Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 27.03.2014 geändert. Der Antrag auf einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners zur Erbringung von Leistungen für Unterkunft und Heizung nach dem SGB II wird abgelehnt. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Der Antragsgegner trägt die Hälfte der erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller in beiden Rechtszügen. Den Antragsgegnern wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin K, F, beigeordnet.
Gründe:
I.
Die Antragsteller zu 1) und 2) sind rumänische Staatsbürger und Eltern der minderjährigen Antragsteller zu 3) und 4). Zum 01.01.2014 bezogen sie eine von der Antragsstellerin zu 1) angemietete Wohnung im Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners.
Am 01.01.2014 beantragten die Antragsteller Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Diesen Antrag lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 30.01.2014 ab. Ein Anspruch auf Leistungen bestehe nicht, weil die Antragsteller nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II als Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergebe, von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen seien. Dieser Bescheid in Gestalt des zurückweisenden Widerspruchsbescheides vom 27.02.2014 wurde mit der Klage vom 06.03.2014 angefochten (S 45 AS 631/14).
Am 21.03.2014 haben die Antragsteller die einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners zur Erbringung von Leistungen nach dem SGB II beantragt. Sie seien nicht in der Lage, ihren Lebensunterhalt und die Kosten der Unterkunft aus Einkommen oder Vermögen zu bestreiten. Das Mietverhältnis sei bereits gekündigt.
Mit Beschluss vom 27.03.2014 hat das Sozialgericht den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern für die Zeit ab dem 21.03.2014 bis zum 21.09.2014, längstens bis zur Entscheidung in der Hauptsache, vorläufig Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Gegen den ihm am 27.03.2014 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde des Antragsgegners vom 31.03.2014. Der Antragsgegner beruft sich auf den Leistungsausschuss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II und meint, insbesondere für die einstweilige Zuerkennung von Leistungen für Unterkunft und Heizung sei kein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
Mit Beschluss vom 17.04.2014 ist die Vollstreckung aus dem Beschluss vom 27.03.2014 einstweilen ausgesetzt worden, soweit der Antragsgegner verpflichtet worden ist, Leistungen für Unterkunft und Heizung zu erbringen.
Die Antragsteller beantragen die Zurückweisung der Beschwerde und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren. Sie haben ein Schreiben des Vermieters vom 04.03.2014 vorgelegt, wonach das Mietverhältnis wegen Zahlungsrückständen fristlos gekündigt werde.
Zu Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet, soweit der Antragsgegner verpflichtet worden ist, Leistungen für Unterkunft und Heizung im Sinne von § 22 SGB II einstweilen zu erbringen. Hierfür fehlt es an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes im Sinne des § 86 b Abs. 2 SGG.
Für das Vorliegen eines Anordnungsgrundes im einstweiligen Rechtsschutzverfahren auf Übernahme von Kosten der Unterkunft und Heizung ist es erforderlich, dass Wohnungs- und Obdachlosigkeit drohen. Ein Anordnungsgrund ist damit grundsätzlich erst bei Rechtshängigkeit einer Räumungsklage gegeben. Selbst eine fristlose Kündigung reicht für die Bejahung der Eilbedürftigkeit nicht aus. Dies ist im Hinblick auf den gesetzlich vorgesehenen Schutzmechanismus zur Abwendung eines drohenden Wohnungsverlustes wegen Mietrückständen verfassungsrechtlich unbedenklich (BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 30.07.2007 – 1 BvR 535/07 unter Hinweis auf § 22 Abs. 5 S. 1 und 2, Abs. 6 SGB II in der bis zum 31.12.2010 geltenden Fassung, seither § 22 Abs. 9 SGB II; vgl. auch §§ 543 Abs. 1, 2 S. 1 Nr. 3, 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB).
Denn für den Fall einer fristlosen Kündigung und einer sich anschließenden Räumungsklage kann die Kündigung noch abgewendet werden. Für den Fall der Räumungsklage enthält § 22 Abs. 9 SGB II Regelungen zur Sicherung der Unterkunft. Hiernach ist das Amtsgericht verpflichtet, dem Grundsicherungsträger unverzüglich Tatsachen und näher bezeichnete Einzelheiten einer Räumungsklage nach der Kündigung von Wohnraum wegen Zahlungsverzugs mitzuteilen. Dies dient der Prävention von Obdachlosigkeit und soll den Leistungsträgern ermöglichen, auch unabhängig von einem Antrag zu prüfen, ob die Kündigung durch Übernahme der Mietrückstände abzuwenden ist (Berlit in LPK-SGB II, 5. Auflage 2011, § 22 Rn. 207). Denn gemäß § 569 Abs. 3 Nr. 2 S. 1 BGB wird eine Kündigung unwirksam, wenn der Vermieter spätestens bis zum Ablauf von zwei Monaten nach Eintritt der Rechtshängigkeit des Räumungsanspruchs hinsichtlich der fälligen Miete und der fälligen Entschädigung nach § 546a Abs. 1 BGB befriedigt wird oder sich eine öffentliche Stelle zur Befriedigung verpflichtet.
Ein Anordnungsgrund ergibt sich dagegen nicht bereits aus eventuellen Kostenfolgen der Kündigung des Mietverhältnisses. Maßgebliches Kriterium für die Feststellung eines Anordnungsgrundes hinsichtlich der Geltendmachung des Bedarfs für Unterkunft und Heizung ist nicht die Vermeidung von Mehrkosten, sondern die drohende Wohnungs- bzw. Obdachlosigkeit (u.a. Beschlüsse des Senats vom 10.04.2014 – L 19 AS 471/14 B ER, vom 07.01.2013 – L 19 AS 2281/12, L 19 AS 2282/12 und 12.12.2013 – L 19 AS 2074/13 B ER; LSG Nordrhein-Westfalen Beschlüsse vom 25.05.2012 – L 7 AS 742/12 B ER; und 25.05.2011 – L 12 AS 381/11 B ER).
Ein Anordnungsgrund ergibt sich nicht aus dem Umstand, dass zwar die außerordentliche, nicht jedoch die ordentliche Kündigung wegen Zahlungsverzugs durch nachträgliche Zahlung des Mietzinses abgewendet werden könnte. Denn die ordentliche Kündigung setzt nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB im Gegensatz zur fristlosen Kündigung wegen Zahlungsverzugs ein Verschulden des Mieters voraus. Während der Mieter grundsätzlich, insbesondere auch bei Zahlungsverzug als Voraussetzung der außerordentlichen Kündigung, für seine finanzielle Leistungsfähigkeit einzustehen hat und sich bei Geldmangel nicht auf § 286 Abs. 4 BGB berufen kann, entlastet ihn im Rahmen von § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB eine unverschuldete Zahlungsunfähigkeit. Bei der Prüfung der schuldhaften und nicht unerheblichen Pflichtverletzung i.S.d. § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB sind die Gesamtumstände im Zusammenhang mit dem Zahlungsverhalten zu berücksichtigen (LG Freiburg Urteil vom 19.10.2012 – 3 S 87/12). Damit begünstigt § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB den Mieter bei einer ordentlichen Kündigung und eröffnet ihm im Gegensatz zur fristlosen Kündigung wegen Zahlungsverzugs die Möglichkeit, sich auf unvorhersehbare wirtschaftliche Engpässe zu berufen. Im Rahmen des Verschuldens kann zudem eine nachträgliche Zahlung des Mieters innerhalb der Schonfrist des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB zu seinen Gunsten berücksichtigt werden, weil sie ein etwaiges Eigenverschulden in einem milderen Licht erscheinen lässt (BGH Urteil vom 16.05.2005 – VII ZR 6/04 m.w.N.; Beschlüsse des Senats vom 29.05.2012 – L 19 AS 957/12 B ER und 10.04.2014 – L 19 AS 471/14 B ER; Weidenkaff in Palandt, BGB, 70. Aufl., § 573 Rn. 16 m.w.N.).
Im Übrigen ist die Beschwerde unbegründet. Zu Recht und im Einklang mit der einhelligen Rechtsprechung sämtlicher mit dem Grundsicherungsrecht des SGB II befasster Senate des LSG Nordrhein-Westfalen hat das Sozialgericht den Antragsgegner zur einstweiligen Erbringung von Grundsicherungsleistungen in Gestalt der Regelbedarfe der Antragsteller zu 1) und 2) und des Sozialgeldes für die Antragsteller zu 3) und 4) verpflichtet.
Der Anordnungsgrund ergibt sich aus dem glaubhaft gemachten Fehlen von ausreichenden Eigenmitteln der Antragsteller.
Ob auch ein Anordnungsanspruch im Sinne eines im Hauptsacheverfahren voraussichtlich durchsetzbaren Anspruchs auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II glaubhaft gemacht ist, muss offen bleiben. Zwar erfüllen die Antragsteller zu 1) und 2) die Leistungsvoraussetzungen nach § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 – 4 SGB II, da sie das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben, erwerbsfähig und hilfebedürftig sind sowie ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben. Die Antragsteller zu 3) und 4) erfüllen die Grundvoraussetzungen für einen Anspruch auf Sozialgeld. Umstritten und fraglich ist jedoch, ob der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II eingreift, weil sich das Aufenthaltsrecht der Antragsteller zu 1) und 2) allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt.
Eine abschließende Klärung der seit Jahren und in mehrerlei Hinsicht umstrittenen Frage, ob der Leistungsausschluss für Ausländer, die sich ausschließlich zur Arbeitsuche im Inland aufhalten, rechtmäßig und anzuwenden ist, ist im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht geboten. Angesichts vielfältiger Rechtsprechung mit einem kaum noch überschaubaren Meinungsspektrum, mehrerer noch anhängiger Revisionsverfahren (B 4 AS 64/13 R zum Urteil des Senats vom 10.10.2013 – L 19 AS 129/13; B 14 AS 16/13 R zum Urteil des SG Berlin vom 14.12.2012 – S 82 AS 17717/11; B 14 AS 51/13 R zum Urteil des Bayerischen LSG – L 16 AS 847/12; – B 14 AS 15/14 R zum Urteil des Hessischen LSG vom 27.11.2013 – L 6 AS 378/12) und zweier Vorlagen an den EuGH nach Art. 267 Abs. 1, 3 AEUV (SG Leipzig Vorlagebeschluss vom 03.06.2013 – S 17 AS 2198/12 = EUGH C-333/13 (Dano); BSG Vorlagebeschluss vom 12.12.2013 – B 4 AS 9/13 R) kann im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur eine vorläufige Regelung ergehen.
Zu Recht hat das Sozialgericht daher im Wege der Folgenabwägung entschieden, dass den Antragstellern einstweilig Regelleistungen nach dem SGB II zuzuerkennen sind.
Zwar ist auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes grundsätzlich aufgrund einer abschließenden Prüfung der Sach- und Rechtslage zu entscheiden. Ist dies jedoch – wie hier – nicht möglich, ist nach allgemeiner Auffassung, einhelliger Rechtsprechung aller für das Leistungsrecht des SGB II zuständigen Senate des LSG Nordrhein-Westfalen und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. z.B. BVerfG Beschlüsse vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05 und 06.02.2013 – 1 BvR 2366/12) im Wege der Folgenabwägung zu entscheiden, in die insbesondere die grundrechtlich relevanten Belange der Antragsteller einzustellen sind. Im Rahmen der Folgenabwägung überwiegt das Interesse der Antragsteller am einstweiligen Bezug existenzsichernder Regelleistungen das fiskalische Interesse des Antragsgegners, nicht dem Risiko der Geltendmachung einer möglicherweise nicht erfolgsversprechenden Rückforderung ausgesetzt zu sein.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 Abs. 1 SGG und trägt dem teilweisen Erfolg der Beschwerde Rechnung.
Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach §§ 73a Abs. 1 S. 1 SGG, 114, 119 Abs. 1 S. 2 ZPO liegen vor.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundesozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 21.05.2014
Zuletzt verändert am: 21.05.2014