Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 10.12.2013 wird zurückgewiesen. Der Antragsgegner trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin auch für das Beschwerdeverfahren.
Gründe:
I. Streitig ist ein Anspruch auf Grundsicherungsleistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für eine bulgarische Staatsangehörige im Rahmen eines Verfahrens auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes.
Das Sozialgericht (SG) Dortmund hat den Antragsgegner mit Beschluss vom 10.12.2013 verpflichtet, der 1953 geborenen Antragstellerin vorläufig ab dem 03.09.2013 bis zum 28.02.2014 Leistungen nach dem SGB II zur Sicherung des Lebensunterhalts (Regelbedarf) zu zahlen. Die Antragstellerin habe sowohl einen Anordnungsgrund als auch den Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Sie sei hilfebedürftig. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 SGB II stehe dem nicht entgegen. Im Wege der Folgenabwägung sei angesichts der Zweifel an der Europarechtskonformität dieser Ausschlussregelung der bedürftigen Antragstellerin zur vorläufigen Existenzsicherung befristet die Leistungen zu gewähren.
Gegen diesen dem Antragsgegner am 15.12.2013 zugestellten Beschluss richtet sich seine Beschwerde vom 09.01.2014, zu deren Begründung er sich im Wesentlichen auf anderslautende Rechtsprechung des Landessozialgerichts (LSG) Niedersachsen-Bremen (Beschluss vom 15.11.2013 – L 15 AS 365/13 B ER, juris) bezieht.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Gerichts- und Verwaltungsakten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
Die vom SG getroffene Anordnung, mit der der Antragsgegner verpflichtet wurde, der Antragstellerin vorläufig Grundsicherungsleistungen in Form des Regelbedarfs nach § 20 SGB II vom 03.09.2013 befristet bis 28.02.2014 zu gewähren, ist rechtmäßig.
Die Antragstellerin hat, darüber herrscht auch zwischen den Beteiligten kein Streit, die Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes glaubhaft gemacht.
Der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II, auf den sich der Antragsgegner allein berufen könnte und beruft, greift nicht. Dabei kann im Ergebnis offen bleiben, ob die Voraussetzungen des Leistungsausschlusses vorliegen; denn – soweit ersichtlich – nach allen von den zuständigen Fachsenaten des Landessozialgerichts für das einstweilige Rechtsschutzverfahren entwickelten rechtlichen Ansätzen kommt man hier zu einem vorläufigen Leistungsanspruch der Antragstellerin.
Folgt man mit dem SG der Auffassung, die Antragstellerin halte sich nicht (mehr) allein zur Arbeitssuche in Deutschland auf, sind die tatbestandlichen Voraussetzungen der eng auszulegenden Ausschlussnorm schon nicht gegeben (s. LSG NRW Urteil vom 10.10.2013 – L 19 AS 129/13; kritisch zu diesem rechtlichen Ansatz Urteil des erkennenden Senats vom 28.11. 2013 – L 6 AS 130/13).
Von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen ist die Antragstellerin auch dann nicht, wenn man mit dem erkennenden Senat davon ausgeht, dass § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II jedenfalls deshalb nicht greift, weil die Bestimmung mit europäischem Sekundärrecht nicht vereinbar ist (vgl. hierzu zusammenfassend Urteil vom 28.11. 2013 – L 6 AS 130/13; s. EuGH Urteil vom 19.09.2013 – Rs. C-140/12 – Brey, juris). Danach verstößt der Ausschluss gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 4 VO (EG) 883/2004. Bei dem Leistungsausausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II handelt es sich um eine offene, unmittelbare Diskriminierung, denn das entscheidende Unterscheidungskriterium ist die Staatsangehörigkeit. In der VO (EG) 883/2004 selbst findet sich keine (ausdrückliche) Regelung, die eine solche unterschiedliche Behandlung zulässt (s auch Dern in SchreiberlWunder/Dern VO (EG) Nr. 883/2004 Art. 4 VO RdNr 5). Eine den Leistungsausschluss möglicherweise rechtfertigende Einschränkung des Diskriminierungsverbots ergibt sich nicht aus Art. 24 Abs. 2 2. Alt in Verbindung mit Art. 14 Abs. 4 Buchstabe b) der RL 2004138/EG (Unionsbürgerrichtlinie). Die RL 2004/38/EG ist auf die Antragstellerin als Unionsbürgerin neben der VO (EG) 883/2004 anwendbar (s EuGH Urteil vom 19.09.2013 – C-140/12, Brey, juris, Rdnr 57 auch zu den unterschiedlichen Regelungsgegenständen der RL 2004/38/EG einerseits, die das Freizügigkeitsrecht zum Gegenstand hat, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, und der VO (EG) 883/2004 andererseits, die grundsätzlich Unionsbürgem, die von ihrem Recht auf Arbeitnehmerfreizügigkeit Gebrauch gemacht haben, die Beibehaltung des Anspruchs auf bestimmte Leistungen der sozialen Sicherheit, garantieren soll). Mit sekundärem Gemeinschaftsrecht, so wie es sich aus Art. 24 Abs. 1, 2; 7 Abs. 1 Buchstabe b; 8 Abs. 4; 14 Abs. 3, Abs. 4 Buchstabe b der RL ergibt, ist es nicht vereinbar, dass ein Unionsbürger, der sich allein zur Arbeitssuche in Deutschland zulässigerweise aufhält oder aufgehalten hat, ohne dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen eingeleitet worden sind, automatisch und ohne Möglichkeit einer weiteren Einzelfallprüfung unter dem Blickwinkel der Verhältnismäßigkeit von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen ist. Der Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 4 der Verordnung (EG) 883/2004 führt wegen des Anwendungsvorrangs zur Nichtanwendbarkeit des diskriminierenden Merkmals des nationalen Rechts bei Anwendung der Tatbestandsvoraussetzungen des Leistungsanspruchs im Übrigen (st Rspr des EuGH seit Rs 63176, Sig 1976, 2057 -Inzirillo).
Folgt man diesen rechtlichen Ansätzen nicht und möchte die zuverlässige Beurteilung der anstehenden komplexen und schwierigen, kontrovers diskutierten und entschiedenen Rechtsfragen (vgl. zuletzt etwa LSG Niedersachsen-Bremen Beschlüsse vom 15. 11.2013 – L 15 AS 365/13 B ER und vom 30.01.2014 – L 13 AS 266/13 B ER, jeweils juris; LSG NRW Beschlüsse vom 16.06.2013 (16.05.2013) – L 6 AS 531/13 B ER und vom 06.06.2013 – L 6 AS 170/13 B ER; Hessisches LSG Beschluss vom 30.09.20130 – 6 AS 433/13 B ER sowie Urteil vom 27.11.2013 – L 6 AS 378/121 jeweils juris; vgl. auch Bayerisches LSG Beschluss vom 19.11.2013 – L 7 AS 753/13 B ER mit Besprechung von Neumair jurisPR-SozR 2/2014 vom 23.01.2014, Anm. 2; zusammenfassend Hofmann/Kummer, ZESAR 2013,199 m.w.N.; LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 30.11.2010 – L 34 AS 1501/10 B ER mwN auch zur Gegenauffassung; s auch Behrend, jurisPR-SozR 3/2014 vom 06.02.2014; Thym, NZS 2014, 81; BSG Beschluss vom 12.12.2013- B 4 AS 9/13 R, juris; SG Leipzig Beschluss vom 03.06.2013 – S 17 AS 2198/12) nicht im Eilverfahren vornehmen, sondern einem Hauptsacheverfahren überantwortet wissen, hat das SG den Antragsgegner im angefochtenen Beschluss zutreffend im Wege der Folgenabwägung zu vorläufiger Leistungserbringung nach dem SGB II verpflichtet. Die vorläufige Leistungspflicht in diesem Zusammenhang erfasst insbesondere Ansprüche, die auf der Grundlage der verfassungsrechtlichen Existenzsicherungspflicht des Staates darauf zielen, ein menschenwürdiges Leben sicherzustellen. Soweit dann der Anordnungsanspruch selbst nur möglicherweise besteht, ist dieser in der Regel zumindest vorläufig zu befriedigen, wenn er eine für die soziokulturelle Teilhabe unverzichtbare Leistungshöhe sichert und nicht absehbar ist, dass kurzfristig die notwendige abschließende Klärung über das Vorliegen des Anspruches herbeigeführt werden kann (Bundesverfassungsgericht – BVerfG – Beschluss vom 12.05. 2005 – 1 BvR 596/05 juris Rn. 26, 29; ebenso zuletzt auch LSG Sachsen-Anhalt Beschluss vom 01.11.2013 – L 2 AS 841/13 B ER, www.sozialgerichtsbarkeit.de).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 24.04.2014
Zuletzt verändert am: 24.04.2014