NZB als unzulässig verworfen
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 17.10.2012 geändert und die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Gewährung eines Mehrbedarfszuschlages für schwerbehinderte Menschen nach § 30 Abs. 1 SGB XII für den Zeitraum vom 28.07.2008 bis zum 08.12.2008.
Die am 00.00.1944 geborene Klägerin bezieht von der Beklagten seit November 2007 laufend Leistungen nach dem SGB XII. Zunächst erhielt sie Leistungen nach dem Dritten Kapitel SGB XII, inzwischen nach dem Vierten Kapitel SGB XII.
Vom Versorgungsamt war ihr zuletzt ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 (ohne Merkzeichen) zuerkannt worden. Mit Schreiben vom 27.07.2008 beantragte die Klägerin bei der (auch insoweit inzwischen zuständigen) Beklagten – Fachbereich für Hilfen für Menschen mit Behinderungen und Unterhaltssicherung – eine Erhöhung des GdB und die Zuerkennung des Merkzeichens "G" (Antragseingang 11.08.2008). Die Beklagte stellte zunächst einen GdB von 60 fest, lehnte aber die Zuerkennung des Merkzeichens "G" ab (Bescheid vom 15.09.2008). Im Widerspruchsverfahren erkannte sie dann rückwirkend zum 27.07.2008 auch das Vorliegen der Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" an (Abhilfebescheid vom 09.12.2008).
Bereits mit Schreiben vom 28.07.2008 (Eingang bei der Beklagten am 08.08.2008) beantragte die Klägerin unter Hinweis auf ihren Änderungsantrag in der Schwerbehindertenangelegenheit die Gewährung eines Mehrbedarfszuschlages wegen Schwerbehinderung "ab dem 01.08.2008". Den Abhilfebescheid vom 09.12.2008 reichte sie beim Fachbereich für Soziales, Senioren und Wohnen der Beklagten am 01.01.2009 ein.
Den Antrag lehnte die Beklagte zunächst ab (Bescheid vom 02.01.2009). Die Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII seien nicht erfüllt, weil die Schwerbehinderung (GdB 60) nicht mit einer vollen Erwerbsminderung nach dem SGB VI gleichzusetzen sei. Ggf. könne bei Feststellung des Merkzeichens "G" ab Vollendung des 65. Lebensjahres der Klägerin ein Mehrbedarfszuschlag nach § 30 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII gewährt werden. Auf den Widerspruch der Klägerin hob die Beklagte den Bescheid vom 02.01.2009 auf, weil noch zu prüfen sei, ob eine volle Erwerbsminderung nach dem SGB VI vorliege (Bescheid vom 27.01.2009). Die Klägerin legte anschließend anforderungsgemäß verschiedene Befundunterlagen über ihren Gesundheitszustand bei der Beklagten vor.
Ein Antrag der Klägerin beim Sozialgericht Düsseldorf auf vorläufige Zuerkennung des Mehrbedarfszuschlages wegen Schwerbehinderung ab dem 01.08.2008 im Wege einstweiliger Anordnung blieb ohne Erfolg (SG Düsseldorf, Beschluss vom 06.05.2009 – S 17 SO 23/09 ER; nachgehend LSG NRW, Beschluss vom 24.06.2009 – L 9 B 33/09 SO ER).
Mit Bescheid vom 20.03.2009 bewilligte die Beklagte der Klägerin einen Mehrbedarfszuschlag nach § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII ab dem 09.12.2008. Für die Zeit davor komme ein Zuschlag nicht in Betracht, denn frühester Zeitpunkt sei das Vorliegen des Bescheides über die Feststellung der Voraussetzungen des Merkzeichens "G" (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 20.11.2008 – L 7 SO 3246/08).
Im Widerspruchsverfahren wandte die Klägerin ein, das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 20.11.2008 sei verfassungswidrig und ohnehin zu der früheren Rechtslage bis zum 06.12.2006 ergangen. Dies folge auch aus dem Urteil des erkennenden Senats vom 25.02.2008 – L 20 SO 31/07. Da der Gesetzgeber die Verfassungswidrigkeit der früheren Fassung des § 30 Abs. 1 SGB XII ebenfalls erkannt habe, habe er das Gesetz zum 07.12.2006 geändert.
Den Widerspruch wies die Beklagte nach Beteiligung sozial erfahrener Dritter mit Widerspruchsbescheid vom 19.05.2009 zurück. Das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 20.11.2008 sei zwar zur Rechtslage bis zum 06.12.2006 ergangen. Seine Ausführungen zu den Voraussetzungen eines Mehrbedarfszuschlags nach § 30 Abs. 1 SGB XII seien jedoch auch für die Zeit danach weiterhin gültig. Das Urteil des erkennenden Senats vom 25.02.2008 betreffe einen anderen Fall. Dort sei der Sozialhilfeträger zur rückwirkenden Gewährung des Mehrbedarfszuschlages verpflichtet worden, weil er trotz Kenntnis vom Vorliegen eines anspruchsauslösenden Schwerbehindertenausweises entsprechende Leistungen nicht erbracht habe.
Am 04.06.2009 hat die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht Düsseldorf erhoben. Nach der Änderung des § 30 Abs. 1 SGB XII zum 07.12.2006 komme es nur noch auf die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft an. Es sei verfassungswidrig, wenn bei rechtswidriger Versagung des Merkzeichens "G" erst nach Jahren mit der stattgebenden Gerichtsentscheidung ein Anspruch auf den Zuschlag entstehe. Abzustellen sei vielmehr auf die Bekanntgabe der Mehrbedarfssituation gegenüber dem zuständigen Träger der Sozialhilfe. Immerhin sei im vorliegenden Fall die Beklagte sowohl für den Mehrbedarfszuschlag als auch für die Schwerbehindertenangelegenheit zuständig gewesen. Habe sie aber die Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" bereits zum 27.07.2008 anerkannt, so müsse ihre Kenntnis vom Hilfebedarf nach § 30 Abs. 1 SGB XII spätestens am 28.07.2008 zugrundegelegt werden.
Die Klägerin hat (in der Fassung ihres Begehrens durch das Sozialgericht) beantragt,
1. die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 20.03.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19.05.2009 zu verurteilen, ihr einen Mehrbedarf für schwerbehinderte Menschen nach § 30 Abs. 1 SGB XII bereits ab dem 28.07.2008 zu gewähren,
2. die Nachzahlung ab dem 01.08.2008 über den Betrag von 256,58 EUR mit 5% über dem Basiszinssatz zu verzinsen.
Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat ergänzend ausgeführt, das Antragsschreiben vom 28.07.2008 sei erst am 08.08.2008 bei ihr eingegangen. Der Mehrbedarfszuschlag werde der Klägerin im Übrigen nicht erst ab Ausstellung des Schwerbehindertenausweises, sondern seit Ausstellung des Feststellungsbescheides (09.12.2008) gewährt.
Mit Einverständnis der Beteiligten hat das Sozialgericht durch Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 17.10.2012 entschieden. Es hat die angefochtenen Bescheide geändert und die Beklagte unter Abweisung der Klage im Übrigen verurteilt, der Klägerin den Mehrbedarfszuschlag bereits ab dem 08.08.2008 zu gewähren. Die Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII i.V.m. § 41 Abs. 2 SGB XII seien erfüllt. Die Klägerin habe die maßgebende Altersgrenze erreicht und durch einen Bescheid der nach § 69 Abs. 4 SGB IX zuständigen Behörde die Voraussetzungen des Merkzeichens "G" nachgewiesen. Die Beklagte habe bereits am 08.08.2008 Kenntnis vom Mehrbedarf gehabt. Zudem seien die Feststellungen im Bescheid vom 09.12.2008 rückwirkend zum 27.07.2008 getroffen worden. Bei einer solchen Sachlage könnten Leistungsberechtigte den Mehrbedarfszuschlag auch rückwirkend beanspruchen. Zwar sei der Wortlaut des Gesetzes insoweit nicht eindeutig. Sinn und Zweck des § 30 Abs. 1 SGB XII sei es jedoch, behinderungsbedingte Mehrausgaben auszugleichen. Dies könne nur erreicht werden, wenn der Zuschlag schon ab dem Zeitpunkt der Feststellung der Voraussetzungen zur Erlangung des Merkzeichens "G" durch die Versorgungsverwaltung – und damit ggf. auch rückwirkend – gewährt werde. Die Klägerin könne den Zuschlag jedoch erst ab dem 08.08.2008 als dem Tag des Bekanntmachens ihres Mehrbedarfs beim Fachbereich der Beklagten für Soziales, Senioren und Wohnen, beanspruchen. Der Antrag auf Feststellung eines höheren GdB sowie des Merkzeichens "G" (beim Fachbereich für Hilfen für Menschen mit Behinderungen und Unterhaltssicherung) reiche hingegen nicht aus, da auch bei Vorliegen der diesbezüglichen Voraussetzungen nicht ohne weiteres auch von einem Vorliegen der Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 SGB XII ausgegangen werden könne. Für den von der Klägerin geltend gemachten Zinsanspruch fehle eine Rechtsgrundlage.
Gegen das (der Klägerin am 25.10.2012 und der Beklagten am 02.11.2012 zugestellte) Urteil haben sowohl die Klägerin (am 05.11.2012) als auch die Beklagte (am 29.11.2012) die vom Sozialgericht zugelassene Berufung eingelegt.
Die Klägerin hat klargestellt, sie begehre (weiterhin) ausschließlich einen Mehrbedarfszuschlag bereits ab dem 28.07.2008; einen Zinsanspruch verfolge sie im Berufungsverfahren nicht weiter. In der Sache hält sie an ihrer Rechtsauffassung fest, ein Mehrbedarfszuschlag nach § 30 Abs. 1 SGB XII müsse auch rückwirkend gewährt werden können. Ausführungen des erkennenden Senats im Beschluss vom 07.10.2014 – L 20 SO 163/14 (PKH) hält sie für nicht einschlägig, wenn es – wie hier – nicht um ein Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X gehe.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 17.10.2012 zu ändern und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 20.03.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.05.2009 zu verurteilen, ihr einen Mehrbedarf nach § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII bereits ab dem 28.07.2008 zu gewähren,
sowie sinngemäß,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 17.10.2012 zu ändern und die Klage abzuweisen,
sowie sinngemäß,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Sie sieht sich mit ihrer Rechtsauffassung im Einklang mit den Ausführungen des erkennenden Senats sowie des Bundessozialgerichts. Das Sozialgericht habe hingegen § 30 Abs. 1 SGB XII unzutreffend ausgelegt. Durch die Änderung der Vorschrift zum 07.12.2006 habe der Gesetzgeber lediglich die Möglichkeit eröffnen wollen, den Nachweis einer Zuerkennung des Merkzeichens "G" nicht nur durch Vorlage des Schwerbehindertenausweises, sondern auch durch Vorlage des Feststellungsbescheides zu führen. Anhaltspunkte dafür, dass eine rückwirkende Feststellung der Voraussetzungen des Merkzeichens "G" Auswirkungen auf das Einsetzen des Anspruchs auf Mehrbedarfszuschlag nach § 30 Abs. 1 SGB XII haben solle, ergäben sich weder aus dem Gesetz noch aus der Begründung der zum 07.12.2006 erfolgten Gesetzesänderung.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird verwiesen auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Akten (Verwaltungsvorgänge der Beklagten zur Sozialhilfe- und zur Schwerbehindertenangelegenheit der Klägerin; Prozessakten des Sozialgerichts Düsseldorf S 17 SO 23/09 ER). Der Inhalt ist Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.
Entscheidungsgründe:
I.
Der Senat kann durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten dazu vorab ihre Zustimmung erteilt haben (§ 124 Abs. 2 SGG i.V.m. § 153 Abs. 1 SGG).
II.
Gegenstand des Verfahrens ist nur mehr die Frage, ob der Klägerin ein Mehrbedarfszuschlag nach § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII für die Zeit vom 28.07.2008 bis zum 08.12.2008 zusteht. Betroffen ist damit der Bescheid vom 20.03.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.05.2009 (§ 95 SGG).
Verhalten sich die genannten Bescheide ohnehin einzig zu einem Mehrbedarfszuschlag, so war eine Beschränkung des Streitgegenstandes hierauf auch ohne weiteres möglich. Denn die Entscheidung über einen Mehrbedarfszuschlag im SGB XII ist eine Regelung, welche von derjenigen über den sonstigen Leistungsanspruch des Hilfebedürftigen abtrennbar ist (vgl. dazu z.B. BSG, Urteil vom 10.11.2011 – B 8 SO 12/10 R Rn.11 m.w.N.). Die für die Beschränkung des Streitgegenstandes erforderliche Erklärung (vgl. dazu z.B. BSG, Urteil vom 19.05.2009 – B 8 SO 8/08 R Rn. 13) hat der Bevollmächtigte der Klägerin jedenfalls im Erörterungstermin vom 10.03.2015 abgegeben. Deshalb bedarf es im vorliegenden Verfahren keiner Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Leistungserbringung an die Klägerin im Übrigen. Der vorangegangene Ablehnungsbescheid (zum Mehrbedarfszuschlag) vom 02.01.2009 ist schon deshalb ohne Bedeutung, weil ihn die Beklagte durch Abhilfebescheid vom 27.01.2009 aufgehoben hat und er deshalb keinerlei Regelungswirkung mehr entfalten kann.
Zeitlich erstreckt sich die Überprüfung bei verständiger Würdigung des Klagebehrens auf den Zeitraum vom 28.07. bis zum 08.12.2008. Denn ab dem 09.12.2008 wurde der begehrte Mehrbedarfszuschlag bereits zuerkannt; Bedenken gegen seine Bemessung ab diesem Zeitpunkt hat die Klägerin nicht vorgetragen, und sie sind auch anderweitig nicht ersichtlich.
III.
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet.
Das Sozialgericht hat der Klage zu Unrecht teilweise stattgegeben. Denn der Bescheid vom 20.03.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.05.2009 ist nicht rechtswidrig; die Klägerin ist deshalb nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 S. 1 SGG beschwert, weil die Beklagte einen Mehrbedarfszuschlag nach § 30 Abs. 1 SGB XII erst ab dem 09.12.2008 zuerkannt hat.
Die gemäß § 116 SGB XII erforderliche Beteiligung sozial erfahrener Dritter hat im Widerspruchsverfahren stattgefunden.
Es besteht – entgegen der Ansicht des Sozialgerichts – schon deshalb kein Anspruch auf Mehrbedarfszuschlag wegen Schwerbehinderung nach Nr. 1 des § 30 Abs. 1 SGB XII (= Regelung für Personen, die die Altersgrenze erreicht haben), weil die am 22.08.1944 geborene Klägerin im streitigen Zeitraum vom 28.07.2008 bis 08.12.2008 die für sie nach § 41 Abs. 2 S. 2 SGB XII maßgebende Altersgrenze (Vollendung des 65. Lebensjahres erst am 22.08.2009) noch nicht erreicht hatte. Mit Blick darauf hat die Klägerin ihr Begehren im Berufungsverfahren auch nur mehr auf § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII gestützt.
Kommt deshalb als Anspruchsgrundlage für Zeiten vor dem 09.12.2008 von vornherein nur Nr. 2 des § 30 Abs. 1 SGB XII in Betracht (= Regelung für Personen, die die Altersgrenze nicht erreicht haben, aber voll erwerbsgemindert nach dem SGB VI sind), so besteht auch danach gleichwohl kein Anspruch der Klägerin.
Dabei kann offen bleiben, ob die besonderen Leistungsvoraussetzungen der § 19 Abs. 1 SGB XII i.V.m. § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII im fraglichen Zeitraum vorlagen. Insbesondere muss der Senat nicht klären, ob die Klägerin (wovon die Beklagte offenbar ohne nähere Prüfung ausgegangen ist) voll erwerbsgemindert im Sinne von § 43 Abs. 2 S. 2 SGB VI gewesen ist. Denn der Anspruch scheitert jedenfalls daran, dass die Klägerin vor dem 09.12.2008 nicht – wie dies § 30 Abs. 1 SGB XII sowohl für Fälle der Nr. 1 wie der Nr. 2 der Norm fordert – durch einen Bescheid nach § 69 Abs. 4 SGB IX oder einen Ausweis nach § 69 Abs. 5 SGB IX die Feststellung des Merkzeichens "G" nachgewiesen hat.
Zur bis zum 06.12.2006 geltenden Fassung des § 30 Abs. 1 SGB XII hat das Bundessozialgericht (Urteil vom 10.11.2011 – B 8 SO 12/10 R Rn. 15 ff.) für das Entstehen des Anspruches auf Mehrbedarfszuschlag wegen Schwerbehinderung unter Rekurs auf § 40 Abs. 1 SGB I allein auf den Zeitpunkt des Besitzes des Schwerbehindertenausweises mit dem Merkzeichen "G" (sowie die Vorlage dieses Ausweises bei dem zuständigen Träger der Sozialhilfe) abgestellt; es kam danach nicht darauf an, auf welchen ggf. zurückliegenden Zeitpunkt das Vorliegen der Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich festgelegt worden war. Etwas anderes ergibt sich (entgegen der Ansicht der Klägerin) auch nicht aus dem Urteil des erkennenden Senats vom 25.02.2008 – L 20 SO 31/07. Denn in dem dort entschiedenen Fall lag der Schwerbehindertenausweis mit dem Merkzeichen "G" im dort streitigen Zeitraum bereits bei der zuständigen Behörde vor.
Das Bundessozialgericht hat (a.a.O. Rn. 18) wesentlich auf den Gesetzeswortlaut abgestellt. Dieser knüpfe nicht an das Vorliegen der Voraussetzungen des Merkzeichens "G" bzw. an deren Feststellung als solche an, sondern an den tatsächlichen Besitz des Ausweises; dieser Besitz könne nicht nachträglich eingeräumt werden. Sinn und Zweck der Regelung sei es, die Prüfung der Voraussetzungen eines Mehrbedarfszuschlages zu erleichtern; dies erlaube deshalb keine vom Gesetzeswortlaut abweichende Auslegung (Rn. 19 bis 22). Bedenken gegen eine am Wortlaut der Norm orientierte Auslegung ergäben sich schließlich auch weder aus § 2 Abs. 2, 2. HS SGB I (Rn. 23) noch aus verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten (Rn. 24 bis 30), namentlich dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG), dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) oder dem Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG). Denn Betroffene könnten konkrete Mehrbedarfe wegen ihrer gesundheitlichen Einschränkungen alternativ durch eine abweichende Bemessung des Regelsatzes nach § 28 Abs. 1 S. 2 SGB XII (i.d.F. bis 31.12.2010) decken.
Auch wenn das Bundessozialgericht dies seinerzeit ausdrücklich offen gelassen hat (Rn. 22), ist für die seit dem 07.12.2006 geltende Fassung des § 30 Abs. 1 SGB XII am von ihm für die zuvor geltende Normfassung gefundenen Auslegungsergebnis festzuhalten (hierzu bereits Beschluss des erkennenden Senats vom 07.10.2014 – L 20 SO 163/14 (PKH) sowie LSG NRW, Beschluss vom 08.05.2014 – L 9 SO 55/14 B Rn. 17 bis 19; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18.09.2013 – L 2 SO 404/13 Rn. 29 bis 35; SG Wiesbaden, Urteil vom 30.04.2014 – S 30 SO 47/12 Rn. 22 bis 27 mit im Ergebnis wohl zustimmender Anmerkung Dau in jurisPR-SozR 14/2014 Anm. 4; Coseriu in Kommentar zum Sozialrecht, 3. Auflage 2013, § 30 SGB XII Rn. 3; Dauber in Mergler/Zink, SGB XII, Stand: 25. Lfg. April 2014, § 30 Rn. 12; Heinz, ZfF 2015 33 ff. (34); a.A. Simon in jurisPK-SGB XII, 2. Auflage 2014, § 30 Rn. 46 f.; Münder in LPK-SGB XII, 9. Auflage 2012, § 30 Rn. 6; Gebhardt in BeckOK SGB XII, § 30 Rn. 4; Nebe, SGb 2011, 193 ff.; unentschieden Grube in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Auflage 2014, § 30 Rn. 8).
Denn das Gesetz knüpft hinsichtlich der Gehbehinderung, welche die Zuerkennung des Merkzeichens "G" rechtfertigt, – anders als etwa beim Merkmal der vollen Erwerbsminderung – weiterhin nicht an deren tatsächliches Vorliegen an; vielmehr verlangt es gerade deren Nachweisung durch einen Ausweis nach § 69 Abs. 5 SGB IX oder einen Bescheid nach § 69 Abs. 4 SGB IX (vgl. hierzu etwa Coseriu a.a.O.). Für die Anspruchsentstehung i.S.d. § 40 Abs. 1 SGB I (d.h. für das Vorliegen der gesetzlich bestimmten Leistungsvoraussetzungen) ist beim Mehrbedarfszuschlag also wie bisher der Zeitpunkt des Nachweises der Feststellung des Merkzeichens "G", nicht aber derjenige des (in der Regel zeitlich vorgelagerten) tatsächlichen Eintritts der dieser Feststellung zugrundeliegenden Gehbehinderung (so aber Gebhardt a.a.O.) notwendig.
Dieses Verständnis des Gesetzeswortlautes stützt sich auf die – insofern eindeutige – Begründung der zum 07.12.2006 in Kraft getretenen Gesetzesfassung (vgl. BT-Drs. 16/2722 S. 11). Denn danach sollte die neue im Vergleich zur bisherigen Regelung nichts an der gesetzgeberischen Zielsetzung ändern. Gesetzliches Ziel ist vielmehr weiterhin, der Behörde eine schnelle und einfache Entscheidung über das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen nach § 30 Abs. 1 SGB XII zu ermöglichen. Die Gesetzesänderung erfolgte ausschließlich zu dem Zweck, die Nachweismöglichkeiten der Leistungsberechtigten zu erweitern: Diese sollten nicht länger auf die Vorlage des Ausweises nach § 69 Abs. 5 SGB IX beschränkt sein, sondern nunmehr auch durch den Feststellungsbescheid nach § 69 Abs. 4 SGB IX den Nachweis führen können. Mit dieser erweiterten Nachweismöglichkeit sollten deshalb – lediglich – die Nachteile ausgeglichen werden, die zuvor dadurch entstanden, dass zwischen dem Erlass des Feststellungsbescheides und der Ausstellung des Ausweises regelmäßig ein längerer Zeitraum liegt. Zudem beantragte bisher eine nennenswerte Anzahl von Personen den Ausweis nach § 69 Abs. 5 SGB IX allein deshalb, um einen Anspruch auf den Mehrbedarfszuschlag nach § 30 Abs. 1 SGB XII auslösen zu können.
Soweit die Gegenansicht (vgl. dazu insb. Simon a.a.O., ferner Nebe a.a.O. 195) ins Feld führt, der Gesetzeswortlaut stelle seit dem 07.12.2008 nicht mehr auf den Besitz eines Ausweises ab, sondern nur mehr auf den Nachweis der Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G", und ein solcher Nachweis sei ggf. auch rückwirkend möglich, so verkennt sie die dargestellte Gesetzesbegründung, die doch weiterhin ausdrücklich gerade den Besitz des Ausweises oder des Feststellungsbescheides erwähnt. Die Änderung der Gesetzesformulierung von "einen Ausweis [ …] mit dem Merkzeichen ‚G‘ besitzen” (§ 30 Abs. 1 SGB XII i.d.F. bis 06.12.2006) zu "die Feststellung durch Bescheid oder Ausweis nachweisen” (§ 30 Abs. 1 SGB XII i.d.F seit 07.12.2006) ist vielmehr allein eine semantische Verfeinerung, sollte jedoch keine grundsätzliche sachliche Änderung herbeiführen (so schon LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 11.12.2012 – L 2 SO 404/13 Rn. 32).
Soweit eine andere Lesart (insb. Nebe a.a.O. 196 f.) meint, der pauschale Mehrbedarf müsse aus verfassungsrechtlichen Gründen bereits ab dem Vorliegen der Voraussetzungen des Merkzeichens "G" gewährt werden, um einer Benachteiligung von behinderten Menschen vorzubeugen (Art. 3 Abs. 1 GG) bzw. effektiven Rechtsschutz zu gewähren (Art. 19 Abs. 4 GG), steht dem – wie schon bei der bis zum 06.12.2006 geltende Gesetzesfassung – ein (verfassungsrechtlich zulässiger) Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers entgegen, den dieser nicht überschritten hat. Insbesondere gebietet der allgemeine Gleichheitssatz nicht, eine rückwirkende Bewilligung eines pauschalierten Mehrbedarfszuschlages vorzusehen (BSG a.a.O. Rn. 26). Gegen Art. 19 Abs. 4 GG wird nicht verstoßen, weil ein nicht pauschalierter, sondern individueller Mehrbedarf im Einzelfall durch abweichende Bedarfsbemessung nach § 27a Abs. 4 S. 1 SGB XII (früher § 28 Abs. 1 S. 2 SGB XII i.d.F. bis 31.12.2010) berücksichtigt werden kann (BSG a.a.O. Rn. 30). Auch im Übrigen besteht kein Anlass, die Ausführungen des BSG in dem Urteil vom 10.11.2011 – B 8 SO 12/10 R (Rn. 24 bis 30) zur früheren nicht auch uneingeschränkt auf die seit dem 07.12.2006 geltende Rechtslage anzuwenden.
Ob die Klägerin aufgrund ihrer gesundheitsbedingten Mobilitätseinschränkungen im streitigen Zeitraum vom 28.07.2008 bis zum 08.12.2008 einen konkreten (nicht pauschalierten) Mehrbedarf im Rahmen einer individuellen Bedarfsbemessung für erhöhte Regelsatzleistungen hätte geltend machen können (§ 28 Abs. 1 S. 2 SGB XII a.F.), hat der Senat nicht zu klären. Denn der Anspruch auf Regelsatzleistungen (auch ggf. abweichend höher bemessene) ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens (s.o. II.).
IV.
Aus den Ausführungen zu III. folgt zugleich die Unbegründetheit der (ebenfalls zulässigen) Berufung der Klägerin.
V.
Unabhängig davon hätte die Berufung der Klägerin im Übrigen auch dann keinen Erfolg, wenn man – abweichend von der dargelegten Rechtsauffassung des Senats ihr selbst sowie dem Sozialgericht folgend – bei rückwirkender Feststellung der Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" zugleich eine rückwirkende Gewährung eines Mehrbedarfszuschlages wegen Schwerbehinderung nach § 30 Abs. 1 SGB XII für grundsätzlich zulässig halten wollte. Denn selbst dann wäre – was das Sozialgericht insoweit zutreffend dargelegt hat – ein Mehrbedarfszuschlag erst ab dem Zeitpunkt möglich, in dem der Träger der Sozialhilfe erstmals Kenntnis von der Mehrbedarfssituation erlangt hat (vgl. dazu etwa Simon a.a.O. Rn. 46).
Dabei kann im Falle der Klägerin dahinstehen, ob bei einer Identität von Sozialhilfeträger und der Behörde, die über die Feststellung der Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" zu entscheiden hat, schon der Antrag auf Zuerkennung des Merkzeichens "G" für eine Kenntniserlangung des Sozialhilfeträgers ausreicht (vgl. zu dieser Frage bereits den Beschluss des erkennenden Senats vom 12.01.2011 – L 20 SO 569/10 B Rn. 14 sowie Neumann in Hauck/Noftz, SGB XII, Stand: 27. Erg.-Lfg. III/12, K § 18 Rn. 7 m.w.N.). Denn die Beklagte hat im Bescheid vom 09.12.2008 die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" zwar rückwirkend zum 27.07.2008 (Datum des Schreibens, mit dem der Änderungsantrag in der Schwerbehindertenangelegenheit gestellt wurde) festgestellt. Dieses Schreiben ging jedoch erst am 11.08.2008 bei der Beklagten ein, also erst nach dem Schreiben der Klägerin vom 28.07.2008, mit dem sie gegenüber dem für Sozialhilfeangelegenheiten zuständigen Amt der Beklagten den Anspruch auf Mehrbedarfszuschlag "ab dem 01.08.2008" geltend gemacht hat. Ist letzteres Schreiben erst am 08.08.2008 bei der Beklagten eingegangen, so kann von vornherein nicht davon ausgegangen werden, dass die Beklagte bereits vor diesem Eingang Kenntnis von der Mehrbedarfssituation der Klägerin hatte.
VI.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 S. 1 SGG.
VII.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG bestehen nicht.
Erstellt am: 05.01.2016
Zuletzt verändert am: 05.01.2016