Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 30.05.2012 abgeändert. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 19.03.2009 verurteilt, über den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid der Prüfungsstelle vom 17.09.2008 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden. Die Kosten für das Klage- und Berufungsverfahren trägt der Beklagte. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Regresses wegen Überschreitens des Arzneimittelrichtgrößenvolumens in den Quartalen I/2006 bis IV/2006.
Der Kläger ist als praktischer Arzt in E nieder- und zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. In den genannten Quartalen rechnete er zwischen 569 und 679 Behandlungsfälle ab und unterschritt damit die durchschnittlichen Fallzahlen der Fachgruppe um 31 % bis 43 %. Seine Honoraranforderung überschritten die durchschnittlichen Fallkosten der Fachgruppe um 8 % bis 51 %. Bei den Arzneimitteln lag bei einem Verordnungsvolumen von insgesamt 332.049,59 EUR eine Überschreitung der Richtgrößensumme um 172.679,05 EUR vor, entsprechend 108,35 %. Die Prüfungsstelle übersandte dem Kläger die Prüfunterlagen und forderte ihn zur Stellungnahme auf, ob er (weitere) Praxisbesonderheiten geltend mache. Er gab keine Stellungnahme ab und unterzeichnete auch nicht die ihm angebotene Vereinbarung über die Verminderung des berechneten Regresses um ein Fünftel gemäß § 106 Abs. 5a Satz 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Die Prüfungsstelle setzte daraufhin mit Bescheid vom 17.09.2008 einen Regress in Höhe von 36.320,65 EUR fest.
Zur Begründung seines Widerspruchs machte der Kläger im Wesentlichen geltend, das gesetzlich vorgesehene Auswahlverfahren sei in der Prüfvereinbarung nicht geregelt und es sei nicht ersichtlich, wie er in die Auffälligkeitsprüfung geraten sei. Nach § 106 Abs. 2 Satz 6 SGB V sollten Richtgrößenprüfungen in der Regel bei nicht mehr als fünf Prozent der Ärzte einer Fachgruppe durchgeführt werden. Die Festlegung der Richtgrößen sei rechtswidrig; die Schwellenwerte hätten nichts mit einer unwirtschaftlichen Verordnungsweise zu tun, sondern seien willkürlich festgesetzt worden. Gleiches gelte für die Definition von Praxisbesonderheiten im Rahmen der Richtgrößenvereinbarung. Die Methoden der Richtgrößenprüfung und derjenigen auf der Grundlage von Durchschnittswerten der Fachgruppe bzw. zur Einzelfallprüfung würden in unzulässiger Weise miteinander vermischt. Darüber hinaus seien die vorliegenden Praxisbesonderheiten in vollem Umfang anzuerkennen und zu berücksichtigen, dass er eine aufwändige Klientel betreue, die wegen ihrer Multimorbidität nicht preiswerter mit Arzneimitteln zu versorgen gewesen sei. Gleiches gelte für den Umstand, dass er wenig Notfälle und Überweisungen habe, so dass in seiner kleinen Praxis Verdünnerfälle fehlten. Er habe zahlreiche aufwändige Patienten zu versorgen gehabt, die mit der vorgegebenen Richtgröße nicht medikamentös hätten versorgt werden können. Im Rahmen der anerkannten Praxisbesonderheiten sei die Berechnung des Mehraufwandes nicht nachvollziehbar. Darüber hinaus seien weitere Behandlungsfälle insbesondere multimorbider Patienten bei der Ermittlung der Richtgrößenvolumina zu berücksichtigen, bei denen keine ärztlichen Leistungen abgerechnet worden und die deshalb nicht in die Abrechnung eingegangen seien. Vorsorglich werde die ihm zustehende vollständig Regress ablösende Individualvereinbarung beantragt.
Unter Zurückweisung des Widerspruchs im Übrigen reduzierte der Beklagte den Regress mit Beschluss vom 28.01.2009 (Bescheid vom 19.03.2009) auf 21.752,30 EUR. Er bereinigte die Verordnungskosten um Fremdkassenfälle in Höhe von 293,20 EUR sowie Nichtarzneimittel in Höhe von 1.739,35 EUR und berücksichtigte als Praxisbesonderheiten nach Maßgabe von § 5 Abs. 3 und 4 der Richtgrößenvereinbarung (RgV) 2006 Verordnungen in Höhe von 49.588,25 EUR sowie 26.814,86 EUR. Darüber hinaus brachte er Methadonzubereitungen, Mittel zur additiven Schmerztherapie, Antiphlogistika und Antirheumatika sowie Protonenpumpenhemmer mit einem Verordnungsvolumen von insgesamt 26.662,55 EUR in Abzug. Er führte aus, weitere Praxisbesonderheiten oder kompensatorische Einsparungen lägen nicht vor bzw. seien nicht in der erforderlichen Weise dargelegt worden. Es ergebe sich eine bereinigte Überschreitung der Richtgrößensumme um 42,4 % und nach Regressierung und Ausbringung des Nettokostenindexes verbleibe eine Überschreitung der Richtgrößensumme von 28,76 %. Dem Antrag auf eine Individualvereinbarung stimmte der Beklagte nicht zu.
Zur Begründung der hiergegen gerichteten Klage vom 17.04.2009 hat der Kläger im Wesentlichen das Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt. Ergänzend hat er geltend gemacht, er habe Anspruch darauf gehabt, dass ihm – wie beantragt – eine den Regress ablösende Vereinbarung individueller Richtgrößen nach § 106 Abs. 5d SGB V angeboten werde. Ihm sei lediglich eine regressmindernde Individualvereinbarung unterbreitet worden.
Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 19.03.2009 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, über den Widerspruch gegen den Bescheid der Prüfungsfälle vom 17.09.2008 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der angefochtene Bescheid sei rechtmäßig. Nach § 106 Abs. 2 Satz 7 SGB V hätten im Jahr 2006 164 Ärzte der Fachgruppe des Klägers einer Auffälligkeitsprüfung unterzogen werden können. Einschließlich des Antragstellers seien nur 97 Ärzte aufgrund der Höhe der Überschreitung der Richtgrößensumme geprüft worden. Die Auswahlkriterien seien in § 84 Abs. 6 Satz 4 i.V.m. § 106 Abs. 5a SGB V eindeutig benannt. Die besonders unwirtschaftlichen Ärztinnen und Ärzte würden anhand des Grads der Überschreitung des Verordnungsvolumens gegenüber der Richtgrößensumme festgestellt. Sei dieser Kreis bezogen auf die Fachgruppe – wie hier – geringer als 5%, bedürfe es schon keiner weiteren Auswahl. Ein Abschlusszwang für eine Vereinbarung nach § 106 Abs. 5d SGB V bestehe nicht. Insbesondere durch die Widerspruchsbegründung habe der Kläger zu erkennen gegeben, dass es unüberbrückbare Auffassungsunterschiede zur Richtgrößenprüfung generell und speziell zu den Praxisbesonderheiten gebe. Eine Verständigung über den Umfang von Praxisbesonderheiten sei aber Grundvoraussetzung für die Vereinbarung einer individuellen Richtgröße. Angesichts dessen seien übereinstimmende Willenserklärungen als Voraussetzung für das Zustandekommen einer Richtgrößenvereinbarung von vorneherein nicht zu erwarten gewesen.
Mit Urteil vom 30.05.2012 hat das Sozialgericht (SG) Düsseldorf die Klage abgewiesen. Nach Maßgabe der RgV 2006 sei der angefochtene Bescheid nicht zu beanstanden. Entgegen der Auffassung des Klägers sei der Vorschrift des § 106 Abs. 2 Satz 7 SGB V, nach der Auffälligkeitsprüfungen in der Regel für nicht mehr als 5 % der Ärzte einer Fachgruppe durchgeführt werden sollen, nicht zu entnehmen, dass ein förmliches Auswahlverfahren bestimmt sei. Es handele sich vielmehr um eine Vorgabe allein an Prüfgremien, die die Zielgenauigkeiten der Prüfungen verbessern solle. Auch sei die Festsetzung der Richtgrößen sowie die Definition von Praxisbesonderheiten nicht willkürlich erfolgt. Die Richtgrößen für das Jahr 2006 ergäben sich gemäß § 1 RgV 2006 aus der Anpassung des Richtgrößenvolumens 2005 entsprechend der Rahmenvorgaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Spitzenverbände der Krankenkassen, wie dies auch bereits für die Jahre 2004 und 2005 erfolgt sei. Der Ausgangwert folge sich aus der Ermittlung der Richtgrößen nach § 1 RgV 2003, wobei nicht ersichtlich sei, inwieweit die dort vorgegebene Berechnung nicht sachgerecht sein sollte. Im Übrigen stehe sowohl hinsichtlich der Festlegung der Richtgrößen wie auch insbesondere hinsichtlich der Definition von Praxisbesonderheiten den Vertragspartnern ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Gestaltungsspielraum zu, dessen Grenzen hier nicht überschritten seien. Der Beklagte habe Praxisbesonderheiten in ausreichendem Umfang berücksichtigt. Der unterdurchschnittliche Anteil an Notdienst- und Überweisungsfällen sei schon deshalb keine Praxisbesonderheit, weil die geringen tatsächlichen Abweichungen auch nicht im Ansatz geeignet seien, die Höhe der Überschreitungen zu erklären. Auch genüge das Vorbringen des Klägers zur Betreuung zahlreicher aufwändiger Patienten nicht den an die Darlegung von Praxisbesonderheiten zu stellenden Anforderungen. Denn die Vorlage von Listen mit Patientennahmen, Diagnosen und/oder Verordnungskosten sei nicht ansatzweise geeignet, Unterschiede in den Behandlungsnotwendigkeiten und einen dadurch bedingten Mehraufwand zu belegen. Auch der Einwand des Klägers, bei der Berechnung des Richtgrößenvolumens seien weitere Behandlungsfälle zu berücksichtigen, bei denen er keine Leistungen abgerechnet habe, rechtfertige keine andere Beurteilung. Denn insoweit sei er den Nachweis schuldig geblieben. Der angefochtene Bescheid sei auch nicht deswegen rechtswidrig, weil dem Kläger keine sogenannte Regressablösevereinbarung gemäß § 106 Abs. 5d SGB V angeboten worden sei. Diese Regelung sei ebenso wie diejenige nach § 106 Abs. 5a Satz 4 SGB V ausschließlich für das Verfahren vor der Prüfungsstelle vorgesehen. Für ihre Anwendung bestehe kein Raum mehr, wenn das Verfahren vor der Prüfungsstelle abgeschlossen sei.
Gegen das ihm am 17.08.2012 zugestellte Urteil hat der Kläger am 17.09.2012 unter Wiederholung und Vertiefung seines bisherigen Vortrags Berufung eingelegt. Hinsichtlich der Richtgrößen habe sich das SG nicht damit auseinandergesetzt, dass die Vertragsparteien nicht den Durchschnitt der Fachgruppe zur Festlegung der Richtgröße zugrunde gelegt hätten, sondern ein Gesamtvolumen, das deutlich unter dem Ist-Volumen des Vorjahres 2005 gelegen habe. Schon hieraus sei ersichtlich, dass der betreffende Arzt nicht mit dem Durchschnitt der Fachgruppe, sondern mit einem künstlich festgelegten Einheitswert ohne Berücksichtigung der Morbidität verglichen werde. Diese unzutreffende Berechnung der Richtgrößen wirke sich auch auf die Anwendung und Definition der Praxisbesonderheiten aus. Wenn die Richtgrößen nicht den tatsächlichen Fachgruppendurchschnittsausgaben entsprächen, könnten auch Praxisbesonderheiten nicht unter Bezugnahme auf das Vorkommen in der Fachgruppe ermittelt werden. Zudem sei die Rechtsansicht des SG, dass § 105 Abs. 5d SGB V ausschließlich für das Verfahren vor der Prüfungsstelle vorgesehen sei und eine Anwendung im Rahmen des Widerspruchsverfahrens ausgeschlossen sei, nicht nachvollziehbar. Es sei nicht ersichtlich, warum der Berufungsbeklagte als Widerspruchsinstanz nicht die gleichen Rechte wie die Prüfungsstelle habe. Nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 28.08.2013 – B 6 KA 46/12 R – sei der Abschluss einer individuellen Richtgrößenvereinbarung auch noch im Verfahren vor dem Beschwerdeausschuss möglich. Sein Vorbringen zur Darlegung von Praxisbesonderheiten sei entgegen der Auffassung des SG nicht ungenügend gewesen. Das Gericht dürfe Feststellungen über die Substantiiertheit des Vortrages zu Praxisbesonderheiten nur treffen, wenn der Beklagte – anders als hier – eine Unsubstantiiertheit des klägerischen Vortrages im angegriffenen Bescheid gerügt habe. Zudem sei das Anhörungsverfahren nach § 24 Zehntes Buch Sozialgerichtsgesetz (SGB X) nicht ordnungsgemäß durchgeführt. Der Beklagte habe die Beurteilungsmaßstäbe, inwiefern in Art und Umfang fachgruppenuntypische bzw. fachgruppentypische Erkrankungen vorliegen, nicht dargelegt. Es sei für ihn nicht erkennbar gewesen, unter welchen Voraussetzungen es zum Beispiel zur Anerkennung der Patienten mit besonderem Versorgungsbedarf hätte kommen können.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 30.05.2012 abzuändern und den Bescheid des Beklagten vom 19.03.2009 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Er bezieht sich auf sein erstinstanzliches Vorbringen und die Entscheidung des SG. Ergänzend führt er aus, nicht gegen § 24 SGB X verstoßen zu haben. Die Prüfungsstelle habe den Kläger unter Übersendung einer CD mit den prüfrelevanten Unterlagen einschließlich der Arzneitmittelstatistik-Besonderheiten 2006 um Stellungnahme gebeten. Zudem habe sie ihm mit einem Vereinbarungsentwurf gemäß § 106 Abs. 5a Satz 4 SGB V den Prüfbericht mit den festgestellten Praxisbesonderheiten übermittelt. Die mündliche Verhandlung am 28.01.2009 sei im Beisein des Klägers und seiner Rechtsanwältin durchgeführt worden. Seine Einwände im Widerspruchsverfahren seien im angegriffenen Bescheid aufgegriffen worden. Zum Abschluss einer regressablösenden Individualvereinbarung, auf den nach der Entscheidung des BSG vom 28.08.2013 – B 6 KA 46/12 R – kein Anspruch bestehe, sei es angesichts der divergierenden Auffassungen zu Praxisbesonderheiten nicht gekommen. Ein eine Vereinbarung tragender Konsens habe sich zu keiner Zeit ergeben. Allein die Intention des Klägers, einem Regress zu entgehen, sei keine hinreichende Basis für eine Verständigung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der Verwaltungsvorgänge des Beklagten sowie der Akte S 33 KA 135/09 ER SG Düsseldorf Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG))
Die zulässige Berufung ist begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 19.03.2009 ist rechtswidrig ist verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 SGG). Der Beklagte muss über den Widerspruch des Klägers gegen die Entscheidung der Prüfungsstelle neu entscheiden und mit dem Kläger insbesondere in Verhandlungen über den Abschluss einer individuellen Richtgrößenvereinbarung (IRV) treten.
Anders als im Fall des § 106 Abs. 5a Satz 4 SGB V (vgl. dazu BSG, Urteil vom 15.07.2015 – B 6 KA 30/14 R -) besteht keine Verpflichtung der Prüfgremien, auf den Abschluss einer IRV hinzuwirken. Wenn der geprüfte Arzt jedoch von sich aus Interesse am Abschluss einer IRV bekundet oder – wie hier – den Abschluss einer IRV beantragt, sind die Prüfgremien verpflichtet, in Verhandlungen über den Abschluss einer IRV einzutreten und dürfen den Abschluss einer IRV nicht aus sachfremden Gründen vereiteln. In diesen Fällen besteht eine "Verhandlungspflicht" der Prüfungsstelle bzw. des Berufungsausschusses. Klarzustellen ist allerdings, dass die Prüfgremien nicht unter allen Umständen verpflichtet sind, eine IRV abzuschließen; ein unbedingter "Anspruch" des Arztes auf Abschluss einer IRV besteht nicht (BSG, Urteil vom 28.08.2013 – B 6 KA 46/12 R -; SG Hannover Urteil vom 16.12.2010 – S 61 KA 37/08 -). Da es sich um eine Vereinbarung in Form eines öffentlich-rechtlichen Vertrages handelt, setzt die IRV eine Willensübereinstimmung voraus. Wird zwischen den Prüfgremien und dem zu prüfenden Arzt keine Übereinstimmung über den Inhalt der Vereinbarung – insbesondere über die Höhe der zu vereinbarenden Richtgröße – erzielt, sind die Verhandlungen gescheitert mit der Folge, dass ein vom Arzt zu erstattender Mehrbetrag festzusetzen ist (BSG, Urteil vom 28.08.2013 – B 6 KA 46/12 R -; Senat, Beschluss vom 03.09.2014 – L 11 KA 88/13 B ER -).
Unschädlich ist, dass der Kläger den Abschluss einer IRV erst nach Erlass des Bescheides der Prüfungsstelle beantragt hat. Der Abschluss einer IRV ist auch mit dem Beschwerdeausschuss möglich und kann auch noch erfolgen, wenn die Prüfungsstelle einen Regress festgesetzt hat.
Nach ständiger Rechtsprechung stehen dem Beschwerdeausschuss – soweit sich aus dem Gesetz nichts anderes ergibt – dieselben Handlungsmöglichkeiten bzw. Kompetenzen wie der Prüfungsstelle zu. Danach rechtfertigen die Besonderheiten in der organisationsrechtlichen Stellung des Beschwerdeausschusses sowie die vielfältigen Unterschiede in der Ausgestaltung des Vorverfahrens nach dem SGG einerseits und des Verfahrens vor dem Beschwerdeausschuss andererseits die Bewertung, dass die Funktion des Beschwerdeausschusses nicht auf die einer Widerspruchsstelle beschränkt ist, sondern dass es sich bei dem Beschwerdeverfahren – dem Verfahren vor dem Berufungsausschuss nach § 97 SGB V vergleichbar – vielmehr um ein eigenständiges und umfassendes Verwaltungsverfahren in einer zweiten Verwaltungsinstanz handelt (BSG, Urteile vom 28.08.2013 – B 6 KA 46/12 R -, vom 09.03.1994 – 6 RKa 5/92 – und vom 02.06.1987 – 6 RKa 23/86 -; Senat, Beschluss vom 13.04.2011 – L 11 KA 121/10 B ER -). Folglich beschränkt sich die Aufgabe des Beschwerdeausschusses nicht darauf, die Entscheidung der Prüfungsstelle auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen, sondern dieser wird mit seiner Anrufung für die Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Behandlungs- bzw. Verordnungsweise des Arztes in vollem Umfang zuständig. Daher trifft die Verpflichtung, einem Antrag bzw. einer Anregung des geprüften Arztes auf Abschluss einer IRV nachzugehen, auch den Beschwerdeausschuss (BSG, Urteil vom 28.08.2013 – B 6 KA 46/12 R -).
Nach Maßgabe dieser Vorgaben erweist sich der angefochtene Bescheid als rechtswidrig. Der Kläger hat im Widerspruchsverfahren ausführlich vorgetragen, aus welchen Gründen nach seiner Auffassung der Bescheid der Prüfungsstelle vom 17.09.2008 rechtswidrig ist. Hierzu hat er auf formelle und materielle Mängel verwiesen. Dem Vorbringen ist zu entnehmen, dass es ihm vorrangig darum ging, den Bescheid der Prüfungsstelle beseitigt zu wissen. Hilfsweise hat er eine regressablösende Individualvereinbarung beantragt. Der Beklagte hat diesen Antrag zur Kenntnis genommen und im Bescheid vom 19.03.2009 in der Wiedergabe des klägerischen Vorbringens zitiert. Der Text des Bescheides weist an keiner Stelle aus, dass über den Antrag auf Abschluss einer IRV verhandelt worden wäre. Das Beschlussprotokoll zur Sitzung vom 28.01.2009 verhält sich hierzu gleichermaßen nicht.
Sofern der Beklagte vorträgt, ein Eingehen auf diesen Antrag sei nicht angezeigt gewesen, weil von vorneherein festgestanden hätte, dass die Positionen insbesondere zu den Praxisbesonderheiten so weit auseinander gelegen hätten, dass eine Einigung ausgeschlossen gewesen sei, entbindet diese Einschätzung nicht von seiner Pflicht, in Verhandlungen einzutreten. Normativ fixierter Bezugspunkt der IRV ist die "individuelle Richtgröße". Hierüber ist zu verhandeln. Die Praxisbesonderheiten sind im solchermaßen vorgegebenen Verhandlungsprogramm nur eine beispielhafte, wenngleich hervorgehobene Facette ("unter Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten"). Die Richtgröße wird auch durch andere Faktoren bestimmt (hierzu § 1 ff. der RgV 2006). All das ist ggf. Verhandlungsgegenstand. Damit ist schon zweifelhaft, ob der Beklagte sich dem Antrag des Klägers entziehen konnte, indem er darauf verweist, über Praxisbesonderheiten habe keine Verständigung erzielt werden können (Senat, Beschluss vom 03.09.2014 – L 11 KA 88/13 B ER -). Jedenfalls hätte er dem Kläger zumindest darlegen müssen, zu welchen Bedingungen er sich den Abschluss einer IRV vorstellen könnte, also zumindest ein Angebot unterbreiten. Dieses Angebot hätte der Kläger dann ablehnen können, wenn – wie vom Beklagten vorgetragen – die Positionen so weit voneinander entfernt waren, dass eine Einigung schlechterdings ausgeschlossen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Erstellt am: 13.04.2016
Zuletzt verändert am: 13.04.2016