Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 02.01.2015 wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller für das Beschwerdeverfahren zu erstatten.
Den Antragstellern wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Leisten, Köln, bewilligt.
Gründe:
I.
Der Antragsgegner wendet sich gegen die einstweilige Verpflichtung, Leistungen zur Deckung des Regelbedarfs nach dem SGB II zu erbringen.
Die Antragstellerinnen sind polnische Staatsangehörige. Die Antragstellerin zu 1) ist die Mutter der minderjährigen Antragstellerin zu 2). Im Juli 2014 zogen die Antragstellerinnen zum Lebensgefährten der Antragstellerin zu 1) nach Köln. Die Antragstellerin zu 1) ist arbeitsuchend. Der Lebensgefährte verfügt über Einkünfte (ca. 1.250 EUR monatlich).
Mit Bescheid vom 24.09.2014 lehnte der Antragsgegner die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gegenüber dem Lebensgefährten ab. Er sei aufgrund seiner Einkünfte nicht hilfebedürftig. Im Bescheid wird weiter ausgeführt "Für Sie und Ihre Tochter gilt der Leistungsausschluss gemäß 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II". Hiergegen richtet sich der Widerspruch der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft.
Am 10.11.2014 haben die Antragstellerinnen beim Sozialgericht Köln beantragt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zur Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts " in Form der Regelleistungen" zu verpflichten. Sie sind der Auffassung, die Bedarfsgemeinschaft sei hilfebedürftig, weil das Einkommen des Lebensgefährten auch aufgrund einer Unterhaltsgewährung an dessen leibliches Kind in Polen zu reduzieren sei und die Antragstellerinnen über keine Einnahmen außer Kindergeld verfügten. Im Übrigen sei der Leistungsausschluss weder mit Gemeinschaftsrecht noch mit Verfassungsrecht zu vereinbaren.
Mit Beschluss vom 02.01.2015 hat das Sozialgericht den Antragsgegner verpflichtet, den Antragstellerinnen den Regelbedarf vorläufig für die Zeit ab dem 10.11.2014 bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens, längstens aber bis zum 09.05.2015, nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Der Antrag sei im Hinblick auf den Regelbedarf aufgrund einer Folgenabwägung begründet. Ob die Antragstellerin zu 1) von dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II erfasst sei, lasse sich im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht abschließend klären. Selbst wenn der Leistungsausschluss anwendbar wäre, wäre zu prüfen, ob der unbegrenzte Ausschluss von Unionsbürgern gegen EU-Recht verstoße. Diese Frage habe das Bundessozialgericht in der Entscheidung vom 30.01.2013 (Az. B 4 AS 54/12 R) ausdrücklich offen gelassen. Hieran ändere sich nichts durch die Entscheidung des EuGH im Fall "C" (Az. C-333/13). Der Umstand, dass ein Leistungsausschluss dort als rechtmäßig angesehen werde, sei für den vorliegenden Fall nicht relevant. Vielmehr sei die entscheidende Rechtsfrage beim Bundessozialgericht anhängig (B 14 AS 33/14 R).
Gegen den am 02.01.2015 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde des Antragsgegners vom 12.01.2015. Der Tenor der Entscheidung sei zu unbestimmt, er enthalte keinen vollstreckbaren Inhalt. Die Antragstellerinnen seien von den Leistungen nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ausgeschlossen. Sie hielten sich auch nicht als Familienangehörige eines aufenthaltsberechtigten Arbeitnehmers in Deutschland nach § 3 Abs. 2 FreizügG/EU auf. Ein anderer Aufenthaltsgrund sei weder ersichtlich noch vorgetragen worden. Der EuGH habe in der Entscheidung vom 11.11.2014 (Az. C-333/13) die europarechtliche Konformität des in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II geregelten Leistungsausschlusses bestätigt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte des Antragsgegners Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht den Antragsgegner im Wege der Folgenabwägung zur einstweiligen Erbringung des Regelbedarfs an die Antragsteller verpflichtet.
Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung).
Der Erlass einer Regelungsanordnung verlangt grundsätzlich die Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Rechtsbehelfs in der Hauptsache (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens ergeben sich aus Art. 19 Abs. 4 GG, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären. Eine solche Fallgestaltung ist anzunehmen, wenn es – wie hier – im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes um die Sicherung des verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums geht (vgl. Beschlüsse des Senats vom 10.09.2014 – L 7 AS 1385/14 B ER und 22.01.2015 L 7 AS 2162/14 B ER). Ist eine abschließende Prüfung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, ist im Wege der Folgenabwägung zu entscheiden, in die die grundrechtlich relevanten Belange der Antragsteller einzustellen sind (BVerfG Beschlüsse vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05 und 06.02.2013 – 1 BvR 2366/12; Beschluss des Senats vom 11.07.2014 – L 7 AS 1035/14 B ER).
Ob ein Anordnungsanspruch im Sinne eines im Hauptsacheverfahren voraussichtlich durchsetzbaren Anspruchs auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II glaubhaft gemacht ist, muss offen bleiben. Zwar erfüllt die Antragstellerin zu 1) die Leistungsvoraussetzungen nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 4 SGB II. Sie hat das 15. Lebensjahr vollendet, die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht, ist erwerbsfähig, hat ihre Hilfebedürftigkeit glaubhaft gemacht und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Die Antragstellerin zu 1) bildet mit ihrer Tochter als Antragstellerin zu 2) gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II eine Bedarfsgemeinschaft und beide Antragstellerinnen bilden wiederum um eine Bedarfsgemeinschaft mit dem Lebensgefährten der Antragstellerin zu 1). Dessen Einnahmen genügen nach den derzeitigen Erkenntnissen nicht, den Lebensunterhalt der Bedarfsgemeinschaft zu sichern.
Umstritten und fraglich ist, ob der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II eingreift, weil sich das Aufenthaltsrecht der Antragstellerin zu 1) allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners hat der EuGH in seiner Entscheidung vom 11.11.2014 (Az. C-333/13, Rechtssache C) die europarechtliche Konformität des in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II geregelten Leistungsausschlusses nicht ausdrücklich bestätigt. Die Entscheidung des EuGH beruht ausdrücklich auf der Feststellung, dass Frau C sich nicht um Arbeit bemüht habe und es sich damit um eine Unionsbürgerin handele, die mit dem Ziel eingewandert sei, in den Genuss von Sozialhilfe zu kommen (Rn. 78 der Entscheidung). Eine Entscheidung des EuGH für Personen, bei denen die Arbeitsuche zu bejahen ist, steht noch aus (BSG EuGH-Vorlage vom 12.12.2013 – B 4 AS 9/13 R; Az. beim EuGH C-67/14, Rechtssache Alimanovic).
Bei der Antragstellerin zu 1) ist nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung die Arbeitsuche zu bejahen und daher nicht die Entscheidung des EuGH vom 11.11.2014 zugrundezulegen. Die Antragstellerin zu 1) hat nach eigenem glaubhaften Bekunden in Polen langjährige Berufserfahrung als Friseurin gesammelt, sie steht als Mutter eines schulpflichtigen Kindes jedenfalls in Teilzeit der Arbeitsvermittlung zur Verfügung und hat glaubhaft erklärt, rasch ausreichende deutsche Sprachkenntnisse erwerben zu wollen.
Die Komplexität der gesetzlichen Regelungen unter Berücksichtigung der Einwirkungen der europarechtlichen Rechtsnormen auf die nationalen Gesetze lässt sich dem beim BSG unter dem Aktenzeichen B 4 AS 9/13 R geführten Verfahren, in dem Ansprüche von schwedischen Staatsangehörigen streitig sind, entnehmen. Das BSG hat das vorgenannte Verfahren ausgesetzt, um eine Vorabentscheidung des EuGH zu den verschiedenen Fragen einzuholen, u.a., ob das Gleichbehandlungsgebot des Art. 4 VO (EG) 883/2004 mit Ausnahme des Exportausschlusses des Art. 70 Abs. 4 VO (EG) 883/2004 auch für die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen im Sinne von Art. 70 Abs. 1, 2 VO (EG) 883/2004 gilt (BSG, EuGH-Vorlage vom 12.12.2013 – B 4 AS 9/13 R, Az. beim EuGH C-67/14, Rechtssache Alimanovic).
Auf Grund der Komplexität der Rechtsfragen kann die Rechtslage in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht abschließend beurteilt werden, so dass anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden ist. Diese fällt zu Gunsten der Antragstellerinnen aus. Hierbei ist die besondere Bedeutung der beantragten Leistungen für die Antragstellerinnen gegen das fiskalische Interesse des Antragsgegners abzuwägen. Vorliegend tritt das Interesse des Antragsgegners hinter das Interesse der Antragstellerinnen zurück. Die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II dienen der Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Ohne die vom Sozialgericht zugesprochenen Leistungen drohten bzw. drohen den Antragstellerinnen für den tenorierten Zeitraum existentielle Nachteile, welche sie aus eigener Kraft nicht abwenden können, da der Lebensunterhalt unter Berücksichtigung des erzielten Einkommens nicht gesichert ist. Der Antragsgegner hingegen hat allein finanzielle Nachteile durch die vorläufige Auszahlung der Leistungen und das Risiko, die Leistungen im Falle des Obsiegens in der Hauptsache möglicherweise nicht zurück zu erhalten. Im Lichte des in Art. 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG verankerten Gebots des effektiven Rechtsschutzes und der Menschenwürde kann den Antragstellerinnen nicht zugemutet werden, ohne jede staatliche Existenzsicherung eine Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (vgl. Beschlüsse des Senats vom 22.01.2015 L 7 AS 2162/14 B ER und vom 08.09.2014 – L 7 AS 1231/14 B mit Verweis auf Beschluss vom 03.04.2013 – L 7 AS 2403/12 B und Beschluss vom 28.04.2014 – L 7 AS 550/14 B ER). Durch die zeitliche Beschränkung der vorläufigen Gewährung sind die nachteiligen Folgen auf Seiten des Antragsgegners begrenzt.
Im Übrigen wird auf den Beschluss vom 04.02.2015 verwiesen (L 7 SF 28/15 ER). Danach ist der Einwand der fehlenden Vollstreckbarkeit des erstinstanzlichen Beschlusses unbegründet und der Antrag ohnehin auf die Regelleistung beschränkt. Der Antragsgegner ist verpflichtet, den ergänzenden Bedarf der Bedarfsgemeinschaft nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen in der Höhe zu erbringen, in der er (ohne die gerichtliche Anordnung) gemäß §§ 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II, 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II bei Bejahung des Leistungsanspruches dem Grunde nach zur vorläufigen Leistungserbringung verpflichtet wäre. Es ist dem Antragsgegner dabei gestattet, bis zur Vorlage eines Unterhaltstitels im Sinne des § 11 b Abs. 1 Nr. 7 SGB II von einer einkommensmindernden Absetzung der Unterhaltsleistungen des Lebensgefährten an seine Tochter abzusehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Erstellt am: 16.03.2015
Zuletzt verändert am: 16.03.2015