durch die Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie Q am 25.02.2013 eine starke Lese-/Rechtschreibschwäche im Sinne einer kombinierten Teilleistungsstörung diagnostiziert. Der Antragsteller bezieht in Bedarfsgemeinschaft mit seiner Mutter Leistungen nach dem SGB II. Er besucht die sechste Klasse eines Gymnasiums (im Folgenden: Schule) in der sog. "Erprobungsstufe". Seine Leistungen im Fach Deutsch erhielten im ersten und zweiten Halbjahr des fünften Schuljahres jeweils das Prädikat "mangelhaft" bei einem Notendurchschnitt von 3,5 (für das zweite Halbjahr).
Am 10.06.2013 beantragte die allein sorgeberechtigte Mutter für den Antragsteller Leistungen für Bildung und Teilhabe in Gestalt der Übernahme der Kosten für eine Lernförderung bei dem Institut für Lerntherapie "C LRS" der Legasthenietherapeutin C, C.
Mit Bescheid vom 04.07.2013 lehnte der Antragsgegner den Antrag ab. Der Antragsteller könne vorrangige Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe nach § 35a SGB VIII in Anspruch nehmen.
Im Widerspruchsverfahren trug der Antragsteller vor, die Lese-/Rechtschreibschwäche stelle keine mehr als sechs Monate dauernde Beeinträchtigung seiner seelischen Gesundheit i.S.d. § 35a SGB VIII dar. Er beantragte erneut unter Vorlage der Bescheinigung von Frau Q und eines Auszugs des ersten Halbjahreszeugnisses der fünften Klasse Leistungen zur Lernförderung.
Mit Bescheid vom 16.08.2013 wies der Antragsgegner den Widerspruch zurück. Bei der beantragten Lernförderung handele es sich nicht um eine Förderung i.S.d. § 28 Abs. 5 SGB II. Die Arbeitshilfe des Ministeriums für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen sehe eine Übernahme der Kosten für eine Lernförderung bei einer Lese-/Rechtschreibschwäche nicht vor.
Der Antragsteller hat gegen diese Entscheidung im Verfahren S 14 AS 3548/13 am 13.09.2013 Klage erhoben und die einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners zur Erbringung der beantragten Leistung begehrt. Er hat eine Bescheinigung der Schule vorgelegt, nach der wegen der Lese-/Rechtschreibschwäche ein Förderbedarf bestehe und dieser durch die Schule nicht gedeckt werden könne.
Der Antragsgegner hat gemeint, nach dem Willen des Gesetzgebers sei eine außerschulische Lernförderung nur in Ausnahmefällen geeignet und erforderlich. Grundsätzlich werde eine nur kurzfristige Notwendigkeit zur Behebung einer vorübergehenden Lernschwäche vorausgesetzt. Eine längerfristige kontinuierliche Lernförderung sei nicht Gegenstand der Leistungen nach § 28 Abs. 5 SGB II. Da eine Förderung für die Dauer von sechs bis 18 Monaten für erforderlich gehalten werde, scheide eine Übernahme der Kosten nach § 28 Abs. 5 SGB II aus.
Seit dem 01.09.2013 nimmt der Antragsteller einmal wöchentlich mit einer vollen Stunde an der Lernförderung durch Frau C teil, hierfür fallen Kosten i.H.v. 32,50 EUR/Stunde an.
Mit Beschluss vom 18.10.2013 hat das Sozialgericht den Antrag abgelehnt. Es fehle bereits an der Eilbedürftigkeit der Entscheidung, weil über eine für den Antragsteller geeignete Schulform erst in eineinhalb Jahren entschieden werde. Es sei auch nicht ersichtlich, warum eine Leseschwäche durch ein pädagogisches Institut behandelt werden müsse. Der Antragsteller habe nichts dazu vorgetragen, inwieweit die Mutter bisher versucht habe, durch regelmäßiges Üben die Lese-/Rechtschreibschwäche auszugleichen. Es sei nicht ersichtlich, dass die Mutter eine solche Unterstützung nicht leisten könne.
Gegen den am 21.10.2013 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde vom gleichen Tag, mit der der Antragsteller die Verpflichtung des Antragsgegners zu Bewilligung der Lernförderung zumindest bis zum Ende des Schuljahres 2013/2014 (Juli 2014) begehrt.
Der Antragsteller stellt klar, dass er bereits die sechste Klasse besucht und seine Versetzung in die siebte Klasse gefährdet sei. Selbstverständlich habe die Mutter ihn unterstützt. Dies sei jedoch zur Behebung einer Lese-/Rechtschreibschwäche nicht ausreichend. Der Antragsteller hat das Zeugnis für das zweite Halbjahr des Schuljahres 2012/2013, Auszüge aus Ratgebern des Instituts für Legasthenikertherapie, ein Anhörungsschreiben der Stadt C zur beabsichtigten Ablehnung des Antrages auf Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VII vom 15.10.2013, Rechnungen über seine Teilnahme an der außerschulischen Lernförderung von September und Oktober 2013 über Einzelunterricht mit einem Preis von 32,50 EUR/Stunde sowie eine Bescheinigung der Schule vom 22.11.2013 vorgelegt. In dieser wird unter Bezugnahme auf beantragte Nachteilsausgleiche die Einschätzung geäußert, dass beim Antragsteller trotz der seitens der Schule durchgeführten und angebotenen Maßnahmen das angestrebte Lernziel der Versetzung in die höhere Klassenstufe gefährdet und daher zusätzlicher Lernförderbedarf gegeben erscheine, den die Schule zu leisten nicht im Stande sei.
Der Antragsgegner sieht seine Leistungszuständigkeit weiterhin nicht als gegeben an. Nach einer internen Weisung des kommunalen Trägers betrage der Förderhöchstbetrag nach § 28 Abs. 5 SGB II zudem nur 21,30 EUR je Stunde, während nach den vorgelegten Rechnungen 32,50 EUR zu zahlen seien.
Zu den weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist überwiegend begründet. Leistungen zur Bildung und Teilhabe können gesondert beantragt und gerichtlich durchgesetzt werden (ausführlich hierzu BSG Urteil vom 10.09.2013 – B 4 AS 12/13 R; so bereits für Bedarfe wegen Klassenfahrten BSG Urteil vom 23.1.2008 – B 14 AS 36/07 R; näher Luik in Eicher, SGB II, 3. Aufl. § 28 Rn. 69 m.w.N.). Der Antragsgegner ist gem. § 86b Abs. 2 SGG zur einstweiligen Gewährung von Leistungen nach § 28 Abs. 5 SGB II zu verpflichten, da sowohl ein Anordnungsanspruch im Sinne der Glaubhaftmachung eines im Hauptsacheverfahren durchsetzbaren Anspruchs (A) als auch ein Anordnungsgrund im Sinne der Glaubhaftmachung der Eilbedürftigkeit einer gerichtlichen Regelung (B) vorliegen. Die Leistungsdauer war dem Zweck des einstweiligen Rechtschutzverfahrens entsprechend zu begrenzen (C), der Wert der zugesprochenen Sachleistung war im Eilverfahren nicht abschließend zu klären (D).
A. Die Leistungsvoraussetzungen nach §§ 19 Abs. 2 S. 1, 28 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 SGB II sind glaubhaft gemacht. Der Antragsteller ist Schüler. Die beantragte Leistung erscheint nach dem Inhalt des Bildungsangebots wie auch dem Träger der Förderung geeignet, das Ziel einer Linderung oder Behebung der unstreitig vorliegenden Lese-/Rechtschreibschwäche zu erreichen. Dies entnimmt der Senat der Qualifikation der Inhaberin des Instituts für Lerntherapie C als Diplom-Legasthenietherapeutin und der Bescheinigung der Schule vom 22.11.2013. Der Antragsteller hat glaubhaft gemacht, dass die Lernförderung zumindest vorübergehend zusätzlich zur schulischen Förderung geboten ist, um die nach den schulrechtlichen Bestimmungen festgelegten wesentlichen Lernziele zu erreichen. In der Bescheinigung der Schule vom 22.11.2013 wird ausgeführt, dass trotz der durchgeführten und angebotenen Nachteilsausgleiche die Versetzung des Antragstellers in die höhere Klassenstufe gefährdet erscheint, so dass ein zusätzlicher Lernförderbedarf bestehe, den die Schule zu leisten nicht im Stande sei.
Der Umstand, dass die Lese-/Rechtschreibschwäche voraussichtlich nicht mit einer kurzfristigen Intervention zu beheben ist, sondern mindestens eine mehrmonatige Therapie erforderlich sein wird, steht der Annahme eines Anordnungsanspruchs nicht entgegen. Zwar soll nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 17/3404 S. 105) Lernförderung nur in Ausnahmefällen und kurzfristig notwendig sein, um die schulischen Angebote zu ergänzen. Unabhängig von der Frage, ob dies die Verhältnisse, in denen sich Bedarf an Lernförderung ergibt, realistisch abbildet (zweifelnd Becker, SGb 2012, S. 187), hat diese Einschränkung keinen Niederschlag im Gesetzeswortlaut gefunden (so zutreffend Lenze in Münder, SGB II, 5. Aufl., § 28 Rn. 24). Sie steht damit jedenfalls bei der im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens allein möglichen summarischen Prüfung der Bejahung eines Anordnungsanspruches nicht entgegen (im Ergebnis ebenso SG Itzehoe Beschluss vom 22.08.2010 S 10 AS 156/13 ER; SG Schleswig Beschluss vom 11.12.2013 – S 22 AS 177/13 ER). Da die Leistungen nach § 28 Abs. 5 SGB II nicht nur auf Nachhilfeleistungen im engeren Sinne begrenzt sind, umfassen sie auch andere Formen der Lernförderung, wie Förderungen bei Legasthenie oder Lese-/Rechtschreibschwäche (ebenso Becker, SGb 2012, S. 187, in diesem Sinne auch SG Marburg Beschluss vom 01.11.2012 – S 5 AS 213/12 ER).
Leistungen der Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII sind gegenüber Leistungen nach § 28 Abs. 5 SGB II vorrangig (§ 10 Abs. 3 S. 1 SGB VIII). Dies steht einer Verpflichtung des Antragsgegners nicht entgegen. Mit Schreiben vom 15.10.2013 hat die Stadt C mitgeteilt, dass sie nicht vom Vorliegen einer seelischen Behinderung i.S.d. § 35a SGB VIII ausgeht. Diese Annahme und die Einhaltung des nach § 35a Abs. 1a SGB VIII gebotenen Prüfverfahrens zur Feststellung einer Abweichung der seelischen Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen können im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht näher verifiziert werden. Dies steht der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs jedoch nicht entgegen, zumal im Rahmen der insoweit gebotenen Interessenabwägung zu berücksichtigen ist, dass dem Antragsgegner, sollte sich herausstellen, dass nicht er, sondern der Jugendhilfeträger für die Leistung zuständig ist, gegen diesen ein Erstattungsanspruch zusteht.
B. Ein Anordnungsgrund im Sinne der Eilbedürftigkeit gerichtlicher Regelung ist glaubhaft gemacht. Der Antragsgegner hat vorgetragen, dass er seine Leistungszuständigkeit nicht für gegeben hält und auch nicht vorläufig leisten will. Eine baldige Klärung im Hauptsacheverfahren ist nicht in Sicht, eine umgehende Teilnahme des Antragstellers an der tatsächlich auch besuchten Lernförderung dagegen erforderlich. Die Kosten der Förderung i.H.v. 32,50 EUR/Stunde können weder aus den Leistungen nach dem SGB II, noch aus Einkommen und Vermögen der Mutter des Antragstellers aufgebracht werden.
C. Der Senat hat den Zeitraum, für den Leistungen zugesprochen werden, auf die Zeit ab 01.09.2013 (Beginn des Monats des Eingangs des Eilantrags beim Sozialgericht) bis zum Ende des ersten Halbjahrs des sechsten Schuljahrs (Februar 2014) begrenzt, weshalb der weitergehende Antrag abzulehnen und die Beschwerde insoweit zurückzuweisen war. Dies erscheint im Hinblick auf den glaubhaft gemachten mindestens mittelfristigen Förderbedarf einerseits und das Interesse des Antragsgegners, nicht dauerhaft im Wege des Eilverfahrens in Anspruch genommen zu werden, andererseits sachgerecht. Die Begrenzung auf das Ende des ersten Schulhalbjahres ermöglicht zudem eine Prüfung der Wirksamkeit der Lernförderung. Zudem ist davon auszugehen, dass bis zu diesem Zeitpunkt der Jugendhilfeträger seine Leistungspflicht abschließend geprüft hat.
Sachgerecht erscheint auch die Verpflichtung des Antragsgegners nur für den Zeitraum, in dem der Antragsteller im Leistungsbezug steht. Zwar können gem. § 19 Abs. 3 S. 2 SGB II Leistungen für Bildung und Teilhabe auch erbracht werden, wenn nur diese Bedarfe Hilfebedürftigkeit auslösen und Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht bewilligt werden. Indes wäre der Wegfall diesbezüglicher Hilfebedürftigkeit eine so wesentliche Änderung der Verhältnisse, dass dann eine neue Prüfung der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs und -grundes geboten wäre.
D. Die Lernförderung ist als Sachleistung durch Direktzahlung an den Anbieter zu erbringen (Luik a.a.O, § 28 Rn. 38). Der Senat hat in entsprechender Anwendung von § 130 Abs. 1 SGG darauf verzichtet, die Leistungshöhe näher zu bestimmen. Aufgrund des Vortrags des Antragsgegners ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die qualifizierte Lerntherapie infolge einer Lese-/Rechtschreibstörung mit dem vom Antragsgegner aufgeführten Nachhilfeunterricht im Sinne der Rundverfügung des kommunalen Trägers (Preis-Obergrenze 21,30 EUR/Zeitstunde) nicht vergleichbar ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG und berücksichtigt, dass der Antragsteller mit seinem Begehren überwiegend erfolgreich war. Die zeitliche Begrenzung der Zusprache der Leistung fällt gegenüber dem Erfolg dem Grunde nach geringer ins Gewicht.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 09.01.2014
Zuletzt verändert am: 09.01.2014