Der Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung aus dem Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 15.12.2014 wird abgelehnt. Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
Die Entscheidung beruht auf § 199 Abs. 2 SGG. Danach kann der Vorsitzende des Gerichts, das über das Rechtsmittel zu entscheiden hat, die Vollstreckung durch einstweilige Anordnung aussetzen, wenn das Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung hat.
Der Aussetzungsantrag ist zulässig. Der vom Antragsteller (als Antragsgegner des Eilverfahrens) mit der Beschwerde angefochtene Beschluss des Sozialgerichts vom 15.12.2014 ist ein vollstreckbarer Titel (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 SGG). Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung (§ 175 Satz 1 und 2 SGG).
Der Antrag ist unbegründet. Die Anordnung, die Vollstreckung einstweilen auszusetzen, ist eine Ermessensentscheidung (BSG Beschluss vom 08.12.2009 – B 8 SO 17/09; LSG Nordrhein-Westfalen Beschlüsse vom 03.12.2014 – L 19 SF 801/14 ER und vom 16.07.2014 – L 6 SF 556/14 ER; LSG Baden-Württemberg Beschluss vom 26.01.2006 – L 8 AS 403/06 ER; abweichend BSG Beschluss vom 06.08.1999 – B 4 RA 25/98 B). Sie erfordert (auch wenn die Entscheidung als gebundene Entscheidung ergeht; hierzu Breitkreuz in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2 Aufl. § 199 Rn 13) regelmäßig eine Abwägung des Interesses des Gläubigers an der Vollziehung mit dem Interesse des Schuldners, nicht vor der Beendigung des Instanzenzugs leisten zu müssen.
Für die einstweilige Aussetzung der Vollstreckung bedarf es regelmäßig besonderer rechtfertigender Umstände, die über die Nachteile hinausgehen, die für den Antragsteller mit der Zwangsvollstreckung aus einem noch nicht rechtskräftigen Titel also solcher regelmäßig verbunden sind. Dies folgt aus der Entscheidung des Gesetzgebers, dass die Rechtsmittel Berufung und Beschwerde grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung haben (§§ 154, 175 SGG, hierzu auch BSG Beschluss vom 05.09.2001 – B 3 KR 47/01 R).
Für die Aussetzung der Vollstreckung aus einer einstweiligen Anordnung kommt hinzu, dass schon das in der Hauptsache geführte Eilverfahren darauf gerichtet ist, effizienten Rechtsschutz unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu gewährleisten (so etwa BVerfG Beschluss vom 10.10.2013 – 1 BvR 2025/03). Daher bedarf es für eine vorläufige Aussetzung der Vollstreckung nach § 199 Abs. 2 SGG der Glaubhaftmachung weiterer schwerer und unzumutbarer, nicht anders abwendbarer Beeinträchtigungen, die durch die Entscheidung über die Beschwerde auch angesichts des Umstands, dass es sich auch beim Beschwerdeverfahren um ein Eilverfahren handelt, nicht mehr beseitigt werden können.
Sind existenzsichernde Leistungen zum Lebensunterhalt im Streit, ist zudem zu berücksichtigen, dass deren Gewährung einer verfassungsrechtlichen, dem Schutz der Menschenwürde dienenden Pflicht des Staates entspricht (zuletzt BVerfG Beschluss vom 23.07.2014 – 1 Bvl 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691713). Auch deshalb müssen in diesen Fällen die Interessen des Antragstellers gegenüber der existenzsichernden Funktion der zuerkannten Leistungen für den Antragsgegner deutlich überwiegen (ähnlich Bayerisches LSG Urteil vom 08.02.2006 – L 10 AS 17/06 ER; LSG Baden-Württemberg Beschluss vom 24.06.2008 – L 7 AS 2955/08 ER).
Damit verengt sich der Anwendungsbereich des § 199 Abs. 2 SGG in Eilverfahren nach dem SGB II auf Fallgestaltungen, in denen die Vollstreckung gegen den Leistungsträger ganz erheblich über die Nachteile hinausgeht, die für ihn regelmäßig mit der Zwangsvollstreckung aus dem Titel ohnehin verbunden sind (in diesem Sinne auch LSG Nordrhein-Westfalen Beschlüsse vom 03.12.2014 – L 19 SF 801/14 ER, vom 04.11.2014 – L 19 SF 725/14 ER, vom 12.09.2013 – L 19 SF 267/13, vom 16.07.2014 – L 6 SF 556/14 und vom 22.05.2014 – L 6 SF 450/14 ER). Die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels sind insoweit zu berücksichtigen, als bei offensichtlicher Rechtswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung die Vollzugsaussetzung regelmäßig angeordnet werden sollte.
Der Antragsteller hat mit der Beschwerde keine besonderen rechtfertigenden Umstände vorgetragen, die über die Nachteile hinausgehen, die mit der Vollstreckung aus einem nicht rechtskräftigen Titel ohnehin verbunden sind. Die Entscheidung ist weder offensichtlich rechtswidrig, noch liegen andere Gesichtspunkte vor, die eine Aussetzung unter Berücksichtigung der oben dargelegten Maßstäbe als geboten erscheinen lassen:
(1) Soweit das Sozialgericht festgestellt hat, dass es sich bei der Antragsgegnerin (als Antragstellerin des Eilverfahrens) um eine wirtschaftlich inaktive Unionsbürgerin handele, die nicht in Ausübung ihres Freizügigkeitsrechts als Arbeitsuchende in der Bundesrepublik Deutschland verweile, hat es hieraus den gut vertretbaren, jedenfalls keineswegs offensichtlich rechtswidrigen Schluss gezogen, dass dann der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II weder nach seinem Wortlaut noch im Wege eines "erst-recht Schlusses" anwendbar ist, weil der Aufenthaltszweck zur Arbeitsuche keinen Auffangtatbestand darstellt, der zur Anwendung gelangt, wenn ein anderer Aufenthaltszweck nicht feststellbar ist (so mit ausführlicher Begründung LSG Nordrhein-Westfalen Urteile vom 10.10.2013 – L 19 AS 129/13 – Revision beim BSG anhängig unter B 4 AS 64/13 R – und vom 05.05.2014 – L 19 AS 430/13 – Revision beim BSG anhängig unter B 14 AS 33/14 R; ähnlich Thüringer LSG Beschluss vom 25.04.2014 – L 4 AS 306/14 B ER; Hessisches LSG Urteil vom 27.11.2013 – L 6 AS 378/12, abweichend u.a. LSG Niedersachsen-Bremen Beschlüsse vom 15.11.2013 – L 15 AS 365/13 B ER und vom 26.03.2014 – L 15 AS 16/14 B ER). Soweit der Antragsteller hiergegen einwendet, diese Auffassung verkenne, dass bei EU-Bürgern der Aufenthalt nur nach Durchführung eines entsprechenden Verwaltungsverfahrens beendet werden könne (Schriftsatz vom 19.12.2014), so dass der Antragsgegnerin ein dem Leistungsausschluss unterfallendes jedenfalls formelles Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche zukomme, ist diesem Einwand bei der Prüfung eines Anordnungsanspruchs im Eilverfahren, nicht jedoch im Vollstreckungsschutzverfahren nach § 199 Abs 2 SGG nachzugehen.
Daher kann der Antragsteller sich zur Begründung des Vollstreckungsschutzantrags auch für den Fall, dass der vorliegende Sachverhalt dem Sachverhalt entsprechen sollte, der der Entscheidung des EuGH vom 11.11.2014 – C-333/13 (Rechtssache Dano) zugrunde lag, nicht mit Erfolg auf diese Entscheidung berufen. Denn diese Entscheidung beruht – wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat – auf der Prämisse des vorlegenden SG Leipzig, dass der Leistungsausschluss auf wirtschaftlich inaktive, nicht arbeitsuchende Personen ohne materielles Aufenthaltsrecht anwendbar ist, was – wie dargelegt – zweifelhaft ist.
2) Zudem bestehen – insoweit entgegen den Ausführungen des Sozialgerichts – Zweifel, ob es sich bei der Antragsgegnerin um eine wirtschaftlich inaktive Person handelt, die mit der Klägerin Dano im der Entscheidung des EuGH zugrundeliegenden Verfahren vergleichbar ist. Die Entscheidung des EuGH beruht ausdrücklich auf der Feststellung, dass Frau Dano sich nicht um Arbeit bemüht hätte und es sich damit um eine Unionsbürgerin handele, die mit dem Ziel eingewandert sei, in den Genuss von Sozialhilfe zu kommen (Rn 78 der Entscheidung). Demgegenüber hat die Antragsgegnerin sich durchaus um Arbeit bemüht, was allein dadurch deutlich wird, dass sie bislang in mindestens zwei Beschäftigungsverhältnissen gestanden hat, wenn diese auch geringfügig gewesen sind.
Sollte im Fall der Antragsgegnerin die Arbeitsuche zu bejahen sein, unterfiele sie nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung jedenfalls nach dem zugrunde liegenden Sachverhalt nicht der Entscheidung des EuGH vom 11.11.2014. Eine Entscheidung des EuGH für diese Fallgestaltung steht noch aus (BSG EuGH-Vorlage vom 12.12.2013 – B 4 AS 9/13 R; Az beim EuGH C-67/14, Rechtssache Alimanovic). Im Ergebnis zu Recht hätte auch für diesen Fall das Sozialgericht Leistungen zugesprochen, da dies nach der Rechtsprechung der zuständigen Senate des LSG Nordrhein-Westfalen dann im Wege der Folgenabwägung geboten wäre (vergl. nur LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 10.09.2014 – L 19 AS 1565/14 B; Beschluss des Senats vom 10.09.2014 – L 7 AS 1385/14 B ER).
3) Anderweitige, im Verfahren nach § 199 Abs 2 SGG zu berücksichtigende Rechtsfehler des Sozialgerichts sind ebenfalls nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 09.03.2015
Zuletzt verändert am: 09.03.2015