Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 21.01.2014 geändert und die Klage abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um Leistungen für die Klägerin nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) wegen eines von der Klägerin behaupteten sexuellen Missbrauchs durch den Vater und Gewalteinwirkungen auch durch die Mutter.
Die am 00.00.1965 geborene Klägerin stellte am 13.05.2009 im Alter von 44 Jahren bei dem Beklagten einen Antrag auf Versorgung nach dem OEG. Dazu gab sie an, sie sei in der Zeit von 1970 bis 1981 vom Vater sexuell missbraucht worden und von beiden Elternteilen körperlich misshandelt worden. Daraus sei eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) und ein Borderline-Syndrom entstanden, unter dem sie heute noch leide.
Die Klägerin trug vor, in der Kindheit habe sie Streit der Eltern erlebt. Der Vater sei Alkoholiker gewesen. Im Alter von 10 Jahren hätten sich die Eltern getrennt. Bis dahin habe sie die Großmutter als Stütze gehabt. Als sie 17 Jahre alt gewesen sei, habe sich der Vater umgebracht. Mit 19 Jahren sei sie von zu Hause ausgezogen. Erinnerungen an den sexuellen Missbrauch durch den Vater reichten bis in das 5. Lebensjahr zurück.
Der Beklagte gab daraufhin ein psychologisches Glaubhaftigkeitsgutachten in Auftrag. In ihrem Gutachten vom 23.11.2010 kam die Dipl.-Psychologin G zu dem Ergebnis, dass bezüglich der angeschuldigten Ereignisse eine Beeinträchtigung der Aussagetüchtigkeit der Klägerin vorliege. Eine Verlässlichkeit der Angaben der Klägerin, von ihrem Vater sexuell missbraucht und von beiden Eltern massiv gezüchtigt worden zu sein, sei mit psychologischen Mitteln nicht zu belegen. Die Frage der Glaubhaftigkeit müsse offen bleiben.
Auf der Basis dieser Ermittlungen lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 26.01.2011 die Versorgung nach dem OEG in Verbindung mit dem BVG ab. Ein schädigender Tatbestand im Sinne des § 1 Abs. 1 OEG sei nicht zu beweisen. Die Angaben der Klägerin könnten wegen des negativen aussagepsychologischen Gutachtens nicht verwertet werden. Der Widerspruch der Klägerin gegen diese Entscheidung wurde mit Widerspruchsbescheid vom 11.04.2011 zurückgewiesen.
Hiergegen hat die Klägerin zum Sozialgericht (SG) Düsseldorf Klage erhoben. Die Klägerin hat vorgetragen, die sexuellen Übergriffe durch ihren Vater hätten im Alter von etwa 3 Jahren begonnen. Ihr Vater habe sie immer im Intimbereich gestreichelt und sein Geschlechtsteil an ihr gerieben. Mehr sei zunächst nicht gewesen. Extrem sei es geworden, als die Klägerin 5 Jahre alt gewesen sei. Ihre Mutter habe andere Männerbekanntschaften gehabt und ihr Vater hätte sehr viel getrunken. Er sei dann gewalttätig geworden und die Klägerin habe dann mit ihrer Mutter mehrfach aus der Wohnung fliehen müssen. Ihr Vater habe sich ihr immer mehr zugewandt, auch sexuell. Er habe aus ihr offensichtlich eine "kleine perfekte Geliebte" machen wollen. So sei es weiter bis zum 10. Lebensjahr gegangen. Im 10. Lebensjahr habe die Klägerin ihre Periode bekommen und sei auch sonst schon recht weit entwickelt gewesen. Ihre Eltern hätten sich scheiden lassen und ihr Vater sei mehrfach ausgezogen und dann wiedergekommen. Es sei so weiter gegangen bis zu seinem Tod. Er habe die Klägerin das letzte Mal vergewaltigt, als sie 13 Jahre alt gewesen sei. Als sie 16 Jahre alt gewesen sei, habe er es noch einmal versucht, was aber wegen Erektionsschwierigkeiten wohl nicht geklappt habe. Als die Klägerin 17 Jahre alt gewesen sei, habe ihr Vater sich erhängt.
Das SG hat Beweis erhoben durch Einholung aktueller Befundberichte und durch die Erstattung eines psychiatrischen Gutachtens durch Frau Dr. Q. Eine Vorgabe an die Sachverständige, von welchen Taten auszugehen sei, ist dabei nicht erfolgt. In ihrem Gutachten vom 24.04.2013 hat die Sachverständige zusammenfassend ausgeführt, dass die Darstellungen der Klägerin zu den Geschehensabläufen glaubhaft seien. In den wesentlichen Teilen ihrer Aussage bestehe Konstanz über die gesamte Akte hinweg. Das psychologische Gutachten der Dipl.-Psychologin G schließe dieses Ergebnis nicht aus, da das Ergebnis des Gutachtens ausdrücklich offen geblieben sei. Es fänden sich eindeutige Hinweise darauf, dass die Ereignisse so wie von der Klägerin berichtet, stattgefunden hätten. Eine Autosuggestion sei auszuschließen. Die posttraumatische Belastungsstörung sei ursächlich auf die angeschuldigten Ereignisse zurückzuführen. Die Borderlineerkrankung sei zwar nicht ursächlich, aber mit Verschlimmerungsanteilen als Folge zu berücksichtigten.
Zwar habe es bereits vor Mai 1976 schädigende Ereignisse gegeben, aber auch danach seien Schädigungen nachweisbar. Als Schädigungsfolge bestehe bei der Klägerin eine posttraumatische Belastungsstörung bei emotional instabiler Persönlichkeitsstörung. Dabei handele es sich um eine stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit. Es sei eine Stabilisierung unter Therapie eingetreten. Der Grad der Schädigungsfolge betrage 30.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat das SG sodann den Lebensgefährten der Klägerin aus der Zeit von 1990 bis 2002, den Zeugen G S, sowie den Bruder der Klägerin, den Zeugen H und die Mutter der Klägerin, die Zeugin M, vernommen.
Der Zeuge S hat von der gemeinsamen Zeit der Beziehung zur Klägerin berichtet: Die von den Übergriffen durch Vater oder Mutter der Klägerin, habe er selbst nichts mitbekommen; mit länger andauernder Beziehung habe die Klägerin ihm zunehmend davon erzählt; da er sich betroffen gefühlt habe, habe er sich Dinge dazu angelesen; heute glaube er der Klägerin jedes Wort von den Erzählungen.
Der Zeuge H hat von seinem Zeugnisverweigerungsrecht als Bruder der Klägerin Gebrauch gemacht.
Die Zeugin M hat berichtet, dass sie ihre Tochter nie geschlagen habe, allenfalls mal einen Klaps oder so, die Klägerin sei immer schwierig gewesen; auf gar keinen Fall habe der Vater der Klägerin sexuellen Kontakt mit ihr gehabt; das hätte sie bemerkt. Eine Zeit lang habe sie ein gutes Verhältnis zu ihrer Tochter gehabt, da sei sie mit allem zu ihr gekommen; mit 13 Jahren sei die Klägerin in irgendeiner Therapie gewesen, Genaues wisse sie darüber nicht; dass sie die Klägerin mit einem Freund des Bruders in den Keller geschickt habe, um dort sexuelle Handlungen vorzunehmen, stimme so nicht. In den Keller habe sie die beiden auf keinen Fall geschickt.
Erst nachdem ihr zweiter Mann 2004 gestorben sei, habe die Klägerin angefangen, ihr diese Dinge unterzuschieben. Vorher habe sie sich nicht getraut. Da habe sie ihr auch einen Brief geschrieben, in dem sie ihr androhte, sie umbringen zu wollen. Nach 22 Jahren habe sie ihr geschrieben, dass ihr Vater sie missbraucht habe und sie sie verprügelt habe. Das sei aber alles Quatsch.
Das Sozialgericht (SG) hat der Klage mit Urteil vom 21.01.2014 stattgegeben und dazu im Wesentlichen ausgeführt:
"Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist die Kammer davon überzeugt, dass die Klägerin im Alter zwischen ihrem 5. und 16. Lebensjahr, also in der Zeit zwischen 1970 und 1981, von ihrem Vater mehrfach wiederholt sexuell missbraucht worden ist, auch im Sinne des Vollzuges des Geschlechtsverkehrs, sowie von beiden Eltern massiv gezüchtigt worden ist.
Diese Beurteilung des Sachverhalts stützt die Kammer auf das Vorbringen der Klägerin, das glaubhaft erscheint und durch kein anderes Beweismittel wiederlegt worden ist.
Mit Beginn ihres ersten größeren Zusammenbruchs im Jahre 2003 hat die Klägerin sowohl den sexuellen Missbrauch durch den Vater, als auch die Gewalteinwirkung insbesondere durch die Mutter, vorgetragen. In allen zur Verfügung stehenden Befunderhebungen wird diese Darstellung in der Anamnese wiedergegeben. Auch die vom Gericht bestellte Sachverständige beschreibt in ihrem Gutachten eben diese Sachverhalte. Die Sachverständige selbst, bewertet die Darstellungen der Klägerin als glaubhaft. Bereits dieser Beurteilung darf die Kammer folgen, denn für die Glaubhaftmachung im Sinne des § 15 KOVVfG ist die klinisch psychosomatische Begutachtung von Traumaopfern aussagekräftiger als die aussagepsychologische Begutachtung (Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz vom 27.06.2012, L 4 VG 13/09). Die Kammer vertraut der Beurteilung der Sachverständigen. Ihr ist die Sachverständige als erfahrende Psychiaterin, Psychotherapeutin und Sachverständige auf dem Gebiet der Beurteilung von traumatisierten Opfern aus einer Vielzahl von Verfahren bekannt. Die Sachverständige begründet in ihren Gutachten ausführlich und überzeugend ihre Einschätzung. Es gibt keinen Anlass, der Sachverständigen hier nicht zu folgen.
Das im Verwaltungsverfahren eingeholte aussagepsychologische Gutachten widerlegt diese Bewertung nicht. Wie die Dipl.-Psychologin G ausdrücklich in ihrer Ergebniszusammenfassung ausführt, muss ein Ergebnis zur Glaubhaftigkeit der Klägerin offen bleiben. Die Sachverständige führt zwar Anhaltspunkte dafür auf, dass der Erlebniszusammenhang bei der Klägerin nicht sicher feststellbar sei. Das Gegenteil davon konnte die Sachverständige G jedoch ebenfalls nicht belegen, so dass es bei der Vermutung nach § 15 KOVVfG verbleiben muss.
Mit dieser Einschätzung sieht sich die Kammer im Einklang mit der jüngeren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG Urteil vom 17.04.2013, B 9 V 1/12 R a. a. O.). Dort wird ausgeführt, dass von Seiten des Gerichts im Zusammenhang mit der Einholung und Würdigung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens stets beachtet werden müsse, dass sich die psychologische Begutachtung von Aussagen nicht darauf beziehen kann, Angaben über die Faktizität eines Sachverhalts zu machen. Möglich ist lediglich herauszufinden, ob sich Aussagen auf Erlebtes beziehen, das heißt einen Erlebnishintergrund haben. Darüber hinaus besteht die Kompetenz und damit auch die Aufgabe des Sachverständigen darin abzuklären, ob sich dieser Erlebnishintergrund in der so genannten Wachwirklichkeit befindet, anstatt auf Träumen, Halluzinationen oder Vorstellungen zu beruhen.
Da der Erlebniszusammenhang von der Sachverständigen nicht grundsätzlich ausgeschlossen worden ist, verbleibt es im Einklang mit der Beurteilung der gerichtlich bestellten Sachverständigen Frau Dr. Q bei der unwiderlegten Glaubhaftmachung durch die Klägerin.
Darüber hinaus hat die Einvernahme der Zeugen im Termin zur mündlichen Verhandlung ebenfalls die Beweiserleichterung des § 15 Kriegsopferversorgungs-Verwaltungsverfahrensgesetzes (KOVVfG) nicht außer Kraft setzen können.
Nach § 15 KOVVfG sind die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, der Entscheidung zugrunde zu legen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verloren gegangen sind, soweit die Angaben nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Beweiserleichterung ist auch dann anwendbar, wenn für den schädigenden Vorgang keine Zeugen vorhanden sind (BSG vom 31.05.1989, 9 RVg 3/89, BSG Entscheidungssammlung Band 65,123). Nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift sind damit nur Tatzeugen gemeint, die zu den beweisenden Tatsachen aus eigener Wahrnehmung Angaben machen können. Personen die von ihrem gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht haben, sind dabei nicht als Zeugen anzusehen. Entsprechendes gilt für eine als Täter in Betracht kommende Person, die eine schädigende Handlung bestreitet. Denn die Beweisnot des Opfers, auf die sich § 15 Satz 1 KOVVfG bezieht, ist in diesem Fall nicht geringer, als wenn der Täter unerkannt geblieben oder flüchtig ist. Die Beweiserleichterung des § 15 Satz 1 KOVVfG gelangt damit auch zur Anwendung, wenn sich die Aussage des Opfers und des vermeintlichen Täters gegenüber stehen und Tatzeugen nicht vorhanden sind (BSG vom 28.07.1999, B 9 VG 6/99 B).
Nach diesen Kriterien hätte die Kammer weder die als Täterin in Betracht kommende Mutter der Klägerin, die Zeugin M, noch den nur vom Hören Sagen berichten könnenden Zeugen S, sowie den von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrach gemacht habenden Bruder der Klägerin vernehmen müssen.
Die dennoch durchgeführte Beweisaufnahme hat die Anwendung der Beweiserleichterung im Sinne des § 15 KOVVfG nicht widerlegt. Die Kammer geht auch nach Einvernahme der Zeugen davon aus, dass die Darstellungen bezüglich der Geschehnisse durch die Klägerin der Entscheidung zugrunde gelegt werden können.
Der Bruder der Klägerin, der Zeuge H hat von seinem Zeugnisverweigerungsrecht nach §§ 383 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO) Gebrauch gemacht.
Der Zeuge G S hat glaubhaft von der Zeit seiner Beziehung zur Klägerin von 1990 bis spätestens 2002 berichtet. Als Zeuge der Schaden bringenden Ereignisse kommt er von daher schon nicht Betracht. Das, was er vom Hören Sagen über die Geschehnisse berichtet hat, stützt die Darstellungen der Klägerin. Allerdings ergeben sich hier Friktionen bezüglich der Aussage des Zeugen. Zum Einen hat die Klägerin vorgetragen, dass sie dem Zeugen während der Zeit ihrer Beziehung von den Verhältnissen "zuhause" nichts erzählt hat. Zum Anderen hat der Zeuge dargestellt, dass er sich mit dem Phänomen des Kindesmissbrauchs und der Gewaltbeziehung von Eltern zu Kindern beschäftigt habe. Auch habe er die Klägerin über das Ende ihrer Beziehung hinaus, regelmäßig getroffen und auch mit ihr über die Geschehnisse gesprochen. Es mag also sein, dass das, was der Zeuge erklärt hat, ihm nicht während der Zeit zwischen 1990 und 2002 von der Klägerin berichtet worden ist, sondern erst später.
Es bleibt jedoch als Bewertung übrig, dass das vom Zeugen S Berichtete, eher für die Wahrhaftigkeit der Darstellung der Klägerin spricht, als dagegen.
Die Zeugin M, die Mutter der Klägerin, erscheint der Kammer in den wesentlichen Punkten ihrer Aussage als unglaubhaft. Zum Einen beschuldigt die Klägerin sie zumindest teilweise als Täterin massiver körperlicher Misshandlungen. Wenn auch die Tatvorwürfe nicht mehr als strafbare Handlungen verfolgt werden können und ein Regress durch die Beklagte wegen des geringen Verursachungsbeitrages als unwahrscheinlich erscheint, so ist doch die Aussage der Zeugin M von dem verständlichen Wunsch getragen, den Rest der verbliebenden "heilen Welt" ihres Familienlebens zu verteidigen.
Der Inhalt ihrer gesamten Aussage ist gekennzeichnet von einem von der Geburt der Klägerin an, beginnenden Desinteresse an den Belangen ihrer Tochter. Schon die Tatsache, dass sie als Mädchen zur Welt kommt, stellt die Zeugin als Missbilligung dar. Dies zwar getragen von der Meinung des Vaters. Sie machte aber deutlich, dass auch für sie dies kein glücklicher Umstand war. Als weiteres Beispiel kann die Situation mit der benötigten Pille als 13.-jährige gesehen werden. Die Tochter wendet sich hilfesuchend an die Mutter, die jedoch erst am Abend im Beisein des Freundes Zeit für sie hat. Als die Klägerin später davon berichtet, von einem "Griechen" böse misshandelt worden zu sein, geht die Zeugin nicht selbst zu diesem Mann, um den Sachverhalt aufzuklären, sondern überlässt es der Großmutter dort zu intervenieren. Als die Lehrerin im Unterricht einen Pullover der Klägerin zerreißt, hat die Zeugin Verständnis für die Lehrerin und bedauert den Verlust des "für gut gehaltenden" Pullovers, den die Klägerin ihr aus dem Kleiderschrank genommen hatte. Für ihre Tochter zeigt sie kein Verständnis.
Zwar verneint die Zeugin sexuelle Übergriffe ihres damaligen Mannes gegenüber der Klägerin. Die Umstände des Zusammenlebens der Familie machen jedoch deutlich, dass sie dazu gar keine sichere Aussage treffen kann. Sie selbst ist auf der Flucht vor dem ständig alkoholisierten Ehemann und überlässt die Klägerin der Obhut der Großmutter.
Ebenso ist das Bestreiten der Ausübung körperlicher Gewalt gegenüber der Klägerin unglaubhaft. In ihrer Aussage beschreibt die Zeugin, wie schwierig die Tochter schon als kleines Kind gewesen sei. Angesichts der familiären Verhältnisse, die vom Alkoholismus des Vaters und der ständigen Gewalt zwischen den Eheleuten geprägt war, erscheint es nicht glaubhaft, dass bei der im Übrigen auch von der Sachverständigen festgestellten gestörten Beziehung zwischen Tochter und Mutter, es auch nicht in dieser Beziehung zu Gewalttaten gekommen ist. Die gestörte Beziehung zu ihrer Tochter bestätigt die Zeugin indirekt selbst. Sie führte aus, dass dann, wenn es der Tochter schlecht ging, sie sich bei ihrem Vater "ausheulte".
Auch die bis heute fortdauernden Unterstellungen gegenüber ihrer Tochter sprechen nicht für ein glaubhaftes Vorbringen durch die Zeugin. Erst nach dem Tod ihres zweiten Mannes habe sich die Klägerin "getraut" etwas zu sagen. Die vorausgegangenen Therapieversuche und die Hinweise auf die bei der Klägerin vorhandenen Blockaden blendet die Zeugin dabei vollständig aus. Sie kann nicht einmal sagen, um was es bei der ersten Therapie der Klägerin mit 13 Jahren gegangen ist. Auch eine Mitarbeit bei einer späteren Therapie im Krankenhaus in M lehnte sie ab.
Zur Überzeugung des Gerichts ist als Folge der angeschuldigten Ereignisse bei der Klägerin die Schädigungsfolge
"posttraumatische Belastungsstörung bei emotional instabiler Persönlichkeitsstörung"
anzuerkennen. Diese Schädigungsfolge macht einen Grad der Schädigungsfolge (GdS) von 30 aus.
Für das Vorliegen einer Schädigungsfolge und dem daraus abzuleitenden GdS stützt sich die Kammer auf das Gutachten, das von Frau Dr. Q unter dem 24.04.2013 erstattet worden ist.
Die Bewertung der noch bestehenden Auswirkungen der Schädigungsfolge mit einem GdS von 30 steht im Einklang mit den versorgungsmedizinischen Grundsätzen, die maßgeblich für die Bewertung mit einem GdS sind. Unter Punkt B III.7 sehen die versorgungsmedizinischen Grundsätze einen GdS von 30 vor, wenn eine stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit gegeben ist. Diese Voraussetzungen wurden im Gutachten von Frau Dr. Q überzeugend dargestellt, so dass sich die Kammer dieser Bewertung anschließt.
Dieses Ergebnis wird durch den Geltungsbereich des Opferentschädigungsgesetzes nicht eingeschränkt. Gemäß § 10 OEG gehören nur solche Sachverhalte in den Schutzbereich des Gesetzes, die nach dem in Kraft treten aufgetreten sind. Das Gesetz ist im Mai 1976 in Kraft getreten. Zu diesem Zeitpunkt war die Klägerin 11 Jahre alt. Nach den Feststellungen der Sachverständigen fanden auch nach diesem Zeitpunkt noch so schwerwiegende sexuelle Übergriffe und Gewalteinwirkungen gegenüber der Klägerin statt, dass sie den wesentlichen Grund für die heute noch bestehenden Folgen bilden. Die regelmäßigen intensiven sexuellen Übergriffe durch den Vater dauerten etwa bis zum 13. Lebensjahr der Klägerin an. Ab diesem Zeitpunkt "schützte sie sich" durch die von der Sachverständigen als promiskuitiv dargestellten Beziehungen zu anderen Männern. Gleichwohl fanden auch nach dem 13. Lebensjahr der Klägerin weiterhin sexuelle Übergriffe bis hin zum Vollzug des Geschlechtsverkehrs statt. Insbesondere in einer ergänzenden Stellungnahme der Sachverständigen vom 13.01.2014, begründet die Gutachterin ihr Kausalitätsergebnis damit, dass neben den wiederholten sexuellen, gewalttätigen Übergriffen durch den Vater auch eine Schädigung durch einen fremden Täter (vermittelt durch die Mutter) 1977 erfolgte, der die Klägerin ebenfalls traumatisierte. Zwar gebe es auch Hinweise auf eine Bindungsstörung und ein sehr schwieriges belastendes Familienmilieu vor dem 15.05.1976. Diese primäre Bindungsstörung und komplexe Traumatisierung in der Primärfamilie hat zur Ausprägung einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung geführt, die zusammen mit der schädigungsbedingten Erkrankung den derzeitigen Gesundheitszustand der Klägerin bestimmt. Bedingt durch das Vorliegen einer früheren Persönlichkeitsstörung war die Vulnerabilität der Klägerin für spätere traumatisierende Ereignisse nach dem 15.05.1976 im besonderen Maße erhöht.
Dem schließt sich die Kammer an. Die Zeugin M hat zwar die Begebenheit mit dem älteren Freund des Bruders dementiert. Zu einer regelrechten Verneinung des Vorgangs hat sie sich jedoch nicht entschließen können. Die Aussage hierzu bleibt unklar, so dass das Gericht auch hier von § 15 KOVVfG ausgeht und den Darstellungen der Klägerin als Basis für die Begutachtung durch die Sachverständige folgt."
Gegen dieses Urteil richtet sich die rechtzeitige Berufung des Beklagten (eingelegt durch den Verwaltungsdirektor N), der sein erstinstanzliches Begehren unter Wiederholung seines bisherigen Vorbringens in vollem Umfang aufrecht hält.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 21.01.2014 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Das erkennende Gericht hat die Sachverständige Dr. Q ergänzend befragt und um deren Mitschrift des Gesprächs mit der Klägerin gebeten. Die Sachverständige hat zu Ersterem (nur teilweise lesbare) handschriftliche Notizen vorgelegt und zu Letzterem zusammenfassend ausgeführt, unter Berücksichtigung, dass zwei letztlich voneinander kaum zu trennende Gesundheitsstörungen auf psychiatrischem Fachgebiet zu gleichen Teilen die jetzt noch vorliegende Gesundheitsstörung bedingten, sei ein GdS von 40 % angemessen anzusehen. Dazu hat der medizinische Berater des Beklagten, der Neurologe und Psychiater U, eingewandt:
"Frau Dr. Q kommt zu der – aus fachlicher Sicht – wenig überzeugenden Annahme, dass sich lediglich "ferner" und im Rahmen einer Posttraumatischen Belastungsstörung und Persönlichkeitsstörung ("beider genannten Störungen") eine Zwangsstörung ausgebildet habe, "die ebenfalls seit der frühen Jugend besteht und in ihrer Genese (genitaler Waschzwang) sicher auch zusammen hängt mit dem erlebten Missbrauchshandlungen durch den Vater" (GA Dr. Q, Seite 21). Aus Sicht des Unterzeichners ist diese Annahme irreführend und führten aufgrund der wenig substanziellen Kausalitätsdiskussion vorschnell, da ‚"genitaler Waschzwang" ja automatisch in Verbindung mit einem sexuellen Missbrauch zu sehen sei (Suggestion durch Sachverständige), bei dem Leser zu der Überzeugung, die Zwangsstörung sei nur in diesem Kontext zu sehen! Aber vielmehr unterlässt aus Sachverständigensicht Frau Dr. Q die Diskussion über die Entstehung (zumindest dem Gutachten nicht zu entnehmen) einer Zwangsstörung. So ist nach wissenschaftlicher Lehrmeinung die Entstehung der Zwangsstörung ein multifaktorielles Geschehen. So wird zum Beispiel eine (erst) alltägliche Handlung im Verlauf der subjektiven Wahrnehmung – unbewusst – uminterpretiert und in eine gewisse ritualisierte Handlung – unterbewusst – umgewandelt. In diesem Zusammenhang muss die Tatsache, dass Frau H schon im Alter von 10 Jahren die erste Regelblutung bekommen hatte, hervorgehoben werden. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass dieses Ereignis Frau H überfordert hatte. Insbesondere im Kontext der – zumindest nach Aktenlage – nicht wirklich emphatischen Mutter, welche wohl vermittelt haben könnte, eine solche Blutung sei eher etwas Schmutziges. Auch geht aus der Aktenlage hervor, dass die Mutter häufiger gesagt haben solle, Frau H (als Kind/Jugendliche) hätte (genital) gestunken und Frau H hätte sich dort waschen sollen. Dass heißt, in der sehr sensiblen (hormonellen) Umstellung zur reifen Frau erlebte Frau H – wohl auch durch Anblick der nackt vor dem Waschbecken stehenden Mutter – eher ein (unbewusst) negatives Bild von der Regelblutung und deren Auswirkungen. So ändert sich bei der hormonellen Umstellung auch der (genitale) Körpergeruch. Bei nicht ausreichender Hygiene kann es durchaus zu übelriechenden Eindrücken kommen. In der Konsequenz muss Frau H sich immer wieder im Genitalbereich waschen, um nicht annähernd in die Situation zu kommen, sie könnte dort schmutzig sein oder gar stinken! So ist die alltägliche Handlung (normale Pflege im Genitalbereich) zur Zwangshandlung "Waschen" – unbewusst – umprogrammiert worden.
Erste Regelblutung, hormonelle Umstellung und Änderung der äußeren weiblichen Merkmale führen zur – bewussten oder unbewussten – Auseinandersetzung (gewollt oder nicht gewollt) über die Rolle als Frau und das Wirken in der sozialen Gesellschaft. Ein wichtiges Thema ist dann auch die Sexualität. Diesbezüglich erlebte Frau H den Anblick der nackten Mutter und den – wohl freizügigen Sex – der Eltern, welchen sie mit anschauen musste, als etwas sehr Negatives. Ob eine Aufklärung durch die Eltern erfolgte, ist fraglich. Auf der anderen Seite drängen sich sexuelle Phantasien – schon sehr früh – in die Gedankenwelt von Frau H. Auch macht sie schon in sehr jungen Jahren aufgrund ihres – wohl – weiblichen Aussehens, auf der Straße und in sozialen Kontakten die Erfahrung, als – sexuell – begehrenswert empfunden zu werden. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Frau H mit alle dem – ohne wirklich wohlwollende Unterstützung (insbesondere Mutter) – überfordert war. Vielmehr schleppte die Mutter von Frau H sie in die Discos. "Ihre Mutter habe ihr damals alles von den Konflikt-Geschichten mit dem Vater erzählt. Sie habe dann auch angefangen, sie (die Zeugin) mitzunehmen, als "Lockmittel", und zwar "richtig aufgemacht", in Discos und Kneipen". (GA Dipl.-Psych. G, Seite 10) Fraglich bleibt, ob die Mutter – als Lernmodell – auch ein sexuell grenzwertiges perverses Verhalten zeigte. "Ihre Mutter habe "immer Männer gehabt, Liebhaber", unter anderem auch einen Freund ihres (der Zeugin) Vaters. "(GA Dipl.-Psych. G, Seite 8) "Ihre Mutter verließ den Vater mehrmals, hatte Affären" (Entlassungsbericht LVR-Klinik M vom 11.04.2003, Seite 2) So geht aus dem Gutachten von Frau Dr. Q hervor, dass Frau H "erhebliche Gewaltfantasien und zum Teil auch Gewaltwünsche und sexuelle Praktiken, die mit Gewaltanwendungen eihergehen" habe (GA Frau Dr. Q, Seite 8)- "Bezüglich ihrer eigenen Sexualität erlebt sie sich durchaus als erlebnisfähig, sie könne aber von einer "normalen" Sexualität kaum profitieren, sei aber bei einer eher aggressiven Sexualität mit Gewaltanwendung durchaus orgasmusfähig." (GA Dr. Q, Seite 9) So empfinde Frau H ihr "ganzes Sexualverhalten" hurenhaft (GA Dr. Q, Seite 8). Fraglich bleibt, da im Gutachten nicht zu lesen, ob Frau Dr. Q eine ausführliche Exploration über die sexuellen Vorlieben und Wünsche von Frau H durchgeführt hat.
Bezüglich ihrer Sexualität fühle sich Frau H gespalten in "zwei Anteile: eine Hure einerseits, eine Heilige auf der anderen Seite, sie könne die beiden Seiten nicht zur Deckung bringen" (GA Dr. Q, Seite 8). Es bleibt – wie so oft im Gutachten von Frau Q – offen, welche Bedeutung Frau H den Bildern von Hure und Heiliger zuspricht. Was hieße es zum Beispiel, wenn Frau H die Hure ausleben würde? Hat Frau H ein negatives oder aber – warum auch nicht – positives Bild von Huren? Auch die Frage bleibt offen, welchen inneren und/ oder äußeren – moralischen – Instanzen unterwirft sich Frau H bezüglich ihrer sexuellen Wünsche. Was versteht zum Beispiel Frau H darunter, eine "Heilige" zu sein. Auch hier geht aus dem Gutachten von Frau Dr. Q wenig hervor. Lediglich ist zu lesen "Sie bezeichnet sich als gläubig, betet täglich, besucht gelegentlich auch eine Kirche oder den Gottesdienst". (GA Dr. Q, Seite 16) Wäre es für Frau H – moralisch – möglich aufgrund ihres Glaubens, als Hure zu leben?
In der Gesamtschau ist ja gerade sehr wichtig, ob es für Frau H – unbewusst – in sozialen Kontakten erträglicher und auch gesellschaftlich angemessener erscheint, eigenes als "sexuell grenzwertig perverses Verhalten", empfundene Gedanken (ob nun durch externe Instanzen gesetzt) eher erträglich in der allmählichen Verzerrung und Fokussierung (als gedanklich subjektives Erklärungsmodell) auf einen vermeidlichen sexuellen Missbrauch aufzufassen und – unbewusst – konsequenterweise einen sexuellen Missbrauch in die Realität zu generieren. Somit wäre ja auch die eigene subjektive Perversität in den Hintergrund gerutscht. "Hurenhaft sei ihre ganzes Sexualverhalten, sie habe erhebliche Gewaltfantasien und zum Teil auch Gewaltwünsche und sexuelle Praktiken, die mit Gewaltanwendung einhergehen. Andererseits habe sie in der Therapie gelernt, sich zunehmend von diesen Sexualpraktiken fernzuhalten und diese zu vermeiden, da sie letztlich durch diese Praktiken in neue psychische Krisen gerät." (GA Dr. Q, Seite 8) Aber leider nimmt Frau Dr. Q zu all diesen Fragen keine (zumindest nicht im Gutachten) Stellung. So erklärt Frau H ja – subjektiv retrospektiv – ihre promiskuitive Sexualität nach dem 12. Lebensjahr nicht als Ausdruck ihrer in der Realität ausgeführten sexuellen Phantasien sondern eher als Maßnahme, sich dem Vater zu entziehen. (GA Dr. Q, Seite 12)
So bleibt die Frage offen, welche genauen Inhalte die Gewaltfilme haben, welche Frau H sich stundenlang anschaut. "Ferner sei sie filmsüchtig, müsse sich zum Teil auch sehr gewalttätige Filme ansehen" (GA Dr. Q, Seite 11) "Ansonsten sieht sie über Stunden Filme, häufig auch Filme mit Gewalt." (GA Dr. Q, Seite 16) Es bleibt an dieser Stelle offen, welche Gewaltphantasien Frau H, gerne aus den Filmen ggf. in die Tat umsetzen würde! Auch diesbezüglich keine Angaben von Frau Dr. Q. Denn Gewalt in Filmen oder Nachrichten werden durch traumatisierte Menschen eher vermieden!
Zusammenfassend sei rekapituliert, dass ca. September 2002 es zur psychischen Dekompensation bei Frau H gekommen war. So war aufgrund der schweren Folgen einer Endometriose ein Weiterarbeiten im erlernten Beruf als Friseurin nicht mehr möglich. "Frau H leidet an chron. Unterbauchschmerzen bei bek. Endometriose und rez. Ovarilacystenbildung. ( …) Aufgrund der Schwere der Symptomatik, insbesondere nach längerer Belastung z.B. beim längeren Stehen, habe ich der Patientin aus medizinischer Sicht dringend von einer beruflichen Tätigkeit abgeraten, bei der sie wie bisher ca. 10 Stunden stehend arbeite." (Ärztliches Attest Frau N1 vom 27.06.2003) Sie trennte sich nach erheblichen Konflikten von ihrem langjährigen Partner, welcher die sexuellen Vorstellungen von Frau H nicht erfüllen konnte. "Sie hatte über etwas mehr als zehn Jahren einen Lebensgefährten bis 2002, von dem sie sich letztlich trennte, weil eine sexuelle Beziehung nicht möglich war bzw. ihre eigenen sexuellen Fantasien dort nicht realisiert werden konnten" (GA Dr. Q, Seite 16) Die finanzielle Situation sei angespannt gewesen und Frau H habe ihre Wohnung verlassen (gemeinsame Wohnung mit Freund) müssen, "welche sie als ihr erstes richtiges Zuhause empfunden habe" (Entlassungsbericht LVR-Klinik vom 11.04.2003). In der neuen Wohnung habe sie Angst- und Panikzustände entwickelt. So habe auch insbesondere die Angst bestanden "alleine zu sein" (Entlassungsbericht LVR-Klinik vom 11.04.2003) Explizit nur – traumatische – Erinnerungen durch die Nähe zur elterlichen Wohnung seien bezüglich des erhängten Vaters reaktiv aufgetreten!
Bezüglich einer Essstörung (Anorexie) geht Frau Dr. Q nicht ein. "Eigenanamnestisch sei noch erwähnenswert, dass eine "Anorexie" vom 16. bis 25. Lebensjahr" litt (Entlassungsbericht vom 21.09.2004 der N Klinik in Bad T). Aus dem Gutachten von Frau Dipl.-Psych. G ist zu erfahren "Zu den Krankheitssymptomen, welche sie seit dem 13. Lebensjahr habe (Ängstlichkeit, Panikattacken, "Sehen von Dingen, die andere nicht sehen"), sei dann noch eine Magersucht hinzugekommen. Sie habe nichts gegessen, geraucht und als Friseurin gearbeitet; Arbeit habe ihr Sinn gegeben." (GA Dipl.-Psych, G, Seite 12) "Die Krankheitssymptome seien nach dem Auszug aus der elterlichen Wohnung "immer schlimmer" geworden: sie habe sich unter 50 Kilo herunter gehungert." (GA Dipl.-Psych. G) Die Anorexie (Magersucht) kommt überwiegend bei Frauen vor und beginnt sehr häufig in der Adoleszenz (Übergang von später Kindheit über Pubertät zum Erwachsenenalter) im Alter zwischen 15 und 30 Jahren. Der Dreh- und Angelpunkt der Erkrankung ist die Furcht vor einer Gewichtszunahme. Es besteht eine gestörte Körperwahrnehmung. "Die zentrale Dynamik der Anorexia nervosa ist die konflikthafte Selbst-Findung im Rahmen einer zugespitzt krisenhaften Pubertätsentwicklung. Der übergeordnete Konflikt ist der zwischen Veränderung und Festhalten am Bisherigen. Die typische Auslösesitutation der Anorexie ist daher das Gewahrwerden von Veränderungen in verschiedenen Varianten: Anhand des körperlichen Wachstums, räumlicher Trennung, Wahrnehmung von Triebregungen und sexueller Attraktion, von familiärer Veränderungen usw. Entsprechend der Kernthematik der Pubertät, der Sexualität, wird dieser Konflikt im Felde des Sexualerlebens und der sexuellen Identität ausgetragen. Die Furcht vor dem "Dickwerden" ist eine Ablehnung der reifen, runden weiblichen Körperform, stellvertretend für die Ablehnung der biologischen und sozialen Rolle der erwachsenen Frau. In der Anorexie äußert sich das Bedürfnis, die Kontrolle über den eigenen Leib, über die Reifung, Entwicklung und über die sexuellen und autonomen Bedürfnisse zu behalten, die sich in dieser Entwicklung verstärkt regen. Diese Ausübung der Kontrolle wird durch einen Mechanismus der Selbst-Spaltung ermöglicht: Im Körperselbst werden bedrohliche Anteile vom übrigen Selbst getrennt gehalten und auf diese Weise unter Kontrolle gehalten." (Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Michael Ermann, 4.Auflage)
Die Frage bleibt offen, inwieweit und wie ausführlich Frau Dr. Q bezüglich einer Anorexie exploriert hat. Kritisch ist ja zu sehen, dass Frau H "ausgiebig Sport" betreibt (GA Dr. Q, Seite 11). Auch hier bleibt die Frage offen, was heißt es genau "ausgiebig" und wie lange ist zum Beispiel Frau H täglich mit Sport beschäftigt. Wie erlebt sie ihren Körper, wie ihr Gewicht? Die zentrale Frage ist zudem, wie erlebt sich Frau H als Frau. Alles Fragen die in der differenzierten Kausaiitätsprüfung wichtig sind, aber in dem Gutachten von Frau Dr. Q nicht zu lesen sind.
An einer Anorexie erkrankte Frauen (auch Männer) definieren sich zudem über ein hohes subjektives Leistungsniveau. Dieses meist sehr hohe Leistungsniveau bedeutet meist auch Stabilität für die Betroffenen. Auch hier erfolgt übermäßige Kontrolle. Ein Nichterreichen hoher selbstgesteckter Leistungsanforderungen kann in eine psychische Dekompensation münden. "Sie habe sich dann über Jahre über die Ausbildung als Friseuse und relativ viel Arbeit zum Teil in diesem Beruf, zum Teil auch als Verkäuferin bei Douglas, stabilisiert" (GA Dr. Q, Seite 12).
Aus der Aktenlage geht hervor, dass Frau H an einer Persönlichkeitsstörung leidet. Eine Persönlichkeitsstörung ist immer eine klinische Manifestation einer Störung der Persönlichkeitsentwicklung.
"Persönlichkeitsstörungen umfassen tief verwurzelte, anhaltende Verhaltensmuster, die sich in starren Reaktionen auf unterschiedliche persönliche und soziale Lebenslagen zeigen. Dabei findet man bei Personen mit Persönlichkeitsstörungen gegenüber der Mehrheit der betreffenden Bevölkerung deutliche Abweichungen im Wahrnehmen, Denken, Fühlen und in Beziehungen zu anderen. Solche Verhaltensmuster sind meistens stabil und beziehen sich auf vielfältige Bereiche von Verhalten und psychischen Funktionen. Häufig gehen sie mit persönlichem Leiden und sozialer Funktions- und Leistungsfähigkeit einher.
Bei spezifischen Persönlichkeitsstörungen Hegen eine schwere Störung der charakterlichen Konstitution und des Verhaltens vor, die mehrere Bereiche der Persönlichkeit betrifft. Sie geht meist mit persönlichen und sozialen Beeinträchtigungen einher. Die Stellung einer Persönlichkeitsstörung vor dem Alter von 16 oder 17 Jahren ist als unangemessen zu sehen. Für das Vorliegen einer spezifischen Persönlichkeitsstörungen müssen mindestens drei der folgenden Kriterien erfüllt sein 1. Deutliche Unausgeglichenheit in den Einstellungen und Verhalten in mehreren Funktionsbereichen wie Affektivität, Antrieb, Impulskontrolle, Wahrnehmung und Denken sowie in den Beziehungen zu anderen. 2. Das auffällige Verhaltensmuster ist andauernd und gleichförmig und nicht auf Episoden psychischer Krankheiten begrenzt. 3. Das auffällige Verhaltensmuster ist tiefgreifend und in vielen persönlichen und sozialen Situationen eindeutig unpassend. 4. Die Störungen beginnen immer in der Kindheit oder Jugend und manifestieren sich auf Dauer im Erwachsenenalter. 5. Die Störung führt zu deutlichem subjektivem Leiden, manchmal jedoch erst im späteren Verlauf, und 6. Die Störung ist meistens mit deutlichen Einschränkungen der beruflichen und sozialen Leistungsfähigkeit verbunden." (Internationale Klassifikation psychischer Erkrankungen, ICD-10 Kapitel V(F), 5. Auflage)
So wird schon in dem Entlassungsbericht der LVR-Klinik M vom 11.04.2003 von einer histrionischen Persönlichkeitsstörung gesprochen. Auch im Entlassungsbericht der N Klinik Bad T vom 21.09,2004 wird eine histrionische Persönlichkeitsstörung genannt. So wurde auch im Jahre 2008 die Diagnose einer histrionischen Persönlichkeitsstörung genannt (Entlassungsbericht der LVR-Klinik M vom 04.07.2008)
Kennzeichnet für eine histrionische Persönlichkeitsstörung ist "1. Dramatisierung bezüglich der eigenen Person, theatralisches Verhalten, übertriebener Ausdruck von Gefühlen. 2, Suggestibilität, leichte Beeinflußbarkeit durch andere Personen oder Umstände. 3. Oberflächliche und labile Affektivität. 4. Andauerndes Verlangen nach Aufregung, Anerkennung durch andere und Aktivitäten, bei denen die betreffende Person im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht, 5. Unangemessen verführerisch in Erscheinung und Verhalten. 6. Übermäßiges Interesse an körperlicher Attraktivität." (ICD-10 Kapitel V (F), 5. Auflage)
So ist in einem Entlassungsbericht der LVR-Klinik M vom 07.07.2008 zu lesen "In der Diagnostik- und Eingewöhnungsphase auf der Psychotherapiestation ging es zunächst ausschließlich darum, der Patientin zu ermöglichen, an allen therapeutischen Angeboten teilzunehmen, das zum Teil dramatische Agieren zu begrenzen …"
Frau Dr. Q diagnostiziert eine "Emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ mit schweren Beziehungsstörungen und Stimmungsinstabilität". So schreibt Frau Dr. Q "Zusammenfassend besteht bei der Probandin also eine ausgesprochen belastende Biographie mit einer Bindungsstörung, die letztlich mit der Geburt und mit einer sehr schwierigen Mutterbeziehung begonnen hat. Aufgrund dieser Bindungsstörung hat sich ein ausgesprochen gestörtes Beziehungsverhalten entwickelt mit Beziehungsunsicherheiten, zum Teil inadäquaten Verhaltensweisen in Beziehungen sowie hochgradiger, durchgehender emotionaler Instabilität" (GA Dr. Q, Seite 21).
"Bei der Borderline-Störung sind einige Kennzeichen emotionaler Instabilität vorhanden, zusätzlich sind oft das eigene Selbstbild, Ziele und "innere Präferenzen" (einschließlich der sexuellen) unklar und gestört. Meist besteht ein chronisches Gefühl innerer Leere. Die Neigung zu intensiven, aber unbeständigen Beziehungen kann zu wiederholten emotionalen Krisen fuhren mit übermäßigen Anstrengungen, nicht verlassen zu werden, und mit Suiziddrohung oder selbstschädigenden Handlungen (diese können auch ohne deutliche Auslöser Vorkommen) " (Internationale Klassifikation psychischer Erkrankungen, ICD-10 Kapitel V(F), 5.Auflage)
Nach Aktenlage ist von hochpathologischen intrafamiliären Strukturen auszugehen. Durchgängig wird eine Störung der Persönlichkeitsentwicklung in den vorliegenden Befund berichten beschreiben. So kann hier der Einschätzung von Frau Dr. Q bei der Beschreibung der Persönlichkeitsstörung gefolgt werden. Wobei kritisch anzumerken ist, dass sich -zumindest im vorliegend Gutachten- Frau Dr. Q nicht kritisch mit den doch deutlichen histrionischen Aspekten auseinandersetzt. Respektive im Kontext mit dem Beschwerdevortrag. Ein Bezug zu der vordiagnostizierten histrionischen Persönlichkeitsstörung stellt Frau Dr. Q nicht nachvollziehbar dar.
In der Gesamtschau ist von einer eher kombinierten Persönlichkeitsstörung mit deutlich histrionisch und emotional-instabil akzentuierten Anteilen auszugehen. Aber letztlich ist die Persönlichkeitsstörung schädigungsunabhängig! Zu dieser Einschätzung kommt Frau Dr. Q auch. Wobei diese aber anteilig im Sinne der Verschlimmerung schädigungsbedingt sei.
Ohne kritische -zumindest nicht im Gutachten erkennbare- Auseinandersetzung übernimmt Frau Dr. Q den gesamten (histrionisch gefärbten) subjektiven Beschwerdevortrag von Frau H und generiert die Angaben über die fraglichen schädigenden Ereignisse als glaubhaft. So scheint Frau Dr. Q nicht die Frage zu diskutieren, warum gerade in einem entsprechenden Gutachten das Detailwissen über Inhalte des Missbrauchs so klar und deutlich sind und entsprechender Beschwerdevortrag durch Frau H fast lehrbuchmäßig wirken!
Anhand folgender Aussagen möchte Frau Dr. Q eine Posttraumatische Belastungsstörung diagnostizieren. "Es gibt konstante, filmartige Wiedererinnerungen, zum Teil nachts, zum Teil im Verlauf der Angst- und Panikattacken, in denen Szenen während eines Urlaubes in Rumänien mit sexuellen Übergriffen etwa im Alter von fünf oder sechs Jahren unter der Dusche oder Szenen zu Hause im Badezimmer etwa mit 13 Jahren filmartig wiedererlebt werden" (GA Dr. Q, Seite 10). So würden "spezifische Albträume" auftreten. "Auch diese Albträume beinhalten zum Teil wiederkehrende, teilweise reale Missbrauchssituationen aus der Kindheit und Jugend" (GA Dr. Q, Seite 18) Aus den aktuell vorgebrachten Aspekten kann das Vollbild einer Posttraumatischen Belastungsstörung aus hiesiger Sicht nicht nachvollzogen werden. Frau H berichtet zwar, wie sie die Situation um das Jahr 2002 erlebt hatte und beschreibt es (wirkt wie fokussiert auf Gutachtensituation) es in (histrionischer) Weise. Unter Therapie und bei Berentung konnte sich Frau H "soweit" stabilisieren. (GA Frau Dr. Q, Seite 13). Wie Frau Dr. Q nun ein Vollbild einer Posttraumatischen Belastung auf den aktuellen Symptomen beschrieben wissen möchte, erscheint anhand der dürftigen Befundlage schleierhaft.
In der Gesamtschau bleibt auch schleierhaft, wie Frau Dr. Q lediglich nur eine -nicht ganz plausibel nachvollziehbare- Posttraumatische Belastungsstörung und eine Persönlichkeitsstörung angeben kann, obwohl sie zumindest noch eine Angststörung (generalisiert) und eine -dem Grunde nach- schwere Zwangsstörung beschreibt! Ganz davon abgesehen setzt sich Frau Dr. Q mit der Anorexie überhaupt nicht auseinander!
Frau Dr. Q gibt zwar an, alle Angaben von Frau H seien glaubhaft, aber eine kritische Diskussion diesbezüglich kann dem Gutachten nicht entnommen werden. So werden auch deutliche Widersprüche nicht durch Frau Dr. Q aufgegriffen und entsprechend kritisch diskutiert. So ist in dem Gutachten von Frau Dr. Q (Seite 14) zu lesen "Alkohol oder Suchtmittel hat sie nie eingesetzt, es gab nie einen problematischen Missbrauch von Substanzen." Es geht aber eindeutig aus der Aktenlage hervor, dass Frau H im Alter von 19/20 Jahren Haschisch konsumiert habe. "Im Alter von 19/20 Jahren konsumierte Frau H Haschisch, worunter sie Halluzinationen und Panikattacken entwickelt habe" (GA Dr. N vom 17.09.2008, Seite 5) Hier bleibt leider offen, wie Frau Dr. Q dieses bewertet. An anderer Stelle heißt es in dem Gutachten von Frau Dr. Q (Seite 9) "Ein Kinderwunsch bestand dagegen nie". Diesbezüglich hätte Frau Dr. Q doch lesen müssen, dass die seit vielen Jahren behandelnde Therapeutin schrieb "Die Endometrioseerkrankung und die konsekutiven Entfernung der Gebärmutter führten zur Sterilität der Patientin. Unter ihrer Kinderlosigkeit leidet die Patientin noch heute" (Befundbericht von Frau N1 vom 22.07,08). Auch diese Tatsache diskutiert Frau Dr. Q nicht!
Auch setzt sich Frau Dr. Q -zumindest nicht im Gutachten ersichtlich- mit dem Gutachten von Frau Dipt.-Psych G auseinander. Hier wird bei Frau Dr. Q keine Diskussion über das doch bemerkenswerte Ergebnis aus dem Gutachten von Frau G beschrieben. So sei "ferner" aus Sicht von Frau Dr. Q "darauf hinzuweisen, dass auch in dem aussagenpsychologischen Gutachten von 2010 zumindest die Möglichkeit erörtert wurde, dass es sich bei den Erinnerungen über Missbrauch zumindest über Jahre um emotional abgespaltene Anteile gehandelt hat, die auch deshalb nicht erinnert wurden, weil sie in besonderem Maße auch wegen des Selbstmordes des Vaters (Täters) belastet waren." (GA Frau Dr. Q, Seite 23).
Lediglich alleine hier ausschließlich die "zumindest" bestehende von Frau G diskutierte Möglichkeit, Erinnerungen seien vielleicht emotional abgespalten gewesen, als Untermauerung einer von Frau Dr. Q beschrieben glaubhaften Schilderung erscheint sehr kurzsichtig und wird den Kernaussagen des aussagenpsychologischen Gutachtens von Frau Dipl.-Psych. G nicht annähernd gerecht. Insbesondere ist darauf hinzuweisen, dass -auch wieder ein erheblicher Widerspruch in dem Gutachten von Frau Dr, Q- der "sexuelle Missbrauch in der Kindheit und Jugend sei aber nie vergessen worden" (GA Dr. Q, Seite 13).
Es ist festzuhalten, dass Frau G in ihrem Gutachten vom 23.11.2010 bereits nach ausführlicher fachlicher Untersuchung zu dem Ergebnis gekommen war "Die Frage nach der Glaubhaftigkeit der Aussage muss aus fachlicher Sicht folglich offen bleiben." (GA Fr. G, Seite 31) Frau G kommt auch zu der Einschätzung, dass "erheblich" autosuggestive Einflüsse nicht auszuschließen sind (GA Dipl.-Psych. G, Seite 29) "Festzuhalten bleibt, dass die die Aussagegeschichte betreffenden, heute vorliegenden Daten ("psychogene Amnesie, "flashbacks" und Albträume als Quelle aller dem OEG-Antrag zugrundeliegenden Belastungen, Fehlen von belastenden Aussagen in der Jugend oder im frühen Erwachsenenalter) aus psychologischer Sicht mit dem Konzept eines autosuggestiven Prozesses in bezug auf die Mutter und den Vater betreffenden Vorwürfe in Einklang zu bringen. Mit anderen Worten: Die vorliegenden Daten stehen nicht im Widerspruch zu der Vermutung einer autosuggestiven Generierung ganzer Aussageteile oder zu der Annahme einer Überformung von Erlebtem durch autosuggestives Material bzw. einer Durchmischung von erlebten und autosuggestiven Anteilen." (GA Dipl.-Psych. G, Seite 29)
Es wäre wichtig zu erfahren, was Frau Dr. Q bezüglich der Situation in der Schule exploriert hat. So ist in dem Gutachten von Frau Dipl.-Psych zu lesen "Der Kontakt mit anderen Kindern der Klasse sei damals schwierig gewesen; sie hätten nicht mit ihr spielen wollen; sie sei nicht belebt gewesen." (GA Dipl.-Psych. G, Seite 8) "Auf der Realschule sei es "unangenehm" gewesen" (GA Dipl.-Psych. G, Seite 8) So habe Frau H auch keine guten Erinnerungen an die Zeit im Kindergarten "Im Alter von vier, fünf Jahren habe sie für eine gewisse Zeit den Kindergarten besucht. Sie habe niemals dorthin gehen wollen. Man habe sie dort nicht gemocht, sie sei altklug gewesen, habe nur mit Jungen gespielt und die Mädchen verhauen. Ihre Oma habe sie schließlich herausgenommen. Es sei eine furchtbare Zeit gewesen. Die Abneigung sei beidseitig gewesen." (GA Dipi.-Psych. G, Seite 7).
Es wird nicht ersichtlich an welcher Stelle sich Frau Dr. Q mit einem manipulativen Verhalten von Frau H auseinander setzt. So geht aus dem Gutachten von Frau Dipl.-Psych, G hervor "In jener Zeit habe sie bei Männern allerdings schon bewirken können, dass diese sie beschützen; sie habe beispielsweise "Jungs gehabt", die sie draußen begleitet hätten." (Seite 9) Im gleichen Kontext wird geschrieben "Ihre ersten sexuellen Kontakte habe sie mit dreizehn Jahren gehabt. Allerdings habe sie ihren ersten Freund mit zehn und ihren ersten Sexualkontakt in Form von "Petting" mit zwölf Jahren erlebt. Im Alter von vierzehn Jahren habe sie bereits "die Erfahrung einer Puffmutter" gehabt" (Seite 9).
"Damals habe sie einen zwei Jahre jüngeren Mann kennengelernt. Zuvor habe sie "einen ziemlichen Verschleiß an Männern" gehabt, doch dann sei "Aids aufgekommen", und sie habe sich "zur Ruhe gesetzt". (GA Dipl.-Psych. G, Seite 12) So ist auch zu lesen "Sie sei zwanghaft, putze viel und habe Angst vor Ansteckung." (GA Dipl.-Psych, G, Seite 15)
"Die Therapeuten hätten ihr "bewusst gemacht, was" sie "erlebt habe". (GA Dipl.-Psych. G, Seite 13).
In der Gesamtschau kommt der Unterzeichner, anders als die erstinstanzliche Einschätzung, dass die "Sachverständige begründet in ihrem Gutachten ausführlich und überzeugend ihre Einschätzung" zu der gegenteiligen Einschätzung. Das Gutachten von Frau Dr. Q wirkt aus der fachlichen Sicht des Unterzeichners oberflächlich, wenig reflektiert und in der Kausalitätsprüfung wenig aussagekräftig, da erheblich fokussierend. Eine Kausalitätsprüfung zeichnet sich in der Sachverständigenauseinandersetzung gerade darin aus, nicht (einseitig) einen vom Probanden subjektiven Beschwerdevortrag als Grundlage einer Einschätzung über Gesundheitsstörung ohne vorherige kritische Diskussionen über -wahrscheinliche- alternative (durchaus aus der vorhandenen Aktenlage hervorgehend!) anzunehmen. Wie oben beschrieben, gehen aus dem Gutachten viele Aspekte nicht hervor, die aber in einer kritischen Kausalitätsprüfung hätten diskutiert werden müssen. Hier sei zum Beispiel auf den sehr eklatanten Mangel in dem Gutachten von Frau Dr. Q hingewiesen, die aus der Aktenlage hervorgehende Essstörung (Anorexie) nicht diskutiert zu haben. Auch werden Widersprüche von Frau Dr. Q nicht nachvollziehbar erörtert. Auch werden subjektiv (histrionsch) vorgetragene Erklärungsmodelle bezüglich Krankheitssymptome ohne -zumindest nicht im Gutachten ersichtlich- unkritisch von Frau Dr. Q eins zu eins übernommen. Aus therapeutischer Sicht ist (kann) auf dem ersten Blick alles glaubhaft sein. Aber in einem Kausalitätsgutachten sollte nach ausführlicher kritischer Diskussion unter Einbezug aller vorhandenen Quellen ein "glaubhaft" nachvollziehbar werden. Es sei kritisch angemerkt, warum eigentlich -wenn man Frau Dr. Q Einschätzung folgt- Frau Dipl.-Psych. G nach einer mehrstündigen fachlichen Untersuchung eben zu keiner klaren Aussage kommen konnte! Weil aus Sicht des Unterzeichners es eben nicht wahrscheinlich erscheint, dass die von Frau H generierten Übergriffe sich in der Realität so abgespielt haben!
Sollte aber davon ausgegangen werden, dass die in Frage stehenden schädigenden Ereignisse zugrunde zu legen sind, so bleibt dann noch die Frage, welche noch bestehenden Funktionseinschränkungen (Gesundheitsstörungen) sind dann noch auf diese ursächlich zurückzuführen. So schreibt Frau Dr. Q, dass "letztlich stehen in der Entstehung der jetzt noch geklagten Gesundheitsstörungen (Ängste, Beziehungsstörungen, gestörtes sexuelles Verhalten, Intrusionen und Albträume, emotional instabiles Verhalten) beide Erkrankungen annähernd gleichwertig nebeneinander." (GA Dr. Q, Seite 22) So sei die Posttraumatische Belastungsstörung "in einem ursächlichen Zusammenhang im Sinne der Verschlimmerung mit dem schädigenden Ereignis zusammenhängend." (GA Dr. Q, Seite 24). Das heißt in der Konsequenz, es muss schon eine Posttraumatische Belastungsstörung als Vorschaden (im Sinne der Verschlimmerung) Vorgelegen haben! Diese Tatsache spiegelt sich auch in der Aussage von Frau Dr. Q "In der Genese der Gesundheitsstörungen auf psychiatrischen Gebiet spielt letztlich eine komplexe Traumatisierung in der Biografie der Probandin eine Rolle". (GA Dr. Q, Seite 21) Bezüglich der "unter 2. genannten Gesundheitsstörung ist festzuhalten, dass diese nicht ursächlich durch das schädigende Ereignis entstanden ist, zumindest aber ein Verschlimmerungsanteil durch das schädigende Ereignis besteht." (GA Dr. Q, Seite 24).
Also müsste Frau Dr. Q zu der Einschätzung kommen, dass jeweils schädigungsbedingt nur anteilig eine Posttraumatische Belastungsstörung und anteilig eine Persönlichkeitsstörung vorliegt. So sei es für Frau Dr. Q "sicher" – also wesentlich wahrscheinlich- anzunehmen, "dass die jetzt noch vorliegenden Gesundheitsstörungen zumindest zu gleichen Anteilen durch die schädigenden Ereignisse und die weiteren, aufgrund biografischen Belastungsfaktoren verursacht worden sind". (GA Dr. Q, Seite 24) Nach Frau Dr. Q würden die von ihr postulierten Schädigungsfolgen insgesamt einen GdS von 30 bedingen. Der festgestellte Schädigungsgard würde ab der Antragstellung "am 13.05.2009" gelten (GA Dr. Q, Seite 26). Nach vorheriger kritischer Anmerkung der hiesigen Rechtsabteilung, kommt Frau Dr. Q in einer Stellungnahme zu der Aussage, dass nunmehr das "komplexe Schädigungsleiden" und die "weiterhin bestehenden Gesundheitsstörungen" doch nun mit einem GdS von 40 zu bewerten wären. (Stellungnahme vom 30.01.2015, Seite 5) Es bleibt aber offen, wie zum einen "das komplexe Schädigungsleiden" und zum anderen die "weiterhin bestehenden Gesundheitsstörungen" jeweils mit einem GdS von Frau Dr. Q bewertet.werden. Denn es müssten ja für Frau Dr. Q unterschiedliche gesundheitliche Leiden sein, da sie schreibt "und".
Zudem schreibt Frau Dr. Q in ihrer Stellungnahme vom 30,01.2015 (Seite 5) "unter Berücksichtigung, dass zwei letztlich voneinander kaum trennbare Gesundheitsstörungen auf psychiatrischen Fachgebiet …", Aus Sicht des Unterzeichners sind die psychischen Gesundheitsstörungen (Erkrankungen) sehr wohl abzugrenzen! Zudem bestehen (wie oben diskutiert) bei Frau H neben der Persönlichkeitsstörung noch eine Zwangsstörung, eine Angststörung sowie eine Essstörung (Anorexie). So determinieren die Auswirkung all dieser -im wesentlichen schädigungsunabhängig – das aktuelle psychische Zustandsbild. Eine Posttraumatische Belastungsstörung ist in ihrem Vollbild nicht nachvollziehbar und wenn nur anteilig auf ein (glaubhaftes) schädigendes Ereignis zurückzuführen.
Im Übrigen ergeben sich aus der Stellungnahme von Frau Dr. Q vom 31.01.2015 keine wesentlich neuen Erkenntnisse in Bezug auf ihr Gutachten.
Letztendlich geht es in einem Kausalitätsgutachten um die Frage, was -bei juristisch vorgegebenem (glaubhaften) schädigendem Umstand- in der Gesamtschau mehr oder weniger für die Annahme der ursächlichen Entstehung von Gesundheitsstörungen (Erkrankungen) spricht. So spricht aus Sicht des Unterzeichners aufgrund der vielen Befundberichte unter Würdigung des Gutachtens von Frau Dipl.-Psych. G und des Gutachtens von Frau Dr. Q unter Einbezug der neuerlichen Stellungnahme von Frau Dr. Q wesentlich mehr dagegen als dafür, dass das psychische Zustandsbild durch die zugrundezulegenden schädigenden Ereignisse wesentlich verursacht ist. Aus Sicht des Unterzeichners spricht wesentlich mehr für die Annahme als dagegen, dass Frau H schon in sehr frühen Jahren (3. Lebensjahr) Ängste entwickelte (Umzug in dunkle Wohnung), unter Trennungsängsten (Kindergarten) sowie vermehrt über diffuse Ängste litt.
Die intrafamiliären Strukturen waren wenig geeignet, eine stabile und auf Vertrauen aufbauende selbstsicher Persönlichkeit zu entwickeln, vielmehr leidet Frau H an einer manifesten Persönlichkeitsstörung. Im Alter von 10. Jahren ereigneten sich massive Änderungen im Leben von Frau H. So konnte sie keine gesunde Einstellung zur früh einsetzenden Regelblutung entwickeln, sondern durch die Kommentare der Mutter, sie stinke im Genitalbereich, entwickelte sich eine Zwangsstörung, Zudem trat die (als subjektiv schmutzig erlebte) Regelblutung im Kontext mit der durch die Eltern freizügig gelebte Sexualität (Kinder schauten bei Geschlechtsverkehr zu) auf. Es kam auch im 10 Lebensjahr zur Trennung der Eltern. So entstand -unterbewusst- bei (Hypothese des Unterzeichners) Frau H Regelblutung und Sexualität bedingen Trennung. So litt Frau H ja schon vorher an Trennungsängsten! In diesem Kontext ist die reife Frau (Modell Mutter) nicht zu akzeptieren. Es entwickelt sich eine Essstörung. Hungern und Leistung werden für Frau H zum Kontrollmechanismus. Der durch seine Alkoholkrankheit die Familie wahrscheinlich sehr belastende Vater (nach dem man dieses befürchtete) erhängte sich. Unterbewusst plagen Frau H Schuldgefühle im Sinne, am Tod des Vaters Schuld zu sein. Wie sie (zumindest denkbar) schon -unterbewusst- gedanklich Schuld an der Trennung der Eltern war.
In einer partnerschaftlichen Beziehung kann Frau H längere Zeit Zufriedenheit erleben. Doch stehen der Beziehung die sexuellen Wünsche und Vorstellungen im Wege (so ist ja von gewaltsamer Sexualität die Rede), zudem kommen noch finanzielle Probleme hinzu. Unabhängig dazu tritt bei Frau H noch eine Endometriose mit vermehrter Blutung und erheblichen körperlichen Einschränkungen auf. Trennung als durch Symptomatik der Endomitriose (auch Regelblutung) sowie Sexualität bedingt. Die stabilisierenden Faktoren Partnerschaft, Arbeit und Wohnung fallen weg. In der neuen Wohnung dekompensiert Frau H aufgrund der Trennung. Zudem kommen aufgrund der räumlichen Nähe zur ehemaligen Wohnung der Eltern wieder Gedanken an das Erhängen des Vaters in das Bewußtsein von Frau H mit entsprechenden Schuldgefühlen.
Bezüglich von Gewalterfahrungen hätten Therapeuten Frau H gesagt, was sie erlebt habe! Im weiteren Verlauf kommt es aus Sicht -wie auch schon von Frau Dipl.-Psych. G beschrieben- zu einer autosuggestiven Verzerrung mit nunmehr -als subjektives Erklärungsmodell für Frau H- Fokussierung auf eine (insbesondere durch die Eltern) erlebte sexualisierte und körperliche Gewalt. So wird auch das eigene "perverse" Sexualverlangen damit in ein vermeidlich anerkannteres gesellschaftliches Verhalten -unbewusst- umgedeutet, als dass dies Sexulaverhalten -als subjektives Erklärungsmodell-ja eine Konsequenz des sexuellen Missbrauch zu sehen sei.
Im Rahmen der umfassenden Überprüfung durch den Unterzeichner ist abschließend folgendes zu empfehlen:
Dem Gutachten von Frau Dr. Q sollte -aufgrund der eheblichen Mängel- nicht gefolgt werden."
Aufgrund dieser Kritik ist der erkennende Senat zu dem Schluss gelangt, dass das Gutachten von Frau Dr. Q keine tragfähige Grundlage für eine gerichtliche Entscheidung darstellt. Der erkennende Senat hat daher die Neurologin und Psychiaterin C mit einem psychiatrischen Gutachten zur Aussagetüchtigkeit der Klägerin beauftragt und schließlich ein aussagepsychologisches Gutachten der Psychologin Dr. P zur Frage eingeholt, ob die Angaben der Klägerin erlebnisfundiert sind oder nicht. Die Sachverständige C hat zur Untersuchung der Klägerin ausgeführt:
"Bewusstseinsklare, zu Ort, Zeit und Person voll orientierte, altersentsprechend wirkende, gerade 51-jährige Frau. Im Kontaktverhalten höflich. Der Rapport erfolgt formal prompt und ist inhaltlich durchgängig adäquat. An einigen Stellen der Exploration stockt der Rapport kurz, wenn die Klägerin weint. Dieses Weinen taucht an mehreren Stellen der Exploration auf und ist nicht gebunden an Schilderungen des angegebenen sexuellen Missbrauchs durch den Vater oder der angegebenen Misshandlungen durch die Mutter.
Während der Exploration fallen starke projektive Außenschuldzuweisungen auf: Die erste Lehre wurde abgebrochen, weil sie 3 Monate lang nur den Boden habe wischen müssen. Der zweite Anlauf zum Abschluss der Ausbildung als Friseurin wurde abgebrochen, weil der Ausbilder sie angabemäßig sexuell belästigte. Ein weiterer Arbeitsplatz nach Abschluss der Ausbildung zur Friseurin konnte nicht ausgefüllt werden aufgrund von "Endometrioseschüben". Nach einem erneuten Wechsel folgte wieder eine nur kurzzeitige Beschäftigung, weil sie "mit ungedeckten Schecks bezahlt" worden sei. Ein weiteres Beschäftigungsverhältnis musste abgebrochen werden wegen einer Allergie gegen Dauerwellflüssigkeit und Shampoo.
Es fällt überdies auf, dass die Klägerin sich als attraktiv, sehr begehrt, von ihrer Mutter beneidet, frühreif schildert und den Kontrast zu den von ihr angegebenen lebensgeschichtlichen Begleitumständen gar nicht wahrnimmt (seit dem 3. Lebensjahr vom Vater missbraucht, von der Mutter misshandelt, gewürgt und geschlagen).
Es findet sich eine für histrionische Persönlichkeitsstörungen typische Suche nach aufregenden Erlebnissen und Aktivitäten bzw. Schilderung solcher Erlebnisse und Aktivitäten, in denen Frau H im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht, eine übermäßige Beschäftigung damit, sich als attraktiv, begehrens- und beneidenswert darzustellen und ein oberflächlicher, labiler Affekt. Zwar weint die Klägerin stellenweise, der Affekt bleibt jedoch flüchtig und die psychischen Längsschnittbefunde zeigen, dass Frau H je nach Zielsetzung den psychischen Befund offenbar beeinflussen kann. So gibt sie auf kritische Nachfrage der Unterzeichnerin, warum denn in der Klagebegutachtung durch Herrn Dr. S (Klage auf Umschulung) eine vollkommen remittierte seelische Erkrankung beschrieben worden sei und eine vollkommen überwundene posttraumatische Belastungsstörung, sie habe halt unbedingt die Umschulung gewollt. Hier werden für histrionische Persönlichkeiten typische manipulative Tendenzen deutlich.
In der Untersuchungssituation bestand, wie gerade angegeben, eine flüchtige Labilisierbarkeit im Affekt, keine tiefer gehende depressive Hinabgestimmtheit. Die emotionale Schwingungsfähigkeit war gemäß der oberflächlichen Affektivität eingeschränkt, der An-trieb war regelrecht. Bei der Schilderung des angegebenen sexuellen Missbrauchs kam es nicht zu einem affektiven Einbruch, vegetativen Auffälligkeiten, Hyperventilation, Veränderungen des Pupillenspiels, die eine Belastung belegen. Befundgemäß war eine "PTBS" nach sexuellem Missbrauch nicht zu sichern, stattdessen aber Merkmale einer histrionischen Persönlichkeitsstörung. Es bestanden keine Hinweise für psychotisches Erleben, keine Hinweise für latente oder manifeste Suizidalität.
Zusammenfassung und Beurteilung:
Bei der 51-jährigen Klägerin besteht als Hauptleiden eine strukturelle Störung der Persönlichkeits- und Reifungsentwicklung, die ausweislich unserer Lehrbücher (herrschender Stand der wissenschaftlichen Lehrmeinung) sich aus einem Wechselspiel zwischen genetischer Anlage (50 %) und nachteiligen Umfeldbedingungen entwickelt. Die bei der Klägerin vorliegende histrionische Persönlichkeitsstörung zeichnet sich durch ein ausgeprägtes Verlangen nach Aufmerksamkeit, Außenreizen / Reizhunger aus. Der aktenkundige Verlauf, die widersprüchlichen Angaben der Klägerin zu ihren Aufwuchsbedingungen zeigen das typische Merkmal einer histrionischen Persönlichkeitsstörung, nämlich eines unscharfen und sprunghaften Denkstils mit starker Suggestibilität.
Das erklärt die Änderungen im Aussageverhalten von Frau H während des hier zu überblickenden Verlaufs, was ich deshalb besonders gut belegen kann, weil ich ganz bewusst die Antragsberichte auf Psychotherapie der erstbehandelnden Psychotherapeutin Frau Dr. N1 beigezogen habe, die zunächst bei erstmaligem Aufsuchen 2001 und auch noch in den Folgejahren gar keinen Hinweis ergeben auf eine sexuelle Traumatisierung der Klägerin. Erst im Rahmen von "Erinnerungsarbeit" oder, wie Frau Dr. N1 das nannte: "Im Schutze der Therapie" habe sie einen sexuellen Missbrauch durch den Vater erinnert. "Bruchstückhaft erinnerte sich die Patientin an Szenen körperlicher Gewalt und sexueller Übergriffe durch den Vater, verbunden mit dem Gefühl des wehrlosen Ausgeliefertseins. Inzwischen lichtet sich der Schleier der Albträume. Hinter den angstauslösenden Geistern und Gespensterfratzen, vor denen sie sich in ihrer Kindheit, aber auch heute noch in der Nacht fürchtet, erkennt sie das Gesicht ihres Vaters. "
Rekapituliert man den gesamten biographischen Werdegang der Klägerin bis zum Klageverfahren, zeigt sie schon früh ein weiteres Merkmal für die histrionische Persönlichkeitsstörung, dass nämlich die Konfrontation mit realen Defiziten und Umbruchsituationen im sozialen Umfeld zu krisenhaften Zuspitzungen führen könnten. Die Klägerin imaginierte sich als äußerst begehrenswerte Tochter einer sie beneidenden Mutter, die eigentlich hätte zum Gymnasium gehen sollen, was die Mutter aber verhindert habe mit der Äußerung, sie, die Klägerin, "wolle wohl wieder einmal Besseres sein", wie es nämlich im Erstantragsbericht auf psychotherapeutische Behandlung von Frau Dr. N1 aus dem Jahr 2001 hieß.
Bei mir hat die Klägerin angegeben, sie habe Schulprobleme gehabt, Leistungsschwächen, sei zunächst auf die Realschule gekommen, wo sie nach einem Jahr abgegangen sei, um auf die Hauptschule zu wechseln, sie habe schlechte Leistungen gehabt und sei dennoch auf der Hauptschule im 6. Schuljahr sitzen geblieben. Das passt nicht so zu den Darstellungen gegenüber Frau Dr. N1.
Realistische Selbsteinschätzung vorausgesetzt, hätte man diese Angabe schon bei Aufnahme einer Psychotherapie im Dezember 2001 bei Frau Dr. N1 erwartet, wo sich die Klägerin aber eben anders, nämlich mit dem typischen Bedürfnis nach Aufmerksamkeit, Bewunderung, beneidet sein. Sprunghafter Denkstil und hohe Suggestibilität zeigen sich des Weiteren im längsschnittlichen hier aktenkundig zu beobachtenden Verlauf darin, dass die Klägerin gegenüber der Erstbehandlerin Frau Dr. N1 keinesfalls angegeben hat, dass sie sexuell vom Vater missbraucht oder gar von der Mutter misshandelt worden wäre. Auch, dass sie vom Vater geschlagen oder misshandelt worden wäre, lässt sich dem Antragsbericht der Erstbehandlerin ebenso gerade nicht entnehmen, sondern stattdessen das Gegenteil. Hier hatte die Klägerin angegeben, der Vater sei gegenüber den Kindern nie aggressiv gewesen, wohl gegenüber der Mutter.
Im Hinblick auf die später diagnostizierte posttraumatische Belastungsstörung als Folge angegebener sexueller Übergriffe durch den Vater lässt sich ein entsprechend vorsichtiges, abwartendes, misstrauisches oder vermeidendes Verhalten den Angaben der Klägerin gegenüber ihrer Erstbehandlerin gerade nicht entnehmen.
Erste Kontakte zu männlichen Jugendlichen habe sie im Alter von 13 Jahren gehabt, die Mutter habe ihr die Pille besorgt, ihr aber auch gesagt, sie werde noch eine Strafe dafür bekommen, in so jungen Jahren sexuelle Kontakte zu Männern gehabt zu haben.
Die Klägerin hatte angegeben – und das war auch der Ausgangspunkt für den OEG-Antrag -, sie sei vom Vater zwischen dem 3. bis 16. bzw. 5. bis 16. Lebensjahr missbraucht worden (der Beginn der Missbrauchshandlungen wird unterschiedlich datiert), wobei sie unterschiedliche Angaben macht im Hinblick auf die Erinnerungsfähigkeit an den sexuellen Missbrauch. Phasenweise gab sie an, diesen habe sie immer erinnert, phasenweise gab sie an, sie habe ihn verdrängt, er sei dann erst durch aktuelle Ereignisse wieder in ihr Bewusstsein gedrungen. Tatsache ist, dass sich den Angaben der Klägerin gegenüber ihrer Erstbehandlerin Frau Dr. N1, aber auch den Angaben der Klägerin bei mir zu ihrer psychosexuellen Entwicklung nicht entnehmen lässt, dass es im Kontext des angegebenen sexuellen Missbrauchs ein entsprechendes, für eine posttraumatische Belastungsstörung typisches Vermeidungsverhalten der Klägerin gegeben hat, das Gegenteil war der Fall.
Einen wirklichen Einschnitt erlitt die Klägerin, als sich der Vater der Klägerin suizidierte, die Klägerin die Suizidgefährdung eigenanamnestisch angegeben antizipiert hatte und Schuldgefühle entwickelte, den Tod des Vaters nicht verhindert zu haben.
In der Zeit zwischen Dezember 2001 bei Frau Dr. N1 bis über die stationäre Behandlung in den Rheinischen Kliniken M zwischen 21.12.2002 bis 01.04.2003 wird von der Klägerin als einschneidende Erfahrung der Suizid des Vaters, der sich erhängt habe, angegeben, aber kein sexueller Missbrauch.
Eine krisenhafte Zuspitzung im Dezember 2002 erklärte Frau Dr. N1 in ihrem Bericht zur Fortführung einer Langzeittherapie im Mai 2003 damit, dass ihre Patientin umgezogen sei "wenige Häuser von der Wohnung entfernt, in der sich der Vater das Leben genommen habe." Diesbezüglich führt die Erstbehandlerin auch dann aus, dass Frau H eine gewisse Schuld am Tod des Vaters empfinde, denn sie habe ihm am Vorabend seines Todes die 10 DM nicht gegeben, um die er sie gebeten habe, weil sie gewusst habe, er würde sich davon nur Alkohol kaufen. In zeitlicher Nähe zu der späteren Angabe der Klägerin während des psychiatrischen Aufenthalts in der Klinik Langen-feld habe sie den sexuellen Missbrauch durch den Vater erinnert, bedingt durch einen Umzug in die Nähe des Hauses, heißt es in dem Fortführungsantrag von Frau Dr. N1 in zeitlicher Nähe zur Entlassung aus der Klinik:
"Während sie in ihrer 12-jährigen Partnerschaft ähnlich einer Josefsehe lebte, erlebt sie nun sexuelle Befriedigung mit Männern, die ihr ansonsten keinesfalls nahestehen, hier kann sie Sexualität schuldfrei erleben."
Hier stellt sich erneut die Frage, wie die Klägerin bei angegebener Reaktualisierung sexuellen Missbrauchs "schuldfrei" nun sexuelle Befriedigung und Sexualität erleben kann, wo sie schon in der Pubertät sehr früh sexuelle Beziehungen zu Partnern eingegangen ist, obwohl angabegemäß der sexuelle Missbrauch fortlaufend bis zum 16. Lebensjahr geschah.
Die Merkmale einer histrionischen Persönlichkeitsstörung mit dem Bedürfnis, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen, sich in dramatischer Hinsicht selbst darzustellen, leicht beeinflussbar zu sein, ständig auf der Suche nach aufregenden Erlebnissen und Aktivitäten zu sein, in denen sie im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht (Berger: Psychische Erkrankungen, Klinik und Therapie, 4. Auflage, Urban & Fischer Verlag 2012, Seite 768 unter Berücksichtigung der ICD 10 Forschungskriterien) zeigt sich dann auch in den wechselnden Selbstdarstellungen und Beschreibungen von Frau H, die sich mit dem Ziel, eine Umschulung erreichen zu können, am 24.08.2005 bei Dr. S im Rahmen eines sozialgerichtlichen Verfahrens vor dem Sozialgericht Düsseldorf vorstellt, nachdem sie 4 Monate zuvor aus der Klinik U unter der Diagnose posttraumatische Belastungsstörung, Verdacht auf dissoziative Störung behandelt wurde und die Behandlung dort abbrach.
Bei der Untersuchung durch Herrn Dr. S gab die Klägerin einen intakten Tagesablauf an und sodann, sie komme mit der posttraumatischen Belastungsstörung klar und habe das mit der Psychotherapie aufgearbeitet. Dr. S beschrieb dann einen unauffälligen psychischen Befund und gab an, es hätte sich sowohl eine zuvor bestandene Angst- und Panikstörung als auch depressive Episode erscheinungsfrei zurückgebildet und selbst Hinweise für eine histrionische Persönlichkeitsstörung hätten sich anlässlich seiner aktuellen Untersuchung nicht gefunden.
"Auf psychischem Sektor liegt eine verminderte Belastungsfähigkeit der Klägerin nicht vor."
So, wie die Klägerin bereits zu Beginn klassischer Schwellensituationen, nämlich Beginn der Ausbildung (zur Friseurin) wiederholt scheiterte und bei der beruflichen Integration erhebliche Schwierigkeiten hatte, die sich später auch noch in zwei Umschulungen zur Industriekauffrau und Bürokauffrau wiederholten mit Abbruch, wurde dann auch die "erklagte" Umschulung zur Podologin bei gutachterlich festgestellter Belastbarkeit nach wenigen Wochen abgebrochen und die Klägerin nach einer erneuten Verschlimmerung 2007 und 2008 berentet.
In den Befundberichten der L Diakonie aus 2007 und der Rheinischen Klinik M 2008 wird ein zum Teil dramatisches Agieren beschrieben, Schwierigkeiten mit Mitpatienten und es zeigt sich hier nicht das Vollbild einer posttraumatischen Belastungsstörung, sondern das Vollbild einer schweren Persönlichkeitsstörung mit "heftigen Konflikten" nicht nur im privaten Umfeld von Frau H, sondern diese interaktionellen Schwierigkeiten, die die berufliche und auch private Integrationsleistung der Klägerin von frühesten Zeitpunkten an behindert haben, zeigten sich auch im Kontakt mit Mitpatienten und Behandlern.
Im Zusammenhang mit dem OEG-Antrag (zeitlich gesehen) und in zeitlicher Nähe zur letzten Behandlung in M kam es zur Aufnahme einer sexuellen, auch von Gewalt geprägten Beziehung zu einem Mitpatienten und dann zu ihrem früheren Freund D, mit dem sie schon vor dem Suizid des Vaters in jungen Jahren zusammen gewesen war und gleichzeitig zu der Überlegung, vielleicht in einem "Domina-Studio" tätig zu werden, wovon sie dann Abstand nahm aus Angst, "da könne zu viel hochkommen".
Demgegenüber steht die Schilderung zu der Beziehung zu ihrem früheren Freund D, mit dem sie zwischen 17 und 18 "eine sehr sexuelle Geschichte" gehabt habe, die sie dann habe wieder aufleben lassen 2008 "mit 43" und der mir gegenüber angegebenen Begründung:
"Du kannst ja auch nicht dein ganzes Leben ohne Sex. D kannte ich."
Zu der früheren Beziehung mit D im Alter von 17 bis 18 hatte die Klägerin angegeben, sie habe damals auch "Lust" gehabt. Das passt nicht zu einer seelischen Erschütterung durch den angegebenen sexuellen Missbrauch durch den Vater. Ein psychischer Erstschaden lässt sich aus diesen Schilderungen nicht ableiten und auch keine Fortsetzung der Kausalkette / des Primärschadens. Die psychischen Befunde sind im Längsschnittverlauf widersprüchlich, ebenso die Angaben der Klägerin. Angaben hinsichtlich des sexuellen Missbrauchs kamen mit zeitlichem Abstand zur Erstaufnahme einer psychotherapeutischen Behandlung im Rahmen einer "Erinnerungsarbeit" zustande bei persönlichkeitsbedingter hoher Suggestibilität. Eigentlicher Anlass der Geschichte, die hier zu überblicken ist, war das Scheitern einer Beziehung der Klägerin im Jahr 2001. Ein Trennungs- und Verlusterlebnis, Scheitern der Beziehung zu "Q", Scheitern der gemeinsamen Selbständigkeit im Rahmen eines Friseurgeschäfts und gynäkologische Operationen und trotz dieser Operationen anhaltender Schmerzzustände im Unterbauchbereich.
Unter Berücksichtigung dieser Erwägungen und der Rekapitulierung des hier aktenkundig notierten Verlaufs einschließlich der Entwicklung der Aussagen zum Geschehen und zum Krankheits-verlauf komme ich nunmehr zur Beantwortung Beweisfragen:
Bei der Klägerin liegt eine histrionische Persönlichkeitsstörung gemäß ICD 10 F 60.4 vor, gekennzeichnet durch Reizhunger, Wunsch nach Aufmerksamkeit und Beachtung, unersättlichem Bedürfnis danach. Berger (Psychische Erkrankungen, Klinik und Therapie, 4. Auflage, Urban & Fischer Verlag, Seite 769) schreibt dazu:
"Es scheint ein tiefgreifendes Gefühl des Mangels, der fehlenden Authentizität, der inneren Leere vorzuherrschen, die durch Außenreize kompensiert werden soll. Fatalerweise scheinen histrionische Persönlichkeiten jedoch sehr wohl zu spüren, welch artifiziellen Charakter ihre kognitiven und sozialen Simulationen haben, das Gefühl, sich selbst und anderen etwas vorzuspielen, am wirklichen Leben vorbei zu leben, die wahre Liebe zu versäumen, die echte Berufung zu übersehen, führt jedoch nicht dazu, innezuhalten und eigene ich-gesteuerte Entschlüsse reifen zu lassen. Stattdessen wird die Intensität der Inszenierung erhöht."
Berger zitiert bei der Beschreibung der histrionischen Persönlichkeitsstörung, die im Fall der Klägerin ganz besonders zutreffend ist, das verzweifelte Bemühen der histrionischen Persönlichkeit um Lebendigkeit und Berühmtheit.
"So wird der Partner gewechselt, eine neue Ausbildung begonnen, ein neues Instrument gelernt, der Therapeut ausgetauscht "
Diese Verhaltensauffälligkeiten lassen sich bei der Klägerin auch eigenanamnestisch bis in die frühe Pubertät rückverfolgen. Zu dem Zeitpunkt, als der "Ernst des Lebens" Frustrationstoleranz, Durchhaltevermögen, Lernbereitschaft von der Klägerin verlangte, begannen Schulschwierigkeiten, Schulschwänzen. Es gab erhebliche Schwierigkeiten bei der beruflichen Ausbildung zur Friseurin, dem Abschluss der Ausbildung, aber auch der nachfolgenden beruflichen Integration, wobei immer andere für das Scheitern der beruflichen Integration verantwortlich gemacht wurden: Sexuelle Belästigung, unbezahlte Arbeit, gynäkologische Beschwerden, Allergieneigung. Zwei Umschulungen wurden abgebrochen, eine weitere vor dem Sozialgericht Düsseldorf erkämpfte Umschulung zur Podologin, in deren Vorlauf sich die Klägerin als psychisch unauffällig dargestellt hatte, ebenso.
In Krisensituationen, in denen eine positive Spiegelung ausbleibt, erneute Verlust- und Trennungserlebnisse zu verkraften sind, liegt überdies bei der Klägerin eine wiederkehrende depressive Störung gemäß International Classification of Diagnostic (ICD) 10 F 33.4 vor, die zum Zeitpunkt meiner Untersuchung remittiert war und auch medikamentös gar nicht mehr behandelt wurde.
Eine posttraumatische Belastungsstörung nach ICD 10 F 43.1 liegt nicht vor.
Bei der Klägerin liegt unter Beachtung von Punkt 3.7 der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizinverordnung (VersMedV) eine schwere Störung im mittleren Bereich für mittelgradige soziale Anpassungsschwierigkeiten, Grad der Behinderung (GdB) 60 vor und nicht "nur" ein GdB 40 insgesamt, denn die Klägerin ist aufgrund der Schwere der seelischen Erkrankung seit 2008 erwerbsgemindert berentet worden, so dass der Grad der Behinderung hier deutlich über den Bereich einer Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (oberer Korridor 40) hinausgeht. Dass die Klägerin beruflich kaum integrationsfähig ist und erhebliche Einbußen auch im Bereich der privaten Integrationsfähigkeit hinnehmen muss, ergibt sich schon aus den jüngsten Entlassungsberichten aus stationärer Behandlung in der Klinik L 2007 und M 2008. Die Klägerin zeigte sich hier hoch konflikthaft in der Gestaltung der Beziehung zu Mitpatienten und Behandlern, brach die Behandlung ab, dies alles in einem geschützten therapeutischen Rahmen, in dem sie auf maximales therapeutisches Verständnis hoffen kann. Die Verhaltensweisen der Klägerin sind hoch dysfunktional und führen zu Zuständen wiederholter sozialer Ausgrenzung im Sinne eines für Persönlichkeitsstörungen typischen zyklisch maladaptiven Musters. Entsprechend schreibt Berger (Siehe oben):
"Wie bei allen Persönlichkeitsstörungen sollte davon ausgegangen werden, dass die etablierten Verhaltensmuster sich selbst aufrecht-erhalten, d.h. neues Lernen unmöglich machen."
Dies erklärt auch den eigentlich negativen therapeutischen Verlauf zwischen Beginn der Behandlung bei Frau Dr. N1 im Dezember 2001 bis zur Berentung 2008.
Die Klägerin ist aufgrund ihrer histrionischen Persönlichkeitsstörung in der Wahrnehmungsfähigkeit eingeschränkt. Alle Umstände mit selbstwertstabilisierender und insbesondere -erhöhender Bedeutung werden nicht kritisch reflektiert, sondern überschätzt, ihnen fällt die Klägerin sozusagen "anheim". Insofern ist auch die Erinnerung der Klägerin mitbestimmt durch das subjektive Bedürfnis, et-was Besonderes zu sein, nicht gescheitert zu sein, bewunderungs-würdig und beneidenswert zu sein, mit der sehr hohen Bereitschaft, äußere Anlässe für die eigenen Schwierigkeiten "heranzuziehen". Bei der Klägerin besteht keine wahnhafte Erkrankung, auch keine demenzielle Erkrankung, aber eine schwere Persönlichkeitsstörung, die ausweislich der ICD 10-Kriterien eine hohe Suggestibilität, leichte Beeinflussbarkeit durch andere Menschen oder äußere Umstände beinhaltet. Im Rahmen einer regelmäßigen Richtlinienpsychotherapie und regelmäßiger Kontakte ist über 2 Jahre von einem sexuellen Missbrauch durch den Vater nicht die Rede gewesen. Ich habe die Antragsberichte auf Psychotherapie der Erstbehandlerin Frau Dr. N1 beigezogen. Allein die Wortwahl, die auch die Therapeutin hier getroffen hat: "Bruchstückhaft erinnerte sich die Patientin an Szenen körperlicher Gewalt und sexueller Übergriffe durch den Vater." "Im Schutze der Therapie" "der Patientin gelinge es, Erinnerungsfragmente zusammenzufügen" lässt bei einer so schweren Persönlichkeitsstörung mit so hoher Suggestibilität schon Zweifel daran aufkommen im Hinblick auf den Tatsachengehalt der Angaben.
Überdies ist widersprüchlich, dass die Klägerin immer angegeben hatte, der Vater sei nicht gewalttätig gegenüber den Kindern gewesen, um dann anzugeben, er sei doch gewalttätig gewesen. Dann ist widersprüchlich, dass die Klägerin gerade bei der "Wiedererinnerung" an den sexuellen Missbrauch aber in der Lage gewesen sein soll, nun sexuell befreit zu agieren, neue Beziehungserfahrungen mutig und mit Erfolg zu proben, sexuelle Befriedigung mit Männern zu erleben, das alles wenige Monate nach der Entlassung aus der Klinik M, in der angabegemäß der sexuelle Missbrauch "aufgedeckt" worden sein soll, obwohl der Bericht aus der Klinik M diese Angabe gar nicht hergibt.
An Ursachen der Erkrankung der Klägerin kommen generell in Betracht: Genetische Anlage in Wechselwirkung mit nachteiligen Umfeldbedingungen im Sinne eines multifaktoriellen Geschehens. Dabei gelten bei Persönlichkeitsstörungen die Ergebnisse zur genetischen Determiniertheit als valideste und am besten reproduzierbare Untersuchungsbefunde. Dabei liegt die genetische Determinierung für Persönlichkeitsstörungen bei etwa 50 % (Berger, siehe oben, Seite 724). Im Hinblick auf die vorgeschriebenen krisenhaften Zuspitzungen vor dem Hintergrund der schweren Persönlichkeitsstörung sind jeweils aktuelle Ereignisse auslösend: Trennung vom Partner, berufliche Schwierigkeiten, Scheitern an Anforderungen (Umschulung).
In den gesundheitlichen Verhältnissen der Klägerin, die bereits 2008 erwerbsgemindert berentet wurde, ist seit Mai 2009 keine wesentliche Änderung eingetreten. Es handelt sich um ein chronifiziertes Störungsbild, eingeschliffen und fixiert, therapeutisch nicht mehr maßgeblich beeinflussbar seit Mai 2009.
Ich stimme mit den Ausführungen von Herrn N dahingehend überein, dass das Aussageverhalten der Klägerin außerordentlich widersprüchlich war und sich meines Erachtens Frau Dr. Q damit nicht ausreichend auseinandergesetzt hat. Ich finde es auch schwierig, als klinisch tätige Psychiaterin ohne Tonbandprotokoll eine Aussage zur "Glaubhaftigkeit" zu machen, wenn Frau Dr. Q gleichzeitig angibt, dass Tonbandprotokolle nur im Rahmen aussagepsychologischer Gutachten zur Glaubhaftigkeit durchgeführt werden würden, was sie nicht gemacht habe, da es um die Vertrauensbildung im Rahmen einer klinisch psychiatrischen Begutachtung gegangen sei. Gleichwohl hat sie aber eine Aussage zur Glaubhaftigkeit gemacht und dann stellt sich die Frage nach der "Methodik". Auch hat Frau Dr. Q sich meines Erachtens mit dem Akteninhalt und dem erforderlichen Abgleich zu den bei ihr gemachten Angaben der Klägerin nicht auseinandergesetzt, nicht mit den Widersprüchen, die ein tendenzielles, allerdings im Rahmen einer krankhaften histrionischen Persönlichkeitsstörung zu sehendes Verhalten belegen. In diesem Kontext ist darauf hinzuweisen, dass gesetzt den Fall, es hätte jemals Schädigungs-folgen gegeben, gemäß Nr. 71 Abs. 2 und 4 chronifizierte Zustände und Wunsch- und Zweckreaktionen nicht Schädigungsfolge sein können.
Auch der GdB ist widersprüchlich: Frau Dr. Q diagnostizierte eine PTBS und eine Borderline-Persönlichkeitsstörung vor dem Hintergrund schon zum Zeitpunkt ihrer Begutachtung, dass die Klägerin aufgrund dessen erwerbsgemindert berentet war. Dann ist der GdS von zunächst 30, den sie nach Intervention von Herrn N auf 40 anhob, nicht konkordant mit den doch deutlichen Einschränkungen der beruflichen Teilhabe und den in den Klinikberichten aus L und M 2007 und 2008 beschriebenen erheblichen interaktionellen Defiziten, die selbst unter geschützten therapeutischen Bedingungen mit Abbruch der Therapie endeten.
Meines Erachtens ist es auch wichtig, bei einer solchen Persönlichkeitsstörung wie bei der Klägerin vorliegend die Geschichte der "Erinnerung" zu rekonstruieren und diesbezüglich hätte sich schon bei der Begutachtung im erstinstanzlichen Verfahren aufgrund der aktenkundig widersprüchlichen Angaben (Wieso war bei der Begutachtung durch Herrn Dr. S die PTBS vollkommen remittiert?) eine Beiziehung der Antragsberichte auf Psychotherapie von Frau Dr. N1, der Erstbehandlerin, empfohlen. Sachsse schreibt dazu in Trauma und Justiz, Schattauer Verlag 2014, Seite 94:
"Erinnerungen an Traumata sind – wie alle Erinnerungen – rekonstruktiv: Sie können vollständig wahr sein, wesentliche Ungenauigkeiten enthalten oder in einigen Fällen reine Illusion sein. Kompetente Therapeuten erkennen an, dass Erinnerung fehlbar ist und dass bestimmte therapeutische Ansätze die Wahrscheinlichkeit einer Verzerrung oder Konfabulation erhöhen können."
Er betont, es sei erwiesen, dass an unzutreffende Erinnerungen fest geglaubt und diese überzeugend beschrieben werden können. Dies ist anhand einer aktuellen Studie "Constructing Rich False Memories of Committing Crime" von Julia Shaw und Steven Porter in "Psychological Science" 2015, Volume 26 (3), Seite 291 – 301 erwiesen worden. Nach drei Interviews hatten 70 % der Interviewten angegeben, ein Verbrechen begangen zu haben, obwohl dieses gar nicht begangen worden war."
Die psychologische Sachverständige Dr. P hat ausgeführt:
"Zunächst sind Feststellungen zur Aussagetüchtigkeit der Klägerin zu treffen. Unter Aussagetüchtigkeit ist die Fähigkeit eines Probanden zu verstehen, einen Sachverhalt zuverlässig wahrzunehmen, ihn im Gedächtnis zu speichern und adäquat abzurufen. Der Proband sollte ferner in der Lage sein, sich verbal verständlich auszudrücken, sich von suggestiven Vorhalten hinreichend abzugrenzen und Erlebtes von Vorgestelltem zu trennen. Um entsprechende Feststellungen treffen zu können, sind Prüfungen der Kompetenzen und Erfahrungen der Klägerin notwendig, und zwar insbesondere im Hinblick auf den hier zu erörternden Aussagegegenstand. Neben der grundsätzlichen Klärung der Frage nach einer hinreichenden Aussagetüchtigkeit ist es notwendig, einen individuellen Vergleichsmaßstab für die Beurteilung der vorliegenden Aussagequalität zu erhalten.
Die Frage nach der Erlebnisfundiertheit der Aussage macht eine Abwägung der Wahrscheinlichkeiten erforderlich, auf welche Quellen die zu beurteilenden Angaben zurückzuführen sind. Voraussetzend sind mögliche Fehlerquellen, die die Aussagezuverlässigkeit beeinflusst haben könnten, zu erörtern, d.h. es werden Störfaktoren, vorwiegend suggestive Einflüsse auf die Aussageentstehung und Aussagegeschichte, geprüft. Es ist die Aussagequalität vor dem Hintergrund der gegebenen Voraussetzungen zu diskutieren. Es werden ggf. im Qualitäts-Kompetenz-Vergleich aussageimmanente und aussageübergreifende Merkmale geprüft, die eine Abgrenzung eines Erlebnisberichts von einer intentionalen Falschaussage ermöglichen sollen.
Etwaige Realkennzeichen Unterscheidungskriterien zwischen auf eigenem Erleben basierenden und erfundenen Aussagen sind mit Hilfe der kriterienorientierten Inhaltsanalyse Die kriterienorientierte Inhaltsanalyse behandelt folgende Frage: Kann und/oder würde dieser Proband mit seinen Fähigkeiten, Kenntnissen und Erfahrungen diese Aussagevorgebracht haben, ohne dass der Aussageinhalt auf Erleben zurückgeht aussagepsychologisch zu bewerten.
Untersuchungsrelevante Hypothesen
Die Beurteilung der Frage, ob die Angaben der Klägerin am ehesten als erlebnisfundiert einzuschätzen sind, erfolgt dann übergreifend im Rahmen einer Hypothesenprüfung:
Der Erlebnishypothese (die besagt, dass die Aussage auf realen Erfahrungen beruht) sind denkbare Formen der Unwahrhypothese (Nullhypothese) gegenüber zu stellen, die ein möglichst umfassendes Spektrum an (alternativen) Erklärungsmöglichkeiten für die konkrete Aussage bieten sollten.
Das Vorgehen bzw. der Beurteilungsmaßstab unterscheiden sich in Verfahren der hier vorliegenden Art von aussagepsychologischen Begutachtungen im Rahmen eines Strafprozesses.
Im Strafverfahren gilt bekanntermaßen die Unschuldsvermutung, und entsprechend erfolgt dann auch das gutachterliche Vorgehen: das methodische Grundprinzip besteht darin, einen zu überprüfenden Sachverhalt so lange zu negieren, bis diese Negation mit den gesammelten Fakten nicht mehr vereinbar ist (vergleiche Steller & Volbert zum BGH-Urteil vom 30.07.1999 – 1 StR 618-98).
Das heißt, dass die Vorgehensweise an das Falsifikationsprinzip geknüpft ist: dann, wenn alle plausiblen Erklärungsmöglichkeiten dazu, wie eine Aussage auch anders als auf der Basis eines Erlebens zu Stande gekommen sein kann, mit hinreichender Sicherheit zurückgewiesen werden können, ist, quasi im Umkehrschluss, der Erlebnishypothese zu folgen (Vollbeweis). Aus diesen methodischen Anforderungen ergibt sich eine hohe Schwelle für Rückschlüsse auf die Erlebnishypothese.
Dagegen soll hier der Beurteilungsmaßstab der neueren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu den Anforderungen an aussagepsychologische Gutachten (Urteile vom 17.04.2013 – B 9 VG 1/12 R und B 9 VG 3/12 R) Berücksichtigung finden. Das führt dazu, dass die Befunde anders gewichtet werden müssen, wenn die Gesamtbeurteilung nicht auf einen Vollbeweis (wie im Strafrecht) ausgerichtet ist, sondern sich an einem abgesenkten Beweismaßstab orientiert:
In der hier vorliegenden Fragestellung kommt es somit nicht unbedingt darauf an, alle alternativen Hypothesen ("Unwahrhypothesen") zu widerlegen, sondern es geht um die relative beziehungsweise überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine aufgestellte Hypothese. Das heißt, dass eine der infrage kommenden Hypothesen, die das Zu-Stande-Kommen der Aussage erklären könnten, sich als die wahrscheinlichste von den anderen Hypothesen abheben muss.
Insofern geht es methodisch nicht um eine Zurückweisung einer oder mehrerer Hypothesen, sondern um eine (relative) Gewichtung. Nach Analyse der Aktenlage sind – nach Feststellung der Aussagetüchtigkeit – hier folgende Hypothesen spezifizierend aufzustellen und zu diskutieren:
– Die Aussage ist absichtlich falsch
Es ist die Möglichkeit zu prüfen, dass die Klägerin Frau H ihre Aussage frei erfunden hat (Lügenhypothese). Dafür könnten verschiedene Motive – z.B. Erklärungen für die eigene belastete psychische Situation, unverarbeitete Kindheitserlebnisse, Schuldzuweisungen, Suche nach finanziellem Vorteil, Wunsch nach Selbstdarstellung etc. – ausschlaggebend gewesen sein.
Zur Prüfung der Hypothese der intentionalen Falschaussage ist u.a. die kriterienorientierte Inhaltsanalyse vor dem Hintergrund motivationaler Faktoren heranzuziehen.
Es ist auch die Möglichkeit zu prüfen, dass Frau H Inhalte ihrer Aussage einer anderen (äußeren) Quelle (Literatur, Medien; Informationen Dritter) oder anderen eigenen Erfahrungen entnommen und die Aussage somit unsachgemäß überarbeitet haben könnte (Projektions- oder Wahrnehmungsübertragungshypothese).
Die Prüfung dieser Hypothese erfordert – neben der Erörterung der Motivlage – insbesondere eine Auseinandersetzung mit den inhaltlichen Qualitäten der Angaben, die eindeutig auf einen konkreten Kontext und die eigene Erlebnisperspektive verweisen sowie qualitativ überzeugende individuelle, persönliche Verflechtungen darlegen können.
– Die Aussage ist unabsichtlich falsch
Die Aussagen der Klägerin könnten durch ungünstige Befragungseinflüsse bzw. durch Gespräche und mehr oder minder gezielten inhaltlichen Vorgaben durch andere Personen (Partner; Therapeuten etc.) entstanden oder im Laufe der Zeit grob verändert worden sein (Suggestionshypothese). Eine derartige Möglichkeit erscheint insbesondere immer dann besonders relevant, wenn ein längerer zeitlicher Abstand zwischen Erleben und (erster) Aussageerstattung vorliegt.
Ferner könnten auch innerpsychische (autosuggestive) Prozesse eine Rolle gespielt haben, die – vielleicht nach zeitweiligem Vergessen / "Verdrängen" – im Nachhinein zu einem (subjektiv plausiblen) Lückenfüllen und einer Umbewertung von Erlebnissen und Erinnerungen geführt haben könnten. Dadurch könnte die Aussage in wesentlichen Aspekten verfälscht worden sein (Autosuggestionshypothese).
Zur Prüfung dieser Hypothesen ist die Erörterung der Motivlage, vor allem aber eine Analyse der Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der Aussage notwendig. Dabei sind Aussageänderungen im bisherigen zeitlichen Aussageverlauf zu analysieren.
– Die Aussage beruht auf entsprechendem Erleben – (Erlebnishypothese)
Es ist zu prüfen, ob etwaige Störfaktoren eine derart erheblich verfälschende Auswirkung auf den Aussageinhalt gehabt haben könnten, dass sich eine Aussageanalyse erübrigt. Es ist die Unabhängigkeit der Aussage von äußeren/inneren Einflüssen zu überprüfen.
Liegen keine verfälschenden Einflüsse vor oder sind diese als gering zu erachten, sind dann unter den gegebenen Voraussetzungen Aussagemerkmale zu erfassen, die in einer erlebnisfundierten Aussage zu erwarten/zu fordern sind (Realkennzeichen). Im Qualitäts-Kompetenz-Vergleich bzw. in der integrativen Zusammenschau der Ergebnisse ist zu diskutieren, ob die Aussage qualitativ die gestalterischen Fähigkeiten von Frau H übersteigt. Die Ausprägung der Konstanz ist – vor dem Hintergrund der vorliegenden Bedingungen – im Verhältnis zu Abweichungen zu beurteilen. Es ist im Gesamtzusammenhang zu gewichten, ob die Aussagequalität gegenüber möglichen Bedenken, die sich bei der Erörterung der "Unwahrhypothesen" abzeichnen könnten, überwiegt.
Verfahrensauswahl
Die Fragestellung begründet folgende psychologische Untersuchungsmaßnahmen sowie – zum intraindividuellen Leistungsvergleich – die folgenden Test- und Prüfverfahren:
Verfahren zur Prüfung kognitiver Leistungsaspekte:
(als Grundlage für Feststellungen zur Aussagetüchtigkeit und für den notwendigen Qualitäts-Kompetenz-Vergleich im Rahmen der etwaigen Prüfung der Aussagequalität)
Mehrfach Wortwahl Test (MWT) zur Feststellung der intellektuellen Leistungsfähigkeit, Prüfung von Schilderungsfähigkeit und Sprachverhalten mit sachneutralen Themen, Erlebnis- Gedächtnisprüfung in fallneutraler Exploration
Verfahren zum Erfassen relevanter Persönlichkeitsdimensionen:
(zur Feststellung etwaiger Fehlerquellen; ferner als Grundlage u.a. für die Prüfung der Lügenhypothese, der Suggestionshypothese und der Autosuggestionshypothese); Biographische Analyse durch Gespräch mit gezielter Fragestellung, Persönlichkeitsexploration, Verhaltensbeobachtung, Sexualanamnese (Auswahlfragen), diagnostisches Kurzinterview zum Eruieren potentieller psychischer Störungen (Mini-Dips), IKP; Auswertung des Akteninhalts Verfahren zur Prüfung der Hypothesen der absichtlichen Falschaussage: Aussagepsychologische Exploration, merkmalsorientierte Inhaltsanalyse, Konstanzanalyse, Kompetenzanalyse
Verfahren zur Prüfung der Hypothesen der unabsichtlichen Falschaussage
(Fehlerquellenanalyse): Exploration zu Aussagegeschichte, Motivumfeld und ggf. Aussagekommunikation
Befunderhebung zu Persönlichkeit und Aussagefähigkeiten
Äußerer Eindruck und Verhalten
Frau H begegnete der Unterzeichnerin als eine eher jünger wirkende Frau in sportlicher Kleidung mit gut gepflegtem Erscheinungsbild. Im Kontaktverhalten wirkte Frau H natürlich, sicher, ließ allerdings zeitweilig eine erhebliche motorische Unruhe erkennen (die für innere Anspannung sprechen könnte). Sie ging ohne erkennbare Vorbehalte auf das Explorationsgespräch ein und setzte sich offensichtlich konzentriert und motiviert mit den vorgelegten Testverfahren auseinander. Grundsätzlich beantwortete sie die gestellten Fragen spontan, gab jedoch zeitweise bei Fragen zu ihren Kindheitserfahrungen an, dass sie sich nicht mit Details auseinandersetzen wolle, da sie erwarte, dass es ihr danach psychisch schlecht gehe (und sie keine Person habe, die sie im Nachhinein "auffangen" könne). Seitens der Unterzeichnerin erfolgte von daher eine jeweilige Abwägung der Notwendigkeit der Beantwortung der Fragen im Hinblick auf die Fragestellung des Gutachtens. Bei vielen Themen – die meist ihre Kindheit oder Beziehung zu ihrem langjährigen Partner betrafen – weinte Frau H.
Frau H gab an, allein in einer Wohnung zu leben. Sie habe (trotz bestehender psychischer Belastung) keinerlei Schwierigkeiten, ihren Alltag selbständig zu bewältigen.
Aspekte der Anamnese
Zu ihrem Lebenslauf berichtete Frau H, sie und ihr um anderthalb Jahre älterer Bruder seien bei ihren Eltern aufgewachsen. Sie sei ein "unerwünschtes Kind" gewesen. Die Mutter habe als Bürokraft, der Vater als Heizungsmonteur gearbeitet. Frau H berichtete von mehreren Wohnungen bzw. Umzügen innerhalb von W; anfangs habe sie immer ein Zimmer mit ihrem Bruder zusammen gehabt, später, etwa im Alter von zehn Jahren, habe sie ein eigenes Zimmer gehabt, was sie sich eigentlich gar nicht gewünscht habe.
Sie habe eine positive Beziehung zu ihrer Großmutter gehabt, während ihre Mutter kein Interesse an ihr gehabt und sich nicht um sie gekümmert habe. So habe auch nur die Großmutter dafür gesorgt, dass sie zumindest für kurze Zeit in den Kindergarten gekommen sei; dort habe es ihr allerdings nicht gefallen. Als die Großmutter aus W weggezogen sei (die selbst sei zu diesem Zeitpunkt neun oder zehn Jahre alt gewesen), habe sie keine positive Bezugsperson mehr gehabt.
Frau H berichtete von ausschließlich negativen Kindheitserfahrungen:
Schläge des Vaters, Alkoholproblemen, keine Fürsorge für die Kinder etc. Oft hätten die Kinder mit der Mutter die Wohnung verlassen, um Gewalttätigkeiten des Vaters zu entgehen. Sie hätten sich dann bei Bekannten oder aber in Kneipen aufgehalten; ihre Mutter habe sie, die Klägerin, bereits im Alter von 13 Jahren (im Rahmen ihrer jeweiligen "Flucht" von Zuhause) mit in Discos genommen. Die Scheidung der Mutter vom Vater habe aber auch kaum Änderungen erbracht, da die Eltern dennoch zusammen geblieben seien; sie seien nicht voneinander los gekommen.
Als sie 17 Jahre alt gewesen sei, habe sich der Vater erhängt (der Bruder habe ihn gefunden). Sehr bald sei dann ein neuer Mann zu der Mutter gezogen, mit dem sie, die Klägerin, aber nicht gut zurechtgekommen sei; allerdings, so berichtete sie, habe sie zum damaligen Zeitpunkt ohnehin nicht mehr zu Hause gelebt, sondern sich meist bei Freundinnen aufgehalten, bis sie dann schließlich eine eigene Wohnung bekommen habe.
Zu ihrem schulischen/beruflichen Werdegang berichtete Frau H, dass sie altersgemäß eingeschult worden sei. In der Grundschule sei sie eine sehr gute Schülerin gewesen, und eigentlich hätte sie auf ein Gymnasium wechseln können. Die Mutter habe aber bestimmt, dass sie (nur) auf die Realschule gekommen sei (Grund: "Meine Mutter hasst mich"). Wegen der desolaten häuslichen Verhältnisse sei sie zunehmend selten zur Schule gegangen, habe von daher dem Unterrichtsstoff nicht mehr folgen können und sei deshalb schließlich auf die Hauptschule bekommen, auf der sie dann noch eine Klasse habe wiederholen müssen. Nach Beendigung der Schulzeit (neunte Klasse) habe sie eine Lehrstelle als Friseuse angenommen (die Ausbildung sei aber "furchtbar" gewesen; die Klägerin berichtete von diversen untergeordneten/unangemessenen Tätigkeiten, die sie habe verrichten müssen). Sie habe den Ausbildungsplatz wechseln können (habe dann aber auch nicht dort bleiben wollen, weil der Chef sie "begrabbelt" habe) und habe schließlich die Möglichkeit gehabt, in einem anderen Betrieb die Ausbildung zu beenden. Im Anschluss habe sie dann längere Zeit in diesem Beruf gearbeitet bzw. später Stellen in ähnlichen Fachgebieten (zum Beispiel bei "Douglas") angenommen; Frau H erklärte dazu, dass sie immer wieder die Arbeitsstellen gewechselt habe, sie habe nirgends bleiben können, "war immer auf der Flucht".
Den Kontakt zu ihrer Mutter habe sie bereits vor 24 Jahren abgebrochen. Mit ihrem Bruder – der mittlerweile mit einer thailändischen Frau verheiratet sei – stehe sie seit einiger Zeit wieder in Verbindung, sie könne und dürfe ihrem Wunsch, mit dem Bruder einmal ein intensives Gespräch zu führen, aber nicht nachkommen: der Bruder lasse nicht mit sich reden, blocke sofort jedes kritische Thema ab. Er sei "Alkoholiker, Narzisst".
Frau H wurde zu frühen Kindheitserfahrungen/ersten Erinnerungen befragt. Sie berichtete, sich noch an Vorfälle in der ersten Wohnung erinnern zu können (in der sie bis zum Alter von zwei oder knapp drei Jahren gelebt habe). Sie gab – nachgefragt – dazu an, ihre erste Erinnerung beziehe sich auf eine Situation, in der sie im Kinderwagen gesessen und es geregnet habe, sie habe geschrien, um den Wagen sei ein grauer Umhang gewesen. Sie erinnere sich in dieser Situation an die schimpfende Mutter.
Sie erinnere sich ferner dran, dass sie mal auf einen Stuhl gekrabbelt sei, um an einen Küchenschrank zu kommen. Dann habe sie ein Bild vor Augen, in dem sie in dem Etagenbett im Schlafzimmer gewesen sei und Decken sie "beklemmen" (hierbei weinte die Klägerin); nach den Umständen gefragt, gab sie an, sich nicht genau zu erinnern (deutete aber sexuellen Missbrauch an).
Dann gebe es noch eine Zinkbadewanne, die ihr in den Sinn komme. Frau H überlegte weiter und gab an, nun plötzlich ein neues Bild vor Augen zu haben: sie habe eine Mütze auf, irgendetwas sei in dem Schlafzimmer beängstigend, die Bilder kämen gerade jetzt: sie sehe die rosa Mütze und einen Penis in ihrem Gesicht – weiter könne sie in dieses Bild nun nicht "hineingehen". Es sei alles nur bruchstückhaft, jeweils nur eine bloße Sequenz, die möglicherweise mal zu einem kompletten Film werden könne, was sie aber eigentlich nicht wolle.
Von ihrem ersten Schultag (sie hätten damals schon in einer anderen Wohnung gelebt) habe sie noch verschiedene Bilder vor Augen. So wisse sie, dass sie einen braunen Tornister gehabt habe (von der Großmutter geschenkt) sowie eine große Schultüte. Die Klägerin ergänzte, dass sie u.a von dieser Situation auch noch Fotos habe.
Zur sexuellen Entwicklung
Frau H berichtete (weitgehend ohne konkrete Details; siehe dazu unter anderem Aussagebericht) von ersten sexuellen Erfahrungen mit dem Vater, die sie damals nicht habe einordnen können. Als sie zehn Jahre alt gewesen sei, habe sie ihre erste Periode bekommen. In diesem Alter habe sie auch ihren ersten Freund gehabt, mit dem sie aber nur "Petting" erlebt habe. Als sie zwölf Jahre alt gewesen sei, habe ihre Mutter sie dem Bruder eines Freundes (der damals etwa 20 Jahre alt gewesen sei) "mitgegeben" – dieser Mann habe sie in einen Keller mitgenommen und habe ihr Oralsex erklärt. Sie habe sich darauf eingelassen, es sei ihr ja (diffus) nicht unbekannt gewesen. Mit diesem Mann sei es zweimal zu sexuellen Kontakten gekommen. Bei einer Feier habe er sie dann nicht mehr haben wollen; sie sei sehr enttäuscht gewesen.
Als sie 13 Jahre alt gewesen sei, habe sie ihren ersten "offiziellen" Freund (15 Jahre alt) gehabt, mit dem sie auch Geschlechtsverkehr gehabt habe. Die Mutter sei mit ihr zur Frauenärztin gegangen, um ihr die Pille verschreiben zu lassen. Bei der Frauenärztin sei sie öfter gewesen, unter anderem auch wegen Pilzinfektionen sowie ständiger Blasenentzündungen (deren Ursache die Klägerin in sexuellen Kontakten sieht). Frau H stellte heraus, dass sie selbst den Geschlechtsverkehr mit dem damaligen Freund gewünscht habe. Sie habe gedrängt, sie "musste das machen". Sie habe ja bis dahin nichts anderes gelernt.
Im Alter von 19 Jahren sei sie mal vergewaltigt worden; sie sei daran aber selbst schuld gewesen (Tobandprotokoll 90ff.). Sie stellte dann heraus, dass mehrere Lehrer in der Schule ihr sexuell zu nahe gekommen seien (an die Brust gefasst, Anzüglichkeiten) und sie in der Folge dann gegenüber der Mutter schlecht gemacht hätten, woraufhin ihre Mutter ihr noch in den Rücken gefallen sei. Auch der Mann einer Freundin der Mutter, zu denen sie manchmal nachts (vor dem Vater) geflüchtet seien, habe von ihr "was gewollt". Sie berichtete von sexuellen Übergriffen im Zeitraum ihrer Ausbildung (bei einem Ausbilder habe sie immer auf dem Schoß sitzen müssen).
Frau H erklärte, dass sie ständig Freunde gehabt habe, wechselnde Männerbekanntschaften, bis zu 30 verschiedene "Partner". Diese (nymphomanische) Phase sei erst im Alter von 20 Jahren zu Ende gegangen, zu einem Zeitpunkt, als Angst vor Aids aufgekommen sei. Für sie sei Sexualität quasi eine Notwendigkeit gewesen; sie habe mit fremden Menschen, die sie nicht geliebt habe, Sexualität haben "müssen", während sie keine zufriedenstellende Sexualität mit Männern erleben könne, die sie liebe.
Deswegen sei dann schließlich auch ihre Beziehung mit ihrem langjährigen Freund G einem Arbeitskollegen, mit dem sie elf Jahre zusammen gewesen sei – gescheitert. Nach Beendigung dieser Beziehung habe sie noch mal eine Freundschaft mit einem etwas älteren Mann gehabt (auf der Ebene "Sado-Maso"); seit Jahren habe sie nun keine Kontakte mehr mit Männern.
Psychischer Befund
Frau H beschrieb sich selbst als einen Menschen, der "aufbrausend, oft traurig, ohne Beziehung" sei; sie wäre gern "normal". Da sie nicht mehr arbeiten könne, habe sie Angst vor Armut.
Bei der Befragung nach dem Mini Dips gab Frau H zu ihren körperlichen Erkrankungen an, dass sie im Alter von etwa sieben Jahren einen Autounfall gehabt habe (sie sei angefahren worden); sie könne sich an den Hergang des Unfalls nicht erinnern, sei für etwa eine Woche im Krankenhaus gewesen, habe aber wohl keine bleibenden Schäden davongetragen. Sie berichtete ferner von ständigen Blasenentzündungen und Pilzerkrankungen im Genitalbereich. Sie sei oft krank gewesen (gynäkologische Erkrankungen), auch mehrfach operiert worden.
Zum Verlauf ihrer psychotherapeutischen Behandlungen/Beratungen gab Frau H an, sie sei ab dem Alter von 13 Jahren immer wieder "zusammengebrochen" (Panikattacken, Ängste, Herzrasen) und sei deshalb in diesem Zeitraum in einer schulpsychologischen Beratungsstelle vorgestellt worden. Dort seien aktuelle Probleme und die schwierigen häuslichen Verhältnisse (nicht aber der Missbrauch; diesbezüglich habe sie sich geschämt bzw. die Erlebnisse mit dem Vater seien [wohl aufgrund von Scham] "weg" gewesen) besprochen worden. Sie habe dort gelernt, sich von den Eltern zu distanzieren.
Bis zum Alter von 28 Jahren habe sie "funktioniert". Dann habe sie sich in therapeutische Behandlung begeben, weil sie unter anderem Überforderung, depressive Zustände etc. erlebt habe. Sie sei in Behandlung einer Gynäkologin gewesen, die auch ihre langjährige Therapeutin gewesen sei. Diese sei davon ausgegangen, dass ihre Zusammenbrüche und körperlichen Erkrankungen eine psychische Ursache haben "müssen". Dieses Gefühl habe sie mit der Therapeutin geteilt. Es sei dann eine tiefenpsychologische Behandlung erfolgt (nach Erläuterung: es sei versucht worden, ihre Kindheit "aufzuarbeiten"). Als dann die Trennung von ihrem Freund G angestanden habe (sie sei 37 Jahre alt gewesen), sei sie zurück nach W in die C-straße gezogen (wenige Häuser neben der letzten Wohnung, in der sie mit den Eltern gelebt habe). Das sei wohl weniger ein Zufall, vielmehr eine unbewusste Reaktion ihrerseits gewesen, dass sie sich in die Welt ihrer Kindheit zurückbegeben habe. Es sei ihr anfangs nicht klar gewesen, was sie damit ausgelöst habe: die gleiche Architektur, das gleiche Umfeld, der gleiche Ausblick aus den Fenstern etc. habe nach drei Wochen dazu geführt, dass sie "so was von abgeschmiert" sei: Herzrasen, Todesangst, "Überflutung" von Bildern, Gefühlen – ohne dass sie gewusst habe, was das gewesen sei. Dann sei es "losgegangen", alles sei eng geworden und sie habe überlegt, was da mit ihr passiere, sie habe keine Kraft mehr gehabt, habe ständig weinen müssen. Sie habe die Ärztin (Gynäkologin) angerufen, diese sei zu ihr nach Hause gekommen, habe ihre Sachen gepackt und veranlasst, dass sie in der psychiatrischen Klinik in M aufgenommen worden sei. Dort sei sie für dreieinhalb Monate in stationärer Psychotherapie gewesen, mit den Diagnosen Borderline, histrionische Persönlichkeitsstörung, Angststörung, mittelgradige Depression.
In der Klinik hätten "harte Regeln" bestanden, unter anderem das Verbot, ein Verhältnis mit anderen Patienten anzufangen. Sie habe sich aber auf einen um zehn Jahre älteren Mann eingelassen, der von seiner Mutter missbraucht worden sei. Mit diesem Mann habe sie "heftigen Sex" gehabt – er sei, aufgrund seines höheren Alters, für sie gleichbedeutend mit "Papa" gewesen. Insbesondere immer dann, wenn sie an den Wochenenden nach Hause (in die Wohnung) entlassen worden sei, "knallten mir die Erinnerungen rein": Filme, Träume, Albträume, Ängste – die sie dann später versucht habe mit den Therapeuten aufzuarbeiten. Derzeit sei sie nicht in psychologischer Behandlung, sei aber auf der Suche nach einer Therapeutin (männliche Therapeuten lehnten sie, ihrer Auffassung nach, ab).
Zu ihrer derzeitigen Stimmungslage gab Frau H an, sie leide wegen der Erlebnisse unter Depressionen. Zeitweilig habe sie sich auch selbst verletzt (Ritzen).
Wegen ihrer depressiven Erkrankung sei sie in ärztlicher Behandlung; sie nehme regelmäßig Mittel zur Stimmungsaufhellung ein (Venlafaxin wird in der Behandlung von Depressionen und Angsterkrankungen verwendet). Sie erlebe sich oft "dissoziativ".
Zu ihrem sozialen Verhalten gab sie an, dass sie früher keine engen Freunde gehabt habe; sie habe sich auch wenig angepasst verhalten, zum Beispiel die Schule geschwänzt oder sei aggressiv den Lehrern gegenüber gewesen. Insgesamt sei sie niemals richtig belastbar gewesen. Strafrechtlich relevante Auffälligkeiten verneinte die Klägerin. Sie lebe derzeit eher isoliert von anderen Menschen. Frau H gab an, dass sie in der Lage sei, Realität und Irrealität trennen zu können.
Die Antworten von Frau H im Fragebogen IKP waren bis auf drei Skalen im Durchschnittsbereich. Auf der Skala "Kontaktarmut" spricht der Standard T-Wert (6 Standard T-Werte haben einen Mittelwert von 50 und eine Standardabweichung von 10; d.h. dass Werte über 60 sowie unter 40 als auffällig zu diskutieren sind) von 75 für eine ausgeprägte Neigung der Klägerin, sich von anderen Menschen zurückzuziehen, sich zu isolieren, enge Bindungen zu vermeiden. Auf der Skala "Borderline" erreichte die Klägerin mit einem Wert von 65 ein Ergebnis, welches für schwankende, zwiespältige Gefühle, Unsicherheit, Ängste sowie extreme Affekte spricht.
Das extrem niedrige Ergebnis auf der Skala "histrionische Persönlichkeit" (TWert: 30) lässt auf Verfälschungstendenzen der Klägerin schließen, da hier ein eklatanter Widerspruch zu der wiederholt gestellten Diagnose besteht. (Nach psychiatrischen Untersuchungen wurde bei der Klägerin eine histrionische Persönlichkeitsstörung sowie (zeitweilig) eine depressive Störung diagnostiziert; in Bezug auf eine posttraumatische Belastungsstörung bestehen unterschiedliche Meinungen, die hier aus aussagepsychologischer Sicht nicht diskutiert werden sollen; siehe dazu unten).
Kognitive Aspekte
Frau H erreichte in dem sprachlich gebundenen Testverfahren MWT ein Ergebnis im überdurchschnittlichen Bereich (IQ=124). Das korrespondiert mit der Angabe, (trotz schwieriger häuslicher Verhältnisse) eine leistungsfähige Schülerin gewesen zu sein. Im Gespräch zeigte Frau H eine sichere Auffassungsgabe. Sie ist dazu in der Lage, auch komplexere Fragen zu verstehen. Ihre Schilderungsfähigkeit ist gut ausgeprägt, manchmal etwas abschweifend. Die Fähigkeit von Frau H, sich an neutrale eigene Erlebnisse zu erinnern, erscheint grundsätzlich gegeben. Sie war zum Beispiel ohne erkennbare Einschränkungen dazu in der Lage, von Stationen ihres Lebenslaufs zu berichten (wobei ihre Angaben zwar nicht alle zu validieren waren, insgesamt aber ein plausibles Gesamtbild ohne offensichtliche Widersprüche vermittelten).
Angaben zum fraglichen Sachverhalt
Im Rahmen der psychologischen Exploration berichtete Frau H von frühen sexuellen Erfahrungen mit dem Vater (siehe oben: plötzlich aufkommende Erinnerung an eine rosa Mütze und einen Penis in ihrem Gesicht). Die sexuellen Handlungen hätten im Laufe der Zeit nachgelassen; insbesondere in den Zeiten, wenn sie einen Freund gehabt habe, habe der Vater sie in Ruhe gelassen.
Sie wurde insbesondere zur Aussagegeschichte befragt.
Die Klägerin berichtete zunächst davon, dass sie plötzlich wie in einem Film gesehen habe, wie ihr Vater versucht habe, an einer Heizung in sie einzudringen; das sei ein Vorfall gewesen, als sie 16 Jahre alt gewesen sei. Das sei ihre erste Erinnerung gewesen – eine Geschichte, die sie "so nicht kannte" (TB 46), "bis dahin gab es keine Vergangenheit" (TB 48), nur Angst, keine Erklärung für die Angst. Zunächst sei nur ihre schlechte Mutterbeziehung Thema in Therapien gewesen (TB 58).
Sie habe sich dann über Gerüche (Salami) zum Beispiel an den Penis des Vaters erinnert (TB 168). Sie habe sich erinnert, wie er an ihre Scheide gefasst habe; er sei dort auch mit dem Mund gewesen, habe sie regelrecht "eingewiesen" (TB 170). Die Bilder seien nach und nach gekommen: ihr sei immer erst übel geworden, bevor dann die Bilder/Sequenzen/Filme (TB290) hoch gekommen seien (TB 184). Sie könne in diese Bilder nicht immer "reingehen" (TB 194). Sie habe aber noch offene Fragen. Später seien andere Sachen zu bekommen, zunächst Gefühle wie Angst, Ekel, Übelkeit (TB 82), sie habe gewusst, dass sie sich vor Sex geekelt habe.
Auf Nachfrage gab sie an, dass sie als Kind gegenüber der Mutter von (sexueller) Erregung sowie ständigen Entzündungen im Genitalbereich berichtet habe, ohne damals die Ursache zu kennen (TB 30ff.).
Als erstes habe sie dann mit ihrer Therapeutin gesprochen (TB 114). Zu den Therapiegesprächen berichtete sie, dass ihr meist zunächst übel gewesen sei, die Therapeutin ihr zugehört habe und dann letztlich jemand in ihr etwas erzähle (TB 200), mit einer Kinderstimme (TB 204).
Die Klägerin berichtete, viel gelesen und sich auch in der Selbsthilfegruppe darüber informiert zu haben, was mit den anderen passiert sei (TB 230). Sie habe Fachbücher über Dissoziation pp. gelesen (TB 248). Sie sei sicher, dass die Bilder, die in ihr hochgekommen sein, genauso passiert seien, denn sie seien immer mit dem gleichen Gefühl der Übelkeit verbunden (TB 274, 276).
Heutzutage kämen keine Bilder mehr hoch, weil sie das nicht wolle (TB 304; die Klägerin bestätigte allerdings, dass unmittelbar im Rahmen der Exploration Bilder hochgekommen seien – s.o.: rosa Mütze und Penis).
Interpretation der Befunde
Die psychologische Beurteilung der Frage nach der Grundlage der Aussage macht eine konkrete Aussageanalyse erforderlich, die vor dem Hintergrund der allgemeinen und spezifischen Kompetenzen der Klägerin, der Aussageentstehung, der Aussageentwicklung und des Gesamtkontextes zu erörtern ist.
Zur allgemeinen Aussagekompetenz
Gedächtnis, Wahrnehmungs- und Schilderungsfähigkeit sind bei Frau H so gut ausgeprägt, dass sie die Kompetenz hat, einen verlässlichen Bericht über eigenes Erleben zu erstatten.
Fraglich ist allerdings, inwieweit sie uneingeschränkt Angaben über den hier zur Frage stehenden Zeitraum machen kann. Die berichteten frühkindlichen Erinnerungen (Erlebnisse im Kinderwagen; rosa Mütze etc.) lassen unter gedächtnispsychologischen Aspekten erhebliche Zweifel aufkommen. Erinnerungen an einen Zeitraum vor dem dritten Lebensjahr sind sehr unwahrscheinlich. Da Frau H selbst davon berichtete, noch Fotos aus ihrer Kindheit zur Verfügung zu haben, könnten sich insoweit – aber auch auf der Grundlage von Fantasien, Vorstellungen – undifferenzierte Vermischungen unterschiedlicher Erkenntnisquellen ergeben haben. Die bei der Klägerin (zumindest zeitweilig) vorliegende depressive Symptomatik ist unter aussagepsychologischen Aspekten hier nicht relevant. Sie führt nicht zu Einschränkungen der Aussagetüchtigkeit, insbesondere nicht zu Einschränkungen von Wahrnehmung und Gedächtnis; denkbar ist bei dieser Konstellation nur, dass Schilderungen in ihrer Ausführlichkeit reduziert sein könnten (siehe dazu unter anderem auch Lau, S., Böhm, C. & Volbert, R. (2008). Psychische Störung und Aussagetüchtigkeit. Der Nervenarzt, 1, 60-66.).
Eine der Klägerin zeitweilig attestierte posttraumatische Belastungsstörung (eine Diagnose, über die aus hiesiger Sicht nicht diskutiert werden soll) ist aussagepsychologisch irrelevant. Etwaige Symptome (einer PTBS) sind im Hinblick auf die Frage ihrer Grundlage völlig unspezifisch, d.h. es gibt kein Syndrom, welches einen eindeutigen Rückschluss auf Art und Umfang der möglichen Ursache erlauben kann. Eine histrionische Persönlichkeitsstörung schränkt, aus aussagepsychologischer Sicht, zwar nicht unbedingt die Aussagetüchtigkeit an sich ein, sie muss jedoch im Hinblick auf ihre mögliche konkrete Auswirkung auf eine Aussage Berücksichtigung finden (Validitätsaspekt; s.u.).
Bei der Frage nach bereichsspezifischem Wissen (Kenntnisse über sexuelle Vorgänge) ist festzuhalten, dass Frau H aufgrund ihrer eigenen sexuellen Erfahrungen (Sexualität soll in ihrem Leben ein zentrales Thema dargestellt haben) und ihrer guten Intelligenz grundsätzlich die Kompetenz hätte, eine Aussage über einen derartigen Themenbereich zu machen. Sie berichtete ferner von einer umfänglichen, ausgeprägten Beschäftigung mit einschlägiger Literatur (TB 236: Missbrauchsbibel aus Amerika) sowie von Literaturrecherchen in Bezug auf Phänomene wie Dissoziation (TB 248: Fachbücher hab ich mir auch besorgt. Über Dissoziation).
Ferner habe sie Informationen anderer Betroffener verarbeitet (TB 244: Biographien von Leuten; TB 230: ich hab viel gelesen. Hab auch mal `ne Selbsthilfegruppe geguckt).
Insoweit käme es dann bei der Beurteilung diesbezüglicher Angaben auf einen differenzierten Qualitäts-Kompetenz-Vergleich an.
Validitätsaspekte
Die Aussagegeschichte ist auf die Frage hin zu überprüfen, inwieweit seitens der Klägerin eine kontinuierliche und sichere Erinnerung an die fraglichen Erlebnisse besteht, oder ob es Anhaltspunkte für suggestive Einflüsse und Veränderungen im Hinblick auf ein Erinnerungsbild gibt.
Aus den vorliegenden Befunden und aus den Aussagen im Verlauf der psychologischen Exploration ergibt sich, dass die Klägerin erste Aussagen nicht zeitnah zu den fraglichen Erlebnissen machte, sondern diese zunächst "vergessen" waren, dann im Verlauf ihrer Krankheitsgeschichte (bzw. Therapie) mehr oder minder erkannt/von ihr erfasst wurden. Als Auslöser bezeichnete Frau H äußere Aspekte: ich bin in meine Kindheit zurückgezogen (TB 204). Dazu erklärte sie, dass zunächst nur Gefühle da gewesen seien (TB 82), ohne jegliche Verbindung (TB 50); sie habe Ängste gehabt, für die es keine Erklärung gegeben habe (TB 48; TB 70: weil ich es nicht wusste). Sie berichtete von Empfindungen, die den dann nach und nach entstandenen Bildern vorgeschaltet gewesen seien (TB 160: Gerüche, `ne Salami, dann hatte ich Penis vor Augen; TB 184: überlegt, geraucht. dann kamen Bilder dass mir immer übel wurde, bevor die Bilder kamen). Die zunehmend entstandenen mentalen Bilder seien für sie neu gewesen (TB 46: Geschichte, die ich so nicht kannte; TB 6: kompletter Film; TB 82: Film war neu für mich; TB 134: diese Filme kam immer mehr).
Dabei, so gab die Klägerin an, habe es sich damals wie heute aber nur um Bruchstücke, Sequenzen gehandelt, die sie nicht immer unbedingt in den passenden Kontext stellen konnte (TB 274: ich hab nicht das fortlaufende Leben von mir auf dem Kasten).
Ihre Realitätskontrolle ist dabei weniger sachlich, als rein emotional, subjektiv gefärbt: dadurch, dass (TB 270) immer wieder das gleiche Gefühl kommt der Übelkeit, sei ihr klar, dass es sich um reale Erfahrungen handeln müsse. Nicht zuletzt stellte sie mit ihrer Angabe, das erzählt eine Kinderstimme (TB 204), heraus, dass und wie sie ihre Kindheit realistisch ("eins-zu-eins") nacherlebe.
Auch wenn die Klägerin zeitweise in Bezug auf den Verlauf ihrer Erinnerungen unklare Angaben machte, ist insgesamt festzustellen, dass sich keinerlei Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Klägerin zuvor ihre fraglichen Erinnerungen präsent gewesen seien. Zwar gab Frau H an, als Kind der Mutter gegenüber Andeutungen gemacht zu haben (TB 32: in Bezug auf eigene unerklärliche sexuelle Erregung), und sie berichtete auch davon, dass ihr Genitalbereich ständig entzündet (TB 34) gewesen sei, sie gab auf der anderen Seite aber auch an, dass sie ihre psychischen Probleme als erwachsene Frau zunächst auf ihre Lebenssituation (Beruf, Probleme mit dem Partner) geschoben hatte.
So wird in den Antragsberichten auf psychotherapeutische Behandlung zunächst auch kein sexueller Missbrauch thematisiert; vielmehr stehen körperliche Leiden im Vordergrund. Auch wird zunächst der Vater – laut der früheren Berichte – sogar noch als vergleichsweise positiv dargestellt (fleißig, nie aggressiv; dagegen wird jetzt seine Gewaltbereitschaft betont), und der Tod des Vaters stellte sich damals noch als belastend für die Klägerin dar (Antrag 31.12.2001, Blatt 473,474). Zwei Jahre später (vgl. Antrag Dezember 2003; Bl. 479), nach einer Lebenskrise (Partnerschaftskonflikt) und daraufhin erfolgter (auch stationärer) psychotherapeutischer Behandlung, sollen bei Frau H dann Erinnerungen an sexuellen Missbrauch durch den zunächst idealisierten Vater hoch gekommen sein, bruchstückhaft, verbunden mit Scham und Schuld. Zunächst "unter dem Schleier der Albträume" habe sie dann schließlich das Gesicht des Vaters erkannt; es wird auf die "Tatsache" verwiesen, "dass sie sich über viele Jahre nicht an den Missbrauch erinnern konnte" (Blatt 479).
Dabei wird Frau H eine "bemerkenswerte Introspektionsfähigkeit" attestiert, die es ihr möglich mache, den sexuellen Missbrauch durch den Vater zu erinnern; sie "klärt offene Fragen" durch "Zusammensetzung der Erinnerungsfragmente" und "integriert abgespaltene Selbstanteile" (Blatt 480).
Dieser berichtete Erinnerungsverlauf trägt deutliche Züge einer Pseudoerinnerung:
Wenn sich Erinnerungen erst im Laufe der Zeit entwickeln, wenn zunächst nur diffuse Gefühle im Vordergrund stehen, die dann eine aktive Erinnerungssuche auslösen, und wenn ständige inhaltliche Ausweitungen zu verzeichnen sind, wird eine Unterscheidung zwischen tatsächlichen Erinnerungen und Vorstellungen/Befürchtungen/Fantasien schwer bzw. unmöglich. Das kognitive und emotionale Bedürfnis, Ursachen für Beschwerden und Ängste zu finden, kann, verbunden mit direkten und indirekten Vorgaben (durch Therapeuten) oder in Kombination mit anderen äußeren Reizen eine sukzessive Übernahme und Ausgestaltung von Meinungen, möglichen einzelnen Erinnerungen, Emotionen, Vorstellungen, Träumen und ihre Umwandlung in zunehmend sichere "Erinnerungen" (die dann aber nur als Pseudoerinnerungen zu klassifizieren sind) zur Folge gehabt haben. Einzelne Bilder gewinnen zunehmend an Kontur und an subjektiver Sicherheit bis hin zu einer Gewissheit, die dann schließlich vielleicht sogar noch stabiler ist als eine (tatsächliche) Erlebniserinnerung.
Quellenverwechslungsfehler sind dabei nicht nur möglich, sondern die entsprechende Schlussfolgerung auf diese ist naheliegend. Das gilt insbesondere für die Konstellation, in der sich die Klägerin befand bzw. befindet. Frau H wird als eine Person mit hoher Introspektionsfähigkeit beschrieben; ferner werden ihr histrionische Anteile zugeschrieben: Wechselnde Affekte, Dramatisierungen, manipulative Tendenzen, Streben nach Mittelpunkt und Aufmerksamkeit prädestinieren Frau H für die Aufnahme und Verarbeitung suggestiver und autosuggestiver Einflüsse.
Gedächtnis und Erinnerungen sind formbare Prozesse, Produkte einer Rekonstruktion sowie auch von Interaktionen; insofern kann der Intervention eines Therapeuten entscheidende Bedeutung bei der Generierung von etwaigen Erinnerungsbilder zukommen. Das gilt umso mehr dann, wenn ein Therapeut als besondere Autorität angesehen wird, der sich der Patient (in seiner seelischen Not) nahezu bedingungslos überlässt (mit der Hoffnung auf die Lösung seiner Probleme).
Für das Zustandekommen einer Suggestion ist das Ineinandergreifen von aktiven und passiven suggestiven Faktoren vorauszusetzen. Erstere lassen sich aus therapeutischen Interventionen ableiten, die letztgenannten aus der Disposition der Klägerin, die eine hohe Bereitschaft dafür erkennen lässt, zum Abbau ihrer psychischen Anspannung und im Hinblick auf ein Verstehen ihrer eigenen Person Erklärungen andere anzunehmen.
Als diagnostische Kriterien zur Unterscheidung von Erinnerung und Pseudoerinnerung nennen Stoffels und Ernst (2002/2011):
– Art und Weise der Wiedererinnerung: Skepsis, wenn Erwartungsdruck und entsprechende Suche vorausgehen
– Qualität der Wiedererinnerung: Skepsis wenn diffuse Gefühle, Traumbilder und Körpererinnerungen vorherrschen mit nachfolgendem visuellen Detailreichtum
– Plausibilität des Vergessens: Skepsis, wenn zum Beispiel der verdrängte sexuelle Missbrauch in späte Kindheit und Adoleszenz reicht (also in einen Zeitraum, an den sich der Mensch normalerweise kontinuierlich erinnern sollte, sodass es wenig wahrscheinlich ist, dass er vergessen wird, dann plötzlich wieder auftaucht, um dann detailliert dargestellt werden zu können)
– Plausibilität des Erinnerns: Skepsis, wenn zum Beispiel Erinnerungen vor dem dritten Lebensjahr angegeben werden.
Die Autoren weisen darauf hin, dass dann, wenn mehrere dieser genannten Kennzeichen auf eine Aussage und/oder deren Umfeld und Genese zutreffen, deutliche Zweifel am Erlebnisgehalt der Aussage angebracht sind.
Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass der hier nachzuzeichnende Prozess der Aussagegeschichte und Aussageentwicklung alle Faktoren verzeichnet, wie sie als typisch für das Entstehen von Pseudoerinnerungen – generiert durch eigenpsychische Prozesse und therapeutische Arbeit – gelten.
Es besteht im aussagepsychologischen Kontext Konsens, dass Betroffene auch im Fall einer Pseudo-Erinnerung vom Realitätsgehalt des angeblichen Erinnerungsinhalts vollkommen überzeugt sein können. Innere Vorstellungen und Bilder können sich an die Stelle von Realerinnerungen setzen. Persönlichkeiten mit instabilen Realitätswahrnehmungen bzw. mit histrionischen Anteilen sind für die Generierung von Pseudoerinnerungen besonders anfällig: neben der Suggestibilität ist hier insbesondere das Bedürfnis nach Aufmerksamkeit und Zuwendung zu nennen, welches dazu führt, dass die Person im Mittelpunkt stehen kann.
Hinzu kommt, dass bei der Beschäftigung mit der fernen Vergangenheit es subjektiv entlastend ist, wenn man für alle Probleme seines Lebens eine Ursache gefunden hat und mithilfe therapeutischer, aufdeckender Maßnahmen auf traumatische Erfahrungen der Kindheit stößt, für die man nicht selbst verantwortlich ist.
Von daher ergibt sich für die Klägerin auch eine ausgeprägte Motivation, ihre Aussage zu bestätigen und das hier anstehende Verfahren weiter zu verfolgen."
Das Beweisergebnis wurde mit den Beteiligten im Verhandlungstermin am 23.02.2018 ausführlich erörtert. Der Berichterstatter wies dabei auf die Aussichtslosigkeit der Geltendmachung der von der Klägerin verfolgten Ansprüche hin und riet ihr zur Klagerücknahme; eine weitere Beweiserhebung von Amts wegen sei nicht beabsichtigt; die Klägerin bestand auf einem Urteil.
Beide Beteiligten haben einer Entscheidung durch den Berichterstatter als Einzelrichter zugestimmt. Im Übrigen wird wegen der Beweisergebnisse und des Beteiligtenvorbringens auf die Gerichts- und Verwaltungsakten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Beklagten ist begründet. Der Berichterstatter konnte gemäß § 155 Abs. 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als Einzelrichter entscheiden, weil die Beteiligten dazu zugestimmt haben. Das angefochtene Urteil des SG konnte keinen Bestand haben, denn die vom Beklagten erlassenen Bescheide sind rechtmäßig und beschweren die Klägerin nicht i.S.d. § 54 SGG in ihren Rechten. Das folgt daraus, dass sich – entgegen der Auffassung des SG – nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen lässt, ob die Klägerin wirklich Opfer eines tätlichen vorsätzlichen und rechtswidrigen Angriffs i.S.d. § 1 OEG geworden ist oder nicht.
Hinsichtlich der entscheidungserheblichen Tatsachen kennt das soziale Entschädigungsrecht, also auch das OEG, drei Beweismaßstäbe. Grundsätzlich bedürfen die drei Glieder Kausalkette (schädigender Vorgang, Schädigung und Schädigungsfolgen) des Vollbeweises. Für die Kausalität selbst genügt gemäß § 1 Abs. BVG die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Nach Maßgabe des § 15 Satz 1 KOVVfG, der gemäß § 6 Abs. 3 im OEG ebenfalls Anwendung findet, sind bei der Entscheidung die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung (also insbesondere auch mit dem tätlichen Angriff) im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, zugrunde zu legen, wenn der Antragsteller sich in schuldloser Beweislast befindet und wenn sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Bei dem "glaubhaft Erscheinen" handelt es sich um den mildesten Beweismaßstab des Sozialrechts. Glaubhaftmachung bedeutet, dass Dartun einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit, das heißt der guten Möglichkeit, dass sich der Vorgang so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (BSG vom 08.08.2001, B 9 V 23/01 B m. w. N.). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, das heißt es genügt, wenn bei mehreren in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am Wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht (BSG vom 17.04.2013, B 9 V 1/12 R a. a. O.). Dabei muss das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen aufklären (§§ 103, 106 SGG) und die Beweiswürdigung auf dem gesamten Beweisergebnis aufbauen (§ 124 SGG). Seine Gründe muss es nachvollziehbar darlegen (§ 136 SGG).
Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht.
Schon im Ansatz unzutreffend ist der rechtliche Ausgangspunkt des SG deswegen, weil es verkennt, dass auch unter Berücksichtigung der o. g. Vorschrift der §§ 15 KOVVG keine Umkehr der Beweislast, sondern lediglich eine Erleichterung im Beweismaß anzunehmen ist. Es ist daher denkgesetzlich falsch, dass das SG meint, es käme darauf an, ob Umstände vorlägen, die die Aussage der Klägerin widerlegen. Es ist vielmehr auch unter Geltung des § 15 KOVVfG so, dass – wie bei der Würdigung von Zeugenaussagen sonst auch – zu fragen ist, ob es Umstände gibt, die objektiv und nachprüfbar für die Richtigkeit bzw. für die Erlebnisfundiertheit der Behauptungen der Klägerin sprechen. Die Besonderheit liegt insoweit lediglich darin, dass das Verbleiben gewisser Zweifel unschädlich ist, weil die überwiegende Wahrscheinlichkeit nach dem Gesetz hier ausnahmsweise genügt.
Solche Umstände, die für die – schon in sich widersprüchlichen – Behauptungen der Klägerin sprechen, sind jedoch nicht feststellbar. Das SG hat insoweit schon bei der Beweiserhebung schwer Fehler gemacht.
Das Urteil des Sozialgerichts beruht nämlich in tragenden Teilen auf dem psychiatrischen Gutachten der Sachverständigen Dr. Q. Dieses Gutachten ist jedoch unter Missachtung der §§ 118 Abs. 1 S. 1 SGG, 404a Abs. 3 ZPO i.V.m. §§ 106, 202 SGG zustande gekommen. Gem. § 404a Abs. 3 ZPO ist es allein Aufgabe des Gerichts zu bestimmen, welche konkreten Anknüpfungstatsachen die Sachverständige ihrer Begutachtung zugrunde zu legen hat. Die Aufgabe der Sachverständigen beschränkt sich, als Gehilfin des Richters darauf, diesem ihre besondere Fachkunde zur Verfügung zu stellen und mit ihrem wissenschaftlichen Fachwissen Tatsachen festzustellen, bzw. aus festgestellten Tatsachen wissenschaftlich belegbare Schlussfolgerungen zu ziehen.
Anknüpfungstatsachen im o. g. Sinne sind alle Tatsachen, die man auch ohne die spezielle (hier: medizinische) Sachkunde der Sachverständigen feststellen und erheben kann. Die Feststellung solcher Anknüpfungstatsachen ist damit gem. § 404a ZPO allein dem gesetzlichen Richter vorbehalten. Die entsprechende Beweisanordnung an Frau Dr. Q, die der Präsident des SG Düsseldorf erlassen hat, enthielt allerdings keine konkreten Vorgaben, welche Umstände die Sachverständige zur Anknüpfung bzgl. der angeschuldigten Tat in ihrem Gutachten zugrunde zu legen hatte. Frau Dr. Q bezog sich damit im Vorliegenden bzgl. der angeschuldigten Tat allein auf von ihr selbst getroffene nichtmedizinische Feststellungen. Damit übernahm sie einen Teil der allgemeinen Beweiserhebung und Beweiswürdigung, welche nicht dem Kompetenzbereich einer medizinischen Sachverständigen fällt.
Im Übrigen ist das Gutachten von Frau Dr. Q auch inhaltlich von schweren fachlichen Mängeln gekennzeichnet. Insoweit wird in vollem Umfang auf die vom beratenden Neurologen und Psychiater des Beklagten Herrn U dargelegte und zutreffende Kritik Bezug genommen.
Auch die anschließende Beweiswürdigung des SG hält geltendem Recht nicht stand.
Selbst dann nämlich, wenn zu Gunsten der Klägerin die Beweiserleichterung des § 15 des KVVfG wegen unverschuldeter Beweisnot entsprechend angewandt und hier die bloße überwiegende Wahrscheinlichkeit (anstelle der sonst vom Gesetz geforderten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) für genügend erachtet, wird, lässt sich nichts finden, worauf sich solche Feststellung eines tatsächlichen vorsätzlichen Angriffs im Sinne des § 1 OEG stützen könnte.
Das SG hat nämlich die Vorgaben der höchstrichterlichen Rechtsprechung des BSG zu Glaubhaftigkeitsgutachten (Urteile vom 17.04.2013 – B 9 V 1/12 R – und 15.12.2016 – 39 V 3/15 R) sowie des BGH zur Beweiswürdigung in Fällen, in denen "Aussage gegen Aussage" steht, missachtet (zu letzterem siehe insbesondere: BGH Urteil vom 30.07.1999 – 1 St R 618/98 – und Beschluss vom 04.04.2017 – 2 StR 409/16 -m.w.N.).
Besondere Bedeutung kommt danach in der auch hier vorliegenden Fallkonstellation "Aussage gegen Aussage" der Frage nach einem möglichen Motiv für falsche Angaben zu. Dabei können auch finanzielle Interessen mit zu berücksichtigen sein, insbesondere dann, wenn eine Auskunftsperson (Zeuge/Beteiligter) – wie hier die Klägerin – nur über geringe eigene Einkünfte verfügt, so dass er bzw. sie in besonderer Weise von einem Prozesserfolg abhängig ist.
Es ist stets in Rechnung zu stellen, dass eine solche Auskunftsperson aus dem o. g. Eigeninteresse die Unwahrheit sagen kann.
Den hiernach an die Beweiswürdigung zu stellenden Anforderungen wird das angefochtene Urteil des SG nicht gerecht.
Die Angaben der Klägerin selbst sind nämlich in sich so widersprüchlich und untrennbar mit selbst- bzw. fremdsuggestiven Anteilen vermischt, dass eine Erlebnisfundierung dieser Angaben wissenschaftlich seriös nicht belegt werden kann. Das hat die psychologische Sachverständige Dr. P überzeugend im Einzelnen herausgearbeitet und sich dabei methodisch zutreffend an den rechtlichen Vorgaben der o. g. höchstrichterlichen Rechtsprechung des BSG und des BGH zu psychologischen Glaubhaftigkeitsgutachten orientiert. Auf ihr Gutachten wird zur Vermeidung von Wiederholungen in vollem Umfang Bezug genommen.
Untermauert wird dieses aussagepsychologische Gutachten von den medizinischen Befunden, die die psychiatrische Sachverständige C zur Frage der Aussagetüchtigkeit der Klägerin erhoben hat. Denn Frau C hat streng nach den Vorgaben der medizinischen Wissenschaft nur das berücksichtigt, was sich objektiviert messen lässt und sich dazu auf gerichtsmedizinisch anerkannte Messverfahren gestützt. Dass Frau C sich in ihrem Gutachten unter Nennung des Namens des Vertreters des Beklagten mit dessen Argumenten auseinandersetzt, spricht i. Ü. nicht gegen, sondern für sie (anders als die Klägerin meint).
Demgegenüber ist das Gutachten von Frau Dr. Q schon deswegen nicht überzeugend, weil dieses Gutachten auf Annahmen beruht, die außerhalb der medizinischen Sachkunde liegen (s.o.). Dies gilt namentlich für die Feststellung der Glaubhaftigkeit von Aussagen, denn hierzu können und dürfen nach der o. g. Rechtsprechung des BSG und des BHG in einem Gerichtsverfahren allein Personen mit juristischer oder aussagepsychologischer Ausbildung Beurteilungen abgeben. Über eine solche Ausbildung verfügt Frau Dr. Q als Ärztin nicht.
Soweit das SG ergänzend auf die Aussagen des früheren Freunds der Klägerin abgestellt hat, so sind diese ebenso wenig tragfähig. Denn zum einen hat dieser Zeuge ausschließlich Angaben vom Hören-Sagen gemacht, die wiederum auf den unzuverlässigen Angaben der Klägerin beruhen. Zum anderen sind seine Angaben auch in zentralen (nachprüfbaren) Punkten falsch, so z.B. bezüglich seiner Angabe, die Klägerin habe ihren toten Vater nach dessen Selbstmord aufgefunden. In Wahrheit war dies der Bruder der Klägerin.
Soweit das SG schließlich die Aussage der Mutter der Klägerin als unglaubwürdig einstufte, beruht dies allein auf einem Zirkelschluss bzw. einem bloßen Vorurteil. Denn es war gerade die hier zu überprüfende Frage, ob die Mutter der Klägerin tatsächlich durch Vernachlässigung und vorwerfbare Erziehungsfehler an einem strafbaren Missbrauch der Klägerin mitschuldig wurde oder nicht (wobei i.Ü. auch das damals noch bestehende elterliche Züchtigungsrecht zu berücksichtigen ist, vgl. dazu z.B. BGH Urteil vom 14.07.1954 – 5 StR 688/53). Nur dadurch, dass das SG diesen – nicht festgestellten – Missbrauch von vornherein ohne Beweis als gegeben unterstellte, gelangte es zu seinem negativen Urteil über die im Übrigen widerspruchsfreien Aussagen der Mutter der Klägerin. Tatsächlich hätte das SG aber feststellen müssen, ob die von der Klägerin behaupteten körperlichen Strafen der Mutter über das damals erlaubte Maß (das nach der o. g. Rechtsprechung sogar Schläge mit Gegenständen einschloss) hinausgingen. Auch für eine Beteiligung der Mutter an den von der Klägerin behaupteten Taten des Vaters gibt es keine Beweise.
Soweit sich das SG ergänzend auf das Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 27.06.2012 – L 4 VG 13/09 – beruft, geht dieser Einwand fehl, denn diese Entscheidung ist schon durch die später ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vom 17.04.2013 – B 9 V 1/12 R – (die auch dem SG bei Abfassung seines Urteils ausweislich der eigenen Entscheidungsgründe bekannt war) überholt. Das BSG hat nämlich in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BGH schon damals klargestellt, dass für die Frage der Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Aussagen, die nicht allein aufgrund juristischer Sachkunde zu würdigen sind, allein aussagepsychologische Sachverständigengutachten in Frage kommen. Dies hat nach den sogenannten Realkriterien (hierzu z.B. Bender/Röder/Nack Tatsachenfeststellung vor Gericht, 4. Auflage 2014, S. 91 ff.) zu erfolgen, so wie dies hier auch in dem vom erkennenden Senat eingeholten Glaubhaftigkeitsgutachten der Psychologin Dr. P geschehen ist.
Äußere Umstände, die für die Richtigkeit oder für die Erlebnisfundiertheit der Angaben der Klägerin sprechen könnten, liegen auch i. Ü. nicht vor.
Das gilt namentlich bzgl. der vom SG erhobenen Zeugenaussagen. Selbst dann nämlich, wenn man wie das SG, die Angaben der Mutter der Klägerin für unglaubwürdig hält, folgt aus der Unglaubwürdigkeit dieser Angaben denkgesetzlich noch nicht die Richtigkeit der Angaben der Klägerin. So ist z.B. ebenso gut denkbar, dass weder die Angaben der Klägerin noch die ihrer Mutter zutreffen. Was wirklich geschehen ist, bleibt daher völlig offen. Die Zeugenaussage der Mutter der Klägerin ist daher für die Behauptungen der Klägerin unergiebig.
Ebenso wenig folgt aus den Angaben des früheren Freundes der Klägerin etwas zur Untermauerung ihres jetzigen Vorbringens. Zutreffend hat nämlich insoweit auch das SG erkannt, dass dieser Zeuge von den hier interessierenden Geschehnissen nur vom Hörensagen berichtet hat. Dass er selbst die Auffassung der Klägerin, als ihr ehemaliger Freund für richtig hält, besagt beweisrechtlich nichts mit Ausnahme des Umstands, dass er insoweit emotional in ihrem Lager steht. Mit der Tatsache, dass er nachweislich auch Unrichtiges von der Klägerin gesagt bekommen hat, setzt sich das SG dabei nicht auseinander. Das gilt insbesondere bezüglich der Tatsache, dass nicht die Klägerin, sondern der Bruder der Klägerin deren Vater nach dessen Selbstmord als erster auffand.
Richtig ist an der Beweiswürdigung des SG allein die Annahme, dass es der Klägerin nicht zum Nachteil angerechnet werden kann, dass sich ihr Bruder auf sein Zeugnisverweigerungsrecht berufen hat. Indes besagt dieser Umstand in der Tat weder etwas für die Klägerin Negatives noch etwas für die Klägerin Positives. Dieser Umstand für die Beweisfrage ist vielmehr als vollkommen neutral zu behandeln.
Auch in der Berufungsinstanz hat sich nichts für die Klägerin Günstiges feststellen lassen.
Vor dem Hintergrund der erheblichen psychischen Erkrankung der Klägerin war eine Würdigung ihrer Aussage ohne sachverständige Hilfe, wie dargelegt, nicht möglich.
Ein Abstellen auf das bereits vom Beklagten eingeholte aussagepsychologische Gutachten von Frau Dipl. Psych. G verbot sich aus zwei Gründen: Zum einen, weil als Grundlage dieses Gutachtens eine vorherige medizinische Klärung des Krankheitsbildes mit den daraus gegebenenfalls folgenden Einschränkungen der Wahrnehmungs-, Erinnerungs- und Wiedergabefähigkeit der Klägerin hätte vorangehen müssen und zum anderen, weil dem Gutachten von Frau G eine Wiedergabe des von ihr mit der Klägerin geführten Explorationsgesprächs fehlte. Dies ist nämlich nach der o. g. Rechtsprechung des BSG und des BGH zu Glaubhaftigkeitsgutachten zwingend erforderlich.
Das später unter Berücksichtigung dieser Vorgaben vom erkennenden Senat eingeholte aussagepsychologische Gutachten von Frau Dr. P hat jedoch im Ergebnis zu keinen anderen Feststellungen geführt. Auch insoweit ist es weder sicher noch überwiegend wahrscheinlich, dass die Angaben der Klägerin auf wirklich Erlebtem beruhen, sondern vielmehr überwiegend wahrscheinlich, dass sie aufgrund von Eigen- oder Fremdsuggestion im Rahmen ihrer Therapien und Begehrensvorstellungen nach Opferentschädigung entstanden sind. Insoweit wird auf das überzeugende aussagepsychologische Gutachten von Frau Dr. P in vollem Umfang Bezug genommen.
Auch der medizinische Befund, wie ihn Frau C bei der Klägerin erhoben hat, spricht gegen die von der Klägerin in den Mittelpunkt ihrer Versorgungsbegehren gerückte angebliche Traumatisierung. Hätte sie diese nämlich tatsächlich erlitten, so wäre typischerweise ein entsprechendes Vermeidungsverhalten die Folge, wie es für die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung in den international anerkannten Diagnosekriterien der ICD aufgeführt ist. Das Gegenteil ist hier jedoch der Fall. Die Klägerin ist aus freien Stücken in die unmittelbare Nähe ihres früheren Wohnortes bzw. des angeblichen Tatortes zurückgezogen.
Ihr gesamtes Klagevorbringen ist mithin wesentlich wahrscheinlicher aus ihrer Persönlichkeitsstörung zu erklären, die Frau C überzeugend aus dem medizinischen Befund und der Krankheitsgeschichte der Klägerin als Diagnose abgeleitet hat. Damit nämlich verbunden ist der krankheitsbedingte Wunsch für das eigene Scheitern andere – hier insbesondere die Mutter der Klägerin – verantwortlich zu machen, so wie dies hier insbesondere der von der Mutter der Klägerin vorgelegte Brief belegt. Durch dieses Krankheitsbild, verbunden mit der Fremdsuggestion durch ihre Therapeutin sind die heutigen Angaben der Klägerin, wie von Frau Dr. P zutreffend dargelegt, überwiegend wahrscheinlich als Scheinerinnerungen ohne Realitätsbezug zu erklären.
Sonstige Beweismöglichkeiten bestehen nicht.
Nach alledem kam eine zusprechende Entscheidung zugunsten der Klägerin nicht in Betracht.
Grundsätzliche Fragen stellen sich nach der o. g. zwischenzeitlichen Klärung der Maßstäbe für Glaubhaftigkeitsgutachten im Sozialgerichtsprozess durch das BSG nicht. Gründe für die Zulassung der Revision bestehen daher nicht, § 160 Abs. 2 SGG.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Erstellt am: 14.08.2018
Zuletzt verändert am: 14.08.2018