Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Detmold vom 17.02.2015 wird zurückgewiesen. Der Antragsgegner hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller für das Beschwerdeverfahren zu erstatten. Den Antragstellern wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt T, C, beigeordnet.
Gründe:
I.
Der Antragsgegner wendet sich gegen seine einstweilige Verpflichtung zur Erbringung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe des Regelbedarfs.
Die im Juli 1991 geborene Antragstellerin zu 1) und ihre Tochter, die im September 2013 geborene Antragstellerin zu 2) sind griechische Staatsangehörige. Die Antragstellerin zu 1) und ihr Verlobter, T T (griechischer Staatsangehöriger, geboren 1988), der Vater der Antragstellerin zu 2), wollen in naher Zukunft heiraten und eine eigene Wohnung anmieten. Die Antragstellerinnen reisten am 18.12.2014 zusammen mit T T in die Bundesrepublik Deutschland ein. Seitdem leben die Antragstellerinnen bei den Eltern der Antragstellerin zu 1). Die Eltern der Antragstellerin zu 1) üben eine geringfügige Beschäftigung aus (Einkommen 400,02 EUR bzw. 450,00 EUR brutto monatlich) und beziehen zusammen mit ihren (weiteren) vier Kindern Grundsicherung. T T wohnt bei I B in C und ist seit 12.01.2015 in Vollzeit erwerbstätig (Einkommen ca. 900,00 EUR netto monatlich).
Am 22.12.2014 beantragten die Antragstellerinnen Leistungen der Grundsicherung bei dem Antragsgegner. Über diesen Antrag ist nach Aktenlage bislang nicht entschieden. Die Antragstellerin zu 1) teilte insoweit mit, sie sei derzeit auf Jobsuche, zumindest für eine geringfügige Beschäftigung.
Am 12.01.2015 haben die Antragstellerinnen beim Sozialgericht Detmold beantragt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zur Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe des Regelsatzes zu verpflichten. Sie hätten als Unionsbürger einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bzw. 2 SGB II sei europarechtswidrig. Jedenfalls in den ersten drei Monaten ihres Aufenthaltes bestünde ein Leistungsanspruch aufgrund von Art. 24 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie 2004/38/EG. Danach sei sie, die Antragstellerin zu 1), Arbeitnehmerin. Sie sei arbeitsuchend, jedoch könne sie derzeit nicht arbeiten, da sie noch keinen Kindergartenplatz für die Antragstellerin zu 2) gefunden habe. Hierdurch verliere sie wegen § 15 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) jedoch nicht ihren Status als Arbeitnehmerin. Sobald Leistungen bewilligt seien, solle eine gemeinsame Wohnung mit T T angemietet werden. Auf den Inhalt der eidesstattlichen Versicherungen der Antragstellerin zu 1) vom 12.01.2015, 30.01.2015 und 20.02.2015 wird Bezug genommen.
Mit Beschluss vom 17.02.2014 hat das Sozialgericht den Antragsgegner verpflichtet, den Antragstellerinnen vorläufig den Regelbedarf für die Zeit vom 12.01.2015 bis 17.03.2015 nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu gewähren. Die Antragstellerin zu 1) habe einen Anordnungsanspruch nach §§ 7 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, 9, 20 ff. SGB II glaubhaft gemacht. Leistungen erhalte auch die Antragstellerin zu 2) als Person, die mit einer erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft lebe (§ 7 Abs. 2 S. 1 SGB II). Die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II lägen vor, was zwischen den Beteiligten unstreitig bzw. durch die eidesstattlichen Versicherungen glaubhaft gemacht sei. Die Antragstellerinnen seien im tenorierten Umfang auch nicht nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, 2 SGB II von den Leistungen ausgeschlossen. Ausgeschlossen seien danach (1) Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 FreizG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts, sowie (2) Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergebe, und ihre Familienangehörigen. Die Antragstellerinnen seien zunächst nicht vom Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II betroffen. Der Ausschlusstatbestand sei der Versuch der Umsetzung von Art. 24 Abs. 1, 2 der Unionsbürgerrichtlinie 2004/38/EG.
Die Antragstellerinnen gehörten zu dem Kreis der Familienangehörigen solcher Personen im Sinne von Art. 2 Nr. 2 c) RL 2004/38/EG. Es handele sich um Verwandte solcher Personen in absteigender gerader Linie, nämlich ihrer erwerbstätigen Eltern (Antragstellerin zu 1) bzw. Großeltern (Antragstellerin zu 2). Die Antragstellerin zu 1) habe zwar das 21. Lebensjahr vollendet. Sie lebe aber bei ihren Eltern, die selbst hilfebedürftig nach dem SGB II seien. Unterhaltsgewährung dürfe aber nicht im Sinne einer vollständigen Bedarfsdeckung zu verstehen sein. Andernfalls wäre der Ausnahmetatbestand überflüssig. Vielmehr sei auch eine Unterstützung in einem geringen Umfang ausreichend. Diese sei bei Verwandten, die in einem Haushalt zusammenleben, jedenfalls dann zu vermuten, wenn die potentiell Unterhalt gewährenden Personen über anrechnungsfreies Einkommen, wie vorliegend die Erwerbsfreibeträge der Eltern der Antragstellerin zu 1), verfügen. Der von dem Antragsgegner befürchtete Zirkelschluss drohe hingegen nicht. Fraglich sei nämlich in diesem Punkt nur, inwieweit die Unterhaltsgewährung die Hilfebedürftigkeit im Sinne von § 9 SGB II ausschließe. Diese Frage sei nach den Vorschriften des SGB II über die Anrechnung von Einkommen und Vermögen zu beantworten. Dabei sei das Einkommen der Eltern der Antragstellerin zu 1) gemäß § 9 Abs. 3 SGB II nicht auf deren Bedarf anzurechnen, da sie ein Kind von unter 6 Jahren – die Antragstellerin zu 2) – betreue. Die Antragstellerin zu 2) habe das 21. Lebensjahr ohnehin noch nicht vollendet; für sie gelte der Leistungsausschluss, solange sie im Haushalt ihrer Großeltern wohne, ohnehin nicht.
Gegen den am 23.02.2015 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde des Antragsgegners vom 04.03.2015. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II greife. Es sei nicht davon auszugehen, dass der Antragstellerin zu 1) Unterhalt gewährt werde. Dagegen spreche der Leistungsbezug der Eltern der Antragstellerin zu 1). Unterhaltsgewährung im Sinne der europarechtlichen Regelungen sei nur zu bejahen, wenn der Bedarf des Betreffenden vollständig gedeckt werde.
Die Antragstellerinnen verweisen auf die Ausführungen im Beschluss vom 17.02.2015.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
Zu Recht hat das Sozialgericht den Antragsgegner zur einstweiligen Erbringung des Regelbedarfs an die Antragstellerinnen verpflichtet. Insoweit verweist der Senat zunächst auf die zutreffenden Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung, die er sich nach Prüfung zu eigen macht (§ 142 Abs. 2 S. 3 SGG). Ergänzend und angesichts der Einwendungen des Antragsgegners weist der Senat darauf hin, dass es für eine Unterhaltsgewährung iSd § 3 Abs 2 Nr 2 FreizügG/EU ausreicht, dass eine fortgesetzte regelmäßige Unterstützung in einem Umfang erfolgt, der es ermöglicht, zumindest einen Teil des Lebensunterhalts regelmäßig zu decken. Es ist nicht erforderlich, dass derjenige, dem Unterhalt gewährt wird, einen Anspruch auf Unterhaltsgewährung hat oder seinen Lebensunterhalt nicht selbst bestreiten könnte. Auf die Gründe der Unterstützung kommt es nicht an. Die Inanspruchnahme von Sozialleistungen allein spricht nicht gegen eine Unterhaltsgewährung (Dienelt, in: Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl., § 3 FreizügG/EU Rn 40).
Zudem ist auch im Rahmen einer vorzunehmenden Folgenabwägung im Hinblick auf die Regelung des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II die Verpflichtung des Antragsgegners auszusprechen.
Die Komplexität der gesetzlichen Regelungen unter Berücksichtigung der Einwirkungen der europarechtlichen Rechtsnormen auf die nationalen Gesetze lässt sich dem beim erkennenden Senat unter dem Aktenzeichen L 7 AS 2136/13 geführten Verfahren, in dem Ansprüche von spanischen Staatsangehörigen streitig sind, entnehmen. Der erkennende Senat hat das vorgenannte Verfahren ausgesetzt, um eine Vorabentscheidung des EuGH zu den verschiedenen Fragen einzuholen, u.a., ob andere primärrechtliche Gleichbehandlungsgebote, insbesondere Art. 45 Abs. 2 AEUV i.V.m. Art. 18 AEUV einer nationalen Bestimmung entgegenstehen, die Unionsbürgern eine Sozialleistung in den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts ausnahmslos verweigert, die der Existenzsicherung dient und gleichzeitig auch den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert, wenn diese Unionsbürger zwar weder Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Abs. 3 FreizügG/EU 2004 freizügigkeitsberechtigt sind, aber eine tatsächliche Verbindung zum Aufnahmestaat und insbesondere zum Arbeitsmarkt des Aufnahmestaates aufweisen (EuGH-Vorlage des Senats vom 22.05.2014 – L 7 AS 2136/13, EuGH C-299/14, Rechtssache Garcia-Nieto). Das Vorabentscheidungsersuchen ist noch anhängig. Im Urteil vom 11.11.2014 (C-333/13; Rechtssache Dano) hat der EuGH zwar die Gültigkeit des Leistungsausschlusses innerhalb der ersten drei Monate des Aufenthalts im Aufnahmestaat nicht in Frage gestellt, indes ist unbeantwortet geblieben, wie zu entscheiden ist, wenn eine tatsächliche Verbindung zum Aufnahmestaat und zu dessen Arbeitsmarkt zu bejahen ist. Gleiches gilt für die – ohnehin nicht verbindliche – Stellungnahme des Generalanwalts in der Rechtssache EuGH C-67/14 (B; dort Rn 75).
Eine tatsächliche Verbindung der Antragstellerin zu 1) zur Bundesrepublik Deutschland als Aufnahmestaat und zum deutschen Arbeitsmarkt liegt nahe. Die Antragstellerinnen sind zu seit längerem in Deutschland lebenden, unstreitig freizügigkeitsberechtigten, in gerader Linie Verwandten gezogen, die hier einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Der Vater der Antragstellerin zu 2) und Partner der Antragstellerin zu 1) T T ist Arbeitnehmer. Die Antragstellerinnen haben glaubhaft gemacht, dass sie eine Lebensgemeinschaft mit T T planen.
Die Folgenabwägung fällt zu Gunsten der Antragstellerinnen aus. Hierbei sind die besondere Bedeutung der beantragten Leistungen für die Antragstellerinnen gegen das fiskalische Interesse des Antragsgegners, die vorläufig erbrachten Leistungen im Falle des Obsiegens in der Hauptsache möglicherweise nicht zurück zu erhalten, abzuwägen. Vorliegend tritt das Interesse des Antragsgegners hinter das Interesse der Antragstellerinnen zurück. Die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II dienen der Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Ohne die beantragten und vom Sozialgericht zugesprochenen Leistungen drohen den Antragstellerinnen existentielle Nachteile, welche sie aus eigener Kraft nicht abwenden können. Ihr Lebensunterhalt ist nicht gesichert. Der Antragsgegner hingegen hat allein finanzielle Nachteile durch die vorläufige Auszahlung der Leistungen. Daher kann den Antragstellerinnen im Lichte des in Art. 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG verankerten Gebots des effektiven Rechtsschutzes und der Menschenwürde nicht zugemutet werden, ohne jede staatliche Existenzsicherung eine Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (vgl. Beschlüsse des Senats vom 22.01.2015 – L 7 AS 2162/14 und vom 08.09.2014 – L 7 AS 1231/14 B mit Verweis auf Beschluss vom 03.04.2013 – L 7 AS 2403/12 B und Beschluss vom 28.04.2014 – L 7 AS 550/14 B ER).
Der Anordnungsgrund liegt vor. Ohne die einstweilige Regelung drohen schwere Nachteile. Beispielhaft sei nur auf den fehlenden Krankenversicherungsschutz der Antragstellerinnen hinzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe liegen vor (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG, § 119 ZPO). Die Beiordnung des Rechtsanwalts ist unter Berücksichtigung der Schwierigkeit von Sach- und Rechtslage als erforderlich anzusehen.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Erstellt am: 29.04.2015
Zuletzt verändert am: 29.04.2015