Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 16.4.2019 geändert. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 1.11.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.2.2018 verpflichtet, die Klägerin ab dem 1.11.2017 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung zu befreien. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Befreiung von der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR).
Die am 00.00.1953 geborene Klägerin war zunächst über ihren Ehemann beihilfeberechtigt (70%). Hinsichtlich der verbleibenden 30% schloss die Klägerin ab dem 1.1.1992 bei dem E. VVaG eine Anwartschaftsversicherung zur Absicherung der nicht von der Beihilfe abgedeckten Kosten im Alter und zahlte hierfür regelmäßig Beiträge (insgesamt 6.409,10 EUR).
Die Klägerin nahm ab 1992 eine versicherungspflichtige Halbtagsbeschäftigung auf und war gesetzlich krankenversichert, ab dem 1.10.2011 über die Beklagte. Seit dem Tod ihres Ehemanns im April 2014 bezieht die Klägerin eine Witwenpension i.H.v. 1.983,12 EUR. Der Arbeitgeber meldete die Klägerin am 10.10.2017 zum 31.10.2017 wegen des Endes des Beschäftigungsverhältnisses von der Sozialversicherung ab. Von der Deutschen Rentenversicherung bezieht die Klägerin seit dem 1.11.2017 eine Bruttorente i.H.v. 947,59 EUR (netto: 856,86 EUR).
Die Klägerin beantragte am 8.10.2017 bei der Beklagten zum 1.11.2017 die Befreiung von der Krankenversicherungspflicht nach §§ 6 und 8 SGB V. Sie legte Bescheinigungen über ihre Beihilfeberechtigung und den Abschluss der substitutiven Krankenversicherung ab dem 1.11.2017 bei dem E. VVaG vor.
Mit Bescheid vom 1.11.2017 teilte die Beklagte der Klägerin mit, eine Befreiung von der gesetzlichen Krankenversicherungspflicht sei ausgeschlossen, da unmittelbar vor Renteneintritt ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis bestanden habe. Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, sich am 4.2.2016 bei der Beklagten über die Befreiungsmöglichkeiten von der Krankenversicherungspflicht informiert zu haben. Dabei habe man ihr bestätigt, dass eine Befreiung nach § 8 Abs. 1 Nr. 4 SGB V innerhalb von drei Monaten nach Rentenbeginn möglich sei.
Nachdem die Beklagte im Schreiben vom 7.11.2017 ihr Bedauern über eine solche Auskunft zum Ausdruck gebracht hatte, wies sie den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 22.2.2018 als unbegründet zurück. Grundlage ihrer Entscheidung sei das Urteil des Bundessozialgerichts vom 27.4.2016 (B 12 KR 24/14 R). Im Übrigen könne aus einer etwaigen telefonischen Fehlinformation kein Anspruch auf eine positive Entscheidung abgeleitet werden (Urteil des BSG vom 22.2.1980 – 12 RK 34/79).
Mit ihrer am 8.3.2018 erhobenen Klage hat die Klägerin darauf hingewiesen, dass das BSG in der Entscheidung vom 27.4.2016 (aaO) unter Rn. 25 eine Öffnungsmöglichkeit für einen Wechsel in die private Krankenversicherung gesehen habe. Anders als in dem vom BSG zu entscheidenden Fall erfülle sie die Voraussetzungen für eine Ausnahmeentscheidung. Sie habe über 26 Jahre eine Anwartschaft für einen Wechsel in die Krankenvollversicherung erarbeitet und einen eigenen privaten Krankenversicherungsvertrag abgeschlossen. Seit dem Bezug der Witwenrente verfüge sie über eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall in Form des Beihilfeanspruchs. Auch für die Beklagte sei ihre Befreiung von der Versicherungspflicht wirtschaftlich sinnvoll. Die Klägerin hat eine Bescheinigung des E. VVaG über die Anwartschaftsversicherung vorgelegt.
Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid vom 1.11.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.2.2018 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, sie ab dem 1.11.2017 von der gesetzlichen Krankenversicherung zu befrei- en.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat auf ihre bisherigen Ausführungen im Verwaltungsverfahren Bezug genommen und ergänzt, das BSG habe in der zitierten Entscheidung zwar darauf hingewiesen, dass Versicherte typischerweise von einer auf die Versicherung als Beschäftigter unmittelbar folgenden und für sie günstigeren Mitgliedschaft in der KVdR profitierten. Unter welchen Bedingungen zu Gunsten dieses Personenkreises von den Voraussetzungen für eine Befreiung von der gesetzlichen Krankenversicherungspflicht abgewichen werden könne, führe das BSG jedoch nicht aus. Nicht entscheidungserheblich sei des Weiteren, inwieweit die Klägerin Rückstellungen zur Finanzierung einer privaten Anwartschaftsversicherung gegen Krankheit aufgebaut habe.
Das SG hat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden und die Klage mit Urteil vom 16.4.2019 abgewiesen. Da die anspruchsbegründenden Umstände (Eintritt der Versicherungspflicht am 1.11.2017, Befreiungsantrag, Nachweis über das Bestehen eines anderweitigen Anspruchs auf Absicherung im Krankheitsfall und bestehende Versicherungspflicht als Arbeitnehmerin bis zum 31.10.2017) vor In-Krafttreten der Neuregelung des § 8 Abs. 1 S. 2 SGB V mit Wirkung zum 15.12.2018 vorgelegen hätten, richte sich die Prüfung nach § 8 Abs. 1 Nr. 4 SGB V in der bis zum 14.12.2018 geltenden Fassung. Zwar habe der Gesetzgeber mit der Einführung des S. 2 ausdrücklich auf die von den Beteiligten zitierte Entscheidung des BSG vom 27.4.2016 (aaO) und die daraus resultierende Einschränkung des Befreiungsrechts nach § 8 Abs. 1 Nr. 4 SGB V reagiert. Da eine Übergangs- oder Überleitungsvorschrift fehle, sei nach den Grundsätzen des intertemporalen Rechts ein Rechtssatz grundsätzlich nur auf solche Sachverhalte anwendbar, die sich nach seinem Inkrafttreten verwirklichten. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG seien Entstehung und Fortbestand sozialrechtlicher Ansprüche nach dem Recht zu beurteilen, das zur Zeit der anspruchsbegründenden Ereignisse gegolten habe, sofern das später in Kraft getretene Recht nicht etwas anderes bestimme. Gleiches gelte unter Berücksichtigung des Geltungszeitraumprinzips, da nicht nur der zu entscheidende Sachverhalt, sondern auch seine Rechtsfolge – keine Befreiung von der Versicherungspflicht – vor Inkrafttreten der neuen Fassung des § 8 SGB V eingetreten sei. Auch wenn bei Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts grundsätzlich nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung zu beurteilen sei, lege das materielle Recht und nicht das Prozessrecht den maßgeblichen Zeitpunkt fest. Nach § 8 Abs. 1 Nr. 4 SGB V a.F. habe die Klägerin keinen Anspruch auf Befreiung, da sie unmittelbar vor Eintritt der Versicherungspflicht als Arbeitnehmerin gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V pflichtversichert gewesen sei. Eine bloße Änderung der die Versicherungspflicht begründenden Umstände erfasse § 8 Abs. 1 Nr. 4 SGB V a. F. nicht. Das BSG erläutere in seiner Entscheidung vom 27.4.2016, wann eine Befreiungsmöglichkeit nach § 8 SGB V regelmäßig Sinn mache, ohne jedoch Hinweise auf eine Befreiungsmöglichkeit für Versicherte zu geben, die irgendwann einmal privat versichert, unmittelbar vor Eintritt der Versicherungspflicht in die KVdR jedoch pflichtversichert gewesen seien und über eine private Anwartschaftsversicherung verfügten. Zwar habe es ausgeführt, dass Versicherte nur typischerweise von der günstigeren Pflichtversicherung profitierten, es also auch Fälle gebe, in denen der Verbleib für den Versicherten nicht günstig sei. Daraus lasse sich jedoch nicht herleiten, dass mit § 8 Abs. 1 Nr. 4 SGB V über das alte Recht (§ 183 Abs. 1 RVO) hinaus eine erweiterte Befreiungsmöglichkeit für bereits in der gesetzlichen Versicherung Pflichtversicherte habe geschaffen werden sollen. Dies ergebe sich letztlich auch aus dem Leitsatz der Entscheidung.
Gegen das ihr am 6.5.2019 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 6.6.2019 Berufung eingelegt und ergänzt, dass sie ihr Arbeitsverhältnis vor Renteneintritt beendet hätte, wenn sie ordnungsgemäß von der Beklagten beraten worden wäre.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 16.4.2019 abzuändern und nach dem Klageantrag zu erkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist auf das erstinstanzliche Urteil und ihre bisherigen Ausführungen.
Hinsichtlich der Sach- und Rechtslage wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig und begründet.
Das Sozialgericht hat die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gegen den Bescheid der Beklagten vom 1.11.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.2.2018 mit Urteil vom 16.4.2019 zu Unrecht als unbegründet abgewiesen. Die Bescheide sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten nach § 54 Abs. 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Klägerin hatte zum 1.7.2011 einen Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der KVdR.
Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB wird auf Antrag von der Versicherungspflicht befreit, wer versicherungspflichtig wird durch den Antrag auf Rente oder den Bezug von Rente oder die Teilnahme an einer Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben (§ 5 Abs. 1 Nr. 6, 11 bis 12). Mit Wirkung zum 15.12.2018 wurde durch das Gesetz zur Beitragsentlastung der Versicherten in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Versichertenentlastungsgesetz – GKV-VEG) vom 11.12.2018 dem Absatz 1 ein Satz 2 angefügt: Das Recht auf Befreiung setzt nicht voraus, dass der Antragsteller erstmals versicherungspflichtig wird. Der Antrag ist innerhalb von drei Monaten nach Beginn der Versicherungspflicht bei der Krankenkasse zu stellen (§ 8 Abs. 2 Satz 1 SGB V). Die Befreiung wirkt vom Beginn der Versicherungspflicht an, wenn seit diesem Zeitpunkt noch keine Leistungen in Anspruch genommen wurden, sonst vom Beginn des Kalendermonats an, der auf die Antragstellung folgt (§ 8 Abs. 2 Satz 2 SGB V).
Das SG hat zu Recht ausgeführt, dass sich die Prüfung des geltende gemachten Befreiungsanspruchs nach der bis zum 14.12.2018 geltenden Fassung des § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V richtet. Denn die anspruchsbegründenden Tatsachen lagen alle vor Inkraft-Treten der neuen Fassung des § 8 Abs. 1 Satz Nr. 4 SGB V, der keine Übergangsregelung vorsieht, vor. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat insoweit in entsprechender Anwendung des § 153 Abs. 2 SGG auf die ausführlichen Gründe des erstinstanzlichen Urteils Bezug.
Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die Klägerin ihren Befreiungsantrag fristgerecht gestellt hat (§ 8 Abs. 2 Satz 1 SGB V), das Bestehen eines anderweitigen Anspruchs auf Absicherung im Krankheitsfall nachgewiesen hat und durch den Bezug der Rente zum 1.11.2017 versicherungspflichtig in der KVdR geworden ist. Dem Befreiungsanspruch steht auch nicht entgegen, dass die Klägerin, die zwar erstmals versicherungspflichtig in der KVdR wurde, nicht erstmals versicherungspflichtig in der Gesetzlichen Krankenversicherung geworden ist.
Die Klägerin war durch ihre bis zum 31.10.2017 währende abhängige Beschäftigung bereits vor Rentenbeginn ab dem 1.11.2017 in der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V pflichtversichert, sodass sie nicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V versicherungspflichtig in der GKV wurde, sondern es bereits war. Diese Nahtlosigkeit der Versicherungspflichtverhältnisse hindert den Befreiungsanspruch nicht.
Ob sich § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V nur auf Personen bezieht, die zuvor überhaupt keiner Versicherungspflicht unterlagen oder auch denjenigen ein Antragsrecht zubilligt, bei denen lediglich ein anderer die Versicherungspflicht auslösender Tatbestand eintritt, lässt sich dem Wortlaut der Vorschrift ("wer versicherungspflichtig wird durch den Antrag auf Rente oder den Bezug von Rente") nicht eindeutig entnehmen (BSG, Urteil vom 7.4.2016 – B 12 KR 24/14 R).
In der zitierten Entscheidung hat das BSG ausgeführt, dem systematischen Zusammenhang sei zu entnehmen, dass ein Befreiungsanspruch eine erstmalige Versicherungspflicht in der GKV voraussetze. So folge § 8 Abs. 1 Nr. 4 SGB V auf die Befreiungstatbestände des § 8 Abs. 1 Nrn 1, 1a, 2, 2a und 3 SGB V, nach denen jeweils unmittelbar vor Beginn der Versicherungspflicht keine Versicherungspflicht in der GKV bestanden habe. Dafür spreche auch die Entstehungsgeschichte des Gesetzes, da aus dem Entwurf des Gesetzes zur Strukturreform im Gesundheitswesen (Gesundheits-Reformgesetz – GRG vom 20.12.1988, BGBl I 2477) hervorgehe, dass in § 8 Abs 1 SGB V "die in den §§ 173 a bis 173 f RVO und § 7 des Gesetzes über die Sozialversicherung Behinderter in geschützten Einrichtungen enthaltenen Regelungen inhaltlich übernommen und zusammengefasst" werden sollten (vgl. Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, BT-Drucks 11/2237 S 160 zu § 8). Dies spreche dafür, dass das Gesetz für den Befreiungstatbestand des § 8 Abs 1 Nr 4 SGB V als Ersatz für den früheren § 173 a Abs 1 RVO auch weiterhin das Nichtbestehen einer Versicherungspflicht bis zum Eintritt einer solchen voraussetzte. Denn nach § 173 a Abs 1 RVO habe sich von der Versicherungspflicht in der GKV nur derjenige befreien lassen können, der bei einem privaten Versicherungsunternehmen krankenversichert und damit nicht in der GKV versicherungspflichtig gewesen sei. Dafür, dass über das alte Recht hinaus eine erweiterte Befreiungsmöglichkeit für bereits in der GKV Pflichtversicherte habe geschaffen werden sollen, gebe es keine Anhaltspunkte. Folglich mache eine Befreiungsmöglichkeit regelmäßig nur für Versicherte Sinn, die zuvor bereits privat gegen Krankheit versichert gewesen seien und mit ihren Beiträgen Rückstellungen zur Finanzierung einer privaten Absicherung gegen die im Alter üblicherweise höheren Krankheitskosten gebildet hätten.
Diese höchstrichterliche Auslegung, die schon die Interessenlage der zuvor privat Abgesicherten mit substitutiver Anwartschaftsversicherung anspricht und bereits in der Literatur auf Kritik gestoßen war (Gerlach in: Hauck/Noftz, SGB, 09/17, § 8 SGB V, Hampel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 8 SGB V allerdings vor Abfassung der Entscheidungsgründe), entsprach nicht dem gesetzgeberischen Willen. Zwar ist der Gesetzesbegründung zum Gesundheits-Reformgesetz (GRG) vom 3.5.1988 (BT-Drs. 11/2237, S. 160) nicht klar zu entnehmen, ob der Gesetzgeber bei der Überführung des § 173 a RVO in das SGB V von dem Erfordernis einer erstmaligen Versicherungspflicht ausging oder nicht. Der Gesetzgeber hat jedoch in der Gesetzesbegründung zum GKV-VEG vom 11.12.2018 deutlich zu Ausdruck gebracht (BT-Drs 19/5112, S. 40 und 41), dass ein Recht auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung auch dann bestehe, wenn unmittelbar vor Eintritt des Befreiungstatbestandes bereits eine Versicherungspflicht aus einem anderen Grund bestanden habe. Das BSG habe mit seinem Urteil vom 27.4.2016 (B 12 KR 24/14 R) die bis dahin gängige Rechtsauslegung enger gefasst und ein Befreiungsrecht nach § 8 Abs. 1 Nr. 4 SGB V bei einem unmittelbar zuvor bestehenden anderen Versicherungspflichttatbestand verneint. Diese Rechtsauslegung lasse u.a. teilweise jahrzehntelang finanzierte Anwartschaftsversicherungen für eine private Restkostenversicherung ins Leere laufen. Die mit der Rechtsprechung des BSG einhergehende generelle Einschränkung des Rechts auf Befreiung von der Versicherungspflicht erscheine unverhältnismäßig, so dass mit der Änderung die bis zum Jahr 2016 praktizierte Anwendung des Befreiungsrechts gesetzlich klargestellt werde. Mit der Regelung werde sichergestellt, dass in den Fällen des § 8 Absatz 1 Satz 1 SGB V eine grundsätzliche Entscheidung für das System der privaten Krankenversicherung möglich sei.
Dass es sich bei der Gesetzesänderung durch die Einführung der (im Übrigen für alle Nrn des § 8 Abs. 1 geltenden) Nr. 2 in Abs. 1 nicht um eine gesetzliche Neuregelung, sondern eine Klarstellung handelte, mithin bereits § 8 Abs. 1 Nr. 4 SGB V a.F. keine erstmalige Versicherungspflicht voraussetze, ergibt sich zum einen aus der ausdrücklichen Formulierung "gesetzlich klargestellt". Zum anderen weist der Gesetzgeber darauf hin, dass die vor der Veröffentlichung des BSG-Urteils gehandhabte Rechtsauslegung (siehe hierzu bspw. GR des GKV- Spitzenverband und des DRV vom 2.12.2014 zur Krankenversicherung und Pflegeversicherung der Rentner zum 1. Januar 2015) durch das Urteil unverhältnismäßig eingeschränkt werde.
Da sich der Befreiungsanspruch der Klägerin ab dem 1.11.2017 aus § 8 Abs. 1 Nr. 4 SGB V a.F. ergibt, kommt es auf die Frage, ob die Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs gegeben sind, nicht mehr an.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Der Senat hat die Revision zugelassen, da er von der Entscheidung des BSG im Urteil vom 7.4.2016 (B 12 KR 24/14 R) abweicht; § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG.
Erstellt am: 16.01.2020
Zuletzt verändert am: 16.01.2020