NZB als unzulässig verworfen
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 30.01.2017 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Der Klägerin werden Kosten in Höhe von 225,00 EUR auferlegt. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Erstattung von Kosten, die ihr für eine ambulante Liposuktion entstanden sind.
Sie ist Mitglied der Beklagten und leidet an einem Lipödem. Mit Schreiben vom 14.03.2016, eingegangen am 18.03.2016, stellte sie bei der Beklagten einen Antrag auf Übernahme der Kosten ambulanter Liposuktionen an Armen und Beinen.
Den Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 18.03.2016 mit der Begründung ab, die Liposuktion sei nicht im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen (EBM) enthalten und daher als neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode (NUB) zu qualifizieren. Eine solche werde jedoch nur vom Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) umfasst, sofern der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) diesbezüglich eine positive Empfehlung abgegeben habe. Dies sei für die Liposuktion bisher nicht geschehen.
Hiergegen legte die Klägerin am 04.04.2016 Widerspruch ein. In diesem führte sie aus, dass Behandlungsmethoden, zu denen der GBA bisher keine Empfehlung abgegeben habe, gemäß § 137c Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) im Rahmen einer Krankenhausbehandlung angewandt werden dürften. Die Erkrankung bereite erhebliche Schmerzen und wirke entstellend.
Mit Widerspruchsbescheid vom 03.05.2016 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die NUB sei nicht in der – auch für die Ansprüche der Versicherten verbindlichen – Anlage I der Richtlinie "Methoden vertragsärztliche Versorgung" enthalten. Die fehlende Anerkennung beruhe auch nicht auf einem Mangel des gesetzlichen Leistungssystems. Anhaltspunkte für einen Systemmangel seien nicht ersichtlich. Im Auftrag des GKV-Spitzenverbandes habe der MDK ein Gutachten zur Bewertung der Liposuktion erstellt. Die dabei identifizierten kontrollierten Studien wiesen erhebliche methodische und inhaltliche Mängel auf. Über Langzeitergebnisse und Nebenwirkungen werde unzureichend berichtet. Eine Leistungspflicht der GKV scheide daher aus.
Die Klägerin ließ die Liposuktion von Dr. D in insgesamt drei Sitzungen (27.04.2016, 25.05.2016, und 22.06.2016) ambulant durchführen. Der behandelnde Arzt und der Anästhesist stellten ihr insgesamt 15.970,50 EUR in Rechnung, die die Klägerin beglich.
Am 25.05.2016 hat die Klägerin Klage erhoben. Hierin verfolgt sie ihr Begehr weiter und trägt ergänzend vor, die Operationen seien erfolgreich verlaufen. Sie sei nun schmerzfrei, mobil und ihr Aussehen habe sich deutlich verändert. Dass die Liposuktionen medizinisch notwendig gewesen seien, könne durch Dr. D, den Orthopäden Dr. L und ihren Hausarzt Dr. T bestätigt werden. Zudem sei eine konservative Therapie erheblich teurer, weshalb auch das Wirtschaftlichkeitsgebot einer Kostenübernahme nicht im Wege stehe.
Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 18.03.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.05.2016 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihr die Kosten einer Liposuktion i.H.v. 15.970,50 EUR zu erstatten.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid verwiesen.
Das Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen hat die Klage durch Urteil vom 30.01.2017 abgewiesen. Die Voraussetzungen des allein als Rechtsgrundlage in Betracht kommenden § 13 Abs. 3 SGB V seien nicht erfüllt. Der Kostenerstattungsanspruch setze voraus, dass die selbstbeschaffte Behandlung zu den Leistungen gehöre, die die Krankenkassen grundsätzlich als Sach- oder Dienstleistungen zu erbringen habe. Dies träfe auf die ambulante Liposuktion nicht zu. Der GBA habe die neue Methode der Fettabsaugung nicht positiv empfohlen. Ein Ausnahmefall, in welchem dies entbehrlich sei, liege nicht vor. Ein Leistungsanspruch gegen die Krankenkasse werde nicht bereits dadurch begründet, dass die streitige Behandlung von den behandelnden Ärzten empfohlen werde oder nach Einschätzung der Versicherten oder der Ärzte tatsächlich erfolgreich verlaufen sei. Vielmehr dürften gem. § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V NUB in der vertragsärztlichen Versorgung nur dann zu Lasten der Krankenkasse erbracht werden, wenn der GBA – anders als hier – in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V eine positive Empfehlung über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens abgegeben habe. Anhaltspunkte für ein Systemversagen lägen nicht vor (vgl. BSG, Beschluss vom 10. 05.2012 – B 1 KR 78/11 B -).
Gegen das ihr am 27.02.2017 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 13.03.2017 Berufung eingelegt. Sie wiederholt ihr bisheriges Vorbringen und ergänzt, der GBA berate seit 2014 über die Aufnahme der Liposuktion bei Lipödem in den Leistungskatalog der GKV, habe aber noch immer keine Entscheidung getroffen. Derzeit sei frühestens für das Jahr 2022 mit einer Entscheidung zu rechnen. Anders als in der Verfahrensordnung vorgesehen und ohne dass die Gründe dafür aus der zusammenfassenden Dokumentation zum Beratungsverfahren oder den tragenden Gründen zum Beschluss vom 20.07.2017 ersichtlich wären, solle hier eine Erprobungsphase von fünf statt zwei Jahren durchgeführt werden. Außerdem sei das Verfahren bisher nur schleppend bearbeitet worden. Bereits nach Vorlage des abschließenden Berichts der Abteilung Fachberatung Medizin vom 08.07.2015 hätte der Beschluss über die Einleitung von Beratungen zu einer Richtlinie zur Erprobung gefasst werden können und müssen. Damit liege wegen nicht zeitgerechter Entscheidung des GBA ein sog. Systemmangel vor.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 30.01.2017 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 18.03.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.05.2016 zu verpflichten, ihr 15.970,50 EUR zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Selbst eine zukünftige positive Entscheidung des GBA führe zu keiner abweichenden Bewertung, da maßgeblich der Zeitpunkt der Behandlung sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und den Verwaltungsvorgang der Beklagten Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das SG hat ihre Klage zu Recht abgewiesen.
Zur Begründung verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Urteil, die er sich nach Prüfung der Sach- und Rechtslage zu Eigen macht (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetzt (SGG)). Der Vortrag der Klägerin im Berufungsverfahren führt zu keinem anderen Ergebnis. Ein Kostenerstattungsanspruch aufgrund eines Systemmangels besteht nicht.
Die gesetzlichen Krankenkassen dürfen ihren Versicherten eine neuartige Therapie, die vom GBA bisher nicht empfohlen ist, unter keinen Umständen gewähren, weil sie an das Verbot des § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V und die das Verbot konkretisierenden Richtlinien des GBA gebunden sind. Wird die Therapie dennoch (auf eigene Kosten) durchgeführt, kann die Krankenkasse im Gerichtsverfahren nur unter zwei Bedingungen zur Kostenerstattung nach § 13 Abs. 3 SGB V verurteilt werden: Die fehlende Empfehlung des GBA beruht auf einer unsachgemäßen Behandlung durch den Ausschuss oder die antragsberechtigten Stellen und das Gericht überzeugt sich von der Wirksamkeit der neuartigen Methode; an die Stelle der Wirksamkeitsprüfung kann unter bestimmten medizinischen Voraussetzungen die Prüfung der praktischen Akzeptanz treten. Schon die Ausgestaltung der gesetzlichen Regelung als Verbot mit Erlaubnisvorbehalt lässt es nicht zu, bei der Entscheidung über die Leistungspflicht der Krankenkasse spätere, im Behandlungszeitpunkt noch nicht verfügbare medizinische Gesichtspunkte zu berücksichtigen. § 135 Abs 1 SGB V stellt nicht auf inhaltliche Kriterien ab, sondern macht die Anwendung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der gesetzlichen Krankenversicherung von dem formalen Erfordernis der Empfehlung durch den GBA abhängig. Eine solche Empfehlung kann aber als rechtsgestaltende Entscheidung grundsätzlich nur mit Wirkung für die Zukunft abgegeben werden. Nach der Intention des Gesetzes sollen NUB solange von der Abrechnung zu Lasten der Krankenkassen ausgeschlossen bleiben, bis der GBA sie als zweckmäßig anerkennt. Erweist sich eine zunächst abgelehnte Methode aufgrund späterer Erkenntnisse oder Erfahrungen doch als sinnvoll, so ist dem für zukünftige Behandlungsfälle durch eine entsprechende Empfehlung Rechnung zu tragen; für bereits abgeschlossene Behandlungen kann sich dadurch am Abrechnungsverbot nichts ändern (st. Rspr., vgl. BSG, Beschlüsse vom 14.02.2001 – B 1 KR 28/00 B – und 08.02.2000 – B 1 KR 18/99 B – m.w.N.).
Gleiches gilt für den Fall eines Systemversagens. Auch bei einem solchen kann sich ein Leistungsanspruch (bei Vorliegen der weiteren Voraussetzung) nur für die Zukunft, nicht aber rückwirkend für Zeiträume ergeben, in denen die fehlende Empfehlung des GBA nicht auf einer unsachgemäßen Behandlung beruhte.
Nur diese Sichtweise wird der Systematik und dem Zweck der Gesamtregelung gerecht, so dass die darin liegende gesetzliche Wertung auch im Rechtsstreit über den Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 SGB V zu beachten ist. Da dieser voraussetzt, dass der Sachleistungsanspruch durch die Krankenkasse zu Unrecht abgelehnt wurde, und diese Beurteilung wiederum von der gerichtlichen Überprüfung der Richtlinien des Bundesausschusses abhängt, kommt eine Erstattung nur in Betracht, wenn das Gerichtsverfahren ergibt, dass die Richtlinien bereits zum Zeitpunkt der Ablehnung, jedenfalls aber zum Zeitpunkt der tatsächlich durchgeführten Behandlung fehlerhaft waren (BSG, Beschluss vom 08.02.2000 a.a.O.).
Selbst wenn man den Vortrag der Klägerin als zutreffend unterstellt, dass der GBA direkt nach Vorlage des abschließenden Berichts der Abteilung Fachberatung Medizin vom 08.07.2015 über die Einleitung von Beratungen zu einer Erprobungsrichtlinie hätte beschließen müssen und eine Erprobungsphase nur zwei Jahre umfassen dürfte, ergäbe sich ein Systemmangel frühestens in der zweiten Jahreshälfte von 2017. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Klägerin die Leistung bereits selbst beschafft, so dass ein dann eintretender Systemmangel keinen Einfluss auf den streitgegenständlichen Kostenerstattungsanspruch gehabt hätte. Darüber hinaus kann sich der Senat nicht davon überzeugen, dass die zweite Voraussetzung für eine Kostenerstattung wegen Systemmangels erfüllt ist. Angesichts der Ausführungen des GBA in den tragenden Gründen zum Beschluss vom 20.07.2017 ist die Wirksamkeit der Methode nicht belegt. Die wenigen gefundenen Studien entsprechen nur der Evidenzklasse IV. Für die Bewertung des Nutzens sind jedoch Ergebnisse aus einer möglichen, randomisierten kontrollierten Studie erforderlich.
Die Entscheidung, der Klägerin Verschuldenskosten aufzuerlegen, beruht auf § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGG. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht im Urteil einem Beteiligten ganz oder teilweise die Kosten auferlegen, die dadurch verursacht werden, dass der Beteiligte den Rechtsstreit fortführt, obwohl ihm die Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung oder -verteidigung dargelegt und er auf die Möglichkeit der Kostenauferlegung bei Fortführung des Rechtsstreits hingewiesen worden ist. Ein Missbrauch liegt vor, wenn die Rechtsverfolgung von jedem Einsichtigen als völlig aussichtslos angesehen werden muss. Diese Auslegung entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur in § 34 Abs. 2 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) geregelten Missbrauchsgebühr (BVerfG, Beschluss vom 06.11.1995 – 2 BvR 1806/95 -). Die Rechtsprechung des BVerfG ist auch zur Auslegung des § 192 SGG heranzuziehen, denn der Gesetzgeber hat die Konzeption des § 34 Abs. 2 BVerfGG auf § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGG übertragen (Senat, Urteil vom 20.01.2010 – L 11 KR 80/07 -).
Die Voraussetzungen des § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGG liegen vor. Die Klägerin ist im Termin zur mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen worden, dass die Berufung unbegründet erscheint, angesichts der eindeutigen Rechtsprechung des BSG die weitere Rechtsverfolgung als missbräuchlich eingeschätzt wird und bei Fortführung des Rechtsstreits Kosten nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGG auferlegt werden. Die Klägerin hat erklärt, dennoch auf ein Urteil zu bestehen. Dieses Insistieren auf einer Entscheidung bei einer eindeutigen Rechtslage stellt eine missbräuchliche Rechtsverfolgung dar. Die Verhängung von Verschuldenskosten war geboten, um die Gemeinschaft der Steuerzahler vor einer missbräuchlichen Ausnutzung der grundsätzlichen Kostenfreiheit des sozialgerichtlichen Verfahrens zu schützen. Die Höhe ergibt sich aus § 192 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 184 Abs. 2 SGG.
Die weitere Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Erstellt am: 11.03.2019
Zuletzt verändert am: 11.03.2019