Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt Entschädigung wegen Staatshaftung nach § 198 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG). Er macht eine unangemessene Dauer der Gerichtsverfahren S 2 SB 138/09, S 2 SB 3517/11, S 2 SB 3020/11, S 2 SB 3154/12 und S 2 SB 3179/12 Sozialgericht (SG) Dortmund einschließlich nachfolgend vor dem Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen anhängig gewesener Verfahren geltend.
Am 17.04.2009 erhob er Klage (S 2 SB 138/09), mit der er die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) begehrte. Das Verfahren endete durch Vergleich am 23.06.2010. Die hiergegen am 23.08.2010 eingelegte Beschwerde verwarf das LSG Nordrhein-Westfalen durch am 19.05.2011 zugestellten Beschluss vom 13.04.2011 – L 13 SB 235/10 B -. Angesichts des unklaren Inhalts seines Schreibens vom 07.02.2011 und auf mehrmalige Nachfragen des SG, ob er den Vergleichsabschluss bestreite, wurde am 06.12.2011 eine neue Klage eingetragen (S 2 SB 3517/11), um die Erledigung des Verfahrens S 2 SB 138/09 zu klären. Dieses Verfahren schloss durch Erledigungserklärung im Erörterungstermin vom 18.01.2012. Am 19.08.2011 erhob der Kläger Untätigkeitsklage (S 2 SB 3020/11) gegen den Kreis V wegen eines Überprüfungsantrags vom 24.06.2011. Nach Erteilung des Bescheides vom 29.11.2011 sowie Nachfrage des SG vom 07.12.2011, ob die Untätigkeitsklage für erledigt erklärt werde, wurden die Beteiligten am 15.12.2011 zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört. Das SG wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 20.02.2012 ab. Die hiergegen gerichtete Berufung vom 28.02.2012 (L 10 SB 84/12) nahm der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 29.08.2012 zurück. Am 02.10.2012 erhob er Klage gegen den Bescheid vom 29.11.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.09.2012 (S 2 SB 3154/12) und gegen den Bescheid vom 05.12.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.09.2012 (S 2 SB 3179/12), jeweils wegen Erhöhung des GdB. Die Klage in der Sache S 2 SB 3154/12 wies das SG mit Urteil vom 18.06.2014 ab. Hierauf beantragte der Kläger mündliche Verhandlung (Schreiben vom 30.06.2014) und griff das Urteil parallel dazu mit der Berufung an (Schreiben vom 03.07.2014). Das LSG belehrte ihn darüber, dass ein Antrag auf mündliche Verhandlung nicht statthaft sei (Verfügung vom 15.09.2014). Ungeachtet dessen beharrte der Kläger auf seinem Antrag (Schreiben vom 21.09.2014). Die Berufung wies das LSG durch Urteil vom 12.12.2014 – L 13 SB 242/14 – unter Auferlegung von Mutwillenskosten (§ 192 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) in Höhe von 1000,00 EUR zurück (Urteil vom 12.12.2014 – L 13 SB 242/14 -). Die Nichtzulassungsbeschwerde (NZB) verwarf das Bundessozialgericht (BSG) mit Beschluss vom 26.03.2015 – B 9 SB 14/15 B -. Die Klage in der Sache S 2 SB 3179/12 wies das SG durch Gerichtsbescheid vom 25.08.2014 ab. Hierauf beantragte der Kläger mündliche Verhandlung (Schreiben vom 14.09.2014), den das SG durch Beschluss vom 14.10.2014 – S 2 SB 3179/12 – verwarf. Die hiergegen gerichtete Beschwerde vom 02.11.2014 wies das LSG zurück (Beschluss vom 25.11.2014 – L 13 SB 416/14 B -). Die Berufung blieb – unter Auferlegung von Mutwillenskosten – erfolglos (Urteil des LSG vom 12.12.2014 – L 13 SB 359/14 -). Die NZB verwarf das BSG mit Beschluss vom 16.03.2015 – B 9 SB 15/15 B -.
Am 14.05.2013 hat der Kläger eine Entschädigungsklage (§ 198 GVG) vor dem erkennenden Senat anhängig gemacht (L 11 SF 398/15 EK SB). Zur Begründung trägt er vor, trotz mehrmaliger Aufforderung habe das SG keinen Verhandlungstermin festgelegt, um über seine Klage aus dem Jahr 2009 zu entscheiden. Mehrmals habe er das SG erfolglos wegen Verzögerung gerügt. In dem am 17.04.2009 eingeleiteten Verfahren habe er unter Bedrohung durch die Richterin am 23.06.2010 einen Vergleich geschlossen und hiergegen am 03.08.2010 Beschwerde eingelegt. Die mündliche Verhandlung vom 18.01.2012 sei wegen eines Polizisten als ehrenamtlicher Richter nichtig. Am 19.08.2011 habe er erneut Klage gegen den Kreis V erhoben, weil dieser auf den Überprüfungsantrag nicht reagiert habe. Am 04.01.2012 habe er das Gericht noch einmal darüber informiert, dass er keinen Gerichtsbescheid akzeptiere, dennoch habe das SG am 20.02.2012 durch Gerichtsbescheid entschieden, obgleich er ein Urteil gefordert habe. Nach zwei Sachstandanfragen und vier Aufforderungen zur Gerichtsverhandlung sei am 30.09.2013 ein medizinisches Gutachten über den Gesundheitszustand im Jahr 2009 erstellt worden. Das habe zu weiteren Verfahrensverzögerungen geführt. Zwar habe die Streitsache aus verschiedenen Gründen sehr viele Aktenzeichen, das ändere aber nichts daran, dass es viel zu lange dauere und es sich immer um eine Sache handele.
Der Kläger beantragt,
das beklagte Land zu verurteilen, ihm Entschädigung in Höhe von 4.300,00 EUR wegen unangemessener Dauer der Gerichtsverfahren S 2 SB 138/09, S 2 SB 3517/11 und S 2 SB 3020/11 (Sozialgericht Dortmund) nebst nachfolgender vor dem LSG Nordrhein-Westfalen anhängig gewesener Verfahren zu zahlen.
Das beklagte Land beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es meint, die Klage sei unbegründet. Der Kläger gehe davon aus, dass die behauptete unangemessene Verfahrensdauer bereits seit Erhebung der Klage im Ursprungsverfahren S 2 SB 138/09, also seit 17.04.2009, bestehe. Damit verkenne er, dass bei einer Entschädigungsklage jedes Verfahren separat zu betrachten sei. Das Ursprungsverfahren sei nach knapp 14 Monate am 23.06.2010 durch Vergleich beendet worden habe. Das anschließende Beschwerdeverfahren vor dem LSG (L 13 SB 235/10 B) habe bis zum Beschluss vom 13.04.2011 gedauert. Auch die weiteren Verfahren vor dem SG (S 2 SB 3517/11 und S 2 SB 3020/11) sowie vor dem LSG (L 10 SB 84/12) seien abgeschlossen. Der Kläger habe weder in den erstinstanzlichen Verfahren noch vor dem LSG Verzögerungsrügen erhoben. Erst mit Schriftsatz vom 14.05.2013 habe er die Dauer der Verfahren beanstandet. Gemäß Art. 23 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜGG) hätte er in den Verfahren S 2 SB 138/09 bzw. L 13 SB 235/10 spätestens bis zum 03.06.2012 Entschädigungsklage erheben müssen. Für die weiteren abgeschlossenen Verfahren hätte er gemäß Art. 23 Abs. 2 ÜGG die Verzögerungsrüge "unverzüglich" erheben müssen. Mangels einer solchen Verzögerungsrüge könne er keine Entschädigung für eine vor Erhebung der Verzögerungsrüge eingetretene Verzögerung beanspruchen.
Der Senat hat das Verfahren L 11 SF 398/15 EK SB getrennt (§ 113 Abs. 2 SGG).
Hinsichtlich des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Streitakten S 2 SB 138/09, S 2 SB 3517/11, S 2 SB 3020/11, S 2 SB 3154/12 und S 2 SB 3179/12 Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist unzulässig und im Übrigen unbegründet.
I.
Für eine Entschädigungsklage wegen unangemessener Dauer eines sozialgerichtlichen Verfahrens sind § 198 Abs. 1 GVG sowie §§ 183, 197a und 202 SGG in der ab 03.12.2011 geltenden Fassung durch das ÜGG vom 24.11.2011 (BGBl. I 2302), zuletzt geändert durch das Gesetz über die Besetzung der großen Straf- und Jugendkammern in der Hauptverhandlung und zur Änderung weiterer gerichtsverfassungsrechtlicher Vorschriften sowie des Bundesdisziplinargesetzes vom 06.12.2011 (BGBl. I 2554), maßgebend.
Im Einzelnen:
1. Für die Entscheidung ist das LSG Nordrhein-Westfalen zuständig.
Nach § 200 Satz 1 GVG haftet das Land für Nachteile, die auf Grund von Verzögerungen bei Gerichten des Landes eingetreten sind. Für Klagen auf Entschädigung gegen das Land ist nach § 201 Abs. 1 Satz 1 GVG das Oberlandesgericht (OLG) zuständig, in dessen Bezirk das streitgegenständliche Verfahren durchgeführt wurde. Für sozialgerichtliche Verfahren ergänzt § 202 Satz 2 SGG diese Regelung dahin, dass die Vorschriften des 17. Titels des GVG (§§ 198 – 201 GVG) u.a. mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden sind, dass an die Stelle des OLG das LSG und an die Stelle der Zivilprozessordnung (ZPO) das SGG tritt. Haftungsschuldner und damit passiv legitimiert ist das Land Nordrhein-Westfalen (§ 200 Satz 1 GVG). Daraus folgt die Zuständigkeit des LSG Nordrhein-Westfalen; die streitgegenständlichen Verfahren wurden in dessen Bezirk geführt.
2. Angesichts eines tendenziell unübersichtlichen Vorbringens des Klägers in den Ausgangsverfahren ist zunächst der Streitgegenstand zu identifizieren. Dabei ist der Streitgegenstand der Entschädigungsklage akzessorisch zum Streitgegenstand des Ausgangsverfahren. Jedes eigenständige Ausgangsverfahren ist gesondert zu bewerten und zwar ungeachtet der Frage, ob es zu Recht getrennt wurde oder hätte verbunden werden müssen (§ 113 SGG). Streitgegenstand der Entschädigungsklage ist die unangemessene Dauer der jeweiligen Ausgangsverfahren. Stehen diese wegen Feststellung und Erhöhung des GdB zwar in einem inhaltlichen Zusammenhang, verbleibt es dennoch dabei, dass jedes Verfahren gesondert daraufhin zu prüfen ist, ob und inwieweit es (un)angemessen dauert, was mit der gebotenen Deutlichkeit aus § 198 Abs. 1 i.V.m § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG folgt.
a) Im Gegensatz zur Auffassung des Klägers handelt es sich bei den Ausgangsverfahren S 2 SB 138/09, S 2 SB 3517/11, S 2 SB 3020/11, S 2 SB 3154/12 und S 2 SB 3179/12 einschließlich der nachfolgenden Verfahren vor dem LSG nicht um ein Klageverfahren, dessen unangemessene Dauer zu prüfen wäre, sondern um mindestens vier Verfahren.
aa) Nach § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG ist ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss. Hierdurch wird der materiell-rechtliche Bezugsrahmen für den Entschädigungsanspruch nach Beginn und Ende fixiert. Die Legaldefinition verhält sich hingegen nicht zur Frage, was Gegenstand eines "Gerichtsverfahrens" i.S.d. § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist und wie ein Gerichtsverfahren von einem anderen abzugrenzen ist. Unmaßgeblich ist die Zuordnung eines Aktenzeichens. Dieses beruht auf den Vorgaben der jeweiligen Aktenordnung, hat lediglich eine Ordnungsfunktion und vermag an den Vorgaben der normhierarchisch übergeordneten Prozessordnungen (wie SGG) nichts zu ändern.
bb) Den Inhalt des Gerichtsverfahrens bestimmt grundsätzlich der Kläger (§ 123 SGG). Er legt infolge der ihm insoweit eingeräumten Dispositionsbefugnis den Streitgegenstand fest. Dieser ist identisch mit dem erhobenen prozessualen Anspruch und wird bestimmt durch die erstrebte, im Klageantrag zum Ausdruck zu bringende Rechtsfolge sowie den Klagegrund, also den Sachverhalt, aus dem sich die Rechtsfolge ergeben soll (Humpert, in: Jansen, SGG, 4. Auflage, 2012, § 122 Rdn. 3 m.w.N.; W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 21. Auflage, 2015, § 90 Rdn. 7 m.w.N.; von Nicolai, in: Redeker/von Oertzen, VwGO, 16. Auflage, 2104, § 121 Rdn. 7 m.w.N.). Streitgegenstand einer Entschädigungsklage ist daher grundsätzlich die behauptete unangemessene Dauer des Ausgangsverfahrens. Infolgedessen ist der Streitgegenstand des Entschädigungsverfahren akzessorisch zum Streitgegenstand des Ausgangsverfahrens. Hiernach sind jedenfalls vier Ausgangsverfahren auszumachen.
(1) S 2 SB 138/09
Die Klage S 2 SB 138/09 richtete sich gegen den Bescheid vom 11.12.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.04.2009 und war darauf gerichtet, einen höheren GdB als 40 feststellen zu lassen. Das Verfahren endete durch Vergleich am 23.06.2010 (Erhöhung des GdB auf 50). Damit war der Streitgegenstand nach Inhalt, Zeit und Grund fixiert. Der Streitgegenstand des Verfahrens L 13 SB 235/10 B ist ein anderer. Mit Beschwerde vom 23.08.2010 hat der Kläger geltend gemacht, der Vergleich sei unwirksam. Das LSG hat die Beschwerde mit Beschluss vom 13.04.2011 – L 13 SB 235/10 B – verworfen (zugestellt am 19.05.2011). Hier ging es um die Wirksamkeit des Vergleichs vom 23.06.2010 und nicht um die materiell-rechtliche Frage, wie der GdB zu bemessen ist. Das Verfahren S 2 SB 138/09 war durch den Vergleich vom 23.06.2010 abgeschlossen. Das nachfolgende unzulässige Beschwerdeverfahren (L 13 SB 235/10 B) vermochte hieran nichts zu ändern. Demzufolge handelt es sich nicht nur nach Maßgabe der Aktenzeichen, sondern auch infolge der Streitgegenstände um zwei Gerichtsverfahren iSd § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG.
Das Verfahren S 2 SB 3517/11 steht hiermit insoweit in einem inneren Zusammenhang, als das SG dieses angesichts des konfusen Vorbringens des Klägers (z.B. Schriftsatz vom 07.02.2011: " … wie aus dem Protokoll vom 29.11.2010 -Landessozialgericht Essen (L 13SB 235/10B ) ausgeht, beantrage ich noch mal. Gemäß §44 Festsetzung des Grades der Behinderung noch mal zu verhandeln …") eingetragen hat, um die Erledigung des Verfahrens S 2 SB 138/09 zu klären. Streitgegenstand war demnach die prozessuale Frage, ob das Verfahren S 2 SB 138/09 erledigt war. Angesichts des prozessualen Begriffes des Streitgegenstandes handelte es sich um einen neuen, nunmehr dritten Streitgegenstand und damit wiederum um ein eigenständiges Gerichtsverfahren (§ 198 Abs. 1 Satz 1 GVG). Die drei Streitgegenstände standen zwar in einem inhaltlichen Zusammenhang, dies rechtfertigt es indessen nicht, den prozessualen Begriff des Streitgegenstandes zu eliminieren und nunmehr zu meinen, die drei Verfahren wären ein Verfahren i.S.d. § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG. Die Funktion des § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG beschränkt sich insoweit darauf, die äußeren Grenzen des nach anderen Kriterien zu bestimmenden Begriffs "Gerichtsverfahren" zu definieren.
(2) S 2 SB 3154/12
Im Verfahren S 2 SB 3154/12 ist die Klage am 02.10.2012 rechtshängig geworden. Sie war gerichtet gegen den Bescheid vom 29.11.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.09.2012 und getragen von dem Begehren, den GdB auf 80 bis 100 festzusetzen. Dem schloss sich eine Untätigkeitsbeschwerde an, die das LSG durch Beschluss vom 26.06.2013 – L 10 SB 201/13 B – verwarf. Das Verfahren S 2 SB 3154/12 endete durch Urteil vom 18.06.2014. Die Berufung wurde durch Urteil des LSG vom 12.12.2014 zurückgewiesen (L 13 SB 242/14). Die NZB blieb erfolglos (BSG, Beschluss vom 26.03.2015 – B 9 SB 14/15 B -). Zwar ging es auch hier um eine Erhöhung des GdB, dennoch handelte es sich um einen neuen Streitgegenstand, da andere Bescheide streitbefangen waren.
(3) S 2 SB 3179/12
Die Klage vom 02.10.2012 zu S 2 SB 3179/12 war ein weiteres Gerichtsverfahren i.S.d. des § 198 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG. Sie betraf den ablehnenden Bescheid vom 05.12.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.09.2012 und war wiederum gerichtet auf Erhöhung des GdB. Erstinstanzlich endete das Verfahren durch Gerichtsbescheid vom 25.08.2014. Den Antrag auf mündliche Verhandlung verwarf das SG (Beschluss vom 14.10.2014). Die hiergegen gerichtete Beschwerde blieb erfolglos (Beschluss des LSG vom 25.11.2014 – L 13 SB 416/14 B -). Die ungeachtet dessen am 02.10.2014 eingelegte Berufung wies das LSG zurück (Urteil vom 12.12.2014 – L 13 SB 359/14 -). Die NZB verwarf das BSG (Beschluss vom 16.03.2015 – B 9 SB 15/15 B -). Das Beschwerdeverfahren L 13 SB 416/14 B ist demgegenüber kein Gerichtsverfahren i.S.d. § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, denn es ist als Nebenverfahren in das Verfahren S 2 SB 3179/12 / L 13 SB 359/14 eingebettet.
(4) S 2 SB 3020/11
Das Verfahren S 2 SB 3020/11 betraf eine Untätigkeitsklage gegen den Kreis V wegen Nichtbescheidung eines Überprüfungsantrags vom 24.06.2011. Es war ab dem 19.08.2011 rechtshängig und endete erstinstanzlich durch Gerichtsbescheid vom 20.02.2012. Die nachfolgende Berufung (L 10 SB 84/12) nahm der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 29.08.2012 zurück. Streitgegenstand ist die behauptete Säumnis des Kreises V.
b) Die Entschädigungsklage L 11 SF 398/15 EK bezog sich mit ihrem ursprünglichen Inhalt auf all diese Ausgangsverfahren. Prozessual hatte der Kläger mit einer Entschädigungsklage im Wege der objektiven Klagehäufung (§ 56 SGG) mehrere eigenständigen Streitgegenstände und damit Ansprüche geltend gemacht. In der mündlichen Verhandlung vom 17.02.2016 hat der Senat dieses Vorbringen aus Gründen der Übersichtlichkeit und wegen abweichend zu beurteilender Sach- und Rechtslage zu Sachkomplexen zusammengefasst und insoweit getrennt (§ 113 Abs. 2 SGG).
Das abgetrennte Verfahren L 11 SF 85/16 EK SB betrifft nunmehr die Entschädigungsklage hinsichtlich des Ausgangsverfahrens S 2 SB 3154/12 einschließlich der nachfolgenden Verfahren L 10 SB 201/13 und L 13 SB 242/14. Das abgetrennte Verfahren L 11 SF 86/16 EK SB betrifft die Entschädigungsklage hinsichtlich des Ausgangsverfahrens S 2 SB 3179/12 einschließlich der nachfolgenden Verfahren L 13 SB 416/14 B und L 13 SB 359/14. Demzufolge bezieht sich das Verfahren L 11 398/15 EK SB auf die verbliebenen Entschädigungsverfahren betreffend die Ausgangsverfahren S 2 138/09 einschließlich des Verfahrens S 2 SB 3517/11 und des nachfolgenden Verfahrens L 13 SB 235/10 B sowie das Verfahren S 2 SB 3010/11 nebst angeschlossener Berufung (L 10 SB 84/12).
3. Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG statthaft (BSG, Urteile vom 05.05.2015 – B 10 ÜG 5/14 R – und 12.02.2015 – B 10 ÜG 11/13 R -; Urteil vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 12/13 R -; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteile vom 28.09.2015 – 13 D 116/14 – und 28.09.2015 – 13 D 117/14 -; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18.12.2014 – L 10 SF 11/14 EK -; OVG Niedersachsen, Urteil vom 04.09.2014 – 21 F 1/13 -).
4. Die Entschädigungsklagen müssen dem zeitlichen Geltungsbereich des ÜGG unterfallen. Fehlt es daran, ist die Klage unzulässig. Nach Art. 23 Satz 1 ÜGG gilt dieses Gesetz auch für Verfahren, die bei seinem Inkrafttreten bereits anhängig waren, sowie für abgeschlossene Verfahren, deren Dauer bei seinem Inkrafttreten Gegenstand von anhängigen Beschwerden beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ist oder noch werden kann.
a) Die Klage betreffend das Ausgangsverfahren S 2 SB 138/09 ist unzulässig, denn sie unterfällt nicht dem zeitlichen Geltungsbereich des ÜGG. Das Ausgangsverfahren endete durch Vergleich vom 23.06.2010. Das ÜGG ist gemäß Art. 24 des Gesetzes am Tag nach seiner Verkündung (02.12.2011), also am 03.12.2011 in Kraft getreten (BGBl I 2302, 2312). Infolgedessen erfasst es insoweit nicht das bereits am 23.06.2010 abgeschlossene Verfahren S 2 SB 138/09. Auch die Voraussetzungen des Art. 23 Satz 1 Variante 2 ÜGG sind nicht erfüllt. Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des ÜGG war die Dauer des Verfahrens S 2 SB 138/09 nicht Gegenstand einer Individualbeschwerde (Art. 34 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK)). Das Verfahren S 2 SB 138/09 konnte auch nicht mehr Gegenstand einer solchen Beschwerde werden, denn die Frist von sechs Monaten nach Abschluss des Verfahrens (Art. 35 Abs. 1 EMRK) durch Vergleich vom 23.06.2010 war 03.12.2011 verstrichen. Infolgedessen ist die auf das Ausgangsverfahren S 2 SB 138/09 gerichtete Entschädigungsklage unzulässig.
Wird angenommen, dass das Beschwerdeverfahren L 13 SB 235/10 B zusammen mit dem Verfahren S 2 SB 138/09 ein Gerichtsverfahren i.S.d. § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG darstellt, ändert sich nichts. Das Verfahren L 13 SB 235/10 B endete mit Zustellung des Beschlusses vom 13.04.2011 am 19.05.2011.
Lediglich wenn die Verfahren S 2 SB 138/09, L 13 SB 235/10 B und S 2 SB 3517/11 contra legem einheitlich betrachtet werden, ändert sich die Rechtslage. Dieser Verfahrenskomplex ist spätestens mit der Erledigungserklärung vom 18.01.2012 im Verfahren S 2 SB 3517/11 abgeschlossen. Ausgehend von diesem Ansatz wäre das zwar drei Streitgegenstände enthaltene, indessen in einem sachlichen Zusammenhang stehende und insoweit kombinierte Verfahren S 2 SB 138/09, L 13 SB 235/10 B und S 2 SB 3517/11 mit Inkrafttreten des ÜGG am 03.12.2011 noch anhängig gewesen. Die Klage würde daher dem zeitlichen Geltungsbereich des ÜGG unterfallen.
b) Die am 19.08.2011 erhobene Untätigkeitsklage S 2 SB 3020/11 schloss das SG durch Gerichtsbescheid vom 20.02.2012 ab. Das nachfolgende Berufungsverfahren wurde beendet, indem der Kläger die Berufung am 29.08.2012 zurücknahm. Das erstinstanzliche und das Berufungsverfahren bilden eine Einheit, da auf das Gesamtverfahren abzustellen ist (§ 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG). Die Klage fällt in den durch Art. 23 Satz 1 ÜGG definierten zeitlichen Geltungsbereich. Die Klage war am 03.12.2011 noch anhängig.
5. Die Entschädigungsklage betreffend das Verfahren S 2 SB 138/09 war im Übrigen verfristet. Die Klagefrist gibt Art. 23 Abs. 6 ÜGG vor. Die Norm lautet: "Die Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach § 198 Absatz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes kann bei abgeschlossenen Verfahren sofort erhoben werden und muss spätestens am 3. Juni 2012 erhoben werden." Die Entschädigungsklage wurde erst am 14.05.2013 erhoben. Hieran ändert sich nichts, wenn das eigenständige Gerichtsverfahren L 13 SB 235/10 B in die Gesamtdauer einbezogen wird. Das aus S 2 SB 138/09 und L 13 SB 235/10 B zusammengesetzte Verfahren endete mit Zustellung des Beschlusses des LSG vom 13.04.2011 am 19.05.2011. Im Zeitpunkt des Inkrafttretens des ÜGG am 03.12.2011 war dieses Verfahren abgeschlossen. Die Klage hätte spätestens am 03.06.2012 erhoben werden müssen. Eine andere Rechtslage ergibt sich, wenn den Verfahren S 2 SB 138/09 und L 13 SB 235/10 B das Verfahren S 2 SB 3517/11 hinzugefügt wird, denn dieses endete mit Erledigungserklärung vom 18.01.2012. Dann wäre das Verfahren mit Inkrafttreten des ÜGG am 03.12.2011 noch nicht abgeschlossen gewesen und die Frist des Art. 23 Abs. 6 ÜGG griffe nicht. Ein derart exzessives Verständnis des Begriffs "Gerichtsverfahren" wird zwar nicht mehr vom eindeutigen und nicht auslegungsfähigen Wortlaut des § 198 Abs. 6 Abs. 1 GVG getragen (hierzu ausführlich die dieselben Beteiligten betreffenden Urteile des Senats vom 17.02.2016 – L 11 SF 85/16 EK SB und L 11 SF 86/16 EK SB -). Dennoch ist diese Variante im Folgenden weiter zu beleuchten, denn entweder das Verfahren S 2 SB 3517/11 ist Teil des Verfahrenskomplexes S 2 SB 138/09 / L 13 SB 235/10 B oder es ist – richtigerweise – als eigenständiges Gerichtsverfahren einer eigenen Prüfung zu unterziehen.
Bezogen auf das Ausgangsverfahren S 2 SB 3010/11 / L 10 SB 84/12 greift die Frist des Art. 23 Abs. 6 ÜGG hingegen nicht. Dieses Verfahren wurde erst am 19.08.2011 rechtshängig.
5. Die Entschädigungsklage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung oder anderer Erledigung des Ausgangsverfahrens erhoben werden (§ 198 Abs. 5 Satz 2 GVG). Die Länge dieser Frist orientiert sich an Art. 35 Abs. 1 EMRK.
a) Die Frist ist bezogen auf die Verfahren S 2 SB 138/09, L 13 SB 235/10 B und S 2 SB 3517/11 verstrichen. Die Entschädigungsklage wurde am 14.05.2013 erhoben. Das Verfahren S 2 SB 138/09 endete durch Vergleich am 23.06.2010 und das Verfahren L 13 SB 235/10 B durch Zustellung des Beschlusses vom 13.04.2011 am 19.05.2011. Das Verfahren S 2 SB 3517/11 schloss infolge Erledigungserklärung des Klägers am 18.01.2012. Die Frist ist auch hinsichtlich des Ausgangsverfahrens S 2 SB 3010/11 / L 10 SB 84/12 verstrichen, denn dieses endete durch Rücknahme der Berufung am 29.08.2012.
b) Umstritten ist, welche Rechtsfolge hieraus herrührt. Überwiegend wird mit der Gesetzesbegründung angenommen, dass es sich um eine absolute Ausschlussfrist handelt, die nach Ablauf den Anspruch verwirkt (BSG, Urteil vom 10.07.2014 – B 10 ÜG 8/13 R; OLG Karlsruhe, Urteil vom 01.10.2013 – 23 SchH 13/12 EntV, 23 SchH 13/12; LSG Thüringen, Urteil vom 18.06.2013 – L 3 SF 1147/12 EK -; Urteil vom 18.06.2013 – L 3 SF 1759/12 EK -; Urteil vom 18.06.2013 – L 3 SF 1149/12 EK -; OLG Bremen, Urteil vom 04.07.2013 – 1 SchH 10/12 (EntV)). Das Betrifft die Begründetheit der Klage. Andere vertreten die Auffassung, dass der Fristablauf zu deren Unzulässigkeit führt (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 42. Auflage, 2014, § 198 GVG Rdn. 46; Heine, MDR 2012, 327; ders., MDR 2013, 1081, 1082; Kissel/Mayer, GVG, § 198 Rdn. 43). Dem wird gefolgt.
Der Wortlaut des § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG deutet auf eine verfahrensrechtliche Klagefrist hin und enthält keinerlei Hinweis auf die in der Gesetzesbegründung unterstellte Ausschlussfrist (BT-Drucks. 17/3802, S. 22). Die in § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG gewählte Formulierung stellt vielmehr Assoziationen zu den in § 47 FGO, § 87 Abs. 1 SGG und § 74 VwGO normierten Klagefristen her. In Angleichung an diese Normen hätte § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG auch schlicht lauten können: "Die Entschädigungsklage ist binnen sechs Monaten nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung oder anderer Erledigung des Ausgangsverfahrens zu erheben." Das ist nicht geschehen. Warum der Gesetzgeber die Wortfolge "muss spätestens sechs Monate nach" statt "ist binnen sechs Monaten nach" gewählt hat, erschließt sich weder aus Wortlaut noch systematischen Erwägungen noch aus den Materialien. Bleibt der identifizierte Wortsinn unklar, können weitere Auslegungsmethoden herangezogen werden, deren Ergebnisse wiederum nur in den Grenzen des Wortsinns liegen dürfen. Der Entstehungsgeschichte einer Vorschrift kommt nur insofern Bedeutung zu, als sie die Richtigkeit einer nach den angegebenen Grundsätzen ermittelten Auslegung bestätigt oder Zweifel behebt, die auf dem angegebenen Weg allein nicht ausgeräumt werden können (so schon BVerfG, Urteil vom 21.05.1952 – 2 BvH 2/52 -). Die Motive und Vorstellungen der Mitglieder der gesetzgebenden Körperschaften sind in der Gesetzesauslegung nur dann bedeutsam, wenn sie im Gesetz einen ausreichenden Niederschlag gefunden haben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.12.2013 – 1 BvL 5/08 -, Beschluss vom 16.12.1981 – 1 BvR 898/79, 1 BvR 1132/79, 1 BvR 1150/79, 1 BvR 1333/79, 1 BvR 1181/79 – NJW 1983, 103, 104; BFH, Urteil vom 23.09.1993 – IV R 56/98 -; so auch Stellungnahme des Bundesrates zu § 198 Abs. 3 Satz 2 GVG in BR-Drucks. 540/10, S. 6). Daran fehlt es. Gesetzeswortlaut und Gesetzesbegründung divergieren nachhaltig. Die durchaus überraschende Erkenntnis, dass § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist bestimmen soll, lässt sich allenfalls der Gesetzesbegründung entnehmen. Hiernach soll die Frist dem Fiskus einen baldigen umfassenden Überblick über die denkbaren Entschädigungspflichten und einen endgültigen Abschluss von Entschädigungsverfahren ermöglichen (BT-Drucks. 17/3802, S. 22). Dieses Ziel wird auch mit der Zulässigkeitsvariante erreicht. Damit bleibt als Zwischenergebnis, dass die Gesetzesbegründung etwas behauptet (Ausschlussfrist), was das korrespondierende Gesetz nicht regelt. Unzweifelhaft will der Gesetzgeber, dass der Anspruch nach Ablauf von sechs Monaten nicht mehr durchgesetzt werden kann. Insofern reicht aus, diesen Wunsch auf prozessuale Ebene zu verorten. Das ist geschehen. Der Gesetzgeber hat in § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG eine prozessuale Zulässigkeitsvoraussetzung normiert. Nach Fristablauf ist die Klage unzulässig. Sie kann auch nicht mehr zulässig werden. Hinweise darauf, dass die Frist auch oder nur eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist meint, sind dem Gesetzeswortlaut nicht zu entnehmen. Lediglich aus den in sich nicht stimmigen Materialien kann hergeleitet werden, dass die Bundesregierung eine absolute und materiell wirkende Ausschlussfrist präferierte (Gegenäußerung des Bundesregierung in BT-Drucks. 17/3802, S. 41), während der Bundesrat eine Klarstellung dahin vorschlug, dass die Klage unzulässig sei, wenn es an einem der in den Sätzen 1 und und 2 des § 198 Abs. 5 GVG bestimmten Erfordernissen fehle (BT-Drucks. 17/3802, S. 35). Der Vorschlag des Bundesrates ist nicht Gesetz geworden, was nachgerade belegt, dass § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG auslegungsbedürftig ist. Infolgedessen kann nicht schlicht mit Blick auf die Gesetzesbegründung behauptet werden, der Gesetzgeber habe eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist normiert. Das reicht aus Gründen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit nicht aus. Sinn und Zweck des § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG gebieten eine solche Interpretation nicht. Die Zulässigkeitsvariante lässt sich dem in der Gesetzesbegründung formulierten Sinn und Zweck zwanglos zuordnen. Soweit die Gesetzesbegründung auf §§ 12, 13 des Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG) rekurriert, um ihre Rechtsansicht zu stützen (hierzu BT-Drucks. 17/3802, S. 22), greift das nicht. Die Vorschrift ist anders strukturiert und lässt keinerlei Rückschlüsse auf das Verständnis des § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG zu. Eine verfristete Klage führt damit nicht zum Rechtsverlust, sondern nur dazu, dass das betroffene Recht prozessual nicht durchgesetzt werden kann. Die Klage ist daher unzulässig.
Letztlich kann dies dahinstehen, wenn dem BSG gefolgt wird. Hiernach braucht über die Statthaftigkeit nicht abschließend befunden zu werden, sofern die Klage jedenfalls unbegründet ist (Urteil vom 15.12.2015 – B 10 ÜG 1/15 R – zu Rdn. 15 und 16 a.E. des Urteilsumdrucks). Der Senat hat zwar erhebliche Bedenken, ob dem angesichts der unterschiedlichen Wirkungen einer unzulässigen bzw. unbegründeten Klage hinsichtlich der formellen und materiellen Rechtskraft gefolgt werden kann, dennoch prüft er nachfolgend vorsorglich die Begründetheit der Klage.
6. Das Ausgangsverfahren hat nicht unangemessen lang gedauert (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG).
a) Haftungsauslösend ist eine unangemessene Dauer des Ausgangsverfahrens (§ 198 Abs. 1 Satz 1 GVG i.V.m. § 200 Satz 1 SGG).
b) Haftungsgrund ist die Verletzung des in Art. 19 Abs. 4 und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) sowie Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) verankerten Rechts eines Verfahrensbeteiligten auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit (BGH, Urteil vom 14.11.2013 – III ZR 376/12 -; Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 11.07.2013 – 5 C 27/12 D -; BSG, Urteil vom 21.02.2013 – B 10 ÜG 1/12 KL -) infolge Versagens des Landes Nordrhein-Westfalen in seiner Funktion als Justizgewährungsgarant und Haftungsschuldner (zum "Versagen" der verantwortlichen Garanten s. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschlüsse vom 19.09.2007 – 2 BvR 1847/07 – und 29.11.2005 – 2 BVR 1737/05 -; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 28.09.2015 – 13 D 117/14 – ; Senat, Urteile vom 24.11.2015 – L 11 SF 215/15 EK R – und 15.04.2015 – L 11 SF 546/14 EK KR -; LSG Hessen, Urteil vom 06.02.2013 – L 6 SF 6/12 EK U -; Hinne, ZRP 2015, 201, 202). Auf die Frage, ob der zuständige Richter pflichtwidrig, rechtswidrig oder schuldhaft gehandelt hat, kommt es – anders als bei der Amtshaftung – nicht an (vgl. BT-Drucks. 17/3802 S. 19). Gleichermaßen unerheblich ist, ob sonstige Justizgewährungsgaranten wie Angehörige der Exekutive (Justizverwaltung, Landesregierung) oder der Landtag Nordrhein-Westfalen als zuständiges Legislativorgan es pflichtwidrig oder schuldhaft unterlassen haben, dem SG personelle Kapazitäten in einem Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 6 Abs. 1 EMRK gerecht werdenden Umfang zuzuweisen. Rechtlich unerheblich ist demnach auch, inwieweit das für die gerichtsinterne Geschäftsverteilung zuständige Präsidium und die jeweilige Gerichtsleitung es pflichtwidrig versäumt haben, einen – wie hier – hoch belasteten oder überlasteten Spruchkörper zu entlasten. Haftungsauslösend ist das Unterlassen ("Versagen") als solches.
c) Nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet.
aa) Das Gerichtsverfahren i.S.d. § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG beginnt entsprechend der Legaldefinition des § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG mit der Einleitung und endet mit dem rechtskräftigen Abschluss.
(1) Die "Einleitung" meint das Rechtshängigmachen des Rechtsstreits vor dem SG (§ 94 SGG). Abweichend von § 261 Abs.1 i.V.m. § 253 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) ist das der Zeitpunkt der Einreichung der Klageschrift, also deren Eingang bei Gericht. Der den Endzeitpunkt bestimmende rechtskräftige Abschluss (§ 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG) bezieht sich auf den Eintritt der formellen Rechtskraft. Diese richtet sich nach § 202 Satz 1 SGG i.V.m. § 705 ZPO und bedeutet, dass die Entscheidung des Gerichts nicht mehr angefochten werden kann und damit endgültig (formell) rechtskräftig wird (vgl. von Nicolai, in: Redeker/von Oertzen, VwGO, § 121 Rdn. 1; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 141 Rdn. 2).
(2) Rechtsfehlerhaft wäre es, das Verfahren in einzelne Abschnitte (1. Instanz, 2. Instanz und 3. Instanz) zu parzellieren. Der Wortlaut des § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG ist eindeutig: "Ein Gerichtsverfahren beginnt mit dessen Einleitung und endet mit rechtskräftigem Abschluss." Ein mehrzügiges Gerichtsverfahren ist demnach ein Gerichtsverfahren. Eine Splittung scheitert schon am insoweit nicht weiter auslegungsfähigen Wortlaut des § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG (zur Normauslegung: BVerfG, Beschluss vom 17.12.2013 – 1 BvL 5/08 -; zum Wortlaut als Grenze der Auslegung: BVerfG, Beschluss vom 20.10.1992 – 1 BvR 698/89 -; ausführlich auch Senat, Beschluss vom 27.11.2013 – L 11 KA 81/13 B ER – und Beschluss vom 24.09.2012 – L 11 U 416/12 B -). Bezugspunkt für die Angemessenheitsprüfung (§ 198 Abs. 1 Satz 1 GVG) ist folglich die in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG bestimmte Verfahrensdauer, also der gesamte Zeitraum von der Einleitung des Verfahrens in der ersten Instanz bis zur Zustellung der endgültigen rechtskräftigen Entscheidung (BVerwG, Urteile vom 27.02.2014 – 5 C 1/13 D – und 11.07.2013 – 5 C 27.12 D -; Verwaltungsgerichtshof (VGH) Bayern, Urteil vom 10.12.2015 – 23 A 14.2252 -; Beschluss vom 26.06.2015 – 23 A 14.2254 -; OLG Hamm, Beschluss vom 27.04.2015 – 11 EK 8/14 -; OVG Sachsen, Urteil vom 15.01.2013 – 11 F 1/12 -; Kissel/Mayer, GVG, 7. Auflage, 2013, § 198 Rdn. 13; Marx/Roderfeld, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, 1. Auflage, 2013, § 198 GVG Rdn. 6; abweichend und unzutreffend BSG, Urteil vom 21.02.2013 – B 10 ÜG 1/12 KL -, das nur das NZB-Verfahren prüft). Das nach Zurückverweisung eröffnete Verfahren ist inkludiert, denn es wird nicht neu begonnen, sondern fortgesetzt (BFH, Urteil vom 14.08.1980 – V R 142/75 -; BGH, Urteil vom 17.11.1966 – II ZR 22/65 -; LSG Bayern, Urteil vom 20.06.2013 – L 8 SF 134/12 EK -; Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 170 Rdn. 9; Düring, in: Jansen, SGG, § 170 Rdn. 13). Eine hiervon strikt zu trennende Frage ist, ob der jeweilige Kläger kraft ihm eingeräumter Dispositionsbefugnis nur die Dauer des gerichtlichen Verfahrens in allen Rechtsstufen zum Gegenstand des Entschädigungsverlangens machen kann oder auch eine Beschränkung auf die Verfahrensdauer in einer bestimmten Rechtsstufe möglich ist (hierzu BVerwG, Urteil vom 27.02.2014 – 5 C 1/13 D -; VGH Bayern, Beschluss vom 26.06.2015 – 23 A 14.2254 -). Das ist zu bejahen, denn der jeweilige Kläger verfügt über den Streitgegenstand (auch) der Entschädigungsklage. Dieser Streitgegenstand ist teilbar, infolgedessen ist ein Kläger befugt, die Entschädigungsklage auf einzelne Verfahrensabschnitte zu beschränken (BVerwG, Urteil vom 27.02.2014 – 5 C 1/13 -). Das allerdings ändert nichts daran, dass wegen § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG materiell-rechtlicher Bezugsrahmen des geltend gemachten Entschädigungsanspruchs immer der Zeitraum von der Einleitung des Gerichtsverfahrens bis zu dessen rechtskräftigem Abschluss bleibt (VGH Bayern, Urteil vom 10.12.2015 – 23 A 14.2252 -).
Auch BVerfG und Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gehen in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass grundsätzlich auf die Gesamtdauer des Verfahrens abzustellen ist (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 24.06.2010 – 25756/09 – (P./Deutschland) und 30.03.2010 – 46682/07 – (Sinkovec/Deutschland); BVerfG, Beschlüsse vom 20.07.2000 – 1 BvR 352/00 – und 14.12.2010 – 1 BvR 404/10 -). Gegen die Möglichkeit, die materiell-rechtliche Prüfung auf eine Verfahrensstufe zu begrenzen, spricht vor allem der Umstand, dass eine lange Verfahrensdauer innerhalb einer Stufe gegebenenfalls durch eine zügige Verfahrensführung in einer anderen (höheren) Stufe ausgeglichen werden kann (vgl. EGMR, Urteile vom 07.01.2010 – 40009/04 – (von Köster/Deutschland) und 22.03.2012 – 23338/09 – (Kautzor/Deutschland); BVerfG, Beschlüsse vom 20.07.2000, a.a.O., und 14.12.2010, a.a.O.). Ein Kläger kann diesen maximal entschädigungsrelevanten Zeitraum dahin verkürzen, dass er seine Entschädigungsforderung auf einen Verfahrensabschnitt reduziert. Schon aus § 200 GVG folgt, dass die Klage ggf. gegen unterschiedliche Haftungsschuldner zu richten ist. Demnach kann ein Kläger sich darauf beschränken, die Klage allein gegen den Bund zu richten, wenn das Revisionsverfahren aus seiner Sicht säumig war. Gleichermaßen kann er eine Klage (nur) gegen das Land erheben, wenn er annimmt, das Verfahren sei vor einem Gericht des Landes in Verzug geraten. Auch im Übrigen kann ein Kläger abschichten. Dies folgt zum einen aus dem Dispositionsgrundsatz, der es ihm erlaubt, den Streitgegenstand zu bestimmen, und ergibt sich zum anderen aus der Rechtsprechung EGMR, dessen Judikate als Auslegungshilfe heranzuziehen sind und als Orientierungsmaßstab dienen (BVerfG, Urteil vom 04.05.2011 – 2 BvR 2333/08 u.a -; Beschluss vom 04.02.2010 – 2 BvR 2307/06 -; Beschluss vom 18.12.2008 – 1 BvR 2604/06 -; Beschluss vom 10.05.2007 – 2 BvR 304/07 -; vgl. auch Mayer, in Karpenstein/Mayer, EMRK, 2012, Einleitung Rdn. 80; Grabenwarter/Pabel, EMRK, 5. Auflage, 2012, § 3 Rdn. 9). Der EGMR betrachtet nicht nur die Gesamtdauer des Verfahrens (vgl. EGMR, Urteil vom 07.06.2011 – 277/05 – (S.T.S./Niederlande)). Er analysiert einzelne Verfahrensabschnitte und prüft einen Konventionsverstoß nicht stets und ausschließlich nur mit Blick auf die Gesamtverfahrensdauer. Jedenfalls mit dem Verfahren Eckle/Deutschland wurde in der Rechtsprechung des EGMR geklärt, dass dann, wenn für drei getrennte und umfangreiche Strafverfahren jeweils eine überlange Verfahrensdauer gerügt wird, es für jedes Verfahren notwendig ist, den jeweiligen Abschnitt der fraglichen Prozesse in seinen Einzelheiten darzustellen und zu prüfen (EGMR, Urteil vom 15.07.1982 – 8130/78 – (Eckle/Deutschland)). Grenzt der Beschwerdeführer den zu berücksichtigenden Zeitraum ein, reduziert der EGMR seine Prüfung hierauf. Anders gewendet heißt dies, dass der Gerichtshof dem Beschwerdeführer eine Dispositionsbefugnis über den konventionsrechtlich relevanten Zeitrahmen einräumt. Der EGMR prüft nur, was ihm vom Beschwerdeführer als säumige Zeit benannt wird (EGMR, Urteil vom 21.04.2011 – 41599/09 – (K./Deutschland)). Ungeachtet dessen gilt: Die Befugnis des Klägers, seinen Antrag infolge der Dispositionsmaxime einzuschränken, führt nicht dazu, dass der durch § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG bestimmte Gesamtzeitraum hinfällig wird. Hierüber können die Beteiligten nicht disponieren (OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 28.09.2015 – 13 D 117/14 -, Urteil vom 28.09. 2015 – 13 D 27/14 -; VGH Bayern, Beschluss vom 26.06. 2015 – 23 A 14.2254 -). Auch das Gericht ist an diese normative Vorgabe gebunden. Folglich kann ein Kläger eine Entschädigungsforderung präzisieren, indem er diese auf einen Teil des Gesamtzeitraums bezieht. Ob jedoch das rügebefallene Verfahren unangemessen gedauert hat, muss das Entschädigungsgericht mit Blick auf die Gesamtverfahrensdauer beurteilen. Etwaige Verzögerungen in der einen Instanz können durch zügige Bearbeitung in einer anderen Instanz ganz oder teilweise kompensiert werdend (BSG, Urteil vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 12/13 R -; BGH, Urteil vom 10.04.2014 – III ZR 335/13 -; BVerwG, Urteile vom 27.02.2014 – 5 C 1/13 D – und 11.07.2013 – 5 C 23/12 D -; Senat, Urteil vom 25.11.2015 – L 11 SF 215/15 EK R -; LSG Hamburg, Urteil vom 30.10.2014 – L 1 SF 16/13 ESV -; LSG Berlin-Brandenburg, Urteile vom 03.07.2014 – L 37 SF 34/14 EK AL – und 04.09.2013 – L 37 SF 66/12 EK VG -; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 29.11.2012 – L 10 SF 5/12 ÜG -). Unerheblich ist, wer letztlich haftet (§ 200 Satz 1 GVG). Hierdurch wird lediglich die Haftungszuständigkeit aufgeteilt. Das ist eine sekundäre Frage, die in keinem Zusammenhang mit dem durch § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG vorgegebenen materiell-rechtlichen Bezugsrahmen steht (a.A. wohl BSG, Urteil vom 12.02.2015 – B 10 ÜG 1/13 R -).
(3) Nach diesen Maßgaben begann das Verfahren S 2 SB 3154/12 mit Einreichung der Klage beim SG am 02.10.2012 und endete mit Zustellung des Beschlusses des BSG vom 26.03.2015 – B 9 SB 14/15 B -. Da das Datum der Zustellung nicht aktenkundig ist, wird hilfsweise auf die Rückgabe der Akten an das LSG abgestellt (15.04.2015). Der entschädigungsrechtlich relevante Zeitraum ist daher auf die Zeit vom 02.10.2012 bis 15.04.2015 festzulegen.
bb) Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten des Verfahrensbeteiligten und Dritter (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG).
(1) Feste Zeitvorgaben sind mit § 198 GVG nicht vereinbar. Die Vorschrift verbietet es nachgerade, die Angemessenheit der Verfahrensdauer mit Hilfe von Orientierungs- oder Richtwerten für die Laufzeit gerichtlicher Verfahren zu ermitteln, und zwar unabhängig davon, ob diese auf eigener Annahme, Erfahrungswerten oder auf statistisch basierten durchschnittlichen Verfahrenslaufzeiten beruhen (Senat, Urteile vom 22.04.2015 – L 11 SF 667/14 EK R -, 15.04.2015 – L 11 SF 546/14 EK KR -, 27.08.2014 – L 11 SF 155/13 EK SO -; so auch BGH, Urteile vom 13.03.2014 – III ZR 91/13 – und 05.12.2013 – II ZR 73/13 -; BFH, Urteil vom 07.11.2013 – X K 13/12 -; BVerwG, Urteile vom 11.07.2013 – 5 C 27/12 D – und 11.07.2013 – 5 C 23/12 D -; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.12.2013 – L 37 SF 82/12 EK R -; OLG Karlsruhe, Urteil vom 19.12.2013 – 23 SchH 2/13 EntV -; LSG Thüringen, Urteile vom 18.06.2013 – L 3 SF 1149/12 EK -, 18.06.2013 – L 3 SF 1759/12 EK -, 18.06.2013 – L 3 SF 1147/12 EK -). Dies ergibt sich bereits aus dem Gesetzeswortlaut, nach dem sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer "nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter" richtet, folgt überdies aus der Gesetzesbegründung, der zufolge eine generelle Festlegung, wann ein Verfahren unverhältnismäßig lange dauert, nicht möglich ist (BT-Drucks. 17/3802, S. 18; abweichend BSG, Urteil vom 21.02.2013 – B 10 ÜG 1/12 KL -, wonach statistischen Daten eine Indizwirkung zukommen soll; abgrenzend hierzu BSG, Beschluss vom 16.12.2013 – B 10 ÜG 13/13 B -). Auch die als Auslegungshilfe mit Orientierungsfunktion heranzuziehende Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 Abs. 1 EMRK (hierzu BVerfG, Beschluss vom 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04 -) lässt nicht ansatzweise den Schluss zu, der Gerichtshof habe feste Vorgaben entwickelt. Das Gegenteil ist der Fall. Jeder Sachverhalt wird auf der Grundlage der immer wiederkehrenden Eingangsformel
"Der Gerichtshof weist erneut darauf hin, dass die Angemessenheit der Verfahrensdauer im Lichte der Umstände der Rechtssache sowie unter Berücksichtigung folgender Kriterien zu beurteilen ist: Komplexität der Rechtssache, Verhalten des Beschwerdeführers sowie der zuständigen Behörden und Bedeutung des Rechtsstreits für den Beschwerdeführer (siehe u.v.a. Frydlender./. Frankreich [GK], Individualbeschwerde Nr. 30979/96, Rdnr. 43, ECHR 2000-VII)."
einer individuellen Betrachtung unterzogen (z.B. EGMR, Urteil vom 04.09.2014 – 68919/10 – (Peter/Deutschland); Urteil vom 13.10.2011 – 37264/06 – (Mianowicz/Deutschland); Urteil vom 22.09.2011 – 28348/09 – (Otto/Deutschland); Urteil vom 21.07.2011 – 21965/09 – (Bellut/Deutschland); Urteil vom 07.06.2011 – 277/05 – (S.T.S./Niederlande)). Es gibt weder eine feste zeitliche Grenze noch hat der EGMR eine allgemeine Höchstdauer für Verfahren einer bestimmten Art definiert (vgl. Mayer-Ladewig, EMRK, 3. Auflage, 2011, Art 6. Rdn. 199; Meyer, in Karpenstein/Mayer, EMRK, 2. Auflage, 2015, Art. 6 Rdn. 76). So hat der EGMR eine Verfahrensdauer von zwölf Jahren und sieben Monaten durch mehrere Instanzen einschließlich des Kosten- und Vollstreckungsverfahrens unter Berücksichtigung der Komplexität der Sach- und Rechtslage und des Verhaltens des Beschwerdeführers als angemessen bewertet (EGMR, Urteil vom 04.02.2010 – 13791/06 – (Gromzig/Deutschland)). In Umsetzung der Rechtsprechung des EGMR benennt § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG deshalb nur beispielhaft ("insbesondere") solche Umstände, die für die Beurteilung der Angemessenheit besonders bedeutsam sind (BT-Drucks. 17/3802, S. 18), nämlich die Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.
(2) Die Verfahrensdauer ist unangemessen i.S.v. § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete und den Gestaltungsspielraum der Gerichte bei der Verfahrensführung beachtende Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalls ("Gesamtabwägung") ergibt, dass die Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist (Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 6 Abs. 1 EMRK). Die Verfahrensdauer muss insgesamt eine Grenze überschreiten, die sich auch unter Berücksichtigung gegenläufiger rechtlicher Interessen für den Betroffenen als sachlich nicht mehr gerechtfertigt oder unverhältnismäßig darstellt. Durch die Anknüpfung des gesetzlichen Entschädigungsanspruchs an die Verletzung konventions- und verfassungsrechtlicher Normen wird deutlich gemacht, dass die durch die lange Verfahrensdauer verursachte Belastung einen gewissen Schweregrad erreichen muss. Es reicht nicht jede Abweichung von einer optimalen Verfahrensführung aus (BGH, Urteil vom 13.02.2014 – III ZR 311/13 -). Allerdings verdichtet sich mit zunehmender Verfahrensdauer die gerichtliche Pflicht, sich nachhaltig um eine Förderung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen (BVerfG, Beschluss vom 20.09.2007 – 1 BvR 775/07 -; BGH, Urteil vom 12.02.2015 – III ZR 141/14 -)
Eine gleichzeitige inhaltlich tiefgehende Bearbeitung sämtlicher Verfahren, die bei einem Gericht anhängig oder einem Spruchkörper bzw. Richter zugewiesen sind, ist schon aus tatsächlichen Gründen nicht möglich und wird auch von Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3 GG bzw. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK nicht verlangt (vgl. BGH, Urteil vom 12.02.2015 – III ZR 141/14 -; Urteil vom 13.02.2014 – III ZR 311/13 -; BSG, Urteil vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 12/13 R -; BFH, Urteil vom 07.11.2013 – X K 13/12 -). Gerichte sind überdies wegen des Verfassungsgrundsatzes der richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) berechtigt, unter Beachtung des Gebots effektiven Rechtsschutzes einzelne (ältere und jüngere) Verfahren aus Gründen eines sachlichen, rechtlichen, persönlichen oder organisatorischen Zusammenhangs zu bestimmten Gruppen zusammenzufassen oder die Entscheidung einer bestimmten Sach- oder Rechtsfrage als dringlicher anzusehen als die Entscheidung anderer Fragen, auch wenn eine solche zeitliche "Bevorzugung" einzelner Verfahren jeweils zu einer längeren Dauer anderer Verfahren führt (BSG, Urteil vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 2/13 R -). Inhaltliche Richtigkeit geht wegen Art. 20 Abs. 3 GG vor Schnelligkeit. Die gerichtliche Entscheidung ergeht idealerweise richtig und schnell. Immer aber muss sie richtig sein. Nimmt ein Richter infolge hoher Belastung oder Überlastung billigend in Kauf, zwar schnell, möglicherweise aber unrichtig zu entscheiden, verstößt er gegen die Vorgaben des Art. 20 Abs. 3 GG und ist infolge der durch Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 6 Abs. 1 EMRK postulierten Anforderungen an die Qualität richterlicher Tätigkeit ggf. nicht mehr (gesetzlicher) Richter i.S.d. Art. 92 Satz 1 GG bzw. Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG. Je nach Bedeutung und Zeitabhängigkeit des Rechtsschutzziels und abhängig von der Schwierigkeit des Rechtsstreits sowie vom Verhalten des Rechtsschutzsuchenden sind diesem daher gewisse Wartezeiten zuzumuten. Grundsätzlich muss jedem Gericht eine ausreichende Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit zur Verfügung stehen (BGH, Urteil vom 12.02.2015 – III ZR 141/14 -, Urteil vom 13.03.2014 – III ZR 91/13 -; BSG, Urteil vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 2/13 R -; OLG Frankfurt, Urteil vom 14.01.2015 – 4 EK 3/14 -), um dem Richtigkeitsgebot als dem wesentlichen Element des Justizgewährungsanspruchs Rechnung tragen zu können.
Unerheblich ist in diesem Kontext, ob das SG das Verfahren aus Sicht ex-post (hierzu BT-Drucks.17/3802, S. 18) optimal gefördert hat. Es ist nicht die Aufgabe des Entschädigungsgerichts, jede richterliche Verfahrenshandlung darauf zu überprüfen, ob und inwieweit sie sich ex-post als verfahrensfördernd oder -hemmend darstellt. Anspruchsauslösend sind vom Haftungssubjekt zu vertretenes Systemversagen und/oder strukturelle Defizite (zutreffend LSG Hessen, Urteil vom 06.02.2013 – L 6 SF 6/12 EK U -; hierzu auch LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 22.07.2014 – L 12 SF 47/13 EK U WA – zu strukturellen Defiziten der Sozialgerichtsbarkeit des Landes Mecklenburg-Vorpommern), nicht aber etwaige richterliche Pflichtwidrigkeiten (hierzu BT-Drucks. 17/3802, S. 19). Schon im Ansatz verfehlt sind daher Überlegungen danach, richterliche Verfahrensgestaltung auf "Vertretbarkeit" mit der Folge zu prüfen ist, dass eine nicht vertretbare Maßnahme entschädigungsrelevant ist. Abgesehen davon, dass sich insoweit eine Kollisionslage mit Art. 97 Abs. 1 GG und § 26 Deutsches Richtergesetz (DRiG) ergeben kann (hierzu mit Blick auf die Untätigkeitsbeschwerde Bäcker, EuGRZ 2011, 222, 224 und Kroppenberg, ZZP 119 (2006), 177, 196 f.; zum weiten richterlichen Gestaltungsspielraum siehe auch BGH, Urteil vom 13.03.2014 – III ZR 91/13 -), verkennen die eine schlichte Vertretbarkeitsprüfung präferierenden Entscheidungen (z.B. OLG Brandenburg, Beschluss vom 04.12.2013 – 11 EK 4/13 (PKH) -; OLG Frankfurt, Urteil vom 10.07.2013 – 4 EntV 3/13 -, nachgehend BGH, Urteil vom 10.02.2014 – III ZR 335/13 -) Sinn- und Zweck der §§ 198 ff. GVG. Im Gegensatz zum Amtshaftungsanspruch nach § 839 BGB knüpft der Entschädigungsanspruch des § 198 GVG nicht an Handlungs- sondern an Erfolgs"unrecht" an. Damit verbietet sich jede Prüfung richterlicher Verfahrensgestaltung dahin, ob sie (noch) vertretbar ist. Im Übrigen werden die vom BGH entwickelten Vertretbarkeitsmaßstäbe verkannt. Mitnichten prüft der BGH richterliche Verfahrenshandlungen auf "schlichte" Vertretbarkeit. Die vom BGH verwendete Formel lautet vielmehr:
"Dem Gericht muss in jedem Fall eine ausreichende Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit zur Verfügung stehen, die der Schwierigkeit und Komplexität der Rechtssache angemessen Rechnung trägt. Zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ist ihm ein weiter Gestaltungsspielraum zuzubilligen ( …). Dementsprechend wird die Verfahrensführung des Richters im nachfolgenden Entschädigungsprozess nicht auf ihre Richtigkeit, sondern nur auf ihre Vertretbarkeit überprüft. Letztere darf nur verneint werden, wenn bei voller Würdigung auch der Belange einer funktionstüchtigen Rechtspflege das richterliche Verhalten nicht mehr verständlich ist (Senatsurteile vom 4. November 2010 – III ZR 32/10, BGHZ 187, 286 Rn. 14; vom 5. Dezember 2013 aaO Rn. 45 f und vom 13. Februar 2014 – III ZR 311/13, juris Rn. 30)."
Diese qualifizierte Vertretbarkeitskontrolle ("nicht mehr verständlich") ist ein offenkundiges aliud zur gelegentlich vorausgesetzten, Sinn und Zweck des Entschädigungssystems der §§ 198 ff. GVG allerdings verkennenden schlichten Vertretbarkeitsprüfung (hierzu auch Senat, Urteile vom 25.11.2015 – L 11 SF 215/15 EK R -, 15.04.2015 – L 11 SF 546/14 EK KR -, 22.04.2015 – L 11 SF 667/14 EK R -, 27.08.2014 – L 11 SF 155/13 EK SO -).
Auch Art. 97 Abs. 1 GG verlangt eine äußerst zurückhaltende Prüfung der Verfahrensgestaltung des Ausgangsgerichts. Losgelöst von der Frage, ob und inwieweit Entscheidungen des Entschädigungsgerichts die richterliche Unabhängigkeit des für das Ausgangsverfahren zuständigen Richters beeinträchtigen können, sind die Gewährleistungen des Art. 97 Abs. 1 GG und des Art. 19 Abs. 4 GG, letztere als Anspruch auf eine richtige Entscheidung in angemessener Zeit, in praktischer Konkordanz zu gewichten. Eine in richterlicher Unabhängigkeit getroffene und von Art. 97 Abs. 1 GG gedeckte zeitzehrende Maßnahme kann hiernach keinen Entschädigungsanspruch auslösen. Das wäre nicht nur ein Widerspruch in sich, wäre vielmehr nicht mehr von Art. 19 Abs. 4 GG gedeckt. Der Justizgewährungsanspruch greift nicht absolut und allumfassend. Er wird in seiner inhaltlichen Reichweite durch andere Verfassungssätze begrenzt. Hierzu rechnet die Gewährleistung der richterlichen Unabhängigkeit (zum Spannungsverhältnis von Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 97 Abs. 1 GG s. BGH, Urteil vom 05.12.2013 – III ZR 73/13 -; vgl. auch BFH, Urteil vom 07.11.2013 – X K 13/12 – BVerwG, Urteil vom 11.07.2013 – 5 C 23/12 D -). Das Haftungssystem der §§ 198 ff. GVG strebt eine praktische Konkordanz zwischen effektivem Rechtsschutz, richterlicher Unabhängigkeit und Schutz der Justiz vor unnötigen Belastungen an (hierzu Steinbeiß-Winkelmann, ZRP 2010, 205; Roller, DRiZ-Beilage Juni 2012, 1, 2; zur Gemengelage der unterschiedlichen Interessen ausführlich die Gesetzesbegründung in BT-Drucks. 17/3802, S. 16 unter Gliederungspunkt 5.). Erst wenn das Gericht den Schutzbereich der richterlichen Unabhängigkeit verlässt, kann dies entschädigungsrelevant werden. Im Kernbereich der Rechtsprechung sind der Dienstaufsicht nach den Maßgaben der §§ 25, 25 Deutsches Richtergesetz (DRiG) lediglich offensichtliche, jedem Zweifel entrückte Fehlgriffe oder offensichtlich unvertretbare Entscheidungen zugänglich (BGH, Urteile vom 04.06.2009 – RiZ (R) 5/08 -, vom 14.04.1997 – RiZ (R) 1/96 -, vom 12.10.1995 – RiZ (R) 2/95 -). Das etwa ist dann der Fall, wenn der Richter eine abwegige, schlechterdings nicht mehr vertretbare und weder von der Rechtsprechung noch in der veröffentlichen Fachliteratur vertretene Rechtsauffassung seiner Entscheidung zugrunde legt (zum "offenkundigen Fehlgriff" s. BGH, Urteil vom 12.10.1995 – RiZ (R) 2/95 -; hierzu auch Dienstgericht Bremen, Beschluss vom 17.06.2005 – DG 1/04, DG 1/04 -; vertiefend zu Evidenzverstößen Hillgruber, in Maunz-Dürig, GG, 74. Lieferung, Mai 2015. Art. 97 Rdn. 83 ff.). Entschädigungsrelevant ist eine zeitzehrende Verfahrensgestaltung daher nur, wenn das Handeln oder Unterlassen des Gerichts nicht mehr von Art. 97 Abs. 1 GG gedeckt ist, es also offenkundig fehlsam oder offenkundig unvertretbar agiert.
Soweit das BSG im Urteil vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 12/13 R – über eine reine Vertretbarkeitsprüfung weit hinausgeht und die Beweisaufnahme des Ausgangsgerichts moniert (zutreffend krit. hierzu Stotz, jurisPR-SozR 10/2015 Anm. 1), erachtet der Senat dies aus vorgenannten Gründen als rechtlich nicht tragbar. Der Senat tritt stattdessen dem BGH bei, der im Urteil vom 12.02.2015 – III ZR 141/14 – ausgeführt hat (vgl. auch LSG Bayern, Urteil vom 23.05.2014 – L 8 SF 22/12 EK -): "Zutreffend hat das OLG es abgelehnt, im Entschädigungsprozess die Erforderlichkeit der angeordneten Beweisaufnahme zu überprüfen." Hiernach verbleibt es dabei, dass nur ein "offenkundig fehlsames" oder "nicht mehr verständliches Verhalten" des Ausgangsgerichts entschädigungsrelevant sein kann (vgl. auch LSG Bayern, Urteil vom 23.05.2014 – L 8 SF 22/12 EK -).
(3) Das beklagte Land Nordrhein-Westfalen als verantwortlicher Justizgewährungsträger und Haftungssubjekt ist zwar verpflichtet, die Justiz so zu organisieren und mit Personal und sächlichen Mitteln auszustatten, dass die Gerichte in der Lage sind, Rechtsschutz in einer den Vorgaben von Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK entsprechender Weise inhaltlich richtig und zeitnah zu gewähren. Versäumt das Land, entsprechende Ressourcen zur Verfügung zu stellen, haftet es nach § 198 Abs. 1 GVG für die dem jeweiligen Beteiligten entstandenen materiellen und/oder immateriellen Nachteile. Andererseits ist das Land nicht verpflichtet, so große Gerichtskapazitäten vorzuhalten, dass jedes anhängige Verfahren sofort und ausschließlich von einem Richter bearbeitet werden kann. Aus dem Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Zeit folgt kein Recht auf sofortige Befassung des Gerichts mit jedem Rechtsschutzbegehren und dessen unverzügliche Erledigung. Bereits aus nachvollziehbaren Gründen der öffentlichen Personalwirtschaft ist es gerichtsorganisatorisch mitunter unvermeidbar, Richtern oder Spruchkörpern einen relativ großen Bestand an Verfahren zuzuweisen (BSG, Urteil vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 2/14 R -; BFH, Urteil vom 07.11.2013 – X K 13/12 -). Hingegen vermag eine hohe Belastung des zuständigen Gerichts eine lange Verfahrensdauer nicht zu rechtfertigen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.08.2010 – 1 BvR 331/10 -). Um einer Überlastung der Gerichte vorzubeugen und ihr dort, wo sie eintritt, rechtzeitig abzuhelfen, haben Landesregierung und Haushaltsgesetzgeber vielmehr die dafür erforderlichen – personellen wie sächlichen – Mittel aufzubringen, bereitzustellen und einzusetzen (BVerfG, Beschluss vom 12.12.1973 – 2 BvR 558/73 -; Verfassungsgericht des Landes (LVerfG) Brandenburg, Urteil vom 17.12.2009 – VfGBbg 30/09 – und Beschluss vom 13.04.2012 – VfGBbg 54/11 – zu Art. 52 Abs. 4 der Landesverfassung). Dies lässt sich mit dem LVerfG Brandenburg (Beschluss vom 20.03.2003 – 108/02 -) wie folgt konkretisieren:
"Und Landesregierung und Haushaltsgesetzgeber haben zu akzeptieren, dass die Personalausstattung der Gerichte die Einlösung des Grundrechts auf ein zügiges Verfahren vor Gericht ermöglichen muss und dass es sich dabei um einen staatlichen Auftrag handelt, der manchen anderen staatlichen Aufgaben eben deshalb vorgeht, weil ein Grundrecht in Frage steht; Grundrechte ‚binden‘ auch die Regierung und die Gesetzgebung (s. Art. 5 Abs. 1 LV im Einklang mit Art. 1 Abs. 2 Grundgesetz) und stehen damit nicht oder nur bedingt unter dem ‚Vorbehalt des Möglichen‘."
Für das Land Nordrhein-Westfalen als verantwortlicher Justizgewährungsgarant dafür, dass die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit des Landes in einer den verfassungs- und konventionsrechtlichen Vorgaben ausgestattet sind, gilt nichts anderes. Dieser Verpflichtung ist das Land vorliegend nachgekommen.
dd) In Anwendung vorgenannter rechtliche Maßstäbe ergibt sich:
(1) Die entschädigungsrelevante Dauer des Verfahrens S 2 SB 138/09 beginnt mit der Einleitung des Verfahrens durch Klageerhebung am 17.04.2009 und endet mit Vergleich vom 23.06.2010. Der materiell-rechtliche Bezugsrahmen (§ 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG) beläuft sich mithin auf rund 14 Monate. Etwaige Lücken sind nicht ersichtlich und nicht aufgezeigt. Ob und inwieweit das SG das Verfahren infolge einer anderen Verfahrensgestaltung hätte beschleunigen können, ist irrelevant. Ein "offenkundig fehlsames" oder "nicht mehr verständliches Verhalten" des SG ist nicht ersichtlich und vom Kläger auch nicht aufgezeigt worden (zur Substantiierung des Klagevorbringens siehe auch OLG Köln, Urteil vom 21.03.2013 – 7 SchH 5/12 -).
Rechtlich erhebliche Säumnisintervalle hat der Kläger nicht dargelegt (zur Substantiierung des Klagevorbringens siehe auch OLG Köln, Urteil vom 21.03.2013 – 7 SchH 5/12 -). Sie liegen auch – offenkundig – nicht vor. Zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ist dem Gericht ein weiter Gestaltungsspielraum zuzubilligen, der es ihm ermöglicht, dem Umfang und der Schwierigkeit der einzelnen Rechtssachen ausgewogen Rechnung zu tragen und darüber zu entscheiden, wann es welches Verfahren mit welchem Aufwand sinnvollerweise fördern kann und welche Verfahrenshandlungen dazu erforderlich sind. So ist jedes Gericht berechtigt, einzelne (ältere und jüngere) Verfahren aus Gründen eines sachlichen oder rechtlichen Zusammenhangs zu bestimmten Gruppen zusammenzufassen oder die Entscheidung einer bestimmten Sach- oder Rechtsfrage als vordringlich anzusehen, auch wenn ein solches "Vorziehen" einzelner Verfahren zu einer längeren Dauer anderer Verfahren führt. Eine gleichzeitige inhaltlich tiefgehende Bearbeitung sämtlicher Verfahren ist aus tatsächlichen Gründen nicht möglich und wird auch von Art. 19 Abs. 4 und 20 Abs. 3 GG beziehungsweise Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK nicht verlangt. Erst wenn die Verfahrenslaufzeit in Abwägung mit den weiteren Kriterien im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG auch bei Berücksichtigung dieses Gestaltungsspielraums nicht mehr verständlich ist, liegt eine unangemessene Verfahrensdauer vor. Das BSG hat dies für den Bereich der Sozialgerichtsbarkeit dahin gehend konkretisiert, dass dem Ausgangsgericht bei Verfahren mit etwa durchschnittlicher Schwierigkeit und Bedeutung eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit von bis zu zwölf Monaten eingeräumt werden könne, so dass insoweit inaktive Zeiten unschädlich seien und nicht zu einer unangemessenen Verfahrensdauer beitragen, selbst wenn sie nicht durch konkrete Verfahrensförderungsschritte begründet und gerechtfertigt werden könnten (BSG, Urteile vom 05.05.2015 – B 10 ÜG 8/14 R -, 12.02.2015 – B 10 ÜG 7/14 R -, 12.02.2015 – B 10 ÜG 11/13 R -, 03.09.2014 – B 10 ÜG 2/13 R -).
Die methodische Herleitung des vom BSG konstruierten Orientierungsrahmens überzeugt weniger (ansatzweise krit. hierzu Loytved, jM 2015, 167, 169 und Stotz, jurisPR-SozR 10/2015 Anm. 1; deutliche Kritik äußert Steinbeiß-Winkelmann, SGb 2015, 405, 406 ff.) und beruht wohl auf einem zu engen Verständnis der den Sozialgerichten zugewiesenen Zuständigkeiten (hierzu der Katalog des § 51 SGG), wie der BFH zutreffend wie folgt anmerkt (Urteil vom 02.12.2015 – X K 7/14 -): "Da Gegenstand der BSG-Verfahren vor allem die Gewährung von existenzsichernden Leistungen ist, sind die Aussagen des BSG zur Vorbereitungs- und Bedenkzeit des Gerichts von insgesamt zwölf Monaten, die im Übrigen nicht zu einer Gesamtverfahrensdauer von lediglich zwölf Monaten führen, vor diesem Hintergrund zu sehen."
Ausgehend von dem je Instanz anzusetzenden Orientierungsrahmen des BSG von einem Jahr, wäre eine Verfahrensdauer – wie hier – von rund 14 Monaten problematisch. Nimmt man hingegen mit dem BVerwG und dem BGH an, dass in Anlehnung an die Rechtsprechung des EGMR zur Art. 6 Abs. 1 EMRK und des BVerfG zu Art. 19 Abs. GG und ausgehend vom durch die Gesetzesbegründung gestützten Wortlaut des § 198 Abs. 1 GVG keine "Orientierungsrahmen" gibt, vielmehr im Einzelfall nach Maßgabe der konkreten Umstände zu prüfen ist, ob einen unangemessene Verfahrensdauer vorliegt (hierzu BGH, Urteil vom 13.03.2014 – III ZR 91/13 -; Urteil vom 05.12.2013 – II ZR 73/13 -; BVerwG, Urteil vom 11.07.2013 – 5 C 27/12 D -; Urteil vom 11.07.2013 – 5 C 23/12 D -), scheitert der Anspruch des Klägers schon hier. Verzögerungsrelevante Bearbeitungslücken sind der Streitakte nicht zu entnehmen. Auf die Klage hat das SG die einmal erinnerte Klageerwiderung abgewartet, sodann Befundberichte von behandelnden Ärzten beigezogen, eine Beweisanordnung erlassen (21.10.2009), das am 04.01.2010 vorgelegte Gutachten vom 21.12.2009 den Beteiligten mit Verfügung vom 06.01.2010 zur Kenntnis und Stellungnahme zugeleitet und das Vergleichsangebot des seinerzeitigen Beklagten vom 09.02.2010 dem Kläger am 16.02.2010 weitergereicht. Auf dessen Ablehnung (Schreiben vom 27.02.2010) wurde dem ihm nachgelassen, einen Sachverständigen nach § 109 SGG zu benennen (Verfügung vom 02.03.2010). Der Kläger verzichtete hierauf (Schreiben vom 12.03.2010), woraufhin das SG die Sache am 18.03.2010 zur Sitzung schrieb und am 21.04.2010 zum Termin 02.06.2010 lud. Der Kläger erschien im Termin nicht, übersandte vielmehr eine am 02.06.2010 beim SG eingegangene Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Das führte zu einer Vertagung auf den 23.06.2010 mit dem Bemerken, die Verhängung eines Ordnungsgeldes bleibe vorbehalten.
Das SG hat das Verfahren hiernach stringend geführt. Rechtserhebliche Lücken sind nicht ausmachen. Die Phase zwischen Beweisanordnung (21.10.2009) und Vorlage des Gutachtens (04.01.2010) ist eher knapp bemessen. Ungeachtet dessen wird der vom BSG angenommene Orientierungsrahmen um ca. zwei Monate überschritten, was mit dem BFH (a.a.O.) belegt, dass das BSG lediglich Verfahren, in denen es um existenzsichernde Leitungen geht, im Blick hatte. Letztlich greift der Orientierungsrahmen hier schon deswegen nicht, weil zeitzehrender Sachverständigenbeweis erhoben wurde.
Im Übrigen ist bei der Gesamtabwägung zu berücksichtigen: Der Streitstoff des Ausgangsverfahrens war infolge medizinischer Beweiserhebung einschließlich mehrerer Beiakten eher umfangreich. Andererseits beschränkte sich das Vorbringen der Beteiligten auf wenige Seiten mit substanziell unergiebigem Inhalt. Das Ausgangsverfahren wies rechtlich und tatsächlich eine tendenziell mittlere Schwierigkeit auf (Feststellung des GdB aufgrund medizinischer Beweiserhebung). Die Bedeutung des Verfahrens für den Kläger kann durch wirtschaftliche, ideelle oder sonst berechtigte Interessen geprägt werden. Vielfach lassen sich dem aus Antrag und Klagegrund bestimmten prozessualen Streitgegenstand hinreichende Anhaltspunkte für die Bedeutung des Verfahrens für den Kläger entnehmen. Das Verfahren um Feststellung oder Höherbewertung eines GdB hat hingegen abstrakten Charakter. Infolge der Konzeption des SGB IX kann ein GdB gleichsam "auf Vorrat" festgestellt werden. Das dahinter liegende Interesse muss grundsätzlich weder im Statusfeststellungsverfahren (§ 2 SGB IX) noch im Gerichtsverfahren dargelegt werden (hierzu BSG, Urteil vom 16.02.2012 – B 9 SB 1/11 R -; Urteil vom 07.04.2011 – B 9 SB 3/10 R -). Vorliegend hat der Kläger hinsichtlich des Verfahrens S 2 SB 138/09 als behinderungsbedingt auszugleichende Nachteile "zusätzliche Urlaubstage, ADAC, Bafög, Gerichtskosten, außergerichtliche Kosten usw." benannt. Aus verobjektivierter Sicht sind diese Momente von mittlerer Wertigkeit. Überdies stand kein eilbedürftiger, z.B. auf Existenzsicherung gerichteter Anspruch in Streit. Damit verbleibt es dabei, eine allenfalls mittelgradige Bedeutung annehmen zu können. Die Beweislast liegt beim Kläger. Seine Mitwirkung am Verfahren war im Übrigen wenig förderlich.
Davon ausgehend hat das Verfahren S 2 SB 138/09 angemessen gedauert.
(2) Das Verfahren L 13 SB 235/10 B dauerte vom 23.08.2010 (Beschwerde) bis Zustellung des Beschlusses des LSG vom 13.04.2011 – L 13 SB 235/10 B – am 19.05.2011. Damit erübrigen sich jede Ausführungen zur Frage, ob das Verfahren unangemessen dauerte.
(3) Für das Verfahren S 2 SB 3517/11 gilt: Es wurde am 06.12.2011 eingetragen und endete infolge Erledigungserklärung im Erörterungstermin vom 18.01.2012. Dieser Zeitraum ist zu erweitern, denn tatsächlich hat der Kläger schon mit Schreiben vom 07.02.2011 das Verfahren eingeleitet. Da sein Begehren hieraus nicht deutlich wurde, hat das SG mehrfach nachgefragt und dann Erörterungstermin auf den 18.01.2012 angesetzt. Jedwede Verzögerung geht insoweit zu Lasten des Klägers. Das Land haftet hierfür nicht.
(4) Wird contra legem angenommen, dass die drei Verfahren infolge inhaltlichen Zusammenhangs ein Gerichtsverfahren i.S.d. § 198 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG darstellen, ändert sich nicht. Das übergreifende Verfahren begann am 17.04.2009 (S 2 SB 138/09), endete am 18.01.2012 (S 2 SB 351/11), dauerte mithin rund 2 ¾ Jahre. Der Orientierungsrahmen des BSG wäre dennoch nicht überschritten. Für die Verfahren S 2 SB 138/09, L 13 SB 235/10 B und S 2 SB 351/11 wäre jeweils ein Jahr anzusetzen. Ohnehin könnte erwogen werden, das komplette Verfahren S 2 SB 351/11 herauszunehmen. Dieses war nicht nur überflüssig, es war unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt mehr nachvollziehbar und letztlich schlicht unsinnig. Das geht zu Lasten des Klägers und nicht des Landes.
ee) Nach alledem vermag der Senat nicht festzustellen, dass die Ausgangsverfahren unangemessen gedauert haben.
ff) Eine Feststellung nach § 198 Abs. 4 GVG scheidet vor diesem Hintergrund aus.
Demnach konnte die Klage keinen Erfolg haben.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung; danach hat der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Erstellt am: 27.06.2016
Zuletzt verändert am: 27.06.2016