Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 03.03.2015 geändert.
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II in Gestalt der Regelleistung und der Kosten der Unterkunft in Höhe von monatlich 565,10 Euro (360 Euro Regelleistung/205,10 Euro KdU) für die Zeit vom 02.02.2015 bis zum 31.07.2015 längstens bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens zu zahlen.
Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren ratenfreie Prozesskostenhilfe ab Antragstellung bewilligt und Rechtsanwalt Dr. I M, F, beigeordnet.
Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin in beiden Rechtszügen.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Die im Jahr 1980 geborene Antragstellerin ist polnische Staatsangehörige und lebt seit dem 02.10.2014 ununterbrochen bei ihrem Lebensgefährten, Herrn Karl-Heinz G Mit ihm gemeinsam beantragte sie am 09.01.2015 die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II. Durch Bescheid vom 21.01.2015 bewilligte der Antragsgegner dem Lebensgefährten der Antragstellerin Leistungen für die Zeit vom 01.02.2015 bis zum 31.07.2015 in Höhe von monatlich 604,10 EUR; dabei berücksichtigte er die Kosten der Unterkunft lediglich zur Hälfte (205,10 Euro). Mit gesondertem Bescheid vom 21.01.2015 lehnte der Antragsgegner den Antrag der Antragstellerin ab; sie sei gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen, da lediglich ein alleiniges Aufenthaltsrecht zur Arbeitssuche in der Bundesrepublik Deutschland vorliege.
Mit dem hiergegen gerichteten Widerspruch berief sich die Antragstellerin darauf, dass ihr ein Aufenthaltsrecht gemäß § 4 a FreizügigkeitsgesetzEU (Daueraufenthaltsrecht) zustehe. Damit greife der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II nicht ein. Selbst wenn man nicht von einem Daueraufenthaltsrecht ausginge, wären Leistungen zu gewähren. § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II sei nicht europarechtskonform. Es sei ein Vorlageverfahren beim EuGH anhängig.
Am 02.02.2015 hat die Antragstellerin einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Sozialgericht Duisburg (SG) gestellt. Sie halte sich schon seit mehr als fünf Jahren rechtmäßig in Deutschland auf, so dass der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II bereits aus diesem Grund nicht anwendbar sei. Sie habe zwar keine Meldebestätigungen in ihrem Besitz, ihr Aufenthalt sei aber durchgehend rechtmäßig gewesen. Sie habe sich ständig zum Zwecke der Ausübung einer Erwerbstätigkeit oder zum Zweck der Arbeitssuche in Deutschland aufgehalten. Unterlagen hierzu habe sie nicht mehr. Sie sei von 2009-2010 als selbstständige Dienstleisterin im Bereich der Erotik-Dienstleistungen tätig gewesen. Danach sei sie teilweise obdachlos gewesen und habe sich mit Almosen über Wasser gehalten. Sie habe häufig draußen geschlafen oder bei Bekannten. Sie habe bis heute keine Sozialleistungen bezogen. Sie verfüge über keine Vermögenswerte und sei dringend auf die Gewährung existenzsichernder Leistungen angewiesen. Sie verfüge nicht über ein Konto, auch nicht im Ausland. Über eine Krankenversicherung verfüge sie seit ihrer Einreise nicht. Soweit das erforderlich gewesen sei, habe sie Krankenbehandlungen über das Gesundheitsamt in Anspruch genommen. Beim Jobcenter sei sie arbeitssuchend gemeldet. Sie suche auch selbst nach Stellen in Zeitungen, habe aber bisher keinen Erfolg, weil ihr Pass abgelaufen sei.
Mit Beschluss vom 03.03.2015 hat das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Ein Anordnungsanspruch sei nicht glaubhaft gemacht, da die Antragstellerin gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sei.
Die Antragstellerin erfülle die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II. Sie habe ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Essen, Anhaltspunkte für eine fehlende Erwerbsfähigkeit lägen nicht vor. Als polnische Staatsangehörige sei sie freizügigkeitsberechtigt und habe freien Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt. Der Umstand, dass die Antragstellerin aktuell nicht über ein gültiges Ausweispapier verfüge, ändere nichts an Ihrer grundsätzlichen Erwerbsfähigkeit. Die Antragstellerin habe durch Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung hinreichend glaubhaft gemacht, hilfebedürftig zu sein, da sie ihren Lebensunterhalt nicht sichern könne und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhalte. Die Antragstellerin sei jedoch von Leistungen nach dem SGB II gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II ausgeschlossen. Die Voraussetzungen eines Daueraufenthaltsrechts nach § 4 a Freizügigkeitsgesetz/EU lägen entgegen der Ansicht der Antragstellerin nicht vor. Sie könne sich insbesondere nicht auf einen durchgehenden Status als Arbeitnehmerin oder Selbstständige berufen, da sie – unabhängig von der rechtlichen Einordnung ihrer Tätigkeit – lediglich in der Zeit von 2009-2010 im Erotikbereich gearbeitet habe. Nach eigenen Angaben verfüge sie seit ihrer Einreise auch nicht über eine Krankenversicherung, so dass selbst bei fehlender Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 lit. b der Richtlinie 2004/38/EG nicht erfüllt seien. Allenfalls bestehe ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitssuche. Zur Überzeugung der Kammer bestünden nach der Entscheidung des EuGH (Urteil vom 11.11.2014 – C-333/13) auch keine rechtlichen Bedenken gegen die Vereinbarkeit des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II mit dem Gemeinschaftsrecht der Europäischen Union. Daher bleibe vorliegend auch kein Raum für eine Folgenabwägung.
Mit der am 03.03.2015 eingelegten Beschwerde macht die Antragstellerin weiterhin geltend, dass ihr ein Leistungsanspruch zustehe. Das SG habe seine Entscheidung auf die Entscheidung des EuGH im Fall Dano (Urteil vom 11.11.2014 – C-333/13) gestützt. Der dieser Entscheidung zugrundeliegende Sachverhalt sei mit dem hier vorliegenden nicht vergleichbar.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 03.03.2015 aufzuheben und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II zu bewilligen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie bezieht sich zur Begründung auf die den Beschluss tragenden Gründe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und der Verwaltungsakte des Antragsgegners Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist auch begründet.
Das SG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Unrecht abgelehnt. Der Antrag ist zulässig und begründet.
Nach § 86b Abs. 2 S. 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 S. 2 SGG). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt grundsätzlich voraus, dass der Antragsteller das Bestehen eines zu sichernden Rechts (den so genannten Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung (den so genannten Anordnungsgrund) glaubhaft macht (§ 86 b Abs. 2 S. 4 SGG, § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung – ZPO -).
Der Anordnungsanspruch ist glaubhaft gemacht. Es kann dahinstehen, ob die Antragstellerin über ein Daueraufenthaltsrecht verfügt. Offen lassen kann der Senat auch, ob – wie der Antragsgegner meint – der Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II dem Anspruch entgegensteht oder ob die Vorschrift nach der vom Senat vertretenen Auffassung deshalb nicht greift, weil der Ausschluss in dieser umfassenden Form wegen Verstoßes gegen EU-Recht nicht anwendbar ist (s. LSG NRW Urteil vom 28.11.2013 – L 6 AS 130/13 – juris). Denn der Antragstellerin stehen die beantragten vorläufigen Leistungen auch nach § 328 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) zu (im Ergebnis ebenso LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 27.05. 2014 – L 34 AS 1150/14 B ER – juris, mwN).
Nach der über § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II anwendbaren Vorschrift des § 328 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB III kann über die Erbringung von Geldleistungen vorläufig entschieden werden, wenn die Vereinbarkeit einer Vorschrift, von der die Entscheidung über den Antrag abhängt, mit höherrangigem Recht Gegenstand eines Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) oder dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) ist.
Die Leistungsvoraussetzungen der §§ 7 Abs. 1 S. 1 Nrn. 1 – 4; 8, 9 SGB II zum Alter, zur Erwerbsfähigkeit, zum gewöhnlichen Aufenthalt und zur Hilfebedürftigkeit sieht der Senat wie auch das SG als glaubhaft gemacht an.
Ungeachtet des Umstandes, dass die vorläufige Leistung gemäß § 328 SGB III ein aliud gegenüber der endgültigen Bewilligung darstellt (BSG Urteil vom 06.04.2011 – B 4 AS 119/10 R – BSGE 108, 86-97), ist im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass eine vorläufige Bewilligung sowohl von der Antragstellerin beantragt worden ist, als auch Gegenstand der Verwaltungsentscheidung des Antragsgegners war. Bereits mit der Beantragung von Leistungen nach dem SGB II mit dem Hinweis darauf, dass keinerlei Einkommen und Vermögen vorhanden sind, hat die Antragstellerin hinreichend deutlich gemacht, dass sie sich in einer wirtschaftlichen Notsituation befindet, die eine unmittelbare Leistungsbewilligung erforderlich macht. Spätestens mit der Beantragung gerichtlichen Eilrechtsschutzes hat die Antragstellerin endgültig zu verstehen gegeben, dass sie (weiterhin, zumindest) die Bewilligung vorläufiger Leistungen begehrt. Vor diesem Hintergrund und mit dem Wissen, dass die Frage der Vereinbarkeit des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II mit dem europäischen Gemeinschaftsrecht Gegenstand eines Vorlageverfahrens beim EuGH ist, kann die Leistungsablehnung des Antragsgegners nur so verstanden werden, dass damit auch keine vorläufigen Leistungen bewilligt werden sollten.
Die Vorlagefragen in dem Beschluss des BSG vom 12.12.2013 – B 4 AS 9/13 R sind auch nach dem Urteil des EuGH vom 11.11.2014 – C 333/13 (Dano) weiterhin von entscheidungserheblicher Bedeutung. Lediglich die Vorlagefrage zu I.1. ("Gilt das Gleichbehandlungsgebot des Art. 4 VO (EG) 883/2004 – mit Ausnahme des Exportausschlusses des Art. 70 Abs. 4 VO (EG) 883/2004 – auch für die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen im Sinne von Art. 70 Abs. 1, 2 VO (EG) 883/2004 ?") hat das BSG durch Beschluss vom 11.02.2015 – B 4 AS 9/13 R für erledigt erklärt, nachdem der EuGH (nur) diese Vorlagefrage des BSG durch das o.a. Urteil vom 11.11.2014 (bejahend) entschieden hat. Die Entscheidung in Sa. Dano betraf eine andere Fallgestaltung; sie enthält Ausführungen zur Anwendbarkeit der VO 883/2004 und der URL (s LSG NRW Urteil vom 28.11.2013 – L 6 AS 103/13), nicht aber zur Europarechtskonformität des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II. Zur weiteren Begründung wird auf den Senatsbeschluss vom 29.01.2015 (L 6 AS 2085/14 B ER – juris Rn 17 ff.) verwiesen.
Für die Verpflichtung des Antragsgegners zur Erbringung der Leistungen besteht auch ein Anordnungsgrund. Der Antragstellerin drohen ohne eine einstweilige Anordnung schwerwiegende Nachteile, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr abgewendet werden können.
Hinsichtlich des Regelbedarfs folgt dies für die in der Vergangenheit hingenommenen und für die in Zukunft abzuwendenden Beeinträchtigungen schon aus dem unmittelbaren Grundrechtseingriff (Art. 1 Abs. 1 GG), der durch die Verweigerung der zur Deckung des täglichen Lebensbedarfs erforderlichen Mittel entsteht.
Im Kern gilt dies auch für den Anordnungsgrund hinsichtlich der Kosten der Unterkunft. Soweit der Senat bislang mit den anderen für die Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Fachsenaten die Auffassung vertreten hat, dass ein Anordnungsgrund regelmäßig erst mit der Erhebung der Räumungsklage anzunehmen sei, da erst dann konkret Wohnungslosigkeit drohe, die in einem bestimmten Zeitfenster des Klageverfahrens durch die vorläufige Gewährung (auch) von Kosten der Unterkunft (vgl. §§ 543 Abs. 2 S. 2; 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB) abgewendet werden könne, hat er diese Rechtsprechung aufgegeben (vgl. Senatsbeschluss vom 29.01.2015 – L 6 AS 2085/14 B ER) und sieht sich in seiner Auffassung nunmehr auch durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH Urteil vom 4.2.2015 – VIII ZR 175/14; entgegen LG Bonn Urteil vom 10.11.2011 – 6 T 198/11 und LG Wiesbaden Urteil vom 22.06.2012 – S 3 114/11) bestätigt.
Neben der andauernden Beeinträchtigung wegen fehlender Kosten der Unterkunft als Teil der ein menschenwürdiges Existenzminimum sichernden Leistung (Alg II) (Art. 1 GG iVm Art. 20 Abs. 1 GG) kann die Wohnung schon früher als Lebensmittelpunkt konkret gefährdet und damit das Grundrecht aus Art. 13 GG so beeinträchtigt sein, dass eine Regelungsanordnung erforderlich ist. In diesem Zusammenhang den Blick auf die Erhebung der Räumungsklage zu focussieren, hält der Senat nicht mehr für ausreichend, zumal der Schutz gegen den Verlust der Wohnung in diesem Stadium des Verfahrens auch deshalb problematischer geworden ist, da die dort beklagten Antragsteller grundsätzlich keine Prozesskostenhilfe erhalten können, der Leistungsträger sich aber regelmäßig nicht in der Pflicht sehen dürfte, die Kosten der Rechtsverteidigung zu übernehmen. Wenn auch die Zahlung von Unterkunftskosten zur Abwendung der außerordentlichen Kündigung noch nach Erhebung der Räumungsklage möglich ist, gilt dies doch nicht mit vergleichbar zuverlässiger Voraussehbarkeit für die ordentliche Kündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Durch die Nachzahlung der Rückstände wird die Kündigung nicht unwirksam, da §§ 543 Abs. 2 S. 2, 569 Ab. 3 Nr. 2 BGB im Rahmen dieser Kündigung nicht anwendbar ist (BGH Urteil vom 10.10.2012 – VIII ZR 107/12). Die danach entscheidende Frage, ob der Mieter seine vertraglichen Pflichten schuldhaft nicht unerheblich verletzt hat, indem er in einem zur fristlosen Kündigung berechtigendem Ausmaß mit der Mietzahlung deshalb in Verzug ist, weil die Kosten der Unterkunft nicht (rechtzeitig) vom Jobcenter gezahlt worden sind, wurde in der zivilgerichtlichen Rechtsprechung – soweit dies vom Senat beurteilt werden kann – bisher nicht einheitlich beantwortet (vgl. hierzu AG Lichtenberg Urteil vom 19.12.2013 – 17 C 33/13 – Rdnr 22; BGH Urteil vom 21.10.2009 – VIII ZR 64/09 – juris; s entsprechend LSG NRW Beschluss vom 19.05.2014 – L 19 AS 805/14 B ER – juris mwN; LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 22.07.2014 – L 10 AS 1393/14 B ER – juris). Nach der o.a. Rechtsprechung des BGH hat aber auch ein Mieter, der Sozialleistungen (für die Kosten der Unterkunft) erhält, verschuldensunabhängig für seine finanzielle Leistungsfähigkeit einzustehen (s BGH Urteil vom 04.02.2015 – VIII ZR 175/15 juris Rn 20), so dass mit Blick auf die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung schon zu einem früheren Zeitpunkt wesentliche Nachteile zu gewärtigen sein, die ein Zuwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache unzumutbar erscheinen lassen. Ist damit die Gefahr des Wohnungsverlustes nicht abgewendet, wird hier auch die durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Privatautonomie unter dem Blickwinkel der eigenbestimmten Gestaltung von Rechtsverhältnissen gefährdet.
Vor diesem Hintergrund erscheint es dem Gericht zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes geboten, den wesentlichen Nachteil als Anordnungsgrund unabhängig von einem bestimmten Zeit- und Verfahrensfenster unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Dabei können nicht nur Umstände im Zusammenhang mit dem Verlust der alten Wohnung, sondern auch nicht zuletzt finanzielle Aspekte bei der Beschaffung neuen Wohnraums von Bedeutung sein, wie etwa die allgemeine Situation auf dem örtlichen Wohnungsmarkt, finanzielle Nachteile in Form von Mahnkosten und Zinsen direkt aus dem Mietverhältnis und Versorgungsverträgen, die fortwirkende Störung des Vertrauensverhältnisses bezogen auf das Miet- als Dauerschuldverhältnis, Kosten der (einer) Räumungsklage, Umzugskosten ggfs Einlagerungskosten, Verlust von sozialen Bindungen uVm.
In der Gesamtwürdigung hält der Senat hier den Anordnungsgrund für gegeben. Die Antragstellerin wohnt bei ihrem Lebensgefährten, der Leistungen nach dem SGB II bezieht. Diesem sind durch den Zuzug der Antragstellerin die Kosten der Unterkunft nur noch zur Hälfte bewilligt worden. Bei seiner Vorsprache bei der Antragsgegenerin am 22.01.2015 hat er deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er ohne die Bewilligung der vollen Kosten der Unterkunft die Antragstellerin nicht länger bei sich aufnehmen könne. Der Antragstellerin droht damit unmittelbar die Obdachlosigkeit.
Die Kostenentscheidung folgt einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 31.03.2015
Zuletzt verändert am: 31.03.2015