Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 22.05.2014 geändert. Der Antragsgegner wird verpflichtet, der Antragstellerin für den Monat April 2014 Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem zweiten Buch Sozialgesetzbuch in Höhe von 43,00 EUR und für die Zeit ab 01.05.2014 monatlich in Höhe von 59,00 EUR jedoch längstens bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu gewähren. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Der Antragsgegner trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin für das gesamte Verfahren zu 1/7.
Gründe:
I. Die 1969 geborene Antragstellerin ist bulgarische Staatsangehörige. Sie hält sich seit mehr als drei Monaten zur Arbeitssuche in Deutschland auf und verfügt über kein eigenes Einkommen und kein Vermögen. Sie lebt zusammen in Einstandsgemeinschaft mit Herrn F J. Dieser verfügt über monatliches Renteneinkommen in i.H.v. 647,19 EUR netto.
Ihren Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II vom 10.03.2014 lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 27.03.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.04.2014 ab. Zwar sei die Antragstellerin als Unionsbürgerin freizügigkeitsberechtigt und dürfte sich zur Arbeitsplatzsuche in der Bundesrepublik aufhalten. Leistungen nach dem SGB II seien jedoch in einem solchen Fall gesetzlich ausgeschlossen.
Gegen den Widerspruchsbescheid hat die Antragstellerin fristgerecht Klage erhoben. Diese ist bei dem Sozialgericht Düsseldorf anhängig. Ferner begehrte sie am 09.04.2014 einstweiligen gerichtlichen Rechtsschutz mit dem Antrag, "den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, … vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB (II) in gesetzlicher Höhe zu gewähren". Im Hinblick auf die bisherige Rechtsprechung der Sozialgerichte in Nordrhein-Westfalen seien der Antragstellerin zumindest vorläufig Leistungen zu gewähren. Den Antrag hat das Sozialgericht Düsseldorf mit Beschluss vom 22.05.2014 abgelehnt. Ein Anordnungsanspruch sei nicht gegeben. Es müsse von einem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II ausgegangen werden. In seinem Schlussantrag zu einer parallelen Angelegenheit habe der Generalanwalt bei dem EuGH ausgeführt, dass die von dem Antragsgegner angewandte Ausschlussregelung nicht gegen Europarecht verstieße.
Gegen den ihr am 26.5.2014 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 03.06.2014 Beschwerde eingelegt. Dem Antrag sei stattzugeben, da sie sich in einer sehr schwierigen finanziellen Situation befinde.
II.
Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist zum Teil begründet.
Dabei legt der Senat den Antrag der Antragstellerin vom 07.04.2014 so aus, dass dieser auf die Gewährung der vollen Regelleistung nach § 20 SGB II für Partner iHv 353,00 EUR monatlich gerichtet ist. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des Antrags, der eine bezifferte Einschränkung nicht vornimmt. Darüber hinaus werden Leistungen zur Deckung möglicher Bedarfe für Unterkunft und Heizung nicht begehrt. Zwar ist der Wortlaut des Antrags insofern offen. Jedoch wird ein entsprechender Bedarf von der Antragstellerin im sonstigen Vortrag nicht thematisiert und ein diesbezüglicher Anordnungsgrund wäre auch nicht ersichtlich.
Gemäß § 86b Abs. 2 S. 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Dies ist dann der Fall, wenn dem Antragsteller ohne eine solche Anordnung schwere, unzumutbare und nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (BVerfG, Beschluss vom 25.10.1988, 2 BvR 174/88). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt voraus, dass der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) und die besonderen Gründe für die Notwendigkeit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund) von dem jeweiligen Antragsteller glaubhaft gemacht werden, § 86b SGG i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO. Eine Tatsache ist dann glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen überwiegend wahrscheinlich ist. Die bloße Möglichkeit des Bestehens einer Tatsache reicht noch nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Es genügt jedoch, dass diese Möglichkeit unter mehreren relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach der Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht (BSG, Beschluss vom 08.08.2001, B 9 V 23/01 B). Die mit einer einstweiligen Anordnung auf die Durchführung einer Maßnahme in der Regel zugleich verbundene Vorwegnahme der Entscheidung in der Hauptsache erfordert darüber hinaus erhöhte Anforderungen an die Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs und des Grundes, da der einstweilige Rechtsschutz trotz des berechtigten Interesses des Rechtsuchenden an unaufschiebbaren gerichtlichen Entscheidungen nicht zu einer Vorverlagerung der Entscheidung in das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes führen soll. Erforderlich ist mithin das Vorliegen einer gegenwärtigen und dringenden Notlage, die eine sofortige Entscheidung unumgänglich macht. Soweit es um die Sicherung einer menschenwürdigen Existenz geht, müssen die Gerichte die Sach- und Rechtslage abschließend prüfen bzw. wenn dies nicht möglich ist, auf der Basis einer Folgenabwägung auf Grundlage der bei summarischer Prüfung bekannten Sachlage entscheiden (BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005, 1 BvR 569/05, Breithaupt 2005, 830ff mit weiteren Nachweisen, Keller in Mayer Ladewig u.a., SGG, 10. Auflage, § 86b Rn. 29a). Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist dabei der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts über den einschlägigen Antrag (vgl. z.B. Keller in Meyer-Ladewig u.a., 10.Aufl., § 86b Rn 42).
Zwar ist ein Leistungsanspruch der Antragstellerin im vorliegenden einstweiligen Verfahren nicht abschließend festzustellen, jedoch ist der Antragsgegner im Rahmen der deswegen zu treffenden Folgenabwägung zu verpflichten, der Antragstellerin Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ab Eingang des Eilantrags bei dem Sozialgericht vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu gewähren. Die Leistungen sind jedoch auf die im Tenor genannten Beträge zu begrenzen, da der Lebenspartner der Antragstellerin über Einkommen verfügt, mit dem der Bedarf der Antragstellerin zum großen Teil zumindest vorläufig gedeckt werden kann. Für eine darüber hinaus gehende Verpflichtung des Antragsgegners besteht kein Anordnungsgrund.
Zunächst hat der Senat keine Zweifel daran, dass die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II zumindest glaubhaft gemacht sind. Die volljährige, erwerbsfähige Antragstellerin ist insbesondere hilfebedürftig im Sinne von § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB II und hat ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Das Vorliegen dieser Anspruchsvoraussetzungen wird auch von dem Antragsgegner nicht nachhaltig angezweifelt. Der Senat geht zudem davon aus, dass die Rechtsfrage, ob der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II zulasten der Antragstellerin eingreift und gegen europäisches Recht verstößt, im vorliegenden einstweiligen Verfahren nicht abschließend geklärt werden kann. Es ist daher im Rahmen einer Folgenabwägung zu entscheiden, ob vorläufig Leistungen gewährt werden. Diese Folgenabwägung fällt zu Gunsten der Antragstellerin aus: Bei der Prüfung der Frage, ob die Antragstellerin als bulgarische Staatsangehörige nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen ist oder ob die Norm aufgrund der unmittelbaren Anwendbarkeit des Artikel IV VO (EG) 883/2004 hinter diesen zurücktritt, handelt es sich um eine umstrittene Rechtsfrage, die in Rechtsprechung und Literatur bisher nicht einheitlich beantwortet ist (vgl. hierzu Beschluss des LSG NRW vom 21.05.2014 – L 7 AS 652/14 B ER m. w. N. – und Beschlüsse des erkennenden Senats vom 20.12.2013 – L 12 AS 2265/13 B ER -, vom 19.03.2013 – L 12 AS 1023/13 B ER- und vom 25.06.2014 – L 12 AS 232/14 B ER -). Die Komplexität der gesetzlichen Regelungen unter Berücksichtigung der Einwirkungen der europarechtlichen Rechtsnormen auf die nationalen Gesetze lässt sich auch dem beim BSG unter dem Aktenzeichen B 14 AS 9/13 R geführten Verfahren entnehmen. Das BSG hat das Verfahren nach Art. 267 Abs. 1 und 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union ausgesetzt, um eine Vorabentscheidung des EuGH zu verschiedenen Fragen einzuholen, u.a. ob das Gleichbehandlungsgebot aus Art. 4 VO (EG) 883/2004 mit Ausnahme des Exportausschlusses des Art. 70 Abs. 4 VO (EG) 883/2004 auch für die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen im Sinne von Art. 70 Abs. 1 , 2 VO (EG) 883/2004 gilt (BSG, EuGH-Vorlage vom 12.12.2013- B 4 AS 9/13 R-). Das Votum des Generalanwalts X zu seinen Schlussanträgen vom 20.05.2014 bei dem EuGH in der Rechtssache zu dem Az. C-333/13 zeigt wiederum in seiner Umfänglichkeit und Komplexität auf, dass die Beurteilung der entscheidenden Rechtsfrage des Leistungsausschlusses offen ist und in dem vorliegenden einstweiligen Verfahren nicht zuverlässig beantwortet werden kann. Die Entscheidungsfindung reduziert sich daher auf die nach dem BVerfG vorzunehmende und dargestellte Folgenabwägung (BVerfG aaO). Diese Folgenabwägung fällt zu Gunsten der Antragstellerin aus. Hierbei sind insbesondere die Bedeutung der beantragten Leistungen für die Antragstellerin gegen die fiskalischen Interessen des Antragsgegners, die vorläufig erbrachten Leistungen im Fall des Obsiegens in der Hauptsache möglicherweise nicht zurückzuerhalten, abzuwägen. Das Interesse des Antragsgegners muss im konkreten Fall hinter den Interessen der Antragstellerin zurücktreten. In Anbetracht dessen, dass die Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens dienen, kann der Antragstellerin im Lichte des in Art. 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 4 des GG verankerten Gebots des effektiven Rechtschutzes und der Menschenwürde nicht zugemutet werden, ohne jede staatliche Existenzsicherung eine Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (LSG NRW, Beschluss vom 03.04.2013 – L 7 AS 2403/12 B -). Der Senat hat die Verpflichtung zur vorläufigen Leistungsgewährung auf den im Tenor bestimmten Umfang beschränkt, nachdem nur insofern von dem Vorliegen eines Anordnungsgrundes, also der besonderen Eilbedürftigkeit der Angelegenheit, auszugehen ist. Dabei war zu berücksichtigen, dass der Bedarfsgemeinschaft der Antragstellerin in Form der Rente ihres Partners i.H.v 647,00 EUR nicht unerhebliches Einkommen zur Verfügung steht, mit dem die Bedarfsgemeinschaft ihren Regelbedarf von 706,00 EUR bis auf den tenorierten Betrag von 59,00 EUR decken kann. Für April 2014 reduziert sich der Betrag noch einmal anteilig, da der Antrag auf einstweiligen gerichtlichen Rechtschutz erst am 09.04.2014 gestellt wurde. An einem Anordnungsgrund fehlt es jedenfalls auch hinsichtlich der Gewährung von Kosten der Unterkunft und Heizung. Insoweit reicht es nicht aus, dass Mietrückstände aufgelaufen wären oder der Vermieter die Kündigung des Mietverhältnisses ausgesprochen hätte. In einem solchen Fall fehlt es am erforderlichen Anordnungsgrund in Gestalt eines unaufschiebbaren eiligen Regelungsbedürfnisses zur Bewilligung von Kosten der Unterkunft bzw. Übernahme von Mietschulden durch Erlass einer einstweiligen Anordnung, weil gegenwärtig weder Wohnungs- noch Obdachlosigkeit droht (vgl z.B. LSG NRW, Beschlüsse vom 20.03.2012, L 12 AS 352/12 B ER, vom 23. 10. 2013, L 12 AS 1449/13 B ER, jeweils bei juris).
Die Kostenentscheidung folgt aus entsprechender Anwendung von § 193 SGG und trägt dem lediglich teilweisen Obsiegen der Antragstellerin Rechnung.
Erstellt am: 25.07.2014
Zuletzt verändert am: 25.07.2014