NZB als unzulässig verworfen
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 25.09.2017 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Im Streit ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Der 1956 geborene Kläger hat eine Ausbildung zum Stahlbauschlosser ohne Abschluss durchlaufen. Weiterhin hat er von März 1983 bis September 1984 eine Umschulung zum Bürokaufmann absolviert. Anschließend war der Kläger arbeitslos. Von Januar 1987 bis Januar 1988 durchlief er nach eigenen Angaben eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme bei der Stadtbücherei der Stadt H. Ab 1991 war der Kläger als Verkaufsfahrer für Tabakwaren bzw. als Verkaufsreisender im Automatengeschäft tätig. Das Beschäftigungsverhältnis wurde im Februar 2015 aufgelöst. Seitdem übte der Kläger noch geringfügige versicherungsfreie Beschäftigungsverhältnisse, zuletzt als Kleinbusfahrer, aus. Die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die begehrte Rente waren zuletzt am 31.12.2016 erfüllt (siehe Schreiben der Beklagten vom 28.02.2018). Seit Juli 2017 bezieht der Kläger Altersrente für schwerbehinderte Menschen.
Der Kläger beantragte am 05.03.2015 die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung bei der Beklagten. Diese zog unter anderem einen Entlassungsbericht der F-klinik – Klinik für Psychosomatische Medizin – N bei. In der Klinik N hatte der Kläger im Zeitraum 06.01.2014 bis 03.02.2014 eine Rehabilitationsmaßnahme durchlaufen. Die dort behandelnden Ärzte hatten im Wesentlichen eine Dysthymia, eine kombinierte Persönlichkeitsstörung sowie einen Ösophagusverschluss festgestellt und entließen den Kläger als arbeitsunfähig. Das Leistungsvermögen für die letzte berufliche Tätigkeit sei aufgehoben. Der Kläger sei jedoch vollschichtig für leichte bis mittelschwere Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes ohne Zwangshaltungen mit Einschränkungen für die Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit einsetzbar.
Nach Auswertung der eingeholten Behandlungsunterlagen lehnte die Beklagte die Gewährung der beantragten Rente mit Bescheid vom 20.03.2015 ab. Der Kläger sei trotz der festgestellten gesundheitlichen Beeinträchtigungen in der Lage, vollschichtig auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig zu sein.
Hiergegen erhob der Kläger am 20.04.2015 Widerspruch. Zur Begründung teilte er mit, dass er sich außer Stande sehe, einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit nachzugehen. Er verwies auf ein Attest seiner behandelnden Ärzte der Institutsambulanz H. Neben seiner psychischen Erkrankung leide er auch an erheblichen Rückenbeschwerden, Schwerhörigkeit, Bluthochdruck und einer Funktionsstörung im Bereich der Speiseröhre.
Die Beklagte ließ den Kläger daraufhin durch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. L und durch den Facharzt für Orthopädie Dr. N untersuchen. Dr. L stellte auf der Grundlage einer Untersuchung im Oktober 2015 eine leichte bis mittelgradige depressive Episode und eine Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen Zügen fest. Als Verkaufsfahrer sei der Kläger nicht mehr einsetzbar. Es liege aber ein mehr als sechsstündiges Leistungsvermögen für leichte bis mittelschwere körperliche Arbeiten ohne Akkordarbeiten, ohne besonderen Zeitdruck und ohne Nachtschicht vor. Tätigkeiten mit gehobenen Ansprüche an das selbstständige Handeln und Denken, die Reaktionsfähigkeit und das Umstellungsvermögen sollten vermieden werden. Dr. N diagnostizierte auf seinem Fachgebiet bei dem Kläger auf der Grundlage einer Untersuchung im Januar 2016 ein rezidivierendes Lumbalsyndrom bei degenerativen Veränderungen und eine Gonarthrose links. Der Kläger besitze ein mehr als sechsstündiges Leistungsvermögen für leichte körperliche Tätigkeiten. Arbeiten in kniender oder gehockter Haltung seien zu vermeiden. Die Arbeiten sollten in wechselnder Körperhaltung und überwiegend im Sitzen durchgeführt werden.
Gestützt auf diese sozialmedizinische Beurteilung wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 17.05.2016, dem Kläger zugegangen am 20.05.2016, zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 20.06.2016 Klage bei dem Sozialgericht erhoben. Zur Begründung hat er ausgeführt, er sei aufgrund seiner erheblichen gesundheitlichen Einschränkungen außer Stande, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Das Sozialgericht hat zunächst Befundberichte der behandelnden Ärzte des Klägers, namentlich der praktischen Ärztin U und des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. L (Behandler seit April 2016, Nachfolger von Dr. X, Behandlerin seit Januar 2012) und von Prof. Dr. X1 beigezogen. Anschließend hat das Sozialgericht den Kläger durch den Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. C untersuchen lassen. Dieser hat auf der Grundlage zweier Untersuchungstermine im Juni 2017 bei dem Kläger eine Dysthymie, einen Zustand nach mittelgradiger depressiver Episode, eine Persönlichkeitsakzentuierung mit narzisstischen Zügen (DD: narzisstische Persönlichkeitsstörung), ein rezidivierendes Lumbalsyndrom mit degenerativen Veränderungen, eine Gonarthrose links und eine Ösophagusstenose diagnostiziert. Der Kläger könne leichte körperliche Arbeiten in wechselnder Körperhaltung mindestens sechs Stunden arbeitstäglich an fünf Tagen in der Woche mit den betriebsüblichen Unterbrechungen verrichten. Arbeiten in gebückter oder hockender Haltung sollten ebenso vermieden werden wie Arbeiten unter Stress und Leistungsdruck. Arbeiten mit gesteigerten Anforderungen an das Konzentrationsvermögen könnten nicht mehr verrichtet werden, ebenso solche mit gesteigertem Publikumsverkehr. Die Tätigkeiten sollten nur noch in Tagschicht in geschlossenen Räumen durchgeführt werden. Der Kläger könne keine Tätigkeiten mit Anforderungen an die Daueraufmerksamkeit verrichten. Unter Berücksichtigung dieser Einschränkungen sei die Umstellungsfähigkeit für neue Tätigkeiten gegeben. Die sozialmedizinische Wegefähigkeit sei erhalten. Es bestehe weitgehende Übereinstimmung mit Dr. L. Mit der Einschätzung des behandelnden Arztes Dr. L bestehe dahingehend Übereinstimmung, dass eine reduzierte Stressbelastbarkeit festzustellen sei. Es sei daraus aber nicht ableitbar, dass eine ausreichende Belastbarkeit für den ersten Arbeitsmarkt nicht gegeben sei.
Mit Urteil vom 25.09.2017 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass dem Kläger der für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung erforderliche Nachweis einer zeitlichen Einschränkung seines Leistungsvermögens nicht gelungen sei. Auch ergebe sich eine Verschlossenheit des Arbeitsmarktes nicht unter den Gesichtspunkten einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung und einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen, die die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit erforderlich machen würden. Dabei werde auch die bei dem Kläger seit seiner Jugend vorliegende Speiseröhrenverengung berücksichtigt. Entsprechend der Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen sei davon auszugehen, dass der Kläger bei vollschichtiger Tätigkeit keine zusätzlichen Pausenzeiten zur Nahrungsaufnahme benötige. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit, denn er sei nicht berufsunfähig. Die zuletzt ausgeübte Tätigkeit des Klägers als Verkaufsfahrer für Tabakwaren und Automatenbefüller sei als ungelernte Tätigkeit einzuordnen. Der Kläger könne daher auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden. Die Beklagte sei nicht zur Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit verpflichtet.
Gegen das ihm am 12.10.2017 zugestellte Urteil hat der Kläger am 13.11.2017, einem Montag, Berufung eingelegt.
Zur Begründung hat der Kläger im Wesentlichen ausgeführt, er sei nach Auffassung seines Psychiaters Dr. L nicht in der Lage, auch nur leichte Arbeitstätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mehr als drei Stunden zu verrichten. Der Sachverständige Dr. C gehe davon aus, dass die depressive Erkrankung wesentlich mit Konflikten an seinem früheren Arbeitsplatz in Zusammenhang gestanden und sich durch die Auflösung des Arbeitsverhältnisses eine Besserung ergeben habe. Demgegenüber sehe sein behandelnder Arzt einen chronifizierten Zustand. Die Medikation sei gleichbleibend. Dies verdeutliche gerade den chronifizierten Zustand. Im Übrigen habe das Sozialgericht ihn hinsichtlich des Anspruchs auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu Unrecht nur der Stufe der ungelernten Tätigkeiten zugeordnet. Er besitze eine abgeschlossene Berufsausbildung als Bürokaufmann. Diese kaufmännische Ausbildung sei ihm bei seiner letzten Tätigkeit als Verkaufsfahrer für Tabakwaren und Automatenfüller zugutegekommen. Neben der reinen Fahrtätigkeit gehörten auch die Erfassung und Abrechnung der mit den Tabakautomaten erzielten Umsätze sowie die Warennachbestellung, Kundenbetreuung und Marktbeobachtung vor Ort zu seinen regelmäßigen festen Tätigkeiten bei seinem früheren Arbeitgeber, der Firma I Tabakwaren. Er gehöre daher zumindest zur Gruppe der Facharbeiter. In einer beigefügten "fachärztlichen Stellungnahme" vom 26.09.2017 hat der behandelnde Psychiater Dr. L ausgeführt, dass der Kläger infolge langer Rechtstreitigkeiten mit dem Arbeitgeber zermürbt und verbittert sei. Es bestünden erhebliche anhaltende Einschränkungen der Stressbelastbarkeit, Umstellungsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit. Aus fachärztlicher Sicht sei das Leistungsvermögen des Klägers aufgehoben.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 25.09.2017 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 20.03.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.05.2016 zu verurteilen, ihm unter Zugrundelegung eines Leistungsfalls zum Zeitpunkt der Antragstellung Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Der Senat hat zunächst eine Arbeitgeberauskunft der Firma I Tabakwaren eingeholt. Danach war der Kläger von November 1991 bis September 1996 bei der übernommenen Firma Tabak H als Verkaufsfahrer, von Oktober 1996 bis Dezember 2003 als Verkaufsreisender im Handelsgeschäft und von Juni 2008 bis Februar 2015 als Verkaufsreisender im Automatengeschäft beschäftigt gewesen. Die Tätigkeit habe die bedarfsgerechte Bedienung der Großhandelskunden und der Absatzstellen (Automaten) nach festgelegten Tagestouren umfasst. Diese Tätigkeiten hätten eine Lehre nicht vorausgesetzt, sondern das Großhandelsgeschäft eine Anlernzeit von sechs Wochen und das Automatengeschäft eine Anlernzeit von drei Monaten. Ob der Kläger diese Anlernzeiten durchlaufen habe, könne nicht mitgeteilt werden, da dieser durch eine Unternehmensübernahme zur Firma I gelangt sei. Voraussetzungen seien der Führerschein der Klasse B sowie "kaufmännische Grundlagen" gewesen. Eine völlig ungelernte Kraft habe die o.g. Anlernzeiten zurücklegen müssen. Die Tätigkeit setze besonderes Verantwortungsbewusstsein und besondere Zuverlässigkeit voraus. Dies resultiere aus dem Umgang mit Bargeld. Die Firma I sei nicht tarifvertragsgebunden.
Weiter hat der Senat die Behandlungsdokumentation der psychiatrischen Institutsambulanz H beigezogen. Unter anderem findet sich hier im Dezember 2016 ein Bericht des Klägers über einen aktuellen Arbeitsvertrag auf 450 EUR Basis als Fahrer eines Kleinbusses. Der sozialmedizinische Dienst der Beklagten hat diese Verlaufsdokumentation ausgewertet. Die Verlaufsdokumentation zeige deutliche Widerstände des Klägers gegen die intensiven psychotherapeutischen Bemühungen, die darauf ausgerichtet sein, ihm die Akzeptanz seiner Situation zu vermitteln. Da in der Verlaufsdokumentation keine Diagnosen benannt oder Schweregrade der depressiven Symptomatik angegeben würden, könne diese zur Leistungsbeurteilung nur sehr bedingt insofern herangezogen werden, als eine Chronifizierung der dysfunktionellen Einstellung des Klägers hierdurch deutlich werde, die psychotherapeutisch schwer angehbar sei. Andererseits zeige sich, dass sich der Kläger immer wieder um berufliche Tätigkeiten bemüht habe, bei denen er auch seine teilweise Integrationsfähigkeit unter Beweis stelle, so dass die Verlaufsdokumentation nicht gegen die bisherige sozialmedizinische Beurteilung der Beklagten spreche.
Der Kläger ist der Einschätzung des ärztlichen Dienstes entgegengetreten. Er habe sich nie irgendwelchen psychotherapeutischen Bemühungen widersetzt. Sein gesundheitlicher Zustand habe sich nicht verbessert. Er sei nach wie vor in intensiver psychotherapeutische Behandlung in der Fachklinik in H. Der eingeholten Auskunft des früheren Arbeitgebers sei zu widersprechen. Es handele sich gerade nicht um eine bloße Anlerntätigkeit. Er verweise auf die bereits in der Berufungsbegründung ausgeführten kaufmännischen Aspekte der Tätigkeit. Diese Tätigkeiten ließen sich nicht durch bloßes Anlernen innerhalb kürzester Zeit erlernen. Außerdem habe er bei Eintritt in die Firma I Tabakwaren schon jahrelange Berufserfahrung gehabt. Aufgrund dieser Berufserfahrung sei er in der Lage gewesen, die Tätigkeit innerhalb kürzester Zeit auch bei der Firma I Tabakwaren fortzuführen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Das Sozialgericht hat zu Recht die Klage abgewiesen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 20.03.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.05.2016 ist rechtmäßig. Denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung (siehe nachfolgend unter a)). Darüber hinaus besteht auch kein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (siehe nachfolgend unter b)).
a) Nach § 43 Abs 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie – neben der Erfüllung versicherungsrechtlicher Voraussetzungen – voll erwerbsgemindert sind. Gemäß § 43 Abs 2 S 2 SGB VI sind Versicherte voll erwerbsgemindert, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Über die gesetzliche Definition des Leistungsfalles der vollen Erwerbsminderung hinaus sind auch die Versicherten voll erwerbsgemindert, die noch einer Erwerbstätigkeit von drei bis unter sechs Stunden täglich nachgehen können und damit den Tatbestand der teilweisen Erwerbsminderung nach § 43 Abs 1 S 2 SGB VI erfüllen, denen der Teilzeitarbeitsmarkt jedoch verschlossen ist. Nicht erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs 3 SGB VI hingegen Versicherte, die unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein können. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rentengewährung liegen nach § 43 Abs 1 bzw. Abs 2 S 1 Nr 2 und 3 SGB VI vor, wenn der Versicherte in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit zurückgelegt hat (sogenannte 3/5-Belegung) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt hat.
Für den Senat steht unter Berücksichtigung der vorgenannten Grundsätze und des Ergebnisses der Beweisaufnahme fest, dass der Kläger jedenfalls bis zum 31.12.2016 nicht erwerbsgemindert im Sinne des § 43 Abs 1 und 2 SGB VI war. Zu diesem Zeitpunkt erfüllte der Kläger letztmalig die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der 3/5-Belegung.
aa) Bis zu dem vorgenannten Zeitpunkt war der Kläger noch in der Lage, körperlich leichte, geistig einfache Tätigkeiten mehr als sechs Stunden arbeitstäglich unter betriebsüblichen Bedingungen zu verrichten. Der Senat stützt diese Feststellung insbesondere auf die schlüssige und in sich widerspruchsfreie Diagnostik und Leistungseinschätzung des neurologisch-psychiatrischen Sachverständigen Dr. C. Hiernach bestehen bei dem Kläger eine Dysthymie, ein Zustand nach mittelgradiger depressiver Episode sowie eine Persönlichkeitsakzentuierung mit narzisstischen Zügen, differentialdiagnostisch als narzisstische Persönlichkeitsstörung einzuordnen. Weiter hat Dr. C die von Dr. N festgestellten orthopädischen Erkrankungen, für deren wesentliche Verschlechterung kein Anhalt erkennbar ist, namentlich ein rezidivierendes Lumbalsyndrom mit degenerativen Veränderungen, eine Gonarthrose links, sowie die seit Jahrzenten bestehenden Ösophagusstenose einbezogen. In der Gesamtschau dieser Erkrankungen ist der Sachverständige Dr. C überzeugend zu der Feststellung gelangt, dass der Kläger noch leichte körperliche Arbeiten in wechselnder Körperhaltung mindestens sechs Stunden arbeitstäglich an fünf Tagen in der Woche unter betriebsüblichen Bedingungen verrichten kann. Arbeiten in gebückter oder hockender Haltung sollen hierbei ebenso vermieden werden wie Arbeiten unter Stress und Leistungsdruck. Arbeiten mit gesteigerten Anforderungen an das Konzentrationsvermögen können nicht mehr verrichtet werden, ebenso wie solche mit gesteigertem Publikumsverkehr. Die Tätigkeiten sollen nur noch in Tagschicht in geschlossenen Räumen durchgeführt werden. Der Kläger kann auch keine Tätigkeiten mit Anforderungen an die Daueraufmerksamkeit verrichten. Unter Berücksichtigung dieser Einschränkungen ist die Umstellungsfähigkeit für neue Tätigkeiten gegeben. Diese Feststellungen decken sich im Wesentlichen mit denjenigen des im Widerspruchsverfahren gehörten Dr. L. Auch die Klinik N sah das zeitliche Leistungsvermögen des Klägers nach der im Januar und Februar 2014 durchgeführten Rehabilitationsmaßnahme als uneingeschränkt an.
Dass der behandelnde Psychiater Dr. L hiervon abweichend das Leistungsvermögen des Klägers als auf unter drei Stunden abgesunken ansieht, vermochte den Senat hingegen nicht zu überzeugen. Dr. L stützt seine Einschätzung auf die Diagnosen einer mittelgradigen depressiven Episode, Anpassungsstörungen und sonstige spezifische Persönlichkeitsstörungen und die hieraus resultierenden erheblichen anhaltenden Einschränkungen der Stressbelastbarkeit, Umstellungsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit. Dr. C folgend vermag der Senat jedenfalls die Schlussfolgerung eines auf unter drei Stunden abgesunkenen Leistungsvermögens nicht nachzuvollziehen.
Der Sachverständige Dr. C hat ausdrücklich ausgeführt, mit der Einschätzung des behandelnden Arztes Dr. L bestehe dahingehend Übereinstimmung, dass eine reduzierte Stressbelastbarkeit festzustellen sei. Es sei daraus aber nicht ableitbar, dass eine ausreichende Belastbarkeit für den ersten Arbeitsmarkt nicht gegeben sei. Der Umstand, dass der Kläger noch im Dezember 2016 erneut eine, wenn auch geringfügige, Beschäftigung aufgenommen hat, bei der er einen Kleinbus sicher im Straßenverkehr zu führen hatte, spricht für diese Einschätzung des gerichtlichen Sachverständigen. Tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger diese Tätigkeit auf Kosten seiner Gesundheit ausgeübt hat, sind nicht zu erkennen.
bb) Ein Rentenanspruch des Klägers ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder schweren spezifischen Leistungsbehinderung, bei deren Vorliegen die Beklagte eine konkrete Verweisungstätigkeit benennen müsste. Vor der Feststellung solcher Einschränkungen ist in einem ersten Schritt festzustellen, ob das Restleistungsvermögen dem Versicherten Verrichtungen oder Tätigkeiten erlaubt (wie z.B. Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw.), die in ungelernten Tätigkeiten üblicherweise gefordert werden. Es genügt die Benennung von "Arbeitsfeldern", von "Tätigkeiten der Art nach" oder von "geeigneten Tätigkeitsfeldern", die der Versicherte ausfüllen könnte (vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 09. Mai 2012 – B 5 R 68/11 R).
Der Senat hat keinen Zweifel daran, dass der Kläger die vorbenannten Tätigkeitsfelder ausfüllen kann. Der Sachverständige Dr. C hat lediglich Arbeiten mit gesteigerten Anforderungen an das Konzentrationsvermögen ausgeschlossen. Dies ist nachvollziehbar vor dem von ihm erhobenen psychopathologischen Befund, in dem der Kläger ohne greifbare kognitive Defizite und ohne Hemmung oder Minderung des Antriebs beschrieben wird. Auch testpsychologisch zeigten sich keine Hinweise auf eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Kurzzeit- oder Arbeitsgedächtnisses ergeben. Die erkennbaren Hinweise auf Defizite in der geteilten Aufmerksamkeit bzw. kognitiven Flexibilität schließen eine Tätigkeit in den o.g. ungelernten Arbeitsfeldern des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht aus. Vor diesem Hintergrund ist auch der benannte Ausschluss von Anforderungen an die Daueraufmerksamkeit zu sehen. Nachvollziehbar hat der Sachverständige ausdrücklich festgestellt, dass eine fehlende Belastbarkeit für den ersten Arbeitsmarkt aus den Gesundheitsstörungen des Klägers nicht abzuleiten sei. Dies findet – auch und gerade hinsichtlich der erforderlichen Umstellungsfähigkeit – seine Bestätigung darin, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 18.07.2018 berichtet hat, dass er, wenngleich ebenfalls geringfügig, in 2015 und 2016 eine Tätigkeit als Verpacker ausgeübt hat.
b) Der Kläger war bis zum 31.12.2016 auch nicht teilweise erwerbsgemindert bei Berufsunfähigkeit. Denn er war nicht berufsunfähig.
Berufsunfähig sind nach § 240 Abs 2 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Ausgangspunkt der Prüfung der Berufsunfähigkeit ist der "bisherige Beruf" des Versicherten (BSG Urteil vom 29.06.1989 – 5 RJ 49/88). In der Regel ist dies die zuletzt versicherungspflichtig ausgeübte Beschäftigung oder Tätigkeit. Steht fest, dass die Versicherten ihre bisherige Berufstätigkeit krankheitsbedingt nicht mehr verrichten können, so sind sie nicht allein schon deswegen berufsunfähig. Berufsunfähig sind sie vielmehr dann, wenn sie nicht mit einer ihnen zumutbaren Tätigkeit die gesetzliche Lohnhälfte erzielen können. Zur Erleichterung der Beurteilung, ob ein Verweisungsberuf benannt werden muss und welcher Verweisungsberuf gegebenenfalls sozial zumutbar ist, hat das BSG für den Bereich der Angestellten ein sogenanntes Mehrstufenschema entwickelt. Danach sind zu unterscheiden: Ungelernte Berufe (Stufe 1); Berufe mit einer Ausbildung bis zu zwei Jahren (Stufe 2); Berufe mit einer Ausbildung von mehr als zwei Jahren (Stufe 3); Berufe, die zusätzliche Qualifikationen oder Erfahrungen oder den erfolgreichen Besuch einer Fachschule voraussetzen (Stufe 4), zu ihr gehören Facharbeiter mit Vorgesetztenfunktion gegenüber anderen Facharbeitern, Spezialfacharbeiter, Meister, Berufe mit Fachschulqualifikation als Eingangsvoraussetzung; Berufe, die einen erfolgreichen Abschluss einer Fachhochschule oder eine zumindest gleichwertige Berufsausbildung voraussetzen (Stufe 5); Berufe, deren hohe Qualität regelmäßig auf einem Hochschulstudium oder einer vergleichbaren Qualifikation beruht (Stufe 6). Die konkrete Benennung einer Verweisungstätigkeit ist dann nicht erforderlich, wenn der bisherige Beruf der ersten Stufe angehört oder wenn ein sog einfacher Angelernter (Stufe 2, aber Ausbildung bis zu einem Jahr) auf ungelernte Berufe verwiesen wird (vgl. BSG Urteil vom 29.07.2004 – B 4 RA 5/04 R).
Mit dem festgestellten Leistungsvermögen ist der Kläger krankheitsbedingt nicht mehr in der Lage, seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit zu verrichten.
Unter Berücksichtigung der vorgenannten Grundsätze ist der Kläger allerdings als einfacher Angelernter (Angelernter im unteren Bereich) einzustufen und damit auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar, ohne das eine konkrete Verweisungstätigkeit zu benennen ist.
aa) Abzustellen ist auf die zuletzt ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung von Juni 2008 bis Februar 2015 als Verkaufsreisender im Automatengeschäft. Die Tätigkeit des Klägers umfasste die bedarfsgerechte Bedienung der Absatzstellen (Automaten) nach festgelegten Tagestouren. Diese Tätigkeiten setzten eine Lehre nicht voraus. Vielmehr war für das Automatengeschäft eine Anlernzeit von drei Monaten erforderlich. Vorausset-zungen waren der Führerschein der Klasse B sowie "kaufmännische Grundlagen". Eine völlig ungelernte Kraft konnte sich die Tätigkeiten innerhalb der genannten Anlernzeit aneignen. Die Tätigkeit setzte mit Blick auf den erforderlichen Umgang mit Bargeld besonderes Verantwortungsbewusstsein und besondere Zuverlässigkeit voraus. Der Senat trifft diese Feststellungen auf der Grundlage der Auskunft des Arbeitgebers vom 30.01.2018. Es besteht kein Anhalt dafür, dass die Auskunft unrichtig oder unvollständig sein könnte. Insbesondere spricht der bloße Umstand, dass der Kläger sich mit dem Arbeitgeber zuletzt langwierig gerichtlich auseinandergesetzt hat, nicht für wahrheitswidrige Angaben. Denn der Arbeitgeber war auch in seiner schriftlichen Äußerung gegenüber dem Senat der Wahrheitsplicht eines Zeugen unterworfen. Die Ausführungen des Klägers, dass neben der reinen Fahrtätigkeit auch die Erfassung und Abrechnung der mit den Tabakautomaten erzielten Umsätze sowie die Warennachbestellung, Kundenbetreuung und Marktbeobachtung vor Ort zu den Tätigkeitsinhalten gehörten, widersprechen der Darstellung des Arbeitgebers nicht. Maßgeblich für die Einstufung im Mehrstufenschema ist damit die Angabe des Arbeitgebers, dass es sich um eine Tätigkeit mit einer Anlernzeit von unter einem Jahr handelte.
bb) Eine höherwertige Einstufung der zuletzt ausgeübten Tätigkeit ergibt sich auch nicht unter dem Aspekt, dass der Kläger von März 1983 bis September 1984 eine – wenn auch nur anderthalbjährige – Umschulung zum Bürokaufmann absolviert hat. Denn in diesem Berufsbild ist der Kläger bei der Firm I nicht tätig geworden. In einer 2012 durchgeführten Rehabilitationsmaßnahme hat der Kläger selbst seine Tätigkeit dahingehend beschrieben, dass er für ca. 620 Zigarettenautomaten zuständig sei. Er fahre täglich ca. 100 km. Er bestücke Zigarettenautomaten, sei für die Bestellung von Waren, Abrechnung, Auslieferung zuständig. Die Arbeit sei verbunden mit Heben und Tragen von bis z.T. über 100 Kg. Er arbeite im Bücken, Gehen und Sitzen. In der 2014 durchgeführten Rehabilitationsmaßnahme hat der Kläger ausgeführt, seine Arbeit sei körperlich geprägt durch Bücken und Heben. Geistig herrsche sehr hoher Zeitdruck. Der Arbeitgeber hat die Tätigkeit als körperlich mittelschwer bezeichnet, wegen des Tragens von Ware und Münzgeld. Die Tätigkeit sei ca. 50 % im Sitzen und 50% im Gehen und Stehen erfolgt, und zwar überwiegend im Freien unter jahreszeitbedingten Witterungseinflüssen. Nach Auskunft des Arbeitgebers hat der Kläger keine kaufmännischen Tätigkeiten ausgeführt. Die Tätigkeit hat lediglich "kaufmännische Grundlagen" erfordert. Ist es auch einem Ungelernten möglich, sich neben allen anderen betrieblichen Erfordernissen auch diese "Grundlagen" innerhalb einer Einarbeitungszeit von drei Monaten anzueignen, so können diese, gemessen an den Inhalten der zum Zeitpunkt der Erteilung der Auskunft dreijährigen Ausbildung zum Bürokaufmann (VO über die Berufsausbildung zum Bürokaufmann/ zur Bürokauffrau vom 13.02.1991 (BGBl I S 425)), keinen prägenden Charakter besitzen.
Konsequenterweise hat der Kläger noch gegenüber dem im Verwaltungsverfahren gehörten Sachverständigen Dr. L angegeben, er habe eine Umschulung zum Bürokaufmann absolviert, "in diesem Beruf aber keine Stelle gefunden."
cc) Auch unter dem Gesichtspunkt tarifvertraglicher Einstufung ergibt sich keine höhere Einstufung der Tätigkeit im Mehrstufenschema. Der Arbeitgeber ist nicht tarifvertragsgebunden. Maßgeblich für die qualitative Einordnung ist in diesem Fall die fiktive Einordnung in den sachlich nächsten Tarifvertrag. Dies ist vorliegend das Gehalts- und Lohnrahmenabkommens des Groß- und Außenhandels NRW vom 01.05.1980. Voraussetzung für einen qualifizierten Berufsschutz aufgrund fiktiver tarifvertraglicher Einstufung ist aber zum einen, dass es sich um einen im Sinne des o.g. Mehrstufenschemas geordneten Tarifvertrag handelt. Eine solche Ordnung lässt der gerade genannte Tarifvertrag aber weder im Bereich des Lohn- noch im Bereich des Gehaltstarifs erkennen. Insbesondere fehlt es an der hier maßgeblichen Stufung innerhalb der Gruppe der Angelernten. Zum anderen muss sich die Tätigkeit eindeutig einer Lohn- oder Gehaltsgruppe zuordnen lassen. Zwar ist der sogenannte Verkaufsfahrer im Lohnrahmenabkommen konkret benannt. Hierunter ist der Zigarettenautomatenauffüller aber nicht zu erfassen (vgl. BSG Urteil vom 09.10.2007 – B 5b/8 KN 3/07 R).
dd) Die Ausbildung zum Stahlbauschlosser hat der Kläger nicht abgeschlossen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 160 Abs 2 Nrn1 und 2 SGG.
Erstellt am: 03.09.2019
Zuletzt verändert am: 03.09.2019