Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 23.06.2014 geändert. Der Antragsgegner wird verpflichtet, dem Antragsteller für die Forderung aus Energieschulden in Höhe von 800 EUR vorläufig ein Darlehen zu gewähren. Die Zahlung in Höhe von 800 EUR ist unmittelbar an den Versorger – die Firma s – zu leisten. Dem Antragsteller wird für das erstinstanzliche Verfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt U aus T beigeordnet. Kosten diesbezüglich sind nicht zu erstatten. Dem Antragsteller wird auch für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt U aus T beigeordnet. Der Antragsgegner trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers in beiden Rechtszügen.
Gründe:
Die Beschwerden des Antragstellers sind zulässig und begründet.
Gemäß § 86 b Absatz 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechtes des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Dies ist dann der Fall, wenn dem Antragsteller ohne eine solche Anordnung schwere, unzumutbare und nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 25.10.1988 – 2 BvR 174/88). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt voraus, dass der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) und die besonderen Gründe für die Notwendigkeit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund) vom jeweiligen Antragsteller glaubhaft gemacht werden, § 86 b SGG in Verbindung mit den §§ 920 Absatz 2, 294 der Zivilprozessordnung (ZPO). Soweit es um die Sicherung einer menschenwürdigen Existenz geht, müssen die Gerichte die Sach- und Rechtslage abschließend prüfen bzw. wenn dies nicht möglich ist, auf der Basis einer Folgenabwägung auf Grundlage der bei summarischen Prüfung bekannten Sachlage entscheiden (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05; Breithaupt 2005, 830 ff. m.w.N.; Keller in: Meyer-Ladewig u.a., SGG, 10. Auflage 2012, § 86 b Rn. 29 a).
Im Sinne der Folgenabwägung ist der Antrag auf darlehensweise Übernahme der Energieschulden begründet.
Der Antragsteller hat einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Die Stromsperre durch den Grundversorger s ist mehrfach angekündigt worden und steht nunmehr unmittelbar bevor; dies ergibt sich aus dem letzten Schreiben der Firma s vom 12.08.2014. Damit wird dem Antragsteller unmittelbar bevorstehend die Möglichkeit genommen, in der Wohnung zu kochen, Lichtquellen zu nutzen, zu waschen etc.
Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Ob ein endgültiger Anspruch auf Gewährung eines Darlehens wegen der Rückstände nach § 22 Abs. 8 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) besteht, braucht der Senat im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht abschließend zu entscheiden.
Nach § 22 Abs. 8 SGB II können, sofern Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden, auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Geldleistungen sollen als Darlehen erbracht werden (§ 22 Abs. 8 S. 4 SGB II). Wegen der vergleichbaren Notlage bei Energierückständen für sonstigen Haushaltsstrom, der als Teil des Regelbedarfs eigentlich nicht den Unterkunftskosten zuzuordnen ist, können auch Energieschulden im Rahmen des § 22 Abs. 8 SGB II übernommen werden (LSG NRW, Beschluss vom 19.09.2013 – B 7 AS 1591/13 B ER; Beschluss vom 18.07.2012 – L 7 AS 1256/12 B ER; Beschluss vom 15.06.2012 – L 19 AS 728/12 B ER; Beschluss vom 13.05.2013 – L 2 AS 313/13 B ER; Berlit in LPK-SGB II, 4. Aufl. 2011, § 22 Rn. 193 m. w. N.; Boerner in Löns/Herold-Tews, 3. Aufl. 2011, § 22 Rn. 125). Die Sperrung der Energieversorgung ist eine Notlage, die die Bewohnbarkeit der Wohnung beeinträchtigt und die Notwendigkeit von Maßnahmen zur Sicherung der Unterkunft i.S.v. § 22 Abs. 8 S. 1 SGB II indiziert. Dies gilt nicht nur für eine bereits durchgeführte Stromsperre, sondern auch für eine vom Energielieferer angekündigt und unmittelbar bevorstehende Stromsperre. Das Jobcenter kann dann die Gewährung eines Darlehens zum Ausgleich der bestehenden Schulden beim Energieversorger nur in atypischen Fällen ablehnen (Luik in Eicher, SGB II, 3. Auflage 2013, § 22 Rn. 244).
Der Antragsgegner erbringt für den Antragsteller laufende Leistungen nach § 22 Abs. 1 SGB II. Dem Grunde nach kommt eine darlehensweise Übernahme der Schulden in Betracht. Die Übernahme der aufgelaufenen Schulden ist im Sinne von § 22 Abs. 8 SGB II objektiv geeignet, die Energieversorgung sicherzustellen und prognostisch gesehen dauerhaft zu sichern. Dies ergibt sich aus Mahnung der Firma rhenag vom 09.05.2014, in der darauf hingewiesen wird, dass die Unterbrechung der Belieferung abgewendet werden kann, wenn die festgestellte Gesamtforderung beglichen wird. Die bestehende Notsituation kann daher durch die darlehensweise Übernahme der Leistungen behoben werden. Schonvermögen, dass der Antragsteller gem. § 22 Abs. 8 S. 3 SGB II vorrangig zur Behebung der Notlage einzusetzen hätte, besteht nach dem derzeitigen Sachstand nicht. Nicht abschließend klären lässt sich im Rahmen des Eilverfahrens, ob die darlehensweise Übernahme der Schulden nach § 22 Abs. 8 S. 2 SGB II endgültig gerechtfertigt ist. Dies wird im Hauptsacheverfahren zu klären sein.
In Betracht kommt die Schuldenübernahme generell nur, wenn diese objektiv geeignet ist, die Energieversorgung (dauerhaft) zu sichern und der Leistungsberechtigte die zumutbaren Selbsthilfemöglichkeiten ausgeschöpft hat. Nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung hat der Antragsteller die ihm zumutbaren Möglichkeiten zur Selbsthilfe (vgl. hierzu LSG NRW, Beschluss vom 20.08.2012 – L 2 AS 1415/12 B ER; Beschluss vom 18.07.2012 – L 7 AS 1256/12 B ER; Beschluss vom 16.04.2012 – L 19 AS 556/12 B ER; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 13.03.2012 – L 2 AS 477/11 B ER; LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 13.01.2012 – L 3 AS 233/11 B ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23.09.2011 – L 14 AS 1533/11 B ER; Berlit a.a.O. § 22 Rn. 194) ausreichend ausgeschöpft.
Der Energieversorger rhenag hat eine Ratenzahlungsvereinbarung ausgeschlossen, und zwar bereits vor Einlegung des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz mit Schreiben vom 09.04.2014. Das Ablehnungsschreiben hat der Antragsteller mit Schriftsatz vom 09.04.2014 dem Antragsgegner übergeben. Das Schreiben befindet sich in der Verwaltungsakte. Gleichlautende Informationen hat der Antragsgegner auch bei einem Telefonat mit dem Kundenservice bei der s ausweislich des Vermerks vom 22.04.2014 erhalten.
Dem Antragssteller kann auch nicht entgegengehalten werden, er habe sich nicht ausreichend um einen Anbieterwechsel bemüht. Die im Rahmen der Folgenabwägung notwendige Prüfungsdichte lässt darauf schließen, dass die Suche nach einem alternativen Energieversorger in einem überschaubaren Zeitfenster nicht Erfolg versprechend ist. Auf die gerichtliche Anfrage vom 07.08.2014 hat die Verbraucherzentrale NRW mitgeteilt, dass insbesondere bei schlechter Bonität bzw. bereits gesperrtem Anschluss es sich als problematischer und langwieriger Prozess darstellt, einen Alternativanbieter zu finden. Bei schlechter Bonitätsauskunft ist ein Energieanbieter nach Erfahrung der Verbraucherzentrale regelmäßig nicht bereit, einen Energieliefervertrag mit dem Verbraucher zu schließen. Die Verbraucherzentrale weist weiter darauf hin, dass ein Verbraucher sich daher einen Anbieter suchen muss, der möglichst keine Bonitätsprüfung vornimmt. Nahezu unmöglich stellt sich der Tarifwechsel daher für Verbraucher dar, deren Anschluss bereits gesperrt ist. Nach den Ausführungen der Verbraucherzentrale kommt daher regelmäßig ein Vertragsschluss mit einem potentiellen Energielieferant, der eine Bonitätsprüfung vornimmt, nicht zu Stande.
Zwar weist die Verbraucherzentrale daher als denkbare Möglichkeit für einen Anbieterwechsel auf solche Stromanbieter hin, die ohne Bonitätsprüfung einen Energieliefervertrag auch mit Verbrauchern mit schlechter Bonität abschließen. Der Senat geht aber nach eigenen Recherchen davon aus, dass solche Energieversorger Energielieferungsverträge ohne Bonitätsprüfung regelmäßig nur bei Vorkasse abschließen. Die Verbraucherzentrale NRW hat hierzu mitgeteilt, das ihr keine konkreten Zahlen vorliegen über Energieanbieter, die ohne Bonitätsprüfung Energielieferungsverträge abschließen. Hierzu hat Stiftung Warentest bereits im Jahre 2011 35 Tarife analysiert, bei denen Anbieter mit Vorkasse Verträge abschließen; als Datenbasis hat Stiftung Warentest auf www.verivox.de zurückgegriffen (vgl. Stiftung Warentest, Finanztest 02/2011). Die weiteren Recherchen im Netz weisen darauf hin, dass der Abschluss eines Energielieferungsvertrags mit einem Verbraucher mit einem negativen Schufa-Eintrag ggf. ohne Bonitätsprüfung regelmäßig nur in Betracht kommt, wenn der Verbraucher eine Vorauszahlung auf seinen Energieverbrauch leistet (mit Bezug auf Stiftung Warentest; vgl. http://www.testsieger-berichte.de/2014/07/14/stromanbieter-ohne-bonitaetspruefung-im-test/). Bei Vorauskasse-Tarifen ist zu beachten, dass die Einmalzahlung der Vorauskasse sehr hoch sein kann (http://www.toptarif.de/strom/strom-lexikon/vorauskasse), weil häufig die Vorauskasse einen Zeitraum von zwölf Monaten umfasst. Die Zahlung einer solch hohen Summe wird in der Regel durch den Empfänger von Leistungen nach dem SGB II nicht aufzubringen sein; insbesondere dann, wenn der Anbieterwechsel wegen nicht zu begleichender Altschulden verlangt wird. Außerdem weist der Senat darauf hin, dass nicht in jedem Fall ein Wechsel zu einem Energieanbieter mit Vorauskasse zumutbar ist. Insbesondere das Insolvenzverfahren über die Vermögen der Firma U zeigt, welches Verlustrisiko bei Verbrauchern entsteht, die einen Tarif mit Vorauskasse wählen. Insbesondere leistungsschwächere Verbraucher sind daher nicht ohne weiteres auf Energieunternehmen mit Vorauskasse zu verweisen. Hierbei ist insbesondere auch zu berücksichtigen, dass der Leistungsträger nach der gefestigten Rechtsprechung des Senats notwendigerweise dem Leistungsempfänger, mit Rat und Tat zur Seite zu stehen hat (vgl. hierzu LSG NRW, Beschluss vom 14.08.2013 – L 7 AS 1143/13 B ER). Dies gilt umso mehr bei einem Abschluss eines Energielieferungsvertrags mit einem Energielieferer, der ohne Bonitätsprüfung aber mit Vorkasse Energielieferungsverträge anbietet. Der Antragsgegner hat – nach der Prüfungsdichte im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zu urteilen – hier keine hinreichenden Alternativen aufgezeigt oder dem Antragsteller entsprechend mit Rat und Tat zur Seite gestanden.
Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB II muss ein erwerbsfähiger Leistungsberechtigter alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung seiner Hilfebedürftigkeit ausschöpfen. Daraus folgt jedoch nicht, dass der Leistungsberechtigte hinsichtlich rückständiger Energiekosten stets auf zivilgerichtlichen Eilrechtsschutz verwiesen werden darf. Denn nach der Rechtsauffassung mehrerer Zivilgerichte ist der Energieversorgungsträger zu einer Wiederaufnahme der unterbrochenen Energieversorgung erst dann verpflichtet, wenn zuvor die gesamten rückständigen Energiekosten getilgt worden sind (vgl. zur zivilrechtlichen Rechtslage Gotzen, ZfF 2007, S. 248, 249 f.; vgl. auch LSG NRW, Beschluss vom 24.04.2014 – L 7 AS 629/14 B ER).
Welche Auswirkungen die Weigerung einer Direktleistung an den Energieversorger hat, braucht bei der Prüfungsdichte im Rahmen der Folgenabwägung angesichts der anderslautenden eidesstattlichen Versicherung des Zeugen X vom 26.06.2014 nicht entschieden zu werden.
Andere Einzelfallumstände, die eine Schuldenübernahme klar als nicht gerechtfertigt erscheinen lassen, sind nicht erkennbar. Insbesondere vermag allein die Tatsache, dass der Antragsteller die Entstehung der Rückstände möglicherweise zu einem nicht unerheblichen Teil selbst verursacht hat und diese sich über einen längeren Zeitraum summiert haben, einer Schuldenübernahme nicht entgegenzustehen (vgl. hierzu ebenfalls LSG NRW, Beschluss vom 24.04.2014 – L 7 AS 629/14 B ER). Letztendlich hat der Antragsteller glaubhaft gemacht, dass jedenfalls im Zeitpunkt der Beschlussfassung durch den erkennenden Senat keine andere Möglichkeit für die zukünftige Sicherstellung der Versorgung mit Strom außer der Inanspruchnahme eines Darlehens nach § 22 Abs. 8 SGB II besteht. Ohne die beantragten Leistungen drohen dem Antragsteller existentielle Nachteile, die er aus eigener Kraft nicht abwenden kann.
Die Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe sowie die Anwaltsbeiordnung beruht sowohl für das Verfahren des ersten Rechtszugs als auch für das Beschwerdeverfahren auf §§ 73 a SGG, 114, 121 Abs. 2 ZPO.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Erstellt am: 16.09.2014
Zuletzt verändert am: 16.09.2014