Rev. der Kl. als unzulässig verworfen.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 1.3.2011 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist Regelaltersrente.
Die am 00.00.1925 in Stalino (seit 1961: Donezk) in der früheren Sowjetunion (jetzt Ukraine) geborene Klägerin (Mädchenname: C) wurde im 2. Weltkrieg während der deutschen Besatzung von Stalino von deutschen Besatzungskräften am 10.7.1942 aufgegriffen und zur Zwangsarbeit in das (damalige) Deutsche Reich verbracht. Dort wurde sie vom 20.7.1942 bis zum 24.11.1943 als Arbeiterin bei der Firma T OHG in T/Landkreis B eingesetzt. Nach eigenen Angaben war sie nach der Flucht aus T für einige Wochen (unter dem Namen U C) bis ca. Februar/März 1944 in E in einem Eisenwerk als Gasschweißerin tätig. Nach einem Bombenangriff sei sie von dort nach F gelangt. Ab dem 1.5.1944 sei sie (jetzt unter dem Namen U T) bis zum 17. April 1945 als Hausgehilfin (Hilfskraft) in der Gaststätte "A" (einer Polizeikantine?), I-str. 00, F beschäftigt gewesen. Am 17.4.1945 wurde sie von den Alliierten befreit und kehrte bereits im August 1945 nach Stalino zurück. Dort heiratete sie 1946 einen Mann jüdischen Glaubens. Anschließend lebte sie in der Sowjetunion bzw. zuletzt in Moldawien, wo sie auch eine Altersrente (ohne Berücksichtigung deutscher Zeiten) bezog. Im Jahr 2000 verlegten sie und ihr Ehemann ihren Wohnsitz nach Israel. Dort nahm die Klägerin die israelische Staatsangehörigkeit an. Sie bezieht eine israelische (Sonder-)Altersrente für Späteinwanderer. In der israelischen Rentenversicherung legte sie keine rentenrechtlichen Zeiten zurück.
Im Dezember 2004 beantragte die Klägerin unter Hinweis (lediglich) auf ihre Tätigkeit bei der T OHG eine Altersrente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung. Die Beklagte leitete den Antrag an die (damalige) Landesversicherungsanstalt (LVA) Sachsen weiter (seit dem 1.10.2005: Deutsche Rentenversicherung (DRV) Mitteldeutschland), die sie zunächst für zuständig hielt. Diese lehnte den Antrag ab, weil die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren auch unter Berücksichtigung der behaupteten Beschäftigungszeit nicht erfüllt sei (Bescheid vom 24.2.2005). Mit ihrem Widerspruch wies die Klägerin unter Vorlage einer schriftlichen Erklärung, die sie selbst mit "an Eides Statt" bezeichnete (im Juli 2007 vorgelegte Erklärung ohne Datum in russischer Sprache mit beigefügter deutscher Übersetzung, deren Verfasser nicht erkennbar ist), auch auf die übrigen Tätigkeiten in Deutschland von 1943-1945 hin und äußerte die Rechtsauffassung, sie gelte in der deutschen Rentenversicherung als nachversichert, weil sie im Gebiet des Deutschen Reiches beschäftigt gewesen sei und der Versicherungspflicht unterlegen hätte, wäre sie nicht als Ausländer von der Versicherungspflicht ausgenommen gewesen. Jedenfalls sei ihr für die Arbeit bei der T OHG ein Nachentrichtungsrecht einzuräumen. Die DRV Mitteldeutschland gab den Widerspruch an die Beklagte ab, die den Widerspruch zurückwies, nachdem ihre unter allen Namensvarianten eingeleiteten Ermittlungen zu den behaupteten Tätigkeiten der Klägerin in Deutschland erfolglos geblieben waren, weil der AOK Rheinland/Hamburg (Geschäftsstellen F und E), der AOK Westfalen-Lippe (jetzt: AOK Nordwest), der DRV Westfalen und dem Zentralarchiv der Beklagten Unterlagen, die Mitgliedszeiten belegten, nicht mehr vorlagen: Eine Beitragsentrichtung sei weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht. Beschäftigungs- bzw. Beitragszeiten hätten auch nach umfangreichen Ermittlungen nicht festgestellt werden können. Ein Recht auf freiwillige Versicherung zur Erfüllung der Wartezeit bestehe schon deshalb nicht, weil kein Beitrag zur deutschen Rentenversicherung vorliege. Auch bestehe kein Recht auf fiktive Nachversicherung, weil die Klägerin bereits im August 1945 wieder in ihre Heimat zurückgekehrt sei (Widerspruchsbescheid vom 7.10.2008).
Am 17.12.2008 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht (SG) Düsseldorf erhoben und ihr Rentenbegehren weiter verfolgt. Jedenfalls die Beschäftigung in F sei als Pflichtbeitragszeit anzuerkennen, weil ab dem 1.4.1944 auch sog. "Ostarbeiter", zu denen sie gehört habe, versicherungspflichtig gewesen seien. Für diesen Zeitraum spreche sehr viel mehr für als gegen eine versicherungspflichtige Beschäftigung. Dazu legte sie eine Bescheinigung der Stadt F vor, aus der sich ergibt, dass vom 1.4.1944 bis 17.4.1945 eine U T (*00.00.1926 in Stalino, "kath.") unter der Anschrift I-str. 00 in F als Hausgehilfin gemeldet war (vermittelt durch das Arbeitsamt F) und dass damals unter der gleichen Adresse die Eheleute X und C Q eine Gaststätte führten.
Die Beklagte hat gemeint, für die Zeit vom 1.5.1944 bis 17.4.1945 sei eine Beitragsentrichtung nicht glaubhaft gemacht.
Das SG hat die Klage abgewiesen: Auf die allgemeine Wartezeit anrechenbare Beitragszeiten lägen nicht vor. Es sei nach dem Ergebnis der im Verwaltungsverfahren durchgeführten umfangreichen Ermittlungen der Beklagten nicht glaubhaft gemacht, dass die Klägerin vom 20.7.1942 bis zum 24.11.1943 und/oder vom 1.5.1944 bis zum 17.4.1945 in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden hat, aus dem Beiträge zur damaligen Invalidenversicherung entrichtet worden sind. Ein Recht auf fiktive Nachversicherung bestehe nicht, weil sie ihren Wohnsitz bereits im August 1945 dauerhaft wieder in ihr Heimatgebiet verlegt habe (mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung ergangenes Urteil vom 1.3.2011, den Klägerbevollmächtigten zugestellt am 26.5.2011).
Mit ihrer Berufung vom 22.8.2011 macht die Klägerin geltend, ihr könne nicht entgegen gehalten werden, dass bei den Einzugsstellen und im Kartenarchiv keine Unterlagen mehr vorliegen. Für die Versicherungspflicht sprächen die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Arbeitsbedingungen der sog. "Ostarbeiter" während des 2. Weltkrieges. Diese seien zunächst in einem eigens geschaffenen "Beschäftigungsverhältnis eigener Art" beschäftigt worden, ohne dass ein Arbeitsverhältnis mit sozialversicherungsrechtlichen Bindungen begründet wurde. Für diese Zeiten bestehe ein Recht auf Nachentrichtung der Versicherungsbeiträge, da die Vorschriften über den Ausschluss der "Ostarbeiter" von der Anwendung des Sozialversicherungsrechts als nichtig anzusehen seien. Mit Wirkung zum 1.4.1944 seien "Ostarbeiter" sozialversicherungspflichtig geworden. Es sei nicht ersichtlich, dass ausgerechnet im Fall der Klägerin eine Ausnahme vorgelegen habe; es müsse von der Beitragstreue der NS-Behörden ausgegangen werden. Die über den Ehemann erfolgte, auf ihren früheren Erzählungen beruhende Angabe, für die Tätigkeit in F sei lediglich Kost und Logis gewährt, jedoch kein Entgelt gezahlt worden, sei nachvollziehbar, weil nach Abzug der Steuern, Sozialversicherungsbeiträge, Sachleistungen und Abgaben nicht mehr viel übrig geblieben sein dürfte.
Erneute Anfragen der Beklagte bei ihrem Kartenarchiv sowie demjenigen der DRV Westfalen zu allen Namensvarianten sind (wiederum) erfolglos geblieben. Da die sog. "Ostarbeiter" erst mit Wirkung zum 1.4.1944 in die Rentenversicherung einbezogen worden seien, habe bis zum 31.3.1944 keine Pflicht bestanden, für "Ostarbeiter" Sozialversicherungsbeiträge abzuführen. Für die Zeit ab 1.4.1944 sei eine Beitragsentrichtung nicht überwiegend wahrscheinlich. Damals seien Hausgehilfinnen rentenversicherungspflichtig gewesen, wenn sie gegen Entgelt beschäftigt waren. Dagegen habe Versicherungsfreiheit bestanden, wenn freier Unterhalt gewährt wurde. Aber auch das Vorliegen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses lasse noch nicht darauf schließen, dass Beiträge gezahlt worden sind.
Ermittlungen des Senats bei der Gemeinde T, der Stadt E, der U AG, bei der AOK Nordwest und beim Bundesarchiv Koblenz sind ergebnislos geblieben. Der Internationale Suchdienst (IST) in Bad Arolsen und die Stadt F – Stadtarchiv – haben Tätigkeiten in T und F wie bereits zuvor aktenkundig bestätigt.
Die Beteiligten haben sich mit einer (erneuten) Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes nimmt der Senat Bezug auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten sowie der Gerichtsakten, die Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
A. Der Senat kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten sich mit dieser Verfahrensweise ausdrücklich auch in zweiter Instanz einverstanden erklärt haben, §§ 153 Abs 1, 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Es widerspricht nicht Artikel 6 Abs 1 der Europäischen Menschenrechtskommission (MRK), dass in beiden Tatsacheninstanzen keine mündliche Verhandlung stattfindet. Art 6 Abs 1 MRK schreibt für ein gerichtliches Verfahren grundsätzlich mindestens eine (öffentliche) mündliche Verhandlung vor. Dies soll eine besondere Gewähr für die Wahrung des (unmittelbaren) rechtlichen Gehörs durch Gelegenheit zum mündlichen Vortrag bieten (vgl BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 1 S 4; BSG Beschlüsse vom 9.10.2014, Az B 13 R 157/14 B und vom 30.7.2009, Az B 13 R 187/09 B). Mit Art 6 Abs 1 MRK in Einklang stehen indes nationale Rechtsvorschriften wie § 124 Abs 2 SGG, die ein Abweichen von diesem Grundsatz erlauben, wenn – wie hier – alle Beteiligten eine mündliche Verhandlung für nicht erforderlich halten und deshalb ausdrücklich auf diese verzichten (vgl obiter dictum in: BSG, Beschluss vom 21.6.1994, AZ: 9 BV 38/94). Das entspricht dem allgemein geltenden Rechtsgrundsatz "volenti non fit iniuria" (Dem Einwilligenden geschieht kein Unrecht).
I. Die Berufung ist zulässig, insbesondere am 22.8.2011 fristgerecht eingelegt worden. Das Urteil vom 1.3.2011 wurde dem Bevollmächtigten der Klägerin am 26.5.2011 zugestellt. Die Frist zur Einlegung der Berufung beträgt drei Monate seit der Zustellung, §§ 153 Abs 1 iVm 87 Abs 1 S 2, 151 SGG (allgemeine Meinung, vgl Bundessozialgericht (BSG) SozR Nr 11 zu § 151 SGG), und endete erst mit Ablauf des 26.8.2011.
II. Die Berufung ist unbegründet.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid vom 24.2.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7.10.2008 (§ 95 SGG), mit dem die Beklagte einen Anspruch der Klägerin auf Regelaltersrente abgelehnt hat. Das Begehren der Klägerin ist nach ihrem Sachvortrag auf Aufhebung des sie belastenden ablehnenden Bescheides und Verurteilung der Beklagten zur Gewährung einer Altersrente unter Berücksichtigung deutscher Beitragszeiten und – erforderlichenfalls – Zulassung zur (Nach-)Entrichtung von Beiträgen gerichtet.
Das SG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 24.2.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7.10.2008 ist nicht rechtswidrig und beschwert die Klägerin nicht, § 54 Abs 2 S 1 SGG. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Regelaltersrente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung nach der hier maßgeblichen Vorschrift des § 35 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der bis zum 31.12.2007 geltenden Fassung (im Folgenden: aF).
Der Bescheid vom 24.2.2005 ist nicht allein deshalb aufzuheben, weil er von der örtlich unzuständigen DRV Mitteldeutschland erlassen wurde (vgl dazu: Art 3, 29 Abs 2 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über Soziale Sicherheit vom vom 17.12.1973, BGBl 1975 II S 245ff, idF des Änderungsabkommens vom 7.1.1986, BGBl 1986 II S 862ff, wobei die Beklagte seit dem 1.10.2005 Nachfolgerin der dort genannten LVA Rheinprovinz ist). Denn ein Verwaltungsakt, der nicht nach § 40 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) nichtig ist, ist nicht allein deshalb aufzuheben, weil er unter Verletzung von Vorschriften (u.a.) über die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, § 42 S 1 SGB X. Ein Verwaltungsakt ist nicht schon deshalb nichtig, weil Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit nicht eingehalten worden sind, § 40 Abs 3 SGB X.
Nach § 35 SGB VI aF erhalten Versicherte Regelaltersrente, wenn sie das 65. Lebensjahr vollendet und die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Diese Vorschrift gilt bei Geltendmachung des Anspruchs nach dem 31.3.1992 (hier: im Jahr 2004) auch, wenn der Anspruch bereits vor dem 1.1.1992 entstanden ist, §§ 300 Abs 1, 302 Abs 1 SGB VI. Die Klägerin hat zwar 1990 das 65. Lebensjahr vollendet, sie hat jedoch die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren mit Beitrags- oder Ersatzzeiten iSv §§ 50 Abs 1, 51 Abs 1 und 4, 247 Abs 3 SGB VI nicht erfüllt.
Bei der Klägerin liegt kein einziger auf die Wartezeit anrechenbarer Kalendermonat mit Beitragszeiten vor. Es ist nicht (mindestens) glaubhaft gemacht, dass die Klägerin vom 20.7.1942 bis 17.4.1945 in Deutschland versicherungspflichtig beschäftigt war und für sie Beiträge entrichtet wurden oder als entrichtet gelten (dazu unter 1.); eine fiktive Nachversicherung scheidet aus (dazu unter 2.). Ersatzzeiten liegen nicht vor (dazu unter 3.). Auch eine Nachentrichtung von Beitragen zur Rentenversicherung kommt nicht in Betracht (dazu unter 4.)
1. Beitragszeiten, für die nach den Reichsversicherungsgesetzen Pflichtbeiträge entrichtet worden sind, hat die Klägerin nicht glaubhaft gemacht, § 247 Abs 3 S 1 SGB VI. Dabei unterstellt der Senat entsprechend den Angaben der Klägerin als richtig, dass sie nicht nur vom 20.7.1942 bis zum 24.11.1943 als Arbeiterin bei der Firma T OHG in T, sondern im Anschluss daran (unter anderem Namen) zunächst als Gasschweißerin in einer E Fabrik und später (unter anderem Namen und anderem Geburtsdatum) vom 1.5.1944 bis 17.4.1945 als Hausgehilfin oder Hilfskraft in einer Gaststätte in F tätig war. Die Tätigkeiten bis einschließlich März 1944 waren nach dem damals geltenden Reichsversicherungsgesetzen nicht versicherungspflichtig, so dass schon deshalb keine Beiträge entrichtet sein können. Die Klägerin gehörte nämlich zu den sog. "Ostarbeitern", also zu den Arbeitskräften "nichtdeutscher Volkszugehörigkeit" aus dem "Reichskommissariat Ukraine" iSv § 1 der Verordnung über die Einsatzbedingungen der Ostarbeiter vom 30.6.1942 (RGBl I S. 410). Diese sog. "Ostarbeiter" unterlagen bis zum 31.3.1944 nicht der Versicherungspflicht in der (damaligen) Invalidenversicherung (sie erhielten nur Krankenversorgung nach § 3 Satz 2 Verordnung über die Einsatzbedingungen der Ostarbeiter vom 30.6.1942 und es wurde eine Ostarbeiterabgabe an das Deutsche Reich nach §§ 10 f dieser Verordnung entrichtet; vgl BSG Urteil vom 23.5.1995, Az 13 RJ 67/91, juris RdNr 19 f).
Aber auch für die Beschäftigung ab 1.5.1944 in der Gaststätte "A" (oder ähnlich) in F sind Versicherungspflicht und Beitragsentrichtung nicht einmal glaubhaft gemacht, § 286a Abs 1 Satz 1 SGB VI. Nach dieser Vorschrift sind Zeiten vor dem 1.1.1950 als Beitragszeiten anzuerkennen, wenn glaubhaft gemacht wird, dass eine versicherungspflichtige Tätigkeit ausgeübt wurde und dafür Beiträge gezahlt worden sind. Glaubhaft gemacht ist eine Tatsache, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist (vgl § 23 Abs 1 S 1 SGB X, der insoweit eine auch für das gerichtliche Verfahren maßgebliche Definition enthält), also mindestens mehr dafür als dagegen spricht (Beweismaßstab der überwiegenden Wahrscheinlichkeit). Das ist hier nicht der Fall.
Zwar hatten ab dem 1.4.1944 auch sog. "Ostarbeiter" Sozialversicherungsbeiträge nach den Vorschriften der Reichsversicherungsgesetze zu entrichten (§ 11 Abs 1 Satz 1 Verordnung über die Einsatzbedingungen der Ostarbeiter vom 25.3.1944, RGBl I S 68). Das Arbeitsentgelt war am Ende des im Betrieb üblichen Lohnabrechnungszeitraums nach Abzug der Steuern und Sozialversicherungsbeiträge sowie des Gegenwerts für gewährte Sachleistungen in bar auszuzahlen (§ 3 Abs 10 Verordnung zur Durchführung und Ergänzung der Verordnung über die Einsatzbedingungen der Ostarbeiter vom 26.3.1944), wobei für Unterkunft 0,50 Reichsmark und für Normalverpflegung 1,00 Reichsmark abzuziehen waren (§ 8 Abs 1 dieser Durchführungsverordnung). Für die Klägerin sind Versicherungspflicht und Beitragsentrichtung entgegen ihrer Auffassung gleichwohl nicht überwiegend wahrscheinlich.
Nach § 1226 Abs 1 Nr 1 RVO in der zur Zeit ihrer Beschäftigung maßgeblichen Fassung (aF) bestand Versicherungspflicht in der (damaligen) Invalidenversicherung bei einer Beschäftigung als Arbeiter, Geselle oder Hausgehilfe gegen Entgelt. Nach § 1227 RVO aF war eine Beschäftigung versicherungsfrei, für die als Entgelt nur freier Unterhalt gewährt wurde. Freier Unterhalt ist, was zur unmittelbaren Befriedigung notwendiger Lebensbedürfnisse erforderlich und bestimmt ist und den persönlichen Bedarf nicht übersteigt. Dazu gehören sogar unbedeutende Barzahlungen, zB Taschengeld. Erst wer in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis ein über den freien Unterhalt hinausgehendes Entgelt – einen die Geringfügigkeitsgrenze überschreitenden Barlohn oder entsprechende Sachwerte – bezog, war versicherungspflichtig nach § 1226 Abs 1 Nr 1 RVO aF (BSG Urteil vom 31.8.1978, Az 4/5 RJ 46/77, juris RdNr 14).
Nach diesen Grundsätzen war die Klägerin nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit in der Gaststätte der Eheleute Q in F versicherungspflichtig beschäftigt, weil nicht mehr dafür als dagegen spricht, dass sie neben freier Unterkunft und Verpflegung noch ein über ein kleines Taschengeld hinausgehendes Entgelt oder weitere Sachbezüge erhalten hat. Nachweise, dass die Klägerin gegen Entgelt beschäftigt wurde (Arbeitsvertrag, Lohnabrechnungen, Versicherungskarten etc.) liegen nicht vor. Die Klägerin selbst hat nicht vorgetragen, Arbeitslohn erhalten zu haben. Ihr Ehemann hat sogar angegeben, sie habe für die Tätigkeit F und einen Wohnplatz, aber kein (darüber hinaus gehendes) Entgelt erhalten. Hinweise für eine Lohnzahlung oder den Bezug weiterer, nicht unbedeutender Sachwerte bestehen nicht. Die Mutmaßung der Klägerin, dass wegen der Abzüge vom Lohn faktisch kein Zahlbetrag mehr übrig war, ist rein spekulativ und damit allenfalls möglich. Durch substantiierte Angaben der Klägerin selbst oder ihres Ehemanns wird sie nicht bestätigt. Gleichermaßen ist eine Beitragszahlung nicht glaubhaft gemacht. Nachweise über entrichtete Beiträge liegen nicht vor, da keine Versicherungskarten oder sonstige Unterlagen mehr vorhanden sind. Die Klägerin hat weder Unterlagen (Entgeltbescheinigungen, Aufrechnungsbescheinigungen oä) vorgelegt noch substantiiert eine Beitragsentrichtung behauptet. Sämtliche unter Berücksichtigung des Geburtsnamens sowie der bei den Beschäftigungen angegebenen Namen der Klägerin durchgeführten Ermittlungen der Beklagten und des Senats sind insoweit ergebnislos verlaufen.
2. Die Klägerin gilt für die Zeit ihrer Beschäftigung vom 1.5.1944 bis 17.4.1945 auch nicht als nachversichert. Die Voraussetzungen einer fiktiven Nachversicherung nach Art 6 § 23 Abs 1 Satz 1 des Gesetzes zur Neuregelung des Fremdrenten- und Auslandsrentenrechts und zur Anpassung der Berliner Reichsversicherung an die Vorschriften des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes und des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetz – FANG) vom 25. Februar 1960 (BGBl I S 93) in der seit 1991 geltenden Fassung sind für die Zeiten von Mai 1944 bis April 1945 nicht erfüllt. Nach Art 6 § 23 Abs 1 Satz 1 Buchst a FANG gelten die in § 1 Buchst d Fremdrentengesetz (FRG) genannten Personen, die während des Krieges als ausländische Arbeitskräfte im Gebiet des Deutschen Reichs beschäftigt waren, für die Zeiten als nachversichert, in denen sie der Versicherungspflicht unterlegen haben, ohne dass für sie Beiträge zu den gesetzlichen Rentenversicherungen entrichtet worden sind oder als entrichtet gelten. Versicherungspflicht im Zeitraum Mai 1944 bis April 1945 ist aber nach den vorangehenden Ausführungen nicht glaubhaft gemacht. Ebenso wenig liegen die Voraussetzungen für eine fiktive Nachversicherung für die Zeiten von Juli 1942 bis November 1943 und/oder Februar bis März 1944 nach Art 6 § 23 Abs 1 Satz 1 Buchst b FANG vor (fiktive Nachversicherung für Zeiten, in denen die Personen der Versicherungspflicht unterlegen hätten, wenn sie nicht als Ausländer von der Versicherungspflicht ausgenommen gewesen wären). Die Klägerin ist nicht nach § 1 Buchst d FRG als heimatlose Ausländerin iS des Gesetzes über die Rechtsstellung heimatloser Ausländer im Bundesgebiet (HAuslG) vom 25.4.1951 anzusehen. Nach § 1 Abs 1 HAuslG ist heimatloser Ausländer iS dieses Gesetzes ein fremder Staatsangehöriger oder Staatenloser, der a) nachweist, dass er der Obhut der Internationalen Organisation untersteht, die von den Vereinten Nationen mit der Betreuung verschleppter Personen und Flüchtlinge beauftragt ist, und b) nicht Deutscher nach Art 116 Grundgesetz ist und c) am 30.6.1950 seinen Aufenthalt im Geltungsbereich des Grundgesetzes oder in Berlin (West) hatte oder die Rechtsstellung eines heimatlosen Ausländers auf Grund der Bestimmungen des § 2 Abs 3 HAuslG erwirbt. Die Klägerin erfüllt diese (kumulativen) Voraussetzungen schon deshalb nicht, weil sie bereits im August 1945 wieder in ihre Heimat zurückgekehrt ist. Der Ausschluss ehemaliger Zwangsarbeiter, die – wie die Klägerin – am 30.6.1950 ihren Aufenthalt nicht mehr im Geltungsbereich des Grundgesetzes oder in Berlin (West) hatten, vom Anspruch auf fiktive Nachversicherung verstößt nicht gegen das Grundgesetz (BSG Urteil vom 22.3.2006, Az B 12 RJ 1/05 R, juris RdNr 22 f).
3. Auch Ersatzzeiten liegen nicht vor, §§ 51 Abs 4 iVm 250 SGB VI. Es liegt insbesondere keine Ersatzzeit für Zeiten der Freiheitsentziehung und der Freiheitsbeschränkung nach § 250 Abs 1 Nr 4 SGB VI vor. Nach dieser Vorschrift werden Zeiten der Freiheitsentziehung und der Freiheitsbeschränkung im Sinne der §§ 43 und 47 des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) und Zeiten einer anschließenden Krankheit oder unverschuldeten Arbeitslosigkeit sowie Zeiten einer Arbeitslosigkeit bis zum 31. Dezember 1946 und Zeiten eines Auslandsaufenthalts bis zum 31. Dezember 1949, sofern die Arbeitslosigkeit oder der Auslandsaufenthalt durch Verfolgungsmaßnahmen im Sinne des genannten Gesetzes hervorgerufen worden ist oder infolge solcher Maßnahmen angedauert hat, als Ersatzzeiten angerechnet, wenn der Versicherte Verfolgter im Sinne des § 1 BEG ist. Die Klägerin ist keine Verfolgte iS des § 1 BEG, da sie nicht aus Gründen der "Rasse", sondern aus Gründen ihrer Nationalität verfolgt wurde (vgl BSG Urteil vom 23.5.1995, Az 13 RJ 67/91, juris RdNr 27 ff mwN).
4. Schließlich besteht auch kein Anspruch der Klägerin auf Nachentrichtung von Beiträgen zur Rentenversicherung für Zeiten vor dem 1.4.1944.
Die Klägerin stützt den von ihr erhobenen Anspruch auf Nachentrichtung bzw auf nachträgliche Zulassung zur Entrichtung von Beiträgen für Beschäftigungszeiten vor dem 1.4.1944 auf eine entsprechende Anwendung des § 197 Abs 3 S 1 SGB VI und beruft sich dazu auf die Entscheidung des BSG vom 23.5.1995 (Az 13 RJ 67/91, juris RdNr 49 f), in der für die frühere Regelung des § 1418 Abs 3 Reichsversicherungsordnung ein solches Nachentrichtungsrecht in einem obiter dictum bejaht wurde.
Eine entsprechende Anwendung des § 197 Abs 3 SGB VI kommt vorliegend nicht in Betracht, weil es an einer planwidrige Regelungslücke fehlt. Die entsprechende Anwendung einer Norm setzt eine Regelungslücke voraus, die dem erkennbar gewordenen Willen des Gesetzgebers zuwider läuft (BSG Urteil vom 6.10.2011, Az B 9 VG 3/10 R, juris RdNr 39 mwN). Im Hinblick auf Ansprüche ehemaliger Zwangsarbeiter auf Wiedergutmachung der durch die Diskriminierung in der Sozialversicherung in ihrer Rentenversicherung entstandenen Schäden liegt aber nach dem Willen des Gesetzgebers mit Art 6 § 23 Abs 1 FANG und dem Gesetz über die Errichtung der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" (EVZSiftG) eine abschließende Regelung vor. Für eine analoge Anwendung des § 197 Abs 3 SGB VI bleibt damit kein Raum (BSG Urteil vom 22.3.2006, Az B 12 RJ 1/05 R, juris RdNr 16 ff).
B. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183 S 1, 193 Abs 1 S 1 SGG.
C. Der Senat hat die Revision in Kenntnis der bestehenden Rechtsprechung des BSG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen, um eine nochmalige Prüfung der Entschädigung von Zwangsarbeiter/-innen durch Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung zu ermöglichen, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG.
Erstellt am: 10.11.2015
Zuletzt verändert am: 10.11.2015