Auf Rev. des Bekl. wird Urteil des LSG aufgehoben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückgewiesen.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts vom 23.01.2015 geändert. Der Bescheid vom 12.10.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.10.2012 wird aufgehoben, soweit der Beklagte die Aufrechnung erklärt. Der Beklagte hat die Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen eine Aufrechnung mit Ansprüchen des Beklagten aus einem Mietkautionsdarlehen gegen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts.
Der am 00.00.1987 geborene Kläger, der zur Zeit Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bezieht, befand sich bis zum 30.09.2012 in einer stationären Maßnahme der Evangelischen Jugendhilfe N gGmbH. Am 21.08.2012 beantragte er Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bei dem Beklagten. Er legte ein Mietangebot der M Wohnen NRW GmbH über eine 42 qm große Wohnung in der E-straße 00, N, vor. Hierin waren eine Grundmiete iHv 188,80 EUR sowie Betriebskostenvorauszahlungen iHv 69 EUR (gesamt 257,80 EUR) ausgewiesen. Der Beklagte bestätigte gegenüber dem Kläger die Angemessenheit der Unterkunftskosten. Am 05.09.2012 schlossen der Kläger und die M Wohnen den Mietvertrag, der Kläger war verpflichtet, eine Mietkaution iHv 566 EUR zu entrichten. Nachdem der Kläger mitgeteilt hatte, dass zusätzliche Kosten für Wärmeversorgung iHv 61 EUR monatlich anfallen, bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 17.09.2012 für die Zeit ab 01.10.2012 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts iHv 692,80 EUR (Leistungen zur Deckung des Regelbedarfs: 374 EUR, Kosten für Unterkunft und Heizung: 318,80 EUR) monatlich. Am 01.10.2012 bezog der Kläger die Wohnung.
Am 13.09.2012 beantragte der Kläger die Übernahme der Mietkaution als Zuschuss. Mit Bescheid vom 14.09.2012 lehnte der Beklagte den Antrag ab. § 22 Abs. 6 SGB II sehe nur eine Übernahme der Mietkaution als Darlehen vor. Den gegen diesen Bescheid erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Bescheid vom 27.09.2012 zurück. Eine Mietkaution solle gem. § 22 Abs. 6 Satz 3 SGB II als Darlehen erbracht werden. Die Vorschrift räume der Behörde bezüglich der Gewährung als Darlehen oder Beihilfe keinen Ermessensspielraum ein. Eine Gewährung als Beihilfe sei daher nicht möglich. Am 28.09.2012 erhob der Kläger bei dem Sozialgericht Dortmund Klage mit dem Antrag, den Beklagten zu Bewilligung der Kaution als Zuschuss zu verurteilen. Mit Urteil vom 23.01.2015 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Mit rechtskräftigem Urteil vom 25.08.2016 – L 7 AS 432/15 hat der Senat die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
Mit Schreiben vom 21.09.2012 erklärte der Kläger, hilfsweise mit der Bewilligung der Leistung für die Mietkaution als Darlehen einverstanden zu sein. Bei einer persönlichen Vorsprache am 12.10.2012 erklärte er sich schriftlich mit einer Aufrechnung iHv 10% der "geltenden Regelleistung" einverstanden. Gleichzeitig ließ der Beklagte sich zur Sicherung der Rückzahlung des Darlehens alle Ansprüche des Klägers gegen Dritte abtreten.
Mit Bescheid vom 12.10.2012 bewilligte der Beklagte dem Kläger "im Hinblick auf die Ihnen erteilte Zusicherung zu den Aufwendungen für die neue Wohnung und die Zusicherung für die Übernahme einer Mietkaution" ein Darlehen iHv 566 EUR. Weiter wird in dem Bescheid ausgeführt: "Sie haben sich mit Erklärung vom 12.10.2012 mit der Aufrechnung Ihrer Leistungsansprüche mit der gegen Sie bestehenden Forderung aus dem Darlehensvertrag einverstanden erklärt. Die Aufrechnung erfolgt ab 1. November 2012 in monatlichen Raten von 10% der maßgeblichen Regelleistung (aktuell 37,40 Euro)."
Am 19.10.2012 legte der Kläger gegen den Bescheid vom 12.10.2012 Widerspruch ein. Er wandte sich nochmals gegen die darlehensweise Bewilligung "und die damit verbundene Aufrechnung".
Mit Widerspruchsbescheid vom 25.10.2012 wies der Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 12.10.2012 zurück. Er begründete die Bewilligung der Mietkaution als Darlehen und führte zudem aus: "Die Aufrechnung des Darlehensrückzahlungsanspruchs mit 37,40 monatlich ab dem 01.11.2012 entspricht § 42a SGB II. Der Widerspruchsführer hat zZt einen monatlichen Anspruch auf Regelleistungen iHv 374, 00. Zehn Prozent hiervon entsprechen 37,40."
Der Beklagte zahlte die Kaution am 29.10.2012 an den Kläger aus.
Am 31.10.2012 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Dortmund erhoben. Nachdem er zunächst moniert hatte, die Regelsätze seien verfassungswidrig, hat er zuletzt in der mündlichen Verhandlung am 23.01.2015 beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 12.10.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.10.2012 insoweit aufzuheben, als darin eine Aufrechnung verfügt wurde.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat ab 01.11.2012 iHv 10% der Regelleistung (37,40 EUR) monatlich aufgerechnet. Da der Kläger nicht über den Regelbedarf übersteigendes anzurechnendes Einkommen verfügte, erfasste die Aufrechnung in voller Höhe die Regelleistung. Unter dem Aktenzeichen S 58 AS 4466/12 ER hat der Kläger bei dem Sozialgericht Dortmund einstweiligen Rechtsschutz gegen die Aufrechnung ab 01.11.2012 beantragt. In diesem Verfahren hat der Beklagte die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Aufrechnungsbescheid anerkannt und sich verpflichtet, die bereits einbehaltenen Beträge für November 2012 und Dezember 2012 wieder auszuzahlen. Eine weitere Aufrechnung oder eine anderweitige Rückzahlung des Darlehens sind bislang nicht erfolgt.
Mit Urteil vom 23.01.2015 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es hat insbesondere verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Anwendung der Aufrechnungsvorschrift auf Mietkautionsdarlehen zurückgewiesen. Das Sozialgericht hat die Berufung zugelassen.
Gegen diese am 27.02.2015 zugestellte Entscheidung richtet sich die am 03.03.2015 erhobene Berufung des Klägers, mit der er den Anfechtungsantrag gegen die Aufrechnung weiter verfolgt. Er hält die Aufrechnung wegen eines Mietkautionsdarlehens für verfassungswidrig.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 23.01.2015 zu ändern und den Bescheid vom 12.10.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.10.2012 aufzuheben, soweit der Beklagte die Aufrechnung erklärt.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er ist der Auffassung, zur Aufrechnung wegen der nur als Darlehen zu bewilligenden Mietkaution ermächtigt zu sein und hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte, die beigezogene Verwaltungsakte sowie die beigezogene Gerichtsakte L 7 AS 432/15 verwiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Das Sozialgericht hat die zuletzt allein gegen die Aufrechnung gerichtete Klage zu Unrecht abgewiesen. Die Aufrechnung ist rechtswidrig iSd § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG und aufzuheben.
Streitgegenstand des Verfahrens ist die mit Bescheid vom 12.10.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.10.2012 durch Verwaltungsakt (§ 42a Abs. 2 Satz 3 SGB II) erklärte Aufrechnung, gegen die der Kläger sich zutreffend mit der Anfechtungsklage (hierzu BSG Urteil vom 17.02.2015 – B 14 AS 1/14 R) wendet. Nicht Streitgegenstand ist der Anspruch auf Bewilligung der Kaution als Zuschuss, da der Senat die Berufung gegen das insoweit klageabweisende Urteil rechtskräftig zurückgewiesen hat. Zwischen den Beteiligten steht damit bindend fest, dass die Kautionsleistung nur als Darlehen zu bewilligen ist. Der Umstand, dass es aufgrund der Anerkennung der aufschiebenden Wirkung der Klage bislang nicht zu der verfügten Aufrechnung gekommen ist, steht der Zulässigkeit der Klage (Rechtsschutzbedürfnis) nicht entgegen. Wäre die Aufrechnung im gerichtlichen Verfahren bestätigt worden, wäre der Kläger nach den allgemeinen Grundsätzen des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet, die aufgrund der aufschiebenden Wirkung einbehaltenen Beträge zurückzuzahlen (BSG Urteil vom 09.03.1988 – 9/9a RV 24/85; Sächsisches LSG Beschluss vom 27.07.2006 – L 3 B 300/05 AS-ER). Zudem könnte der Beklagte, da der Kläger noch im Leistungsbezug steht, aufgrund des Bescheides vom 12.10.2012 nunmehr mit der Aufrechnung beginnen, bis der Darlehensbetrag zurückgeführt ist. Das Rechtsschutzbedürfnis würde nur dann fehlen, wenn der Beklagte die Rückzahlung der Kaution anderweitig erlangt hätte. Dies ist indes nicht der Fall.
Der Umstand, dass der Kläger am 12.10.2012 erklärt hat, mit der Aufrechnung einverstanden zu sein, steht weder dem Rechtsschutzbedürfnis für die Klage entgegen, noch begründet diese Erklärung die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung. Die Erklärung steht angesichts der vorher erfolgten Anfechtung der Bewilligung der Mietkaution lediglich als Darlehen erkennbar unter dem Vorbehalt einer im Übrigen gegebenen gesetzlichen Zulässigkeit der Aufrechnung. Als Verzicht auf einen Teil der Regelleistung wäre die Erklärung im Übrigen unwirksam (ausführlich BSG Urteil vom 22.03.2012 – B 4 AS 26/10 R).
Rechtsgrundlage für die Aufrechnung kann allein § 42 a Abs. 2 Satz 1 SGB II in der ab 01.04.2011 geltenden Fassung sein. Solange Darlehensnehmer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beziehen, werden nach dieser Vorschrift Rückzahlungsansprüche aus Darlehen ab dem Monat, der auf die Auszahlung folgt, durch monatliche Aufrechnung iHv 10% des maßgeblichen Regelbedarfs getilgt. Die Vorschrift ist durch Art. 2 Nr. 32 des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.03.2011 (BGBl I, 453) neu geschaffen worden und mit Wirkung zum 01.4.2011 in Kraft getreten. Eine unmittelbare Vorgängervorschrift zu § 42a SGB II existiert nicht. § 42a Abs. 2 SGB II ist an § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB II in der bis zum 31.12.2010 geltenden Fassung angelehnt. Diese Bestimmung bezog sich allein auf die monatliche Aufrechnung "in Höhe von bis zu 10 Prozent" bei Darlehen, die in Anwendung von § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB II aF (jetzt § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB II) gewährt wurden, dh auf Bedarfe, die den Regelleistungen zuzurechnen sind. Das den Leistungsträgern in § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB II aF noch eingeräumte Ermessen hinsichtlich der Höhe der Aufrechnung ist entfallen (zur Entstehungsgeschichte Bittner in: JurisPK SGB II, § 42a Rn. 2). Dogmatisch stellt die Vorschrift eine Regelung zur Fälligkeit der von der Bestimmung erfassten Darlehensrückzahlungsansprüche dar (Greiser in: Eicher, SGB II, 3. Aufl. § 42a Rn. 26; Bittner in: JurisPK, SGB II, § 42a Rn. 39). Die mit Wirkung ab 01.08.2016 vorgenommenen Änderungen von §§ 22, 42a SGB II berühren die hier maßgeblichen Vorschriften nicht.
Der Beklagte hat dem Kläger, der die Anspruchsvoraussetzungen für Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II unstreitig erfüllt hat, die Mietkaution gem. § 22 Abs. 6 2. Hs. SGB II (in der bis zum 31.12.2016 geltenden Fassung) zu Recht bewilligt. Die vorherige Zusicherung iSd § 22 Abs. 6 Satz 1 2. Hs. liegt in der Erklärung des Beklagten zur Angemessenheit der Unterkunftskosten, die in Kenntnis der Verpflichtung zur Zahlung einer Mietkaution erfolgte und diese umfasst. Die Mietkaution ist in der vom Beklagten übernommenen Höhe angefallen, sie übersteigt mit 566 EUR die Grenze des § 551 Abs. 1 BGB (in der bis zum 30.04.2013 geltenden Fassung) nicht. § 42a Abs. 2 Satz 1 SGB II ist indes auf Mietkautionsdarlehen gem. § 22 Abs. 6 Satz 1, 3 SGB II nicht anwendbar (zweifelnd auch BSG Beschluss vom 29.06.2015 – B 4 AS 11/15 R; offen gelassen bei BSG Urteil vom 25.06.2015 – B 14 AS 28/14 R).
Der Wortlaut von § 42a Abs. 2 Satz 1 SGB II ist offen und zwingt nicht zu einer Anwendung der Aufrechnung auf Mietkautionsdarlehen. Zwar spricht § 42a Abs. 2 Satz 1 SGB II generell von "Darlehensnehmern". Dies führt indes nicht zwingend zu der Annahme, dass alle Darlehensnehmer nach dem SGB II von der Bestimmung erfasst sind (aA Hölzer, info also 2011, 159 f, 163). § 42a SGB II selbst kennt aufrechnungsfreie Darlehen, auf die § 42a Abs. 2 Satz 1 SGB II nicht anwendbar ist, ohne dass dies ausdrücklich geregelt ist. Gem. § 42a Abs. 5 Satz 1 SGB II sind Rückzahlungsansprüche aus Darlehen nach § 27 Abs. 3 SGB II (Leistungen für Auszubildende) erst nach Abschluss der Ausbildung fällig. Ausdrücklich stellt diese Bestimmung nur eine Ausnahme von § 42a Abs. 4 Satz 1 SGB II (Fälligkeit des noch nicht getilgten Darlehensbetrags nach Beendigung des Leistungsbezugs) dar. Es ist jedoch anerkannt und auch in der Gesetzesbegründung angesprochen (BT-Drucks. 17/3404 S. 116), dass Darlehensleistungen an Auszubildende nicht der sofortigen Aufrechnung nach § 42a Abs. 2 Satz 1 SGB II unterliegen (Bernzen in: Eicher, SGB II, 3. Aufl., § 27 Rn. 71), obwohl die Vorschrift bei Annahme eines eindeutigen Wortlauts auch insoweit anwendbar wäre, da es sich auch bei den Leistungen nach § 27 Abs. 3 SGB II um Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts handelt (vgl. § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB II). Dem kann nicht entgegen gehalten werden, dass gem. § 42a Abs. 2 Satz 4 SGB II eine Aufrechnung nach § 42a Abs. 2 Satz 1 SGB II ohnehin ausscheidet, soweit Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts als Darlehen erbracht werden und Leistungen für Auszubildende gem. § 27 Abs. 3 Satz 1 SGB II als Darlehen erbracht werden. Denn auch bei Auszubildenden, die Leistungen als Darlehen nach § 27 Abs. 3 SGB II erhalten, kann es vorkommen, dass die Ausbildung unterbrochen wird (etwa durch Einlegung von Urlaubsemestern) und ein Anspruch auf Arbeitslosengeld II als Zuschuss entsteht, gegen den gem. § 42a Abs. 5 SGB II ebenfalls nicht aufgerechnet werden darf.
Es ist auch nicht etwa dem Wortlaut von § 42a Abs. 3 Satz 1 2. Hs. SGB II zwingend zu entnehmen, dass für Mietkautionsdarlehen eine Tilgung nach § 42a Abs. 2 Satz 1 SGB II gelten soll (so aber SG Köln Urteil vom 28.9.2012 – S 33 AS 1310/12; Greiser in: Eicher, SGB II, 3. Aufl. § 42a Rn. 27). Nach dieser Vorschrift werden Rückzahlungsansprüche aus Darlehen nach § 22 Abs. 6 SGB II bei Rückzahlung durch den Vermieter in Höhe des noch nicht getilgten Darlehensbetrags sofort fällig. Diese Bestimmung setzt nicht zwingend voraus, dass das Mietkautionsdarlehen durch Aufrechnung getilgt worden ist, da auch "freiwillige" Sonderzahlungen geleistet worden sein können. Vielmehr ermöglicht § 42a Abs. 3 Satz 1 2. Hs. SGB II im Gegenteil gerade die Auslegung, dass für Mietkautionsdarlehen eine (über § 42a Abs. 4 Satz 1 SGB II hinausgehende) gesonderte Fälligkeitsregelung besteht, die – wie im Fall des § 42a Abs. 5 Satz 1 SGB II – von der allgemeinen Regelung des § 42a Abs. 2 Satz 1 SGB II abweicht. Die Kritik, bei einer einschränkenden Auslegung von § 42a Abs. 2 Satz 1 SGB II ohne Anwendung dieser Vorschrift auf Mietkautionsdarlehen handele es sich um Gesetzesbruch (so Bittner in JurisPK SGB II, § 42a Rn. 44), geht damit fehl.
Die historische Auslegung unter Berücksichtigung der Umstände, die zur Einführung der Vorschrift geführt haben (hierzu nur Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 2. Aufl. 1992, S. 216), spricht nicht zwingend für die Anwendung von § 42a Abs. 2 Satz 1 SGB II auf Mietkautionsdarlehen:
Vor Inkrafttreten der Regelung des § 42a SGB II war einhellig anerkannt, dass Kautionsdarlehen nicht mit der laufenden Regelleistung getilgt werden dürfen (BSG Urteile vom 22.03.2012 – B 4 AS 26/10 R und vom 18.11.2014 – B 4 AS 3/14 R; LSG Hessen Beschluss vom 19.6.2006 – L 7 AS 150/06 ER; LSG Baden-Württemberg Beschluss vom 6.9.2006 – L 13 AS 3108/06 ER B; LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 28.9.2007 – L 1 B 37/07 AS; LSG Hessen Beschlüsse vom 5.9.2007 – L 6 AS 145/07 ER und vom 16.1.2008 – L 9 SO 121/07 ER; LSG Schleswig-Holstein Urteil vom 25.11.2009 – L 6 AS 24/09), da die Mietkaution dem Unterkunftsbedarf zuzurechnen ist und die Aufrechnungsbefugnis nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB II aF sich nur auf Sonderbedarfe bezog, die der Regelleistung zuzurechnen waren. Die Gesetzesbegründung spricht zwar davon, der neu geschaffene § 42a "schafft bislang fehlende Rahmenvorgaben für alle Darlehen im SGB II" (BT-Drucks. 17/3404 S. 115). Vor dem Hintergrund der einhelligen Ablehnung der Aufrechnungsmöglichkeit bei Mietkautionsdarlehen wäre eine Gesetzesbegründung aber allenfalls dann ein durchgreifendes Auslegungskriterium, wenn diese sich mit der bislang geltenden Rechtsauffassung auseinandersetzen würde und ausdrücklich ausführen würde, dass eine Abkehr von der bisherigen Rechtslage gewollt ist. Hierfür finden sich keine Anhaltspunkte. Zudem ist die Formulierung in der Gesetzesbegründung ohnehin nicht belastbar, da § 42a SGB II selbst zahlreiche Sonderregelungen für bestimmte Darlehen beinhaltet und damit gerade keine Rahmenregelung für alle Darlehensarten darstellt.
Auch die Begründung der regelmäßigen Beschränkung von Mietkautionen als Darlehen spricht gegen die angefochtene Aufrechnung. Hierzu hat der Gesetzgeber ausgeführt (BT-Drucks. 16/688 S. 14): "Der zuständige Leistungsträger soll eine Mietkaution grundsätzlich in Form eines Darlehens erbringen, da sich aus der Natur der Mietkaution bereits ergibt, dass diese im Regelfall an den Mieter zurückfließt. Insofern ist es im Regelfall nicht gerechtfertigt, die Kaution dem Hilfebedürftigen endgültig zu belassen." Die Einräumung einer Aufrechnungsmöglichkeit war vom Gesetzgeber nicht vorgesehen. Demgegenüber sieht die Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 15/1516 S. 57) zur Beschränkung von Leistungen zur Deckung besonderer Bedarfe als Darlehen (§ 23 Abs. 1 SGB II in der bis zum 31.12.2010 geltenden Fassung, jetzt § 24 Abs. 1 SGB II) ausdrücklich vor, dass das Darlehen durch monatliche Aufrechnung iHv 10 % getilgt werden soll.
Die weitere Gesetzesentwicklung enthält ebenfalls keine durchgreifenden Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber eine Anwendung von § 42a Abs. 2 Satz 1 SGB II auf Mietkautionsdarlehen anordnen wollte. Die Befugnis zur Bewilligung von Darlehen wurde durch das Neunte Gesetz zur Änderung des SGB II – Rechtsvereinfachung – mit Wirkung ab 01.08.2016 durch eine entsprechende Änderung von § 22 Abs. 6 Sätze 1 und 3 SGB II auf den Erwerb von Genossenschaftsanteilen erweitert. Die Gesetzesbegründung hierzu (BT-Drucks. 18/8041 S. 41) formuliert: "Durch die Zuordnung zu den Mietkautionen folgt, dass die Aufwendungen für den Erwerb von Genossenschaftsanteilen darlehensweise erbracht werden und einer folgenden Aufrechnung nach § 43 SGB II durch den für die neue Unterkunft örtlich zuständigen kommunalen Träger zugänglich sind. Das ist sachgerecht, weil die Genossenschaftsanteile in das (nicht verwertbare) Vermögen der leistungsberechtigten Person übergehen." Abgesehen davon, dass dem Wortlaut dieser Begründung nicht zu entnehmen ist, dass § 42a Abs. 2 Satz 1 SGB II gelten soll (ebenso Nguyen, SGb 2017, 202 f, 207), unterstellt die Gesetzesbegründung zu Unrecht eine Aufrechnungsbefugnis, die – wie dargelegt – durch den Wortlaut des Gesetzes nicht angeordnet wird. Hinzu kommt, dass auch die zitierte Gesetzesbegründung in erster Linie darauf abstellt, eine ungerechtfertigte Vermögensbildung zugunsten des Leistungsempfängers zu unterbinden. Dieser Gesetzeszweck wird bereits dadurch erreicht, dass Mietkaution und Genossenschaftsanteile lediglich als Darlehen erbracht werden.
Entscheidend gegen die Anwendung der Aufrechnungsermächtigung auf Mietkautionsdarlehen sprechen systematische und teleologische Erwägungen unter Berücksichtigung einer verfassungskonformen Interpretation:
Gem. § 42a Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Darlehen nur erbracht, wenn ein Bedarf weder durch Vermögen nach § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 1a und 4 noch auf andere Weise gedeckt werden kann. Die Aufrechnung nach § 42a Abs. 2 Satz 1 SGB II kann damit vom Betroffenen regelmäßig nicht durch Vermögenseinsatz abgewendet werden und sie erfasst – wie auch im vorliegenden Fall – regelmäßig die Leistungen zur Deckung des Regelbedarfs. Dieser umfasst gem. § 20 Abs. 1 Satz 1 SGB II insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie ohne die auf die Heizung und Erzeugung von Warmwasser entfallenden Anteile sowie persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens. Für die Neuermittlung der Regelbedarfe galt für den streitigen Zeitraum (Aufrechnung ab 01.11.2012) § 20 Abs. 5 Satz 2 SGB II in der bis zum 31.07.2016 geltenden Fassung iVm § 28 SGB XII in der bis zum 31.12.2016 geltenden Fassung in Verbindung mit dem Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz – RBEG. Nach § 5 RBEG waren für Alleinstehende zwar für Wohnen, Energie und Wohnungsinstandhaltung Aufwendungen vorgesehen. Die hierbei berücksichtigten Verbrauchsangaben betrafen jedoch ausdrücklich keine Mietaufwendungen iSd § 22 SGB II (BT-Drucks 17/3404 S. 55; so auch BSG Urteil vom 12.07.2012 – B 14 AS 153/11 Rn. 68), zu denen auch die Mietkaution gehört. Bei der Bemessung des Regelbedarfs waren damit Aufwendungen für Mietkautionen nicht berücksichtigt. Seit dem 01.01.2017 wird ausdrücklich gem. § 20 Abs. 1a SGB II der Regelbedarf in Höhe der jeweiligen Regelbedarfsstufe entsprechend § 28 SGB XII iVm dem RBEG und den §§ 28a und 40 SGB XII in Verbindung mit der für das jeweilige Jahr geltenden Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnung anerkannt. Nach wie vor gilt, dass unter § 22 SGB II fallende Aufwendungen nicht in den Regelbedarfsstufen abgebildet sind. Die Aufrechnung nach darlehensweiser Bewilligung einmaliger Bedarfe iSd § 24 Abs. 1 SGB II ist nach der gesetzlichen Konzeption das Spiegelbild zur eigentlich vorgesehenen Ansparung entsprechender Mittel und dient damit der Vermeidung einer ungerechtfertigten Bevorzugung von Personen, die – aus welchen Gründen auch immer – auf eine Ansparung verzichtet haben. Hiermit ist die Aufrechnung wegen einer Mietkaution nicht vergleichbar. Der Betroffene kann – anders als bei Bedarfen nach § 24 Abs. 1 SGB II – keine Rücklagen bilden, um diese anzusparen. Durch eine Aufrechnung würden seine Leistungen zur Deckung des Existenzminimums geschmälert, obwohl der Gesetzgeber selbst durch eine Trennung der Leistungen zur Deckung des Regelbedarfs und von Mehrbedarfen (§§ 20, 21 SGB II) einerseits und von Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung (§ 22 SGB II) andererseits (ausführlich zu Trennung dieser Bedarfe BSG Urteil vom 04.06.2014 – B 14 AS 42/13 R) nicht von wechselseitigen Bedarfsdeckungsmöglichkeiten ausgeht. Demzufolge werden die Leistungen zur Deckung des Regelbedarfs als Pauschale erbracht (§ 20 Abs. 1 Satz 3 SGB II), während Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht werden, soweit diese angemessen sind (§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II). Eine teilweise Deckung von Unterkunftsbedarfen durch Leistungen zur Deckung des Regelbedarfs sieht das Gesetz nicht vor.
Nicht mit Erfolg kann eingewendet werden, der Verzicht auf die Aufrechnung mindere den Anreiz, sorgsam mit der Wohnung umzugehen und die Verpflichtungen aus dem Mietvertrag zu erfüllen, um die Kaution vollständig zurück zu erhalten (so aber Merold, ZFSH/SGB 2016, 293 f, 295). Wenn der Betroffene durch sozialwidriges Verhalten den Anspruch des Jobcenters auf Rückzahlung der Kaution vereitelt, kann dies ggfs. einen Ersatzanspruch nach § 34 SGB II auslösen. Da Darlehen mit einer eigenen Rückzahlungsverpflichtung verbunden sind, findet § 34 SGB II in Fällen, in denen die Leistung darlehensweise erbracht wurde, zwar grundsätzlich keine Anwendung (Schwitzky in LPK-SGB II § 34 Rn. 22). Vereitelt der Betroffene indes den Rückerstattungsanspruch unter den Voraussetzungen des § 34 SGB II, bestehen keine Bedenken, diese Vorschrift anzuwenden. Im Übrigen gibt es keine Grundlage, dem SGB II eine Zielsetzung zu entnehmen, die Betroffene dazu anhalten soll, sich einem Vermieter gegenüber vertragsgemäß zu verhalten. Dies hat der Gesetzgeber insbesondere – wie dargestellt – mit der Beschränkung der Erbringung der Mietkaution als Darlehen nicht intendiert.
Bei offenem Wortlaut der Vorschrift führt auch eine verfassungskonforme Auslegung zur Nichtanwendung von § 42a Abs. 2 Satz 1 SGB II auf Mietkautionsdarlehen. Zwar ist gegen die Regelung in § 20 Abs. 1 Satz 4 SGB II, wonach Bedürftige Mittel zur Bedarfsdeckung eigenverantwortlich ausgleichen und ansparen müssen, aus verfassungsrechtlicher Sicht grundsätzlich nichts einzuwenden. Nach der Rechtsprechung des BVerfG (Urteil vom 23.07.2014 – 1 BvL 10/12 Rn. 116 f.) ist ein solches Modell mit dem Grundgesetz vereinbar, wenn die Höhe der pauschalen Leistungsbeträge für den monatlichen Regelbedarf es zulässt, einen Anteil für den unregelmäßig auftretenden oder kostenträchtigeren Bedarf zurückzuhalten. Dies trifft indes auf das Verhältnis Regelleistungen/Leistungen für Unterkunft und Heizung nicht zu. Für die Deckung des hier in Rede stehenden Unterkunftsbedarfs ist – wie dargelegt – bei der Berechnung der Regelleistung gerade kein Spielraum vorgesehen. Insbesondere ist es dem Betroffenen nicht zuzumuten, auf die Deckung der in der Regelleistung enthaltenen soziokulturellen Bedarfe (vorübergehend) zu verzichten. Zum internen Ausgleich kann nicht pauschal darauf verwiesen werden, dass Bedürftige Leistungen zur Deckung soziokultureller Bedarfe als Ausgleichsmasse für andere Bedarfspositionen einsetzen könnten, denn der soziokulturelle Bedarf gehört zum grundrechtlich gesicherten menschenwürdigen Existenzminimum. Auch die in der Pauschale für den Regelbedarf enthaltenen Leistungen für soziokulturelle Bedarfe sind keine frei verfügbare Ausgleichsmasse, da diese Bedarfe ebenfalls existenzsichernd zu decken sind (BVerfG Urteil vom 23.07.2014 – 1 Bvl 10/12 Rn. 118). Schließlich kann der Betroffene, abweichend von der Entscheidung des Sozialgerichts, nicht darauf verwiesen werden, dass er durch die Tilgung im Wege der Aufrechnung einen Gegenwert in Form des Anspruchs auf Rückzahlung der Kaution durch den Vermieter nach Beendigung des Mietverhältnisses erwirbt. Denn existenzsichernde Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts sind in dem Moment zu bewilligen, in dem der Bedarf entsteht (BVerfG Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09). Eine Verweisung des Hilfebedürftigen auf in der Zukunft liegende Vorteile ist nicht zulässig.
Aufgrund der Beschränkung der angefochtenen Entscheidung auf eine Aufrechnung wegen eines Mietkautionsdarlehens, hatte der Senat sich allein zu dieser Frage zu äußern. Ob entsprechende Überlegungen für andere auf die Unterkunft bezogene Darlehen Geltung beanspruchen, ist nicht Gegenstand der Entscheidung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) die Revision zugelassen.
Erstellt am: 19.02.2019
Zuletzt verändert am: 19.02.2019