Auf die Beschwerde des Erinnerungsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Aachen vom 09.08.2019 geändert. Die aus der Landeskasse an den Erinnerungsführer zu zahlenden Gebühren und Auslagen werden auf 202,30 EUR festgesetzt. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Die Entscheidung ergeht gebührenfrei. Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Streitig ist die Höhe der im Rahmen von Prozesskostenhilfe (PKH) aus der Landeskasse zu erstattenden Rechtsanwaltsvergütung nach dem Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz – RVG) für ein Hauptsacheverfahren vor dem Sozialgericht Aachen.
Mit ursprünglich zwei Klagen vom 03.09.2018 (S 7 AS 814/18 und S 7 AS 815/18), haben sich die Klägerinnen, eine Mutter mit ihrer minderjährigen Tochter, bei dem Sozialgericht Aachen gegen zwei Aufrechnungsbescheide des Beklagten vom 26.04.2018 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 01.08.2018 gewendet. In beiden Verfahren haben die Klägerinnen unter Darlegung ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse die Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Erinnerungsführers beantragt. Zur Begründung hat der Erinnerungsführer auf die Begründung aus einem Parallelverfahren bei dem Sozialgericht Aachen S 4 AS 720/17 mit vergleichbarer Aufrechnungsproblematik Bezug genommen.
Mit Beschluss vom 17.10.2018 hat das Sozialgericht die Verfahren S 7 AS 814/18 und S 7 AS 815/18 miteinander verbunden. Es hat das Verfahren unter dem führenden Verfahren S 7 AS 814/18 fortgeführt und das Verfahren S 7 AS 815/18 am 17.10.2018 als "Erledigung auf sonstige Art" ausgetragen.
Mit Beschluss vom 25.02.2019 hat das Sozialgericht den Klägerinnen unter Beiordnung des Erinnerungsführers in dem führenden Verfahren S 7 AS 814/18 Prozesskostenhilfe bewilligt.
Die Klägerinnen haben am 13.05.2019 die Klage S 7 AS 814/18 zurückgenommen.
Am 20.05.2019 hat der Erinnerungsführer unter dem Aktenzeichen S 7 AS 814/18 eine PKH-Vergütungsfestsetzung iHv brutto 714 EUR beantragt, der der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle (UdG) des Sozialgerichts antragsgemäß nachgekommen ist. Auf den weiteren PKH-Festsetzungsantrag vom 20.05.2019 in dem Verfahren S 7 AS 815/18 über 380,80 EUR (Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3102 VV/RVG von 300,00 EUR, Auslagenpauschale gemäß Nr. 7002 VV/RVG in Höhe von 20,00 EUR, Umsatzsteuer gemäß Nr. 7008 VV/RVG von 60,80 EUR), hat der UdG des Sozialgerichts die Vergütung mit PKH-Vergütungsfestsetzungsbeschluss vom 22.05.2019 auf 0,00 EUR festgesetzt. Für das am 17.10.2018 unter dem führenden Aktenzeichen S 7 AS 814/18 verbundene und damit erledigte Verfahren S 7 AS 815/18 sei keine PKH bewilligt worden. Die PKH-Bewilligung in der Sache S 7 AS 814/18 vom 25.02.2019 gelte nicht für das Verfahren S 7 AS 815/18, da letzteres zum Zeitpunkt der Bewilligung bereits erledigt gewesen sei.
Auf die sinngemäß als Erinnerung ausgelegten Einwände des Erinnerungsführers hat das Sozialgericht den PKH-Vergütungsfestsetzungsbeschluss vom 22.05.2019 mit Beschluss vom 09.08.2019 geändert und die Vergütung antragsgemäß auf 380,80 EUR festgesetzt. Nach dem Verbindungsbeschluss seien die Klageverfahren S 7 AS 814/18 und S 7 AS 815/18 nur noch als einheitliches Verfahren existent. Eines gesonderten PKH-Beschlusses für das Verfahren S 7 AS 815/18 habe es nicht bedurft. Der Erinnerungsführer könne bei der Abrechnung formal verbundener Verfahren wählen, ob er die Vergütung insgesamt für das verbundene Verfahren oder für die Verbindung noch selbständigen Verfahren und die dort bereits verwirklichten Gebührentatbestände geltend machen wolle. Hier habe sich der Erinnerungsführer hinreichend deutlich für eine getrennte Vergütungsfestsetzung entschieden. Der Ansatz der Verfahrensgebühr, die bereits vor dem Verbindungsbeschluss entstanden sei, sei auch nicht als unbillig anzusehen.
Gegen den Beschluss des Sozialgerichts vom 09.08.2019, dem Erinnerungsgegner am 20.08.2019 zugestellt, hat dieser am 26.08.2019 Beschwerde eingelegt. Der Ansicht des Sozialgerichts sei nicht zu folgen. Vielmehr habe der UdG mangels gesondertem PKH-Beschluss in dem Verfahren S 7 AS 815/18 und der Verfahrenserledigung vor dem PKH-Beschluss im führenden Verfahren (S 7 AS 814/18) in dem nicht führenden Verfahren (S 7 AS 815/18) zu Recht keine Gebühren und Auslagen festgesetzt. Hilfsweise sei bei der Gebührenfestsetzung zu berücksichtigen, dass angesichts der äußerst geringen anwaltlichen Tätigkeit in dem Verfahren S 7 AS 815/18 lediglich die Verfahrensmindestgebühr von netto 50 EUR nebst Auslagenpauschale und Umsatzsteuer festgesetzt werden könne.
II.
Die Beschwerde ist zulässig und zum Teil begründet.
Die Beschwerde ist gemäß §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 1 RVG statthaft, wenn der Wert der Beschwerde 200 EUR übersteigt. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Berechnung des Beschwerdewerts ist der Zeitpunkt der Einlegung der Beschwerde (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl., § 144 Rn. 19). Die Beschwer beträgt vorliegend 380,80 EUR, da der Erinnerungsführer eine Festsetzung in entsprechender Höhe begehrt, die der Erinnerungsgegner im vollen Umfang ablehnt. Die Beschwerdefrist von zwei Wochen ab Zustellung des Beschluss nach §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 3 RVG hat der Erinnerungsgegner eingehalten.
Von einer Übersendung der Akten an das Sozialgericht zur Durchführung eines Nichtabhilfeverfahrens nach §§ 56 Abs. 2 Satz 1 RVG, 33 Abs. 4 Satz 1 RVG sieht der Senat, der gemäß §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 8 Satz 1 RVG in der alleinigen Besetzung durch den Berichterstatter entscheidet, ab. Die Durchführung eines Abhilfeverfahrens ist keine Zulässigkeitsvoraussetzung für das Beschwerdeverfahren (vgl. Beschluss des Senats vom 29.07.2019 – L 7 AS 1127/19 B; LSG Thüringen Beschluss vom 13.03.2017 – L 6 SF 1227/15 B; für das strafrechtliche Beschwerdeverfahren ebenso: OLG Celle Beschluss vom 12.08.2016 – 1 Ws 297/16).
Die Beschwerde ist nur zum Teil begründet.
Soweit der Erinnerungsgegner die Gebührenfestsetzung mit der Begründung ablehnt, dass ein PKH-Beschluss in dem Verfahren S 7 AS 815/18 nicht ergangen und auch der PKH-Beschluss in dem Verfahren S 7 AS 814/18 erst lange nach dem Verfahrensende S 7 AS 815/18 ergangen sei, verkennt er, dass der bereits in dem Verfahren S 7 AS 815/18 gestellte PKH-Antrag als Verfahrensannex in dem führenden Verfahren S 7 AS 814/18 weiter geführt und dort gesondert zu prüfen war (vgl. LSG NRW Beschluss vom 02.09.2014 – L 20 SO 317/13 B; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl., § 113 Rn 4 mwN; a.A. jedoch ohne nähere Begründung: SG Hannover Beschlüsse vom 12.01.2012 – S 34 SF 107/11 E und vom 29.08.2012 – S 34 SF 44/12 E). Insoweit und hinsichtlich des Abrechnungswahlrechts des Erinnerungsführers verweist der Senat nach eigener Prüfung auf die zutreffende Begründung des Sozialgerichts (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG). Eine Annexausweitung des PKH-Beschluss kommt nur dann nicht in Betracht, wenn in dem führenden Verfahren bereits vor dem Verbindungsbeschluss PKH bewilligt wurde (Beschluss des Senats vom 14.01.2010 – L 7 B 355/09 AS). Dieser Ausnahmefall lag hier jedoch nicht vor.
Nicht gefolgt wird dem Sozialgericht hinsichtlich der Höhe der Gebührenfestsetzung, denn diese ist unbillig. Schon bei einem Vergleich der Klageschriftsätze vom 31.08.2018 in den Verfahren S 7 AS 814/18 und S 7 AS 815/18, die – mit Ausnahme der Aufrechnungshöhe – identisch sind, wird ein erheblicher Rationalisierungseffekt deutlich, der den Ansatz einer Mittelgebühr für die Verfahrensgebühr nicht billig erscheinen lässt. Die Mittelgebühr fällt für ein durchschnittliches sozialgerichtliches Verfahren an, mithin auch für medizinische Verfahren, in denen oftmals zu Gutachten und Befundberichten Stellung zu nehmen ist. Verglichen mit diesen Verfahren ist das Verfahren S 7 AS 815/18 in Bezug auf Arbeitsaufwand, Schwierigkeit, Haftung etc. nicht als durchschnittlich zu bewerten. Vielmehr lag eine nahezu stoffgleiche Doppelverwertung in Bezug auf das Verfahren S 7 AS 814/18 vor. Hinzu kommt, dass auch in dem führenden Verfahren S 7 AS 814/18 maßgeblich auf ein weiteres Verfahren Bezug genommen wurde. Diesem erheblichen Rationalisierungseffekt ist dadurch Rechnung zu tragen, dass im vorliegenden Fall nur eine halbierte Verfahrensgebühr gesondert anzusetzen war. Dabei verkennt der Senat nicht, dass der Gegenstand des Verfahrens S 7 AS 815/18 durch den Verbindungsbeschluss nicht entfallen ist, sondern im führenden Verfahren fortgesetzt wurde, jedoch kann in dem führenden Verfahren S 7 AS 814/18 auch nach dem Verbindungsbeschluss vom 17.10.2018 in Bezug auf das Verfahren der Tochter (S 7 AS 815/18) kein gesonderter Verfahrensaufwand konstatiert werden.
Die Beschwerde ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG).
Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt (§§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).
Erstellt am: 06.11.2019
Zuletzt verändert am: 06.11.2019