Auf die Beschwerde der Kläger wird der Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 20.10.2012 geändert: Den Klägern wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt L, M bewilligt. Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Kläger wenden sich gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe für ein Klageverfahren vor dem Sozialgericht, in dem sie Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) begehren.
Am 23.02.2009 beantragten die Kläger bei der Beklagten die Bewilligung von Leistungen nach SGB II. Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 06.03.2009, der irrtümlich das Datum 19.03.2008 trug, wegen fehlender Mitwirkung unter Hinweis auf § 66 Erstes Buch Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – (SGB I) ab. Mit Schreiben vom 16.08.2010 beantragten die Kläger durch ihren Bevollmächtigten "die Überprüfung der beantragten und abgelehnten Leistungen nach dem SGB II" im Rahmen des § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X). Mit Schreiben vom 04.10.2010 begründeten sie den Antrag unter Nennung des Bescheides vom 19.03.2008 damit, dass die Versagung der Leistung wegen fehlender Mitwirkung nicht wirksam sei, da eine konkrete Rechtsfolgenbelehrung vorab nicht vorgenommen worden sei. Vor Erlass des Bescheides seien die Kläger nicht detailliert darüber belehrt worden, welche Konsequenzen aus der unterlassenen Beibringung der geforderten Unterlagen gezogen werden würden. Mit Bescheid vom 04.11.2010 lehnte die Beklagte den Überprüfungsantrag ab, da die Rechtswidrigkeit des zur Überprüfung gestellten Bescheides nicht zu erkennen sei. Dagegen legten die Kläger durch ihren Bevollmächtigten am 10.11.2010 Widerspruch ein. Unter dem 18.08.2011 verfasste die Beklagte ein an den Bevollmächtigten der Kläger adressiertes Schreiben das mit dem Wort "Abhilfebescheid" überschrieben war. Der Verfügungssatz dieses Bescheides lautete: "Ihrem o. g. Widerspruch wird abgeholfen." In der Begründung wurde ausgeführt dass der Leistungsantrag der Kläger wegen fehlender Mitwirkung abgelehnt worden sei. Der Mitwirkungspflicht seien die Kläger durch Einreichung der angeforderten Unterlagen jedoch nachgekommen. Somit sei ihrem Widerspruch vom 10.11.2010 stattzugeben. Ebenfalls am 18.08.2011 verfasste die Beklagte einen (weiteren) Bescheid, mit dem sie den Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II vom 23.02.2009 wegen fehlender Hilfebedürftigkeit ablehnte. Dieser Bescheid trug über dem Datum das handgeschriebene Wort "ab" und war an die Klägerin zu 1) und den Kläger zu 2) adressiert.
Am 25.11.2011 legten die Kläger durch ihren Bevollmächtigten gegen letztgenannten Bescheid Widerspruch ein. Da die Bekanntgabe des Bescheides nicht an den Bevollmächtigten erfolgt sei, sei keine Verfristung eingetreten. Mit Widerspruchsbescheid vom 04.05.2012 wies der Kreis D den Widerspruch als unzulässig zurück. Die Widerspruchsfrist sei nicht eingehalten worden. Die Beklagte sei nicht verpflichtet gewesen, den Bescheid an den Bevollmächtigten bekannt zu geben. Gemäß § 37 Abs. 1 S. 2 SGB X stehe es im Ermessen der Behörde, ob sie den Verwaltungsakt an den Betroffenen oder den Bevollmächtigten bekannt gebe.
Mit ihrer am 15.05.2012 beim Sozialgericht Münster (SG) erhobenen Klage haben die Kläger unter Beantragung von Prozesskostenhilfe geltend gemacht, dass es ermessensfehlerhaft gewesen sei, die für die Kläger positive Entscheidung dem Bevollmächtigten, den Ablehnungsbescheid jedoch den Klägern persönlich bekanntzugeben. Der Bescheid könne damit erst mit der Kenntnisnahme des Bevollmächtigten als bekannt gegeben angesehen werden. Der Ablehnungsbescheid sei auch rechtswidrig, da zu Unrecht lediglich die angemessenen anstatt der tatsächlichen Kosten der Unterkunft berücksichtigt worden seien.
Das SG hat den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit Beschluss vom 20.10.2012 abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, dass eine hinreichende Erfolgsaussicht für die Klage nicht bestehe. Der Kreis D habe den Widerspruch der Kläger zu Recht als unzulässig zurückgewiesen. Gemäß § 37 Abs. 2 S. 1 SGB X gelte der Bescheid am 21.08.2011 als bekannt gegeben. Der Umstand, dass der Ablehnungsbescheid vom 18.08.2011 an die Kläger zu 1) und 2) persönlich adressiert gewesen sei, ändere an diesem Ergebnis nichts. Es habe im Ermessen der Beklagten gestanden, ob sie den Ablehnungsbescheid den Klägern selbst oder ihrem Bevollmächtigten gegenüber bekannt gebe. Daher sei die Entscheidung der Beklagten vom Gericht lediglich dahin überprüfbar, ob diese die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten habe oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht habe. Ermessensfehler vermöge die Kammer bei der Bekanntgabe des Bescheides nicht zu erkennen. Ein solcher sei bei der Adressierung eines Bescheides an den Betroffenen anstatt seinen Bevollmächtigten nur anzunehmen, wenn für die Behörde erkennbare Besonderheiten bei dem Beteiligten vorlägen, die eine Bekanntgabe nicht auch an den Bevollmächtigten unangebracht erscheinen ließen. Solche Umstände lägen hier nicht vor.
Mit der am 05.11.2012 eingelegten Beschwerde vertreten die Kläger die Auffassung § 13 SGB X diene dem Schutz und dem Interesse der an einem Verwaltungsverfahren beteiligten Bürger. Dieser Schutzzweck werde nicht durch den Regelungsgehalt des § 37 SGB X obsolet. Zudem sei nicht erkennbar, dass der Bekanntgabe des ablehnenden Bescheids vom 18.08.2011 überhaupt eine Ermessensentscheidung vorangegangen wäre. Jedenfalls sei das Ermessen nicht in rechtmäßiger Art und Weise ausgeübt worden.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
Das SG hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Unrecht abgelehnt.
Voraussetzung für die Gewährung von PKH ist nach § 73a Abs. 1 S. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. § 114 der Zivilprozessordnung (ZPO) unter anderem, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Eine hinreichende Erfolgsaussicht besteht, wenn das Gericht nach vorläufiger Prüfung den Standpunkt des Antragstellers auf Grund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für zutreffend oder doch für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 73a Rz. 7a; st. Rspr. des erkennenden Senats, z.B. Beschluss vom 23.03.2010, L 6 B 141/09 AS). Der Erfolg braucht nicht sicher zu sein, muss aber nach den bisherigen Umständen eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich haben. Dabei dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung nicht überspannt werden. Die Prüfung der Erfolgsaussicht darf nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung in das Nebenverfahren der PKH vorzuverlagern (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer aaO § 73a Rz. 7). Das PKH-Verfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nicht selbst bieten, sondern zugänglich machen.
Nach dieser Maßgabe war im vorliegenden Fall Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Die Klage hat hinreichende Aussicht auf Erfolg. Ob der Beklagte den Widerspruch zutreffend als unzulässig zurückgewiesen hat, ist offen, da derzeit eine zuverlässige Beurteilung, ob die Kläger die Widerspruchsfrist versäumt haben, nicht möglich ist.
Gemäß § 84 Abs. 1 SGG ist der Widerspruch binnen eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekannt gegeben worden ist, schriftlich oder zur Niederschrift bei der Stelle einzureichen, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Nach derzeitigem Sachstand kann der Ablauf der Widerspruchsfrist nicht festgestellt werden, da schon deren Beginn nicht bekannt ist.
Ohne vernünftigen Zweifel steht lediglich fest, dass der Widerspruch der Kläger gegen den Bescheid vom 18.08.2011 am 28.11.2011 bei der Beklagten per Fax erstmals eingegangen ist. Ob zu diesem Zeitpunkt die Widerspruchsfrist bereits abgelaufen war, ist jedoch nicht feststellbar. Denn es fehlt ein Nachweis dafür, wann der fragliche Bescheid den Klägern bekannt gegeben worden ist. Eine Bekanntgabe an den Bevollmächtigten der Kläger erfolgte unstreitig nicht. Dieser hat erst durch Vorlage des Bescheides durch die Kläger von dem Bescheid Kenntnis erlangt und (wohl ohne weiteres schuldhaftes Zögern) Widerspruch erhoben. Dieser vom Bevollmächtigten der Kläger beschriebene Vorgang lässt auch keinen Zweifel daran, dass der Bescheid den Klägern persönlich zugegangen und damit eine Bekanntgabe erfolgt ist. Offen ist jedoch, an welchem Tag die Bekanntgabe erfolgte.
Entgegen der Auffassung des SG greift hier die Bekanntgabefiktion des § 37 Abs. 2 S. 1 SGB X nicht. Danach gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, am 3. Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Es ist aus den vorliegenden Unterlagen und auch aus dem Vortrag der Beklagten nicht erkennbar, wann der Bescheid zur Post aufgegeben wurde. Die handschriftliche Eintragung des Wortes "ab" lässt jedenfalls keinen Rückschluss darauf zu, wann die Aufgabe zur Post erfolgte. Welche Bedeutung diese Eintragung haben könnte, lässt sich allenfalls vermuten. Nach den Erfahrungen des Senates handelt es sich bei dieser Eintragung um eine solche der den Bescheid erstellenden Sachbearbeiterin, mit dem dokumentiert werden soll, an welchem Tag der Bescheid deren Zuständigkeitsbereich verlassen hat. Dies ist jedoch im Hinblick auf die Bekanntgabefiktion des § 37 Abs. 2 S. 1 SGB X unerheblich (Pattar in: jurisPK-SGB X, § 37 SGB X, Rzf 96). Der Senat geht nicht davon aus, dass im vorliegenden Fall die Sachbearbeiterin den Bescheid persönlich einem Mitarbeiter der Post oder eines anderen Briefzustelldienstes übergeben hat; denn in der Regel dürfte eine dem Beklagten vergleichbare Organisation/Behörde die Briefversendung über Mitarbeiter der Poststelle vornehmen, die ihrerseits erst die Sendung an Mitarbeiter von Zustelldiensten übergeben oder zur Post bringen. Dem Senat sind aus eigener Anschauung Fälle bekannt, in denen der Poststempel des bekanntzugebenden Verwaltungsaktes ein Datum trug, das mehrere Wochen nach dem Datum des Ab-Vermerks des Sachbearbeiters lag. Den Anforderungen des § 37 Abs. 2 S. 1 SGB X genügend müsste der Mitarbeiter der Poststelle den Zeitpunkt der Aufgabe zur Post dokumentieren, der Sachbearbeiter ist hierzu von vorneherein nicht in der der Lage.
Um für die Bestimmung des Beginns der Widerspruchsfrist auf die Bekanntgabefiktion des § 37 Abs. 2 S. 1 SGB X abstellen zu können, wäre vor diesemHintergrund zunächst aufzuklären, welchen behördeninternen Erklärungsinhalt der "Ab-Vermerk" tatsächlich hat. Diese Feststellungen wären entbehrlich, wenn der Bescheid nachweislich erst später als drei Tage nach Fertigung des "Ab-Vermerks" tatsächlich bekannt gegeben worden wäre.
Die Zulässigkeit des Widerspruchs unterstellt, ist PKH nicht etwa deshalb abzulehnen, weil auf die höheren Leistungen nach dem SGB II gerichtete Klage keine Aussicht auf Erfolg hätte. Die Ausführungen der Kläger zur Berechnung des Bedarfs (tatsächliche statt die vom Beklagten als angemessen erachteten Kosten der Unterkunft) und etwaiger Absetzungsbeträge (Fahrtkosten, Pauschale) erscheinen nach summarischer Einschätzung jedenfalls nicht von vorneherein ungeeignet, einen Zahlungsanspruch zu stützen.
Eine Kostenerstattung im Beschwerdeverfahren über die Prozesskostenhilfe ist gesetzlich ausgeschlossen, § 127 Abs. 4 ZPO.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 22.05.2014
Zuletzt verändert am: 22.05.2014