Auf die Beschwerden des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 23.12.2015 geändert. Der Antragsgegner wird einstweilig verpflichtet, den Antragstellern den Regelbedarf nach § 20 SGB II für Partner einer Bedarfsgemeinschaft und Sozialgeld nach § 23 SGB II für den Zeitraum vom 26.11.2015 bis 15.05.2016 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Im Übrigen werden die Beschwerden zurückgewiesen. Der Antragsgegner trägt die Hälfte der erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller im Beschwerdeverfahren. Den Antragstellern wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt I aus I bewilligt.
Gründe:
Die zulässigen Beschwerden, sind begründet.
Nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruches (d.h. eines materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird) sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes (d.h. der Unzumutbarkeit, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten) voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bzw. die besondere Eilbedürftigkeit sind glaubhaft zu machen (§ 86 Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun der überwiegenden Wahrscheinlichkeit, d.h. der guten Möglichkeit, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können. Es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht (vgl. zum Begriff der Glaubhaftmachung BSG, Beschluss vom 07.04.2011 – B 9 VG 15/10 B -; BSG, Beschluss vom 08.08.2001 – B 9 V 23/01 B – SozR 3-3900 § 15 Nr. 4).
Die Antragsteller haben im Beschwerdeverfahren einen Anspruch auf Gewährung des Regelbedarfes nach § 20 Abs. 1, 4 SGB II und des Sozialgeldes nach § 23 SGB II dem Grunde nach glaubhaft gemacht.
Die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II liegen bei dem Antragsteller zu 1) und der Antragstellerin zu 2) vor. Sie haben das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze des § 7a SGB II noch nicht erreicht (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II). Sie sind erwerbsfähig im Sinne von §§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, 8 SGB II. Anhaltspunkte für eine fehlende (gesundheitliche) Erwerbsfähigkeit liegen nicht vor. Auch haben sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland i.S.v. § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB II i.V.m. § 30 Abs. 3 S. 2 SGB I (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 30.01.2013 – B 4 AS 54/12 R -, BSGE 113, 60). Der Antragsteller zu 3) gehört gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II als Kind der Antragsteller zu 1) und 2) zur Bedarfsgemeinschaft.
Die Hilfebedürftigkeit der Antragsteller ist angesichts ihrer nicht gerade aussagekräftigen Angaben zwar nicht gänzlich zweifelsfrei, letztlich jedoch nach den Gesamtumständen als noch glaubhaft gemacht anzusehen. Der Senat geht davon aus, dass die Antragsteller – mit Ausnahme des Kindergeldes – nicht (mehr) über zu berücksichtigendes Einkommen i.S.v. § 11 SGB II oder anrechenbares Vermögen i.S.v. § 12 SGB II verfügen. Dafür, dass die Antragsteller ab Antragstellung bei Gericht über unbekanntes Einkommen oder Vermögen verfügt haben, liegen keine durchgreifenden Anhaltspunkte vor. Auch die zwischenzeitlich aufgelaufenen Mietschulden, sowie die Kündigung des Stromvertrages und Abschaltung der Stromzufuhr zum 02.02.2016, sprechen für Mittellosigkeit. Allein die Tatsache, dass die Antragsteller auch ohne Leistungen des Grundsicherungsträgers ihre Existenz erhalten haben, lässt Hilfebedürftigkeit nicht entfallen. Entscheidend ist, ob Einkommen in Geld oder Geldeswert im jeweils zu beurteilenden Zeitraum in einer Höhe konkret zur Verfügung steht, die den Gesamtbedarf vollständig deckt (vgl. BSG, Urteil vom 18.02.2010 – B 14 AS 32/08 R – SozR 4-4200 § 9 Nr. 9). Leistungsträger dürfen existenzsichernde Leistungen nicht aufgrund von bloßen Mutmaßungen verweigern, die sich auf vergangene Umstände stützen, wenn diese zur gegenwärtigen Lage eines Anspruchstellers keine eindeutigen Erkenntnisse zulassen. Die schlichte Annahme, es müssten weitere finanzielle Mittel vorhanden sein, ist für eine Leistungsverweigerung nicht ausreichend (vgl. Senatsbeschluss vom 01.04.2014 – L 19 AS 345 /14 B ER; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20.01.2010 – L 12 B 97/09 AS ER).
Die Antragsteller sind vorliegend auch nicht von Leistungen nach dem SGB II gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II ausgeschlossen. Denn der Antragsteller zu 1) kann sich auf ein Aufenthaltsrecht i.S.v. § 2 Abs. 3 S. 1 Nr. 1, S. 2 FreizügG/EU berufen. Nach § 2 Abs. 3 S. 1 Nr. 1, S. 2 FreizügG/EU wirkt die durch eine Erwerbstätigkeit erworbene Arbeitnehmereigenschaft i.S.v. § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU bei unfreiwilliger und durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit nach – wie vorliegend – weniger als einem Jahr Beschäftigung während der Dauer von 6 Monaten fort und vermittelt ein Aufenthaltsrecht. Unfreiwilligkeit der Arbeitslosigkeit liegt vor, wenn diese unabhängig von dem Willen des Antragstellers bzw. nicht aus einem in seinem Verhalten liegenden Grund eingetreten oder durch einen legitimen Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses von seiner Seite gerechtfertigt ist (vgl. Sozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 11.11.2014 – L 8 SO 306/14 B ER -; OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 26.06.2014 – 4 LB 22/13 -; Dienelt in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl., § 2 FreizügG/EU Rn. 104f) bzw. wenn der Arbeitnehmer die Gründe, die zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses (Kündigung/Aufhebungsvertrag) geführt haben, nicht zu vertreten hat (vgl. Ziffer 2.3.1.2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Freizügigkeitsgesetz/EU – AVV zum FreizügG/EU – i.d.F. vom 03.02.2016). Der Antragsteller zu 1) war von Juli 2015 bis zum 15.11.2015 bei der Galabau Shipoli GmbH sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch ordentliche Kündigung des Arbeitgebers vom 12.10.2015 zum 15.11.2015 und damit unfreiwillig. Dass eine Bestätigung der Arbeitslosigkeit durch die zuständige Agentur für Arbeit bislang nicht vorliegt, ist insoweit unerheblich. Nach den Weisungslagen zu § 7 SGB II (Fachliche Weisungen der BA zu § 7 SGB II, Stand 20.01.2016, a.a.O. 2.4.3, Rn. 7.11 ) bzw. zu § 2 Abs. 3 FreizügG/EU (Ziffer 2.3.1.2 AVV zum FreizügG/EU) bleibt das Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU für einen Arbeitnehmer für die Zeit zwischen dem Beginn der unfreiwilligen Arbeitslosigkeit und der Bestätigung der Agentur für Arbeit über die unfreiwillige Arbeitslosigkeit bestehen. Insoweit wird im Hauptsacheverfahren auch zu prüfen sein, ob das Unterlassen der Antragsgegners, vom Antragsteller die Vorlage einer Bestätigung i.S.v. § 2 Abs. 3 FreizügG/EU zu fordern, Auswirkungen auf das Bestehen eines Aufenthaltsrechts hat.
Das für den Antragsteller zu 1) bestehende Aufenthaltsrecht wirkt über § 3 FreizügG/EU auch für die Antragsteller zu 2) und 3) als Familienangehörige.
Der Geltungszeitraum der Regelungsanordnung orientiert sich an der Geltungsdauer des Aufenthaltsrechts nach § 2 Abs. 3 S. 1 Nr. 1, S. 2 FreizügG/EU, das zum 15.05.2016 endet.
Der Anordnungsgrund hinsichtlich des Regelbedarfs und Sozialgeldes ergibt sich aus der glaubhaft gemachten Mittellosigkeit der Antragsteller. Die Antragsteller haben die von dem Antragsgegner geforderten fehlenden Unterlagen zum überwiegenden Teil eingereicht. Soweit der Mietvertrag noch nicht vorgelegt wurde, betrifft dies den Anspruch auf Kosten der Unterkunft, nicht aber den Regelbedarf. Im Übrigen erlaubt sich der Senat den Hinweis, dass der Antragsteller zu 1) bereits am 13.07.2015 bei dem Antragsgegner vorgesprochen hat, um seinen Arbeitsvertrag vorzulegen, er dort aber nicht gehört wurde (Bl. 86 VA).
Ein Anordnungsgrund für die einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners zur Gewährung von Kosten für Unterkunft und Heizung ist nicht glaubhaft gemacht. Ein solcher kann im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nur bejaht werden, wenn dem jeweiligen Antragsteller schwere und unzumutbare Nachteile drohen, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr revidiert werden können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22.11.2002 – 1 BvR 1586/02, NJW 2003, 1236 m.w.N.). Schutzgut der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes bei Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung im Sinne von § 22 SGB II ist die Deckung des elementaren Bedarfes, eine Unterkunft zu haben. Der Anordnungsgrund bei der einstweiligen Zuerkennung von unterkunftsbezogenen Grundsicherungsleistungen nach § 86b Abs. 2 SGG ergibt sich demzufolge weder aus der Vermeidung von Mietschulden/Mehrkosten noch aus dem Risiko einer im Zeitablauf schwieriger werdenden Abwendung eines Wohnungsverlustes, sondern aus der konkret und zeitnah drohenden Wohnungs- bzw. Obdachlosigkeit (vgl. hierzu etwa Beschluss des Senats vom 05.05.2014 – L 19 AS 632/14 B ER m.w.N.). Ein Anordnungsgrund ist damit im Regelfall erst bei Nachweis der Rechtshängigkeit einer Räumungsklage gegeben. Selbst eine fristlose Kündigung reicht für die Bejahung der Eilbedürftigkeit regelmäßig nicht aus (vgl. etwa Senatsbeschluss vom 02.09.2015 – L 19 AS 1382/15 B ER m.w.N.). Dies ist im Hinblick auf den gesetzlich vorgesehenen Schutzmechanismus zur Abwendung eines drohenden Wohnungsverlustes wegen Mietrückständen auch verfassungsrechtlich unbedenklich (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 30.07.2007 – 1 BvR 535/07 unter Hinweis auf § 22 Abs. 5 S. 1 und 2, Abs. 6 SGB II in der bis zum 31.12.2010 geltenden Fassung, seither § 22 Abs. 9 SGB II; vgl. auch §§ 543 Abs. 1, 2 S. 1 Nr. 3, 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB). Eine konkrete Gefährdung der Unterkunft im dargestellten Sinne ist nicht glaubhaft gemacht.
Unbegründet ist auch die Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrages auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Vor dem Hintergrund des erst im Beschwerdeverfahren die notwendigen Unterlagen vorgelegt wurden, weshalb hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne der Voraussetzung für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 114 ZPO im erstinstanzlichen Verfahren nicht bestand.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG. Kosten des Beschwerdeverfahrens nach Ablehnung von Prozesskostenhilfe sind nach § 127 Abs. 4 ZPO nicht zu erstatten.
Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren nach § 73a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. §§ 114 ff. ZPO liegen vor.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar, § 177 SGG.
Erstellt am: 12.04.2016
Zuletzt verändert am: 12.04.2016