Der Antrag des Antragstellers, die Vollstreckung aus dem Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 02.05.2014 einstweilen bis zur Entscheidung über die Beschwerde auszusetzen, wird abgelehnt. Der Antragsteller trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Antragsgegners.
Gründe:
Der Aussetzungsantrag ist zulässig.
Nach § 199 Abs. 2 SGG kann der Vorsitzende des Gerichts, das über das Rechtsmittel zu entscheiden hat, die Vollstreckung durch einstweilige Anordnung aussetzen, wenn das Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung hat. Der vom Antragsteller mit der Beschwerde angefochtene Beschluss des Sozialgerichts vom 02.05.2014 ist ein vollstreckbarer Titel (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 SGG). Mit ihm wurde der Antragsteller im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragsgegnerin ab dem 10.01. bis zum 10.06.2014 Leistungen nach dem SGB II in Form der Regelleistung in Höhe von 345 EUR monatlich zu gewähren. Die fristgerecht eingelegte Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung (s § 175 Satz 1 und 2 SGG).
Der Antrag ist jedoch unbegründet.
Die Anordnung nach § 199 Abs. 2 SGG, die Vollstreckung einstweilen auszusetzen, ist eine Ermessensentscheidung (s BSG SozR 4-1500 § 154 Nr. 1; LSG BW Beschl v 26.01.2006 -L 8 AS 403/06 ER; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer SGG 10. Aufl § 199 Rn 8 mwN; aA BSG SozR 3-1500 § 199 Nr 1). Sie erfordert regelmäßig eine Abwägung des Interesses des Gläubigers an der Vollziehung mit dem Interesse des Schuldners, nicht vor der Beendigung des Instanzenzuges zu leisten (s Leitherer aa0 mwN). Bei der Bewertung der Umstände des Einzelfalls können auch die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels von Bedeutung sein (s BSG SozR 4 aa0). Für die einstweilige Aussetzung der Vollstreckung bedarf es aber regelmäßig besonderer rechtfertigender Umstände, die über die Nachteile hinausgehen, die für den Antragsteller mit der Zwangsvollstreckung aus einem noch nicht rechtskräftigen Titel als solcher regelmäßig verbunden sind. Dies folgt aus der Entscheidung des Gesetzgebers, dass die Rechtsmittel Berufung und Beschwerde schon grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung haben (§ 154 Abs. 1 iVm § 86 a; § 154 Abs. 2 SGG (Berufung); § 175 Satz 1 und 2 SGG (Beschwerde); vgl hierzu auch BSG Beschl v 05.09.2001 – B 3 KR 47/01 R) und – bezogen auf die hier eingelegte Beschwerde – keiner der in § 175 Satz 1 und 2 SGG aufgeführten Tatbestände gegeben ist, der ausnahmsweise die aufschiebende Wirkung nach sich zieht.
In einem Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass der Antragsteller mit dem Aussetzungsantrag ebenfalls eine nur vorläufige Regelung über die Aussetzung der Vollstreckung bis zur Beendigung des Instanzenzuges erstrebt. Ist aber schon das in der Hauptsache geführte Eilverfahren im Sinne eines nach Maßgabe des Art. 19 Abs. 4 SGG effizienten Rechtsschutzes darauf gerichtet, schwere und unzumutbare Beeinträchtigungen abzuwenden, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden können (s etwa BVerfG Beschl v 10.10.2003 – 1 BvR 2025/03; BVerfG aaO), so bedarf es für eine vorläufige Aussetzung der Vollstreckung nach § 199 Abs. 2 SGG im Eilverfahren der Glaubhaftmachung weiterer derart schwerwiegender Nachteile, die nicht anders abwendbar sind als in dem schmalen Zeitfenster bis zur Entscheidung über die Beschwerde (zur Glaubhaftmachung s Bayer LSG Beschl v 08.02.2006 – L 10 AS 17/06 ER; LSG BW Beschl v 24.06.2008 – L 7 AS 2955/08 ER). Damit ist der Anwendungsbereich des § 199 Abs. 2 SGG auch und gerade in Eilverfahren von vorneherein auf wenige denkbare Fallgestaltungen beschränkt.
In Anwendung dieser Maßstäbe hat der Antrag keinen Erfolg. In dem eher kurz bemessenen Zeitraum bis zur endgültigen Entscheidung im Eilverfahren sind keine zusätzlichen Nachteile erkennbar, die über die Gefahr des Ausfalls der Rückforderung hinausgehen und durch die Aussetzung nach § 199 Abs. 2 SGG abgewendet werden könnten. Die Abwägung des Interesses des Gläubigers an der Vollziehung mit dem Interesse des Schuldners, nicht vor der Beendigung des Instanzenzuges zu leisten, ergibt hier einen offenkundigen Vorrang der Interessen der Antragsgegnerin.
Als Nachteil auf Seiten des Antragstellers ist lediglich zu berücksichtigen, dass er – würde die Zwangsvollstreckung nicht einstweilen ausgesetzt – eine etwaige Rückforderung ggfs. nicht realisieren kann, wenn auf die Beschwerde hin der angefochtene Beschluss ganz oder teilweise geändert wird. Das Interesse des Antragsgegners hingegen ist auf die Zahlung vorläufig zuerkannter Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II gerichtet. Dabei handelt es sich um existenzsichernde Leistungen. Ihre Gewährung entspricht einer verfassungsrechtlichen, dem Schutz der Menschenwürde dienenden Pflicht des Staates (vgl BVerfG Beschl v 12.05.2005 – 1 BvR 569/05). In dieser Konstellation sind Interessen des Antragstellers kaum denkbar, die gegenüber der existenzsichernden Funktion der zuerkannten Leistungen überhaupt – und zudem deutlich – überwiegen.
Es liegt auch kein Ausnahmefall vor, wie etwa eine aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen offensichtlich gesetzeswidrige Entscheidung, die eine andere Gewichtung gebieten könnte. Auch der Antragsteller macht nicht geltend, der Beschluss sei so offensichtlich rechtswidrig, dass es ihm nicht zumutbar sei, die auferlegte vorläufige Verpflichtung zu erfüllen (zur Berücksichtigung der Erfolgsaussichten des Rechtsmittels bei Entscheidungen nach § 199 Abs. 2 SGG vgl BSG Beschl v 09.05.2001 – B 3 KR 47/01 R; Leitherer in Meyer-Ladewig/Leitherer/Keller aaO). Nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen ist er anscheinend lediglich der Auffassung, das Sozialgericht habe aus rechtlichen und wohl auch tatsächlichen Gründen die Leistungen im Eilverfahren nicht zuerkennen dürfen; möglicherweise hält er weitere Ermittlungen für erforderlich.
Nach der im Verfahren nach § 199 Abs. 2 SGG gebotenen summarischen Überprüfung sieht das Gericht keine Anhaltspunkte für die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung des SG. Insbesondere hat das Sozialgericht hat zu Recht den Anordnungsanspruch (§ 7 Abs. 1 SGB II) als glaubhaft gemacht bejaht.
Soweit der Antragsteller vorträgt, der Antragsgegner habe keine Nachweise erbracht, dass er tatsächlich weiterhin Arbeit gesucht habe, musste sich dem SG in diesem Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes die Notwendigkeit weiterer Ermittlungen nicht aufdrängen. Wenn man Ermittlungen im Eilverfahren jenseits präsenter Beweismittel grundsätzlich überhaupt für zulässig hält (s § 294 Abs. 2 ZPO), gehört doch die (unterlassene) Arbeitssuche nicht zu den Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs, die glaubhaft zu machen wären (zur Ermittlungstiefe im Eilverfahren bezogen auf die Hilfebedürftigkeit s auch Beschluss des Senats v 16.05.2013 – L 6 AS 531/13 B ER juris (dort fälschlich mit dem Datum 16.06.2013)).
Ob der Leistungsausschluss greift, kann allerdings für das Eilverfahren offen bleiben.
Sieht man die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II in der Person des Antragsgegners deshalb nicht als erfüllt an, weil – so könnte der Vortrag des Antragstellers auch verstanden werden – dieser nicht (mehr mit Erfolg) Arbeit suche, bleibt es im Ergebnis jedenfalls bei der Leistungspflicht des Antragstellers.
Hält man mit dem Antragsteller die Voraussetzungen des Leistungsausschlusses für gegeben, dürfte der Antragsteller auch jenseits aller Überlegungen, ob der Leistungsausschluss europarechtskonform ist oder nicht (vgl. die Übersicht zum Meinungsstand LSG NRW Beschluss vom 17.04.2014 – L 6 AS 239/14 B ER), verpflichtet sein, Leistungen nach dem SGB II vorläufig zu erbringen. Denn § 328 Abs. 1 Satz 1 SGB III, der über § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II anwendbar ist, sieht die Möglichkeit vor, ausnahmsweise Leistungen schon dann (vorläufig) zu erbringen, wenn die Sach- und Rechtslage noch nicht abschließend geklärt ist (Düe in Brand SGB III 6. Aufl. 2012 § 238 Rn 2 m.w.N.). Ausdrücklich geregelt in § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III ist die hier vorliegende Fallgestaltung, dass die Vereinbarkeit einer Vorschrift (auch des SGB II), von der die Entscheidung über den Antrag abhängt, mit höherrangigem Recht nach dem Vorlagebeschluss des BSG vom 12.12.2013 – B 4 AS 9/13 R Gegenstand eines Verfahrens beim Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften ist. Unabhängig davon, ob diese Möglichkeit ("kann") lediglich eine Ermächtigung (im Sinne von dürfen) beinhaltet oder eine Ermessensentscheidung erfordert, und ob die Weigerung, im Anwendungsbereich des § 328 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 2 SGB III überhaupt etwas zu leisten, grundsätzlich pflichtwidrig ist (so Düe aaO Rn 18), wäre ein Ermessen des Antragstellers angesichts des existenzsichernden Charakters der Leistungen hier doch wohl so stark eingeengt, dass Leistungen auch auf dieser Rechtsgrundlage vorläufig zu bewilligen wären.
Hält man wie das Sozialgericht den Leistungsausschluss für unvereinbar mit dem Gemeinschaftsrecht der Europäischen Union (so auch LSG NRW Urteil vom 28.11.2013 – L 6 AS 103/13), bleibt es ebenfalls beim Anordnungsanspruch. Folgt man dieser Auffassung nicht, wäre es angesichts des komplexen Sachverhalts mit schwierigen europarechtlichen Fragestellungen dann geboten, jedenfalls aber nicht zu beanstanden, die mit der Beschwerde angegriffene einstweilige Anordnung als Ergebnis einer Folgenabwägung zu treffen (s LSG NRW Beschlüsse vom 17.04.2014 – L 6 AS 239/14 B ER, vom 16.05.2013 – L 6 AS 531/13 B ER und vom 06.06.2013 – L 6 AS 170/13 B ER).
Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Erstellt am: 12.06.2014
Zuletzt verändert am: 12.06.2014