Soweit die Klägerin die Gewährung einer finanziellen Unterstützung begehrt, wird die Berufung als unzulässig verworfen und die Klage abgewiesen. Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dortmund vom 15.12.2010 zurückgewiesen. Kosten sind auch im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist Hinterbliebenenrente, im zweiten Rechtszug außerdem hilfsweise eine finanzielle Unterstützung.
Die am 00.00.1944 geborene Klägerin ist marokkanische Staatsangehörige und lebt in Marokko. Sie war die Ehefrau des 1937 geborenen und am 00.00.2008 verstorbenen marokkanischen Staatsangehörigen N(o) (B) N (so frühere Namensvarianten) bzw B L (im Folgenden Versicherter).
Der Versicherte war in der Bundesrepublik Deutschland vom 21.10.1963 bis zum 10.12.1975 (mit Unterbrechungen) versicherungspflichtig beschäftigt. Danach kehrte er nach Marokko zurück und lebte dort bis zu seinem Tod.
Er beantragte mehrmals bei verschiedenen deutschen Rentenversicherungsträgern die Gewährung einer Altersrente. Die Anträge wurden stets mit der Begründung abgelehnt, die zur deutschen Rentenversicherung bis zum 10.12.1975 entrichteten Beiträge seien mit Bescheid vom 29.11.1977 erstattet worden (Bescheid der Landesversicherungsanstalt (LVA) Schwaben – jetzt: DRV Schwaben – vom 17.8.2001 sowie die Bescheide der Beklagten vom 24.5.2005 und vom 13.9.2005).
Auch einen noch 2005 erneut gestellten Antrag auf Altersrente lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 6.1.2006; Widerspruchsbescheid vom 30.5.2006). Dagegen klagte der Versicherte sowohl vor dem Sozialgericht (SG) Dortmund (Aktenzeichen (Az) S 6 KN 199/06) als auch vor dem SG Augsburg (Az S 14 R 432/06, nach Verweisung an das SG Dortmund dortiges Az S 6 KN 174/09). Vor dem SG Dortmund trug er vor, er habe damals "ein die Abfindungskapital aus der Betrieb beantragt", aber er habe weder schreiben können noch von den Konsequenzen der "Arbeitsbetriebsabfindung" gewusst. Ferner legte er eine Kopie eines an ihn unter einer marokkanischen Anschrift gerichteten Bescheides der (früheren) Bundesbahn-Versicherungsanstalt (BVA) vom 16.7.1976 über die Beitragserstattung betreffend die dortige Zusatzversicherung sowie eine Kopie der Seite 1 eines an einen Q U in T adressierten Bescheides der BVA vom 29.11.1977 über die Beitragserstattung aus der gesetzlichen Rentenversicherung des Versicherten (Versicherungsnummer 000) vor. Darin wird ausgeführt, auf den Antrag vom 10.7.1977 werden aus der Versicherung von N N Beiträge in Höhe von 15.472,70 DM an die VOBA Teilzahlungsbank erstattet. Die Erstattung schließe weitere Ansprüche aus den bisher zurückgelegten Versicherungszeiten aus. Hierzu führte er aus, die Beiträge habe damals Herr U für ihn beantragt und die BVA habe den Erstattungsbetrag an Herrn U – als "Zwischenperson" – überwiesen. Er – der Versicherte – habe von diesem Betrag aber nur 6.000 Dirham (DH), also ca 1.000 DM, erhalten. Herr U habe ihn angelogen und den Rest für sich selbst behalten. Herr U habe ausgenutzt, dass er weder schreiben noch lesen könne. Er wolle den Rest des Geldes haben und gegen Herrn U in einem Zivilverfahren vorgehen (Schreiben vom 16.4.2007). Das SG Dortmund wies die Klage ab: Der Versicherte könne keine Rentenleistung aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung beantragen. Ihm seien die zur Rentenversicherung entrichteten Beiträge erstattet worden. Dass er uU von dem als "Zwischenperson" eingeschalteten Herrn U um einen Teil der Beiträge betrogen worden sei, ändere nichts. Mit der Anweisung des Erstattungsbetrages in der im Erstattungsbescheid ausgewiesenen Höhe habe die seinerzeit zuständige BVA ihre Zahlungspflicht erfüllt (Gerichtsbescheid vom 3.8.2007). Dagegen legte der Versicherte kein Rechtsmittel ein. Im Klageverfahren vor dem SG Augsburg, das nach Verweisung vor dem SG Dortmund durch Zurücknahme der Klage wegen doppelter Rechtshängigkeit endete, legte der Versicherte Ablichtungen zu den verschiedenen deutschen Beschäftigungsverhältnissen (ua aus seinem Bergmannsbuch) vor und teilte mit, er werde die Klage nicht zurücknehmen, weil er die Beitragserstattung von 15.472,70 DM nicht ganz erhalten habe; er habe nur 6.000 DM (und aus der Abteilung B 347,45 DM) erhalten. Es sei sein Recht zu wissen, wo Herr Q U aus T jetzt sei (Schreiben vom 25.6.2008).
Mit einem an die Beklagte adressierten, jedoch beim SG Dortmund eingegangenen, in französischer Sprache verfassten Schreiben vom 22.1.2009 stellte die Klägerin unter Hinweis auf den Tod ihres Ehemanns am 21.12.2008 einen "Antrag auf Versicherungsentschädigung und Rente". Da seine Versicherungs- und Rentenangelegenheiten immer noch nicht geregelt seien, bitte sie, sie über das genaue Verfahren, das zu befolgen sei, um die Entschädigungsansprüche für sich und ihre Kinder geltend zu machen, zu informieren. Das SG hat dieses Schreiben unverzüglich übersetzen lassen und als Klage bearbeitet.
Die Beklagte hat den Antrag auf Gewährung einer Hinterbliebenenrente während des Klageverfahrens abgelehnt (Bescheid vom 10.6.2009). Ob und wann dieser Bescheid der Klägerin zugegangen ist, lässt sich nicht feststellen. Nach Hinweis auf die beabsichtigte Entscheidung durch Gerichtsbescheid hat das SG die Klage abgewiesen: Die Klage sei unzulässig, da zum Zeitpunkt der Klageerhebung keine Verwaltungsentscheidung der Beklagten über die begehrte Hinterbliebenenrente vorgelegen habe, die tauglicher Gegenstand einer gerichtlichen Überprüfung sein könne. Vielmehr habe die Beklagte die Gewährung einer Hinterbliebenenrente erst deutlich nach Klageerhebung abgelehnt, so dass die Klage von vornherein unzulässig gewesen sei. Durch den Erlass des Bescheides vom 10.6.2009 sei die Klage auch nicht zulässig geworden, weil das insoweit maßgebliche Prozessrecht des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) eine solche Möglichkeit nicht vorsehe. Die Klage wäre auch unbegründet, weil dem Versicherten die von ihm seinerzeit geleisteten Beiträge erstattet worden seien (Gerichtsbescheid vom 15.12.2010, zugestellt am 5.1.2011).
Dagegen hat die Klägerin am 14.3.2011 in französischer Sprache Berufung ("la revision de jugement") eingelegt; die vom Gericht veranlasste Übersetzung gelangte noch im März 2011 zu den Gerichtsakten. Sie bitte um die Unterstützung bei der Einleitung der Revision des "Urteils", da sie diesem widerspreche. Auf die verschiedenen Hinweisschreiben des Senats und die Bitte darzulegen, aus welchen Gründen im Einzelnen sie den Gerichtsbescheid für unzutreffend halte, hat die Klägerin stets sinngemäß mitgeteilt, sie sei Witwe und wolle eine Rente oder finanzielle Unterstützung in Anspruch nehmen. Es gehe ihr finanziell schlecht. Sie bitte darum, erneut die Akte und ihren Anspruch auf eine Hinterbliebenenrente zu prüfen.
Die Klägerin ist vom Termin zur mündlichen Verhandlung mit dem Hinweis benachrichtigt worden, dass auch im Fall ihres Ausbleibens verhandelt und entschieden werden könne. Im Termin zur mündlichen Verhandlung ist für die Klägerin niemand erschienen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hat die Berufungsschrift als Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid vom 10.6.2009 gewertet, diesen zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 5.3.2012) und ihre Entscheidung weiter für zutreffend gehalten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes nimmt der Senat Bezug auf die Gerichtsakten, die Verwaltungsakten der Beklagten, die beigezogenen Verwaltungsakten der Deutschen Rentenversicherung Schwaben sowie die Vorprozessakten des SG Dortmund (Az S 6 KN 199/06 und S 6 KN 174/09). Sämtliche Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
A. Der Senat kann trotz Nichterscheinens der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung aufgrund einseitiger mündlicher Verhandlung entscheiden. Denn die Klägerin ist in der ordnungsgemäß erfolgten Ladung (§§ 63 Abs 1 und 2 SGG, 175 Zivilprozessordnung iVm Art 31 Abs 1 Satz 3 des Deutsch-Marokkanischen Sozialversicherungsabkommens (DMSVA) vom 25.3.1981, in Kraft seit dem 1.8.1986, BGBl II 1986, 550 ff, 562, 772) auf diese Möglichkeit hingewiesen worden, § 62 SGG.
I. Soweit die Klägerin im Berufungsverfahren alternativ eine finanzielle Unterstützung ("une aide financière") begehrt, geht der Senat zugunsten des Klägerin davon aus, dass sie dieses Begehren mit der Berufung, hilfsweise mit einer zweitinstanzlichen Klage in das Verfahren einführen will.
Die Berufung ist insoweit unzulässig. Die Klägerin ist durch die erstinstanzliche Entscheidung insoweit nicht formell beschwert, da das SG nicht alternativ auch über einen Anspruch auf finanzielle Unterstützung entschieden hat. Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens war nur der Anspruch auf Hinterbliebenenrente (große Witwenrente). Insbesondere die Formulierung "Versicherungsentschädigung und Rente" enthält nur zwei unterschiedliche Bezeichnungen für den einen Anspruch auf Leistung aus der gesetzlichen Rentenversicherung des verstorbenen Versicherten. Das Rechtsmittel der Berufung dient dazu, eine erstinstanzliche Entscheidung auf ihre Rechtmäßigkeit zu prüfen. Fehlt es – wie hier zum Anspruch auf finanzielle Unterstützung – an einer solchen Entscheidung, kann der Berufungskläger nicht durch eine sozialgerichtliche Entscheidung zu seinen Lasten "beschwert" sein; seine Berufung geht ins Leere.
Auch die – dann hilfsweise anzunehmende – zweitinstanzliche Klage(-änderung) ist unzulässig, §§ 153 Abs 1, 99 SGG. Die Beklagte hat dieser Klageänderung weder zugestimmt noch sich dazu in der Sache eingelassen, § 99 Abs 1 Alt 1 SGG. Die Klageänderung ist auch nicht sachdienlich, da die geänderte Klage unzulässig wäre, § 99 Abs 1 Alt 2 SGG. Eine Klageänderung ist niemals sachdienlich, wenn die geänderte Klage als unzulässig abgewiesen werden müsste. So liegt der Fall hier, weil eine (direkte) Klage auf eine finanzielle Unterstützung nicht statthaft ist.
Keine der im sozialgerichtlichen Verfahrensrecht vorgesehenen Klagearten ist statthaft. Das SGG stellt eine Numerus Clausus von Klagearten zur Verfügung. Begehrt jemand – wie vorliegend der Kläger – Leistungen von einem Träger der gesetzlichen Rentenversicherung, muss er sich zunächst an diesen wenden und kann erst später gegen dessen Entscheidung (eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungs-)Klage erheben. Diese Anfechtungs- und Verpflichtungs-/Leistungsklage ist eine spezifische Klageart, die in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten – in Ausgestaltung von Art 19 Abs 4 Grundgesetz – den Besonderheiten des Subordinationsverhältnisses Rechnung trägt. In diesem (allgemeinen oder besonderen) Gewaltverhältnis zwischen staatlichem Hoheitsträger und (seiner Gewalt unterworfenem) Staatsbürger ist jener befugt, das Rechtsverhältnis einseitig durch Verwaltungsakt (§ 31 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch) zu regeln. Der gerichtliche Rechtsschutz ist so ausgestaltet, dass erst nach Abschluss eines solchen Verwaltungsverfahrens eine Klage statthaft ist, die dann (ggf ua) darauf gerichtet ist, den Verwaltungsakt zu ändern. Da die Beklagte der Klägerin zu ihrem – erst im Berufungsverfahren vorgebrachten – Begehren auf Unterstützung noch keinen Bescheid erteilt hat, ist eine (kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungs /Leistungs )Klage iS von § 54 Abs 1, 2 oder 4 SGG nicht statthaft. Auch die allgemeine (=direkte) Leistungsklage iS von § 54 Abs 5 SGG ist nicht statthaft, weil sie nur für Gleichordnungsverhältnisse vorgesehen ist, in denen ein Verwaltungsakt gerade nicht zu ergehen hat. Eine Feststellungsklage ist ebenfalls nicht statthaft, weil ein Feststellungsinteresse regelmäßig fehlt, wenn (sofort) auf Leistung geklagt werden kann. Andere Klagearten kommen von vorneherein nicht in Betracht.
II. Im Übrigen ist die Berufung zulässig, insbesondere fristgerecht und wirksam eingelegt worden. Der Gerichtsbescheid vom 15.12.2010 wurde der Klägerin ausweislich des Zustellungsvermerks am 5.1.2011 zugestellt. Die Frist zur Einlegung der Berufung beträgt drei Monate seit der Zustellung, §§ 153 Abs 1 iVm 87 Abs 1 Satz 2, 151 SGG (allgemeine Meinung, vgl nur Bundessozialgericht (BSG), SozR Nr 11 zu § 151 SGG), und endete mit Ablauf des 5.4.2011. Es kann offen bleiben, ob die Klägerin bereits mit ihrem am 14.3.2011 eingegangenen, in französischer Sprache verfassten Schreiben wirksam Berufung ("revision") eingelegt hat. Die Gerichtssprache ist die deutsche Sprache, § 61 SGG iVm § 184 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG); eine in einer anderen Sprache eingelegte Berufung wahrt (vorbehaltlich zwischenstaatlicher Sonderregelungen) die Rechtsmittelfrist grundsätzlich nicht. Diese Regelung ist zwingend und von Amts wegen zu beachten (BSG, Urteil vom 22.10.1986, Az 9a RV 43/85, SozR 1500 § 61 Nr 1; Landessozialgericht (LSG) Berlin, Urteil vom 22.3.2001, Az L 3 U 23/00, juris). Der Senat kann hier dahinstehen lassen, ob die Einlegung der Berufung in französischer Sprache ausnahmsweise – nämlich nach Art 31 Abs 2 DMSVA und der tatsächlichen Handhabung der jeweiligen Verbindungsstellen – zulässig ist, weil die französische Sprache wie eine Amtssprache Marokkos im Rechtsverkehr mit dem (europäischen) Ausland anzusehen ist – wofür Vieles spricht und wohin auch der Senat tendiert -, oder der Klägerin gegebenenfalls Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren wäre (vgl dazu auch: LSG für das Land Nordrhein-Westfalen (NRW), Urteil vom 15.11.2011, Az L 18 KN 30/10, juris). Das Gericht hat nämlich das Berufungsschreiben, aus dem sich zweifelsfrei ergibt, dass die Klägerin den Gerichtsbescheid ("la décision") anficht, ins Deutsche übersetzen lassen; die deutsche Übersetzung lag dem Gericht spätestens am 30.3.2011 und damit noch innerhalb der dreimonatigen Berufungsfrist vor. Zwar war das Gericht nicht zur Übersetzung der Berufungsschrift verpflichtet (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer. SGG. 10. Aufl 2012. § 61 RdNr 7e mwN); die Berufung samt deutscher Übersetzung sind vom Gericht jedoch zu beachten, wenn sie vorliegen (vgl BSG, Urteil vom 22.10.1986, Az 9a RV 43/85, SozR 1500 § 61 Nr 1).
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid vom 10.6.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5.3.2012 (§ 95 SGG), mit dem die Beklagte einen Anspruch der Klägerin auf Hinterbliebenenrente (in Form der großen Witwenrente) abgelehnt hat.
Die Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat nach deutschem Recht keinen Anspruch auf Hinterbliebenenrente (große Witwenrente).
Das Schreiben der Klägerin vom 22.1.2009 hat das SG zu Recht als Klage bearbeitet. Die Adressierung auf dem Briefumschlag lässt mit hinreichender Deutlichkeit erkennen, dass sich die Klägerin wegen eines Anspruchs gegen die Beklagte unmittelbar an das SG Dortmund wenden wollte. Diese auf Gewährung einer Hinterbliebenenrente zielende kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage war zunächst unzulässig, weil es an einer statthaften Klageart fehlte, die Klägerin nach dem SGG ihr Begehren insbesondere nicht mit der direkten Leistungsklage geltend machen konnte. Zur näheren Begründung nimmt der Senat auf seine Ausführungen oben zu I (letzter Absatz) Bezug, die auch hier gelten. Nachdem die Beklagte jedoch während des erstinstanzlichen Verfahrens den Antrag der Klägerin vom 22.1.2009 mit Bescheid vom 10.6.2009 abgelehnt hatte, hätte das SG das Klageverfahren analog § 114 Abs 2 SGG aussetzen und der Klägerin die Möglichkeit geben müssen, das fehlende gesetzlich vorgeschriebene Vorverfahren nachzuholen (Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer. SGG. 10. Aufl 2012. § 78 RdNr 3a). Das erkennende Gericht ist nämlich verpflichtet, nach § 106 Abs 1 SGG darauf hinzuwirken, dass die fehlenden Prozessvoraussetzungen erfüllt werden (vgl Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer. SGG. 10. Aufl 2012. § 106 RdNr 5). Denn für eine Sachentscheidung genügt, dass die Prozessvoraussetzungen (erst; spätestens) im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vorliegen (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer. SGG. 10. Aufl 2012. Vor § 50 RdNr 20 mwN). Der Senat hat im Rahmen seines Ermessens davon abgesehen, den Gerichtsbescheid wegen der fehlenden Sachentscheidung aufzuheben und die Sache an das SG zurückzuverweisen, § 159 Abs 1 Nr 1 SGG, sondern hat darauf hingewirkt, dass das Vorverfahren nachgeholt wird. Durch Erlass des Widerspruchsbescheides im Verlauf des Berufungsverfahrens ist die Klage insgesamt zulässig geworden, § 78 Abs 3 iVm Abs 1 Satz 1 SGG.
Die Klage ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 10.6.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5.3.2012 (§ 95 SGG) ist rechtmäßig und beschwert die Klägerin nicht, § 54 Abs 2 Satz 1 SGG. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf (große) Witwenrente.
Ein Anspruch auf (große) Witwenrente setzt ua voraus, dass der verstorbene versicherte Ehegatte die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, § 46 Abs 2 Satz 1 SGB VI. Die allgemeine Wartezeit beträgt fünf Jahre, § 50 Abs 1 Satz 1 SGB VI. Auf diese Zeit werden Kalendermonate mit Beitragszeiten und Ersatzzeiten angerechnet, §§ 51 Abs 1 und 4, 54 f SGB VI. Der verstorbene Ehemann der Klägerin hat die allgemeine Wartezeit nicht erfüllt. Zwar sind nach Art 24 DMSVA auch marokkanische Zeiten berücksichtigungsfähig. Voraussetzung ist jedoch, dass der verstorbene Ehemann überhaupt deutsche Beitragszeiten hat. Das ist nicht der Fall. Denn wegen der durchgeführten Beitragserstattung liegen bei ihm für die Erfüllung der Wartezeit anrechenbare deutsche Beitragszeiten überhaupt nicht (mehr) vor (vgl dazu BSG, Beschluss vom 7.4.2008, Az 5b KN 1/08 BH mwN).
Zwar trifft zu, dass der verstorbene Ehemann der Klägerin (mit Unterbrechungen) von Oktober 1963 bis Dezember 1975 in Deutschland gearbeitet und Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet hat. Dadurch sind zunächst – eine Rentenanwartschaft begründende – Beitragszeiten vorhanden gewesen. Daraus kann die Klägerin jedoch heute keine Rechte mehr herleiten, weil dem verstorbenen Ehemann die gezahlten Beiträge im Jahr 1977 nach der damals maßgeblichen Vorschrift des § 1303 Abs 7 RVO (gleichlautend: § 95 Abs 7 Reichsknappschaftsgesetz (RKG)) erstattet worden sind und die Anwartschaft damit erloschen ist. Denn durch die Beitragserstattung ist das zuvor bestehende Versicherungsverhältnis aufgelöst worden. Ansprüche aus den bis zur Erstattung zurückgelegten rentenrechtlichen Zeiten bestehen nicht mehr, § 210 Abs 6 Sätze 2 und 3 SGB VI (im Zeitpunkt der Erstattung maßgeblich: § 1303 Abs 7 RVO). Die Gesetzesregelung ist so konzipiert, dass – und das galt auch schon früher – eine Erstattung nur insgesamt und nicht teilweise beansprucht werden kann, § 210 Abs 6 Satz 1 SGB VI. Kommt es zu einer (immer: vollständigen) Erstattung, wird das Versicherungsverhältnis, das bis zum Erstattungszeitpunkt bestand, gänzlich und unwiederbringlich aufgelöst (§ 210 Abs 6 Satz 2 SGB VI). Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass dem Versicherten nur die Hälfte der gezahlten Beiträge zu erstatten war und erstattet wurde (BSG, Beschluss vom 7.4.2008, Az 5b KN 1/08 BH), und ist mit deutschem Verfassungsrecht vereinbar (BVerfG SozR 2200 § 1303 Nr 34; BSG SozR 3-2600 § 210 Nr 2).
Nach dem Gesamtinhalt der Akten steht zur Überzeugung des Senats fest, dass dem verstorbenen Ehegatten der Klägerin sämtliche Beiträge (wie gesetzlich vorgesehen: zur Hälfte) rechtswirksam erstattet worden sind.
Eine rechtswirksame Beitragserstattung setzt voraus, dass nachweislich (1) ein Erstattungsantrag, (2) ein wirksamer Erstattungsbescheid und (3) eine rechtswirksame, befreiende Bewirkung der Leistung (= Erfüllung des Erstattungsanspruchs entsprechend § 362 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)) vorliegen (vgl dazu und besonders zur Beweislast: BSGE 80, 41 ff = SozR 3-2200 § 1303 Nr 6; vgl auch LSG NRW, Beschluss vom 21.9.2003, Az L 2 KN 19/03 und Urteile vom 16.8.2007, Az L 2 KN 259/06, vom 16.12.2010, Az L 2 KN 169/09, vom 13.9.2011, Az L 18 (2) KN 223/07, vom 15.11.2011, Az L 18 (2) KN 42/08, L 18 KN 30/10 und L 18 (2) KN 239/09 sowie vom 24.4.2012, Az L 18 KN 82/10). Das ist hier der Fall. Für den Senat steht aufgrund der vom Versicherten in den früheren Verfahren vor den Sozialgerichten Augsburg und Dortmund gemachten Ausführungen sowie der dort eingereichten Unterlagen mit an Sicherheit grenzender, vernünftige Zweifel ausschließender Wahrscheinlichkeit (Beweismaßstab des Vollbeweises) fest, dass alle drei Voraussetzungen erfüllt sind.
Es kann offen bleiben, ob die rechtsgestaltende Wirkung der Beitragserstattung aus dem Erstattungsantrag oder aus dem Erstattungsbescheid folgt (LSG NRW, Urteil vom 18.10.2001, Az L 2 KN 64/01 mwN) und unter welchen Voraussetzungen sich die Beklagte bei Nichterfüllung nach Treu und Glauben darauf nicht (mehr) berufen kann. Denn hier sind ein wirksamer Antrag und ein dadurch in Gang gebrachtes und ordnungsgemäß abgeschlossenes Erstattungsverfahren erwiesen. Zwar sind die entsprechenden Unterlagen (Antragsformular oder -schreiben; Erstattungsbescheid; Überweisungsträger oder Empfangsquittung) nicht in den Akten vorhanden. Dennoch geht der Senat davon aus, dass der Versicherte im Jahr 1977 Herrn Q U aus T beauftragt und bevollmächtigt hat, für ihn bei der damals zuständigen BVA die Erstattung der Beiträge zu beantragen. Im Vorprozess (Az S 6 KN 199/06) hat der Versicherte Herrn U als "Zwischenperson" bezeichnet; dieser habe damals für ihn die (Erstattung der) Beiträge beantragt. Aus dem Vortrag des Versicherten ergeben sich dagegen keine Hinweise darauf, dass Herr U als Vertreter ohne Vertretungsmacht gehandelt haben könnte und nicht berechtigt war, die Erstattung der Beiträge mit Wirkung für und gegen den Versicherten zu beantragen. Die Einwände des Versicherten betrafen vielmehr den Umstand, dass Herr U später den Großteil des Erstattungsbetrages für sich behalten habe. Dieser Einwand ist schon deshalb nicht stichhaltig, weil der Erstattungsbetrag ausweislich der vom Versicherten vorgelegten Fotokopie des Bescheides vom 29.11.1977 nicht an Herrn U, sondern an die VOBA Teilzahlungsbank erstattet wurde. Dem liegt die dem Senat aus einer Vielzahl von ähnlich gelagerten Verfahren bekannte Praxis marokkanischer Arbeitnehmer zugrunde, bei Rückkehr nach Marokko über Herrn U als Vermittler die Beitragserstattung durch ein Darlehen vorzufinanzieren (meist über die Teilzahlungsbank Volksbank Straubing) und diesem Kreditinstitut die (häufig erst später entstehende bzw. fällige) Erstattungsforderung zur Sicherung der Darlehensrückzahlung abzutreten. Bei diesem Vorgehen erhielt der jeweilige marokkanische Arbeitnehmer naturgemäß nie den vollen Erstattungsbetrag, sondern (meist sofort) einen um die Vergütung für den Vermittler und die Bearbeitungskosten und Zinsen des Kreditinstituts verminderten Darlehensbetrag.
Dementsprechend hat die BVA mit dem Bescheid vom 29.11.1977 festgestellt, dass die in der Zeit von Oktober 1963 bis Dezember 1975 entrichteten Beiträge in Höhe von 15.472,70 DM erstattet werden. Dieser Erstattungsbescheid wurde – ausweislich der Anschrift im Adressfeld – Herrn U (als Empfangsbevollmächtigtem) bekanntgegeben. Zudem hat offenbar auch der Versicherte (sofort oder später) eine Abschrift dieses Bescheides erhalten, die er im Vorprozess vorlegen konnte. Der Senat ist überzeugt, dass die BVA den Erstattungsbetrag von 15.472,70 DM wie im Bescheid entschieden an die VOBA Teilzahlungsbank ausgezahlt hat. Urkunden, die die Zahlung/Überweisung des Geldbetrags unmittelbar belegen (zB Überweisungsträger; Empfangsquittung), befinden sich zwar nicht bei den Akten. Zur Überzeugung des Senats steht gleichwohl fest, dass der geschuldete Erstattungsbetrag tatsächlich entsprechend der Abtretung (möglicherweise aufgrund einer unbedingten Zahlungsanweisung des Versicherten) an die VOBA Teilzahlungsbank gelangt ist. Diese Überzeugung leitet der Senat aus einem Beweis des ersten Anscheins her (sog prima facie-Beweis). Diese Beweisregel gilt auch im sozialgerichtlichen Verfahren (BSGE 8, 245, 247; 12, 242, 246; 19, 52, 54; Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer. SGG. 10. Auf 2012. § 128 RdNr 9 mwN; Pawlak in Hennig. SGG. Stand August 2007. § 128 RdNr 96; Zeihe. Das SGG und seine Anwendung. Stand November 2010. 3.G. vor § 103). Sie besagt, dass bei typischen Geschehensabläufen auf eine Tatsache geschlossen werden kann, die nach der allgemeinen Lebenserfahrung regelmäßig Folge eines solchen Geschehensablaufs ist (BSG in: Breithaupt 1999, 357, 362; Leitherer. aaO. RdNr 9a). Dabei wird der (Voll-)Beweis einer Tatsache vermutet, solange nicht Tatsachen erwiesen sind, die den vermuteten typischen Geschehensablauf in Zweifel ziehen (vgl Leitherer. aaO. RdNr 9e mwN; Pawlak. aaO. RdNrn 94, 99). Ein durch eigenen Antrag bzw den Antrag eines Vertreters mit Vertretungsmacht eingeleitetes und durch bewilligenden Bescheid abgeschlossenes Verwaltungsverfahren zur (vollständigen) Beitragserstattung lässt bei Fehlen entgegenstehender Tatsachen typischerweise den Schluss zu, dass ein (Erstattungs-)Bescheid zugegangen und die geschuldete Leistung bewirkt worden ist (stRspr des Senats, vgl Urteile vom 13.9.2011, Az L 18 (2) KN 223/07, vom 15.11.2011, Az L 18 (2) KN 42/08, L 18 KN 30/10 und L 18 (2) KN 239/09 sowie vom 24.4.2012, Az L 18 KN 82/10; LSG NRW, Urteile vom 3.6.2005, Az L 4 RJ 12/03, sowie vom 22.11.2007, Az L 2 KN 140/06; LSG Hamburg, Urteil vom 27.4.2006, Az L 6 RJ 89/04 mwN). Dies muss jedenfalls dann gelten, wenn die Leistungsbewirkung nicht substantiiert bestritten worden ist und sich auch sonst keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Leistungserbringung nicht zeitnah erfolgt ist (wie etwa zeitnahe Nachfragen des Versicherten, wo das Geld bleibe, vgl LSG NRW, Urteile vom 17.2.1997, Az L 4 J 16/95, und vom 3.6.2005, Az L 4 RJ 12/03; Bayerisches LSG, Urteile vom 14.5.2002, Az L 19 RJ 3/02, und vom 8.12.2004, Az L 19 RJ 203/03).
Von einem solchen typischen Geschehensablauf ist auszugehen. Es entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass derjenige, der eine Erstattung beantragt, aber keinen entsprechenden Bescheid erhält, oder derjenige, der einen Erstattungsbescheid, aber keine entsprechende Zahlung erhält, zeitnah nachfragt, um drohende Nachteile (hier das dauerhafte Ausbleiben einer erwarteten höheren Geldzahlung) zu verhindern. Der Versicherte oder sein Bevollmächtigter haben aber offenbar zu keinem Zeitpunkt nachgefragt, weshalb der Antrag von 1977 noch nicht beschieden worden sei oder warum der Erstattungsbetrag noch nicht ausgezahlt wurde. Im Gegenteil hat der Versicherte bestätigt, die BVA habe den Erstattungsbetrag "an Herr U" ausgezahlt, er aber habe nur 6.000 DM (an anderer Stelle: 6.000 Dirham) erhalten. Mit der vom Versicherten bestätigten Auszahlung des Erstattungsbetrags ist das Erstattungsverfahren ordnungsgemäß abgeschlossen worden. Ob der weitere Vortrag des Versicherten, er sei von Herrn U betrogen worden und habe nur einen Bruchteil des Betrages erhalten, zutrifft, ist für die Entscheidung ohne Belang. Zweifel daran bestehen, weil der Versicherte die Vorwürfe gegen Herrn U erst im Jahr 2007 erhoben hat, also 30 Jahre nach Durchführung des Erstattungsverfahrens.
Selbst wenn die Behauptung des Versicherten, er sei von Herrn U betrogen worden, als zutreffend unterstellt würde, ließe ein solches pflichtwidriges Handeln im Innenverhältnis die im Außenverhältnis – hier also gegenüber der BVA bzw der VOBA Teilzahlungsbank – bestehende Vertretungsmacht unberührt (Abstraktionsprinzip, vgl Schramm in: Münchener Kommentar zum BGB. 6. Aufl 2012. § 164 RdNrn RdNrn 104 f). Das Risiko, dass der Vertreter gegenüber Dritten seine Vertretungsmacht überschreitet, trägt in der Regel der Vertretene (Schramm. AaO. § 164 RdNrn 96 f mwN). Bei gewillkürter Vertretungsmacht (Vollmacht) gilt dies jedenfalls bei der Außenvollmacht (§ 167 Abs 1 Alt 2 BGB) und der Innenvollmacht (§ 167 Abs 1 Alt 1 BGB), wenn diese nach außen mitgeteilt wurden (Schramm. AaO. RdNr 101). Im vorliegenden Fall ist aufgrund der Ausführungen des Versicherten davon auszugehen, dass der Versicherte Herrn U bevollmächtigt und entweder dieser oder der Versicherte die BVA über das Bestehen der Vollmacht in Kenntnis gesetzt hat. Wird in einem solchen Fall die Vertretungsmacht zweck- oder pflichtwidrig ausgeübt, kann der Vertreter dem Vertretenen nach näherer Maßgabe des zwischen ihnen bestehenden Rechtsverhältnisses zum Schadensersatz verpflichtet sein. Dagegen berührt zweck- und pflichtwidriges Handeln des Vertreters das Außenverhältnis zum Dritten grundsätzlich nicht. Auch ein unter Verletzung der im Innenverhältnis bestehenden Pflichten vorgenommene Rechtsgeschäft ist wirksam, wenn es durch die Vertretungsmacht gedeckt ist.
B. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183 Satz 1, 193 Abs 1 Satz 1 SGG.
C. Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor, § 160 Abs 2 SGG. Maßgeblich für die Entscheidung sind die konkreten Umstände des Einzelfalls.
Erstellt am: 06.11.2014
Zuletzt verändert am: 06.11.2014