Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 06.09.2018 geändert. Die Klage wird abgewiesen. Kosten der Kläger werden nicht erstattet. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beklagte wendet sich gegen die Verurteilung zur Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft nach § 28 Abs. 7 S. 1 Nr. 3 SGB II in Höhe von jeweils 120,00 EUR für die Teilnahme der Klägerinnen an einem Sommercamp des Jugendverbandes "S" der N Partei Deutschlands (N) vom 00.07.2016 bis 00.08.2016.
Das Jobcenter Arbeit und Grundsicherung M (AG-X), vertreten durch seinen Geschäftsführer, schloss am 10.12.2014 mit der Beklagten als kommunaler Träger eine Vereinbarung über die Wahrnehmung der Aufgaben nach §§ 28 bis 30 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) ab. In § 1 der Vereinbarung ist geregelt, dass der kommunale Träger die Leistungen für Bildung und Teilhabe nach §§ 28 bis 30 SGB II im Umfang des zweiten Absatzes im Eigennamen erbringt. Die gesetzlichen Kompetenzen des Jobcenters AG-X für die Beurteilung der Hilfebedürftigkeit und der Leistungsberechtigung sowie die diesbezügliche Trägerverantwortung der Bundesagentur für Arbeit bleiben dabei unberührt. Die Aufgaben für Bildung und Teilhaben werden für folgende Leistungen durch den kommunalen Träger wahrgenommen:
5. Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben nach § 28 Abs. 7 SGB II.
In § 3 Abs. 2 der Vereinbarung ist geregelt, dass der kommunale Träger über die in § 1 Abs. 2 genannten Leistungen dem Grunde und der Höhe nach durch Verwaltungsakt im eigenen Namen unter Verwendung der Kunden- und Bedarfsgemeinschaftsnummer nach § 51a SGB II entscheidet. Er ist an die Feststellungen des Jobcenters AG-X zur Hilfebedürftigkeit und die damit verbundene Einkommens- und Vermögensanrechnung gebunden. Nach § 5 mit der Überschrift "Widerspruchsbehörde" ist für die Entscheidung über die in § 1 Abs. 2 genannten Leistungen die für den kommunalen Träger zuständige Widerspruchsstelle nach § 85 Abs. 2 S. 2 1. Hs. SGG.
Mit Bescheid vom 10.07.2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30.06.2015 lehnte die Beklagte den Antrag von Frau E (E), der Mutter der vier Kläger ab, einen Zuschuss zu einer Ferienfahrt ihrer Kinder mit dem Jugendverband "S" zu gewähren. Die Klägerinnen hätten keinen Antrag für Leistungen nach § 28 Abs. 7 SGB II gestellt. Der Antrag von Frau E. beziehe sich auf die Gewährung von Zuschüssen gemäß den Richtlinien der Stadt M über die Gewährung von Zuschüssen für junge Menschen zu Ferienfahrten. Hier handele es sich um eine freiwillige Leistung der Stadt M im Rahmen des SGB VIII. Bezuschusst würden gemäß Ziffer 2 der Richtlinie Maßnahmen, die von Trägern der freien und öffentlichen Jugendhilfe durchgeführt würden. Förderungsfähig nach § 74 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 SGB VIII sei ein Träger, wenn er die Gewähr für eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit biete. Danach sei vor allem die Förderung von rechts- bzw. linksradikalen Gruppierungen ausgeschlossen (siehe auch Schreiben des Ministeriums für Inneres und Kommunales des Landes vom 12.06.2015, Az.: xxx, wonach es sich gem. § 3 VfG NRW bei der N Partei Deutschlands (N) und ihres Jugendverbandes "S" um Bestrebungen gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung handele und diese entsprechend in den Verfassungsschutzberichten des Landes Nordrhein-Westfalen genannt würden). Darüber hinaus liege ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 GG nicht vor, da gemäß der Richtlinie der Stadt M über die Gewährung von Zuschüssen von jungen Menschen zu Ferienfahrten alle religiösen, gewerkschaftlichen, parteipolitischen oder sportlichen Ferienmaßnahmen betroffen seien und somit keine Benachteiligung von Einzelnen entstehe.
Mit Bescheid vom 08.12.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.03.2016 lehnte die Beklagte den Antrag der Kläger auf Gewährung eines Zuschusses zu einer Ferienfahrt in der Zeit vom 00.07.2015 bis 00.08.2015 in das Kindercamp des Jugendverbandes "S" ab. Hiergegen erhob Frau E. im eigenen Namen Klage, S 12 AS 1671/16. Das Verfahren endete durch eine Klagerücknahme.
Die vier Kläger (geboren 2001, 2002, 2004, 2005) wohnten im Jahr 2016 mit ihrer Mutter zusammen. Mit Bescheid vom 07.06.2016 bewilligte das Jobcenter AG-X Frau E. und den Klägern als Bedarfsgemeinschaft Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.06.2016 bis 30.11.2016.
Am 22.06.2016 beantragten die Kläger Leistungen nach § 28 Abs. 7 SGB II für die Teilnahme an dem Sommercamp des Jugendverbandes "S" in der Zeit vom 00.07.2016 bis 00.08.2016. Diese Anträge lehnte die Beklagte durch vier Bescheide vom 29.06.2016 ab. Die Erbringung von Leistungen für Bildung und Teilhabe erfolge nach § 29 Abs. 2 SGB II an geeignete Anbieter. Entsprechend der vom Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen erlassenen Arbeitshilfe (Stand 01.08.2013) seien Vereine, die vom Verfassungsschutz überwacht würden, nicht geeignet. Laut Verfassungsschutzbericht von 2014 handele es sich bei der Organisation "S" um eines der wichtigsten Beobachtungsobjekte des Linksextremismus. Die beantragte Leistung auf Gewährung eines Zuschusses zu einer Ferienfahrt sei gemäß § 29 Abs. 2 SGB II i.V.m. der Arbeitshilfe des Ministeriums für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen zu versagen, da es sich um einen nicht geeigneten Anbieter handele. Gemäß § 1 AG SGB II NRW nehmen die Städte und Kreise als kommunale Träger die ihnen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch obliegenden Aufgaben als Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung wahr. Daher sei die Arbeitshilfe des Ministeriums für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen zwingend anzuwenden.
Hiergegen legten die Kläger jeweils am 25.07.2016 Widerspruch ein.
In der Zeit vom 00.07.2016 bis 00.08.2016 nahmen die Kläger an dem Sommercamp des Jugendverbandes "S" teil. Die Klägerinnen zu 1), zu 3) und zu 4) waren Mitglieder des Jugendverbandes. Das Motto des Sommercamps lautete "Sommercamp 2016 – Im Zeichen der Solidarität mit Flüchtlingen". Auf seiner Homepage (http://xxx/, abgerufen am 06.06.2018) bewarb der Jugendverband "S" das Sommercamp 2016 wie folgt:
"Das Sommercamp von S und T auf der Ferien- und Freizeitanlage V findet drei Wochen statt vom 00.07-00.08.2016. Man kann sich ab sofort für das Jugendcamp vom 00.07.-00.08. oder für das Kindercamp vom 0007.-00.08. bei uns anmelden. Das Motto des Sommercamp ist "S Sommercamp meets kurdische Flüchtlinge – Internationalismus live". Wir werden gemeinsam mit kurdischen Flüchtlingen unseren Urlaub auf dem Sommercamp verbringen, die im "Haus der Solidarität" auf der Ferien- und Freizeitanlage wohnen. Das Camp wird praktische und solidarische Hilfe leisten, was auf gegenseitigem Lernen beruht. Es wird Sprachkurse deutsch-kurdisch und kurdisch-deutsch geben, ein vielfältiges Kultur- und Freizeitprogramm, Veranstaltungen zur Fluchtursache, und vieles mehr. In Kürze wird der Sommercamp Flyer erscheinen. Melde dich gleich hier für das Sommercamp an."
In dem Flyer des Jugendverbandes "S" zum Sommercamp 2016 hieß es u.a.: "Wer ist der S?
Der S ist ein bundesweiter linker Jugendverband. Uns gibt es seit 1992. Unsere Losung ist: S ist gerechtfertigt! – Ob gegen Jugendarbeitslosigkeit, Umweltzerstörung, ungerechte Kriege, die neofaschistische Gefahr, Niedriglöhne und Kinderarmut. Während die 500 größten internationalen Übermonopole absahnen und die imperialistischen Länder eine aggressive Politik machen, wächst die Zahl der Ausgebeuteten und Unterdrückten auf dieser Welt. Der S steht auf der Seite der Arbeiterklasse, der Frauenbewegung, der S Jugend der Welt und der um Befreiung kämpfenden Völker. Der S steht für eine Welt ohne Ausbeutung und Unterdrückung im echten Sozialismus. Internationale Solidarität und Freundschaft wird bei uns groß geschrieben! Wir machen Kultur- und Freizeit, Bildung- und Arbeitseinsätze. Besonders am Herzen liegt uns die Zukunft der Kinder mit unserer Kinderorganisation T. Der Mitgliedsbeitrag liegt zwischen 1,50 und 20,00 Euro. Uns gibt es in über 60 Städten. Herzlich Willkommen!"
Im Parteiprogramm der N wird in Kapitel G "Weg und Ziel der Befreiung der Arbeiterklasse und der Befreiung der Frau in Deutschland" u.a. ausgeführt:
"Mit ihrem Jugendverband S gewinnt die N die Masse der Jugend als praktische Avantgarde des Kampfs um den echten Sozialismus. Die N führt einen entschiedenen Kampf gegen Reformismus und Revisionismus und erzielte die Arbeiterklasse und die anderen werktätigen Schichten im Geiste des wissenschaftlichen Sozialismus "
In Kap. I "Die N als Partei neuen Typs" wird unter Punkt 8 "Die N Jugendarbeit, der Jugendverband S und die S der Jugend" ausgeführt:
"Die Jugend ist die aktivste Kraft in der Gesellschaft und sucht am meisten nach einer gesellschaftlichen Perspektive. Die N organisiert mit ihrem Jugendverband S die Sion für die Zukunftsinteressen der Arbeiterklasse und der breiten Masse.
Die N Jugendarbeit ist die Massentaktik des Parteiaufbaus, der organisationspolitische Schwerpunkt der Partei und Gradmesser für die Zukunftsorientierung der Parteiarbeit. Die Mitglieder der N sind angehalten, zu einer aktiven Jugendarbeit beizutragen. Die N verbreitet die proletarische Weltanschauung unter der Jugend. Sie führt einen entschiedenen Kampf gegen den Raubbau an den Lebenskräften und der Gesundheit der Jugend. Sie hat den bewussten und verantwortungsvollen Umgang mit Medien und Kommunikationsmitteln und erzieht die Jugend gegen den Konsum von Rausch- und Suchtmitteln. Sie betreibt eine systematische antifaschistische Aufklärung gegen faschistische Verhetzung der Jugend und erzieht sie zu einem aktiven antifaschistischen Kampf. Sie tritt entschieden gegen die Militarisierung der Gesellschaft an und unterstützt den antimilitaristischen Kampf der Jugend. Sie hilft ihr, mit den zu ersetzenden und selbstzerstörerischen Einflüssen des Sexismus fertig zu werden und tritt für einen aufgeklärten und selbstbestimmten Umgang mit der Sexualität ein. Ein besonderer Schwerpunkt bildet der Kampf der Jugend an der Seite der älteren Arbeiter gegen Massenarbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung. Der S ist eine Selbstorganisation der Masse der Jugend mit marxistisch-leninistischem Charakter, die S Arbeiterjugend bildet sein Rückgrat. Hier ist hauptsächliche Organisationsform der N Jugendarbeit. Er verwirklicht eine Lebensschule der proletarischen Denkweise für die Masse der Jugend und der Kinder gleich welcher Nationalität. Dazu bedarf es der ideologisch-politischen Führung durch die N, der engen praktischen Zusammenarbeit und der Förderung der organisatorischen Selbstständigkeit des Jugendverbandes. Die allseitige Parteiarbeit mit dem Aufbau von Kreisverbänden ist die wichtigste Bedingung für die Gewinnung der Masse der Jugend. Der S vermittelt den Geist der internationalen Solidarität, Vertrauen in die eigene Kraft, Achtung vor der körperlichen Arbeit und der natürlichen Umwelt, Gleichberechtigung für Mädchen und Jungen, Selbstloseneinsatz für die Belange aller Ausgebeuteten und Unterdrückten und den gemeinsamen Kampf für den Sozialismus. Die S sind aktive Umweltkämpfer, streitbare Antifaschisten und praktische Organisatoren der internationalen Solidarität. Der S gewinnt die Jugend unter der Losung "S ist gerechtfertigt!" und entwickelt eine proletarische Kultur- und Freizeitarbeit. So hilft er der Jugend, mit der Wirkung der bürgerlichen Jugendkultur und eines verbreiteten kleinbürgerlichen Lebensstils fertig zu werden. Er verwirklicht mit seiner ganzen Arbeit die Leitlinie Mao Zedong "dem Volke dienen!". Mit der Führung der Kinderorganisation T übernimmt der S die Verantwortung für die Zukunft der Arbeiterklasse. Die Rotfuchsarbeit umfasst das ganze Leben der Kinder, um sie zu einem proletarischen Verhalten in allen Lebensbereichen zu erziehen
Die Kosten für die Teilnahme am Sommercamp beliefen sich pro Teilnehmer auf 255,00 EUR unter Inanspruchnahme eines Frühbucherrabattes. Frau E. leistete am 03.06.2016 für die vier Klägerinnen eine Anzahlung i.H.v. 520,00 EUR und überwies zum 25.07.2016 einen Betrag i.H.v. 500,00 EUR.
Die N und deren Jugendverband "S" werden vom Verfassungsschutz des Landes Nordrhein-Westfalen beobachtet. In den Verfassungsschutzberichten des Bundes aus den Jahren 2014 bis 2017 werden die N und ihr Jugendverband "S" im Kapitel "Linksextremismus" erwähnt. Sie werden als streng maoistisch-stalinistisch ausgerichtet und auf die Errichtung einer kommunistischen Gesellschaft abzielend charakterisiert. In den Berichten wird zum Begriff Linksextremismus ausgeführt:
"Linksextremismus zielt auf die Überwindung der bestehenden "bürgerlichen", "kapitalistischen" Staats- und Gesellschaftsordnung, die durch ein kommunistisches oder ein "herrschaftsfreies", anarchistisches System ersetzt werden soll. Die theoretischen Leitfiguren sind – in unterschiedlichem Ausmaß und abweichender Interpretation – Marx, Engels und Lenin. Gewalt, verstanden als "revolutionäre Gewalt" der "Unterdrückten gegen die Herrschenden", gilt grundsätzlich als legitim. Unterschiede in der ideologischen Herleitung, Zielsetzung und Herangehensweise, insbesondere auch in der Anwendung konkreter Gewalt, erschweren ein einheitliches Vorgehen der verschiedenen Gruppierungen"
Im Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen für das Jahr 2015 wurde die N im Kapitel "Linksextremismus" erwähnt. In dem Bericht heißt es u.a.:
Die Zielsetzung der N wie Revolution, Diktatur des Proletariats und Kommunismus sind eindeutig verfassungsfeindlichen Aussagen geprägt." Im Juni wurde durch das Online-Nachrichtenportal der Partei X News dazu aufgerufen, Zuschüsse für das jährliche Freizeitangebot der N für Kinder und Jugendliche in V/U bei Jugendämtern bzw. Jobcentern zu beantragen. Obwohl die Partei sich offen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung stellt und die Ferienlager zur politischen Nachwuchsbildung und -förderung nutzt, sieht sie die Nichtgewährung der Zuschüsse als antikommunistische Repression an und bezog den Protest dagegen in ihre parteipolitische Agitation ein "
Mit vier Widerspruchsbescheiden vom 08.10.2016 wies der Beklagte die Widersprüche der Kläger als unbegründet zurück. Eine Benachteiligung der Kläger wegen politischer Anschauungen sei nicht erkennbar. Streitgegenstand sei eine Leistungsgewährung der öffentlichen Hand, konkret im Rahmen der Leistungen für Bildung und Teilhabe. Hierbei stehe – wie bei anderen Leistungsansprüchen – dem Gesetzgeber ein weiterer Gestaltungsfreiraum im Hinblick auf die Leistungsvoraussetzungen zu. Die Voraussetzung für eine Leistungsgewährung gemäß § 28 Abs. 7 i.V.m. § 29 Abs. 2 SGB II seien für alle Kinder gleich. Es sei weder vorgetragen noch sei erkennbar, dass eine irgendwie abweichende Beurteilung abhängig von den Anschauungen der Kläger erfolgen würde, die darüber hinaus auch nicht bekannt seien, weil diese schlicht nicht entscheidungserheblich seien. Soweit der konkrete Leistungsanbieter – die Organisation S – von einer Berücksichtigung als geeigneter Leistungsanbieter ausgeschlossen werde, berühre dies nicht die Grundrechte der Kläger, weil eine abweichende Bearbeitung und ein Vergleich mit anderen hilfesuchenden Personen nicht erkennbar seien.
Am 10.11.2016 haben die Klägerinnen Klage erhoben. Sie haben vorgetragen, dass die Ablehnung der Zuschussgewährung mit der Begründung, der Jugendverband "S" sei als Anbieter ungeeignet, weil er unter Beobachtung des Verfassungsschutzes stehe, eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes des Art. 3 Abs. 3 GG darstelle. Die Arbeitshilfe "Bildungs- und Teilhabepaket" des Ministeriums für Arbeit, Integration und Soziales NRW, auf die sich die Beklagte berufe, sei auf ihre Vereinbarkeit mit Gesetz und Verfassung uneingeschränkt gerichtlich überprüfbar. Soweit dort unter II.7.4. Anbieter allein deshalb als ungeeignet qualifiziert werden, weil sie "vom Verfassungsschutz überwacht werden", rechtfertige dies nicht die Ablehnung des beantragten Zuschusses, da dies dem Zweck des § 28 Abs. 7 SGB II zuwider laufe und sie aus sachfremden weltanschaulichen Gründen benachteilige. Durch den Beitrag von 10,00 EUR monatlich für die Teilnahme an Freizeiten solle Kindern und Jugendlichen ein Budget zur Verfügung gestellt werden, damit sie ein ihren Wünschen und Fähigkeiten entsprechendes Angebot wahrnehmen könnten (BT-Drs.17/3404 S. 106). Die Kinder- und Jugendfreizeit des Jugendverbandes "S" sei von vielfältigen Kultur-, Sport- und Freizeitangeboten und der Erziehung zu solidarischen Verhalten, Verantwortungsbewusstsein, Disziplin, dem Gedanken der Völkerverständigung sowie der Ächtung von Sexismus und Drogen geprägt. Der Ausschluss eines Anbieters von Jugendfreizeiten allein wegen dessen Beobachtung durch den Verfassungsschutz verstoße bereits gegen den Grundsatz, dass die Maßnahme den Wünschen der Jugendlichen entsprechen müsse. Es verletze darüber hinaus den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 GG, weil bezüglich des Anbieters eine politische Zensur vorgenommen werde. Der Ausschluss des Jugendverbandes einer politischen Partei und die gezielte Ausgrenzung der marxistisch-leninistischen Weltanschauung seien vom Gesetzeszweck nicht gedeckt und wegen der Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes des § 5 PartG ebenfalls verfassungswidrig. In dem Camp sei es im Wesentlichen um Disziplin, Ordnung, Freundschaft insbesondere unter den Völkern und natürlich auch um Erzielung zum Antifaschismus gegangen. Es handele sich aber im Wesentlichen um ein Freizeitcamp. Es seien dort auch politische Inhalte von Relevanz gewesen, so sei es zum Beispiel um die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung gegangen und es sei ein Flüchtlingshaus von den Teilnehmern gebaut worden.
Die Klägerin zu 1) hat im Erörterungstermin vom 14.02.2018 erklärt, dass die politischen Veranstaltungen in dem Camp freiwillig gewesen seien und im Hintergrund gestanden hätten. Ein typischer Tagesablauf sei gewesen, dass sie um 7 Uhr geweckt worden sei, dann zunächst gefrühstückt und Frühsport gemacht habe. Danach sei Zeit für Freizeit gewesen und es seien Ausflüge veranstaltet worden. Danach habe das Abendessen stattgefunden. Es sei ein Lagerfeuer oder ein Kinoabend veranstaltet worden. Zweimal in der Woche hätte sie am Haus für Flüchtlinge gebaut, dies sei sinnvoll gewesen. Es sei eine praktische Tätigkeit gewesen und diese habe ihr Selbstwertgefühl gesteigert.
Durch Urteil vom 06.06.2018 hat das Sozialgericht Düsseldorf die Beklagten unter Aufhebung der Bescheide vom 29.09.2016 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 18.10.2016 verpflichtet, den Kläger für das Jahr 2016 Bedarfe für Bildung und Teilhabe nach § 28 Abs. 7 S. 1 Nr. 3 SGB II für die Teilnahme an einer Freizeit in Höhe von jeweils 120,00 EUR zu gewähren. Es hat die Berufung zugelassen. Die Voraussetzungen für die Gewährung eines Zuschusses nach § 28 Abs. 7 Nr. 3 SGB II lägen vor. Bei dem Sommercamp habe es sich um eine Freizeit i.S.v. § 28 Abs. 7 S. 1 Nr. 3 SGB II gehandelt. Die Bedarfe seien je Klägerin mit 120,00 EUR für das Jahr 2016 zu bemessen, da das monatliche Budget von 10,00 EUR gesammelt und für einer längere Freizeit verwendet werden könne.
Bei dem Jugendverband "S" handele es sich um einen geeigneten Anbieter i.S.v. § 29. 2 S. 2 SGB II. Nach dieser Norm gewährleisteten die kommunalen Träger, dass Gutscheine bei geeigneten vorhandenen Anbietern oder zur Wahrnehmung ihrer eigenen Angebote eingelöst werden können. Bei der Eignung im Sinne von § 29 Abs. 2 S. 2 SGB II handele es sich um einen gerichtlich voll überprüfbaren Begriff, mit dem das Erfordernis aufgestellt werde, dass ein Anbieter hinsichtlich des von ihm unterbreiteten Angebots befähigt zur Durchführung sei und hinsichtlich dessen über die notwendige Organisation und Ausstattung verfüge (vgl. Leopold in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 29, Rn. 38). Diese Vorschrift vermittele der Beklagten nicht die Befugnis, einen Anbieter, der vom Verfassungsschutz beobachtet werde, als ungeeignet i.S.v. § 29 Abs. 2 S. 2 SGB II zu beurteilen. Lediglich ein Anbieter, gegen den ein Vereinsverbot oder ein Parteiverbot entsprechend Art. 21 Abs. 2 und 4 GG ausgesprochen sei, sei ungeeignet i.S.v. § 29 Abs. 2 S.2 SGB II. Auf die weiteren Gründe wird Bezug genommen.
Gegen das ihm am 26.06.2018 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 20.07.2018 Berufung eingelegt. Sie ist der Auffassung, dass ihr eine Prüfungskompetenz zustehe, ob ein Leistungsanbieter, vorliegend der Jugendverband "S", der vom Verfassungsschutz beobachtet werde, ein geeigneter Anbieter von Leistung für Bildung und Teilhabe i.S.v. § 29 Abs. 2 S. 2 SGB II sei. Es müsse ihr möglich sein, den Vereinszweck in die Prüfung der Geeignetheit eines Anbieters mit einzubeziehen. Hieran seien strenge Anforderungen zu stellen. Allein aus weltanschaulichen, religiösen oder politischen Gründen dürfe keine Ablehnung erfolgen. Eine Ablehnung müsse aber dann möglich sein, wenn Bestrebungen oder Tätigkeiten des Vereins sich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes richte. Insoweit hätten die kommunalen Träger nicht nur ein Prüfrecht, sondern auch eine Pflicht, den zuschussberechtigten Kindern und Jugendlichen, die leichter zu beeinflussen seien als Erwachsene, keine Leistungen für Angebote von derartigen Vereinen zu gewähren. Dies gelte im Übrigen für jede Form von Extremismus, sei er links oder rechts oder islamisch etc. geprägt. Als objektives Kriterium für eine derartige Beurteilung eigneten sich die Feststellungen in den Verfassungsschutzberichten des Bundes und der Länder. Der Verfassungsschutz habe das Ziel, die freiheitlich demokratische Grundordnung sowie den Bestand und die Sicherheit des Bundes und der Länder zu schützen. Die jährlichen Verfassungsschutzberichte dienten der Unterrichtung und Aufklärung über verfassungsfeindliche Bestrebungen in Deutschland. Das in der Entscheidung des Sozialgerichts und der Kommentarliteratur zu findende Argument als Ablehnungsgrund für einen Antrag komme allenfalls ein Partei- bzw. Vereinsverbot in Frage, laufe leer. Werde ein Partei- oder Vereinsverbot ausgesprochen, gehe dies regelmäßig mit der Auflösung der Partei bzw. des Vereins einher. Eine aufgelöste Partei oder ein aufgelöster Verein könne aber keine Ferienfreizeit durchführen.
Die Beklagte hat beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 06.06.2018 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin zu 1) hat beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Kläger halten das erstinstanzliche Urteil für zutreffend. Ergänzend tragen sie vor, dass die vom Beklagten in Anspruch genommene Prüfungskompetenz nicht im Verwaltungswege oder durch Erlass begründet werden könne, sondern sie bedürfe einer gesetzlichen Regelung. Dies ergebe sich aus dem aus Art. 20 Abs. 3 GG abzuleitenden allgemeinen Vorbehalt des Gesetzes i.V.m. der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Wesentlichkeitstheorie. Durch die Verweigerung der beantragten Leistungen mit der vorliegenden Begründung werde in ihre Entscheidungsfreiheit bzw. die ihrer Erziehungsberechtigten bezüglich der Wahl des Anbieters der Jugendfreizeit eingegriffen, die sie besuchen wollten. Dies verletze ihre Grundrechte aus Art. 2 und 3 GG, weil bezüglich des Anbieters eine politische Zensur vorgenommen werde und sie benachteiligt würden, weil sie die politisch "falsche" Jugendfreizeit ausgesucht hätten. Damit verletze die Beklagte ihre staatliche Neutralitätspflicht und greife jedenfalls mittelbar in den Prozess der öffentlichen Meinungs- und Willensbildung ein. Eine vergleichbare Regelung im Bereich der Steuerverwaltung sei durch förmliches Gesetz und nicht im Erlasswege geregelt worden. Nach § 51 Abs. 3 AO setze eine Steuervergünstigung für gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche Zwecke verfolgende Körperschaften voraus, dass die Körperschaft keine Bestrebungen im Sinne des § 4 BVerfSchG fördere. § 51 Abs. 3 S. 2 AO enthalte diesbezüglich eine widerlegbare Vermutung, dass diese Voraussetzung bei Körperschaften, die im Verfassungsschutzbericht des Bundes oder eines Landes als extremistische Organisation aufgeführt seien, nicht vorlägen. Eine derartige Regelung hätte weder im Einzelfall noch im Erlasswege durch die Steuerverwaltung getroffen werden können, da dies gegen Art. 20 Abs. 3 GG verstoßen hätte. Erst recht müsse dies im vorliegenden Fall für die vom Beklagten beanspruchte Prüfungskompetenz gelten, die faktisch ebenfalls eine – zudem noch unwiderlegbare – Vermutung dahingehend enthalte, dass Vereine, die vom Verfassungsschutz überwacht werden, als Anbieter nicht geeignet seien.
Die vom Jugendverband "S" organisierten Freizeiten hätten zwar einen politischen Bezug. Jedoch könne bei der Prüfung der Frage, ob die Teilnahme an einer Freizeit gefördert werde, nicht auf den Charakter des Anbieters abgestellt werden, also Freizeiten von Parteien oder deren Jugendorganisationen ausgeschlossen werden. Auch solche Freizeiten seien dadurch geprägt, dass sie den Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen nach sozialem und kulturellem Leben Rechnung tragen. Auch im Hinblick auf das staatliche Neutralitätsgebot könne nicht zwischen Anbietern die Ferienfreizeiten unterschieden werden. Ansonsten müssten auch kirchlich geprägte Anbieter ausgeschlossen sein. Ein parteipolitischer Bezug der Ferienzeit werde in Abrede gestellt. Diese Freizeit stelle keine Teilhabe am politischen Leben dar.
Die drei Kläger zu 2), zu 3) und zu 4) und die Beklagte haben einen Unterwerfungsvergleich hinsichtlich des Ausgangs des Verfahrens der Klägerin zu 1) geschlossen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Akte der Beklagten sowie der beigezogenen Verwaltungsakte des Jobcenters AG-X Bezug genommen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid vom 29.06.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.10.2016, mit dem die Beklagte die Gewährung von Leistungen für die Teilnahme an einer Freizeit nach § 28 Abs. 7 S. 1 Nr. 3 SGB II an die Klägerin zu 1) abgelehnt hat. Das Berufungsverfahren betreffend die Ansprüche der Klägerinnen zu 2) bis zu 4) ist durch Abschluss eines Unterwerfungsvergleiches beendet worden.
Die Berufung der Beklagten ist zulässig (A) und begründet (B).
A. Die Berufung der Beklagten ist nach § 144 Abs. 1 SGG statthaft, da das Sozialgericht die Berufung zugelassen hat. Die Beklagte hat die Berufung form- und fristgerecht eingelegt.
B. Die Berufung der Beklagten ist begründet.
Die Klage der Klägerin zu 1) ist zulässig (1.), aber unbegründet (2.).
1. Die Klage ist zulässig.
Die von der Klägerin zu 1) erhobene kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 SGG) ist statthaft. Zwar steht dem Leistungsträger hinsichtlich der Erbringung von Leistungen zur Bildung und Teilhabe grundsätzlich ein Auswahlermessen zu, ob er die Leistung als Sach- oder Dienstleistung oder als (ggf. pauschalierte) Geldleistung erbringt (§ 29 Abs. 1 SGB II), so dass regelmäßig die Verpflichtungsbescheidungsklage (§ 54 Abs. 1 S. 1 SGG) die statthafte Klageart ist. Beschafft eine Leistungsberechtigte die im Streit stehende Leistung – wie im vorliegenden Fall durch die Teilnahme der Klägerin zu 1) an dem Sommercamp – jedoch endgültig selbst, richtet sich das Begehren auf eine Geldleistung, die im Wege der Anfechtungs- und Leistungsklage zu verfolgen ist (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 25.04.2018 – B 4 AS 19/17 R).
Bei dem geltend gemachten Anspruch auf Übernahme der Kosten für eine Freizeit i.H.v. insgesamt 120,00 Euro nach § 28 Abs. 7 S. 1 Nr. 3 SGB II handelt es sich um einen gerichtlich isoliert durchsetzbaren Anspruch. Denn die Bedarfe für Bildung und Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen werden nach § 28 Abs. 1 S. 1 SGB II neben dem Regelbedarf nach Maßgabe der Absätze 2 bis 7 gesondert berücksichtigt und sind nach § 37 Abs. 1 S. 2 SGB II gesondert zu beantragen (BSG, Urteil vom 25.04.2018 – B 4 AS 19/17 R ).
Die volljährige Klägerin zu 1) hat die bisherige Prozessführung durch ihre Mutter (konkludent) genehmigt.
Die Stadt M ist als kommunaler Träger die richtige Beklagte. Denn mit der Vereinbarung vom 15.12.2014 ist der Stadt M als kommunaler Träger die Erbringung der Leistungen zur Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben nach § 28 Abs. 7 SGB II im eigenen Namen übertragen worden. Die Vereinbarung beruht auf einem Beschluss der Trägerversammlung des Jobcenters AG-X nach §§ 44b Abs. 4 S. 1, 44c Abs. 2 S. 2 Nr. 4 SGB II.
B. Die Klage ist unbegründet.
Die Klägerin zu 1) ist durch den Bescheid vom 29.06.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.10.2016 nicht beschwert i.S.v. § 54 Abs. 2 SGG.
Die Beklagte hat zu Recht den Antrag der Klägerin zu 1) auf Gewährung eines Zuschusses i.H.v. 120,00 EUR für ihre Teilnahme an dem Sommercamp des Jugendverbandes "S" in der Zeit vom 00.07.2016 bis 00.08.2016 abgelehnt.
Rechtsgrundlage für den Anspruch auf Leistungen zur Teilnahme an einer Freizeit i.H.v. insgesamt 120,00 EUR ist § 19 Abs. 2 i.V.m §§ 7 ff sowie §§ 30, 28 Abs. 7 S. 1 Nr. 3 SGB II i.d.F. in der Fassung vom 07.05.2013 (BGBl I, 1167 mit Wirkung zum 01.08.2013). Danach wird bei Leistungsberechtigten bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres ein Bedarf zur Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft in Höhe von insgesamt 10,00 EUR monatlich für die Teilnahme an Freizeiten berücksichtigt.
Da die Klägerin zu 1) sich die Leistung – Teilnahme an dem Sommercamp in der Zeit vom 00.07.2016 bis 00.08.2016 – selbst beschafft hat, hat sich der Leistungsanspruch aus § 28 Abs. 7 S. 1 Nr. 3 SGB II in einen Kostenerstattungsanspruch aus § 30 SGB II umgewandelt. § 30 SGB II ordnet an, dass, wenn eine leistungsberechtigte Person durch Zahlung an Anbieter in Vorleistung geht, der kommunale Träger zur Übernahme der berücksichtigungsfähigen Aufwendungen verpflichtet ist, soweit
1. unbeschadet des Satzes 2 die Voraussetzungen einer Leistungsgewährung zur Deckung der Bedarfe im Zeitpunkt der Selbsthilfe nach § 28 Absatz 2 und 5 bis 7 vorlagen und
2. zum Zeitpunkt der Selbsthilfe der Zweck der Leistung durch Erbringung als Sach- oder Dienstleistung ohne eigenes Verschulden nicht oder nicht rechtzeitig zu erreichen war.
§ 30 SGB II gewährleistet damit einem Leistungsberechtigten die Kostenerstattung im Falle einer berechtigten vorfinanzierten Selbstbeschaffung von Leistungen für Bildung und Teilhabe.
Vorliegend sind die Voraussetzungen für einen Kostenerstattungsanspruch i.H.v. 120,00 EUR aus § 30 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II nicht gegeben. Die Klägerin zu 1) ist zwar in Vorleistung getreten (a), jedoch handelt es sich bei den geltend gemachten Kosten nicht um einen Bedarf i.S.v. § 28 Abs. 7 S. 1 Nr. 3 SGB II (b).
a. Die Klägerin zu 1) ist in Vorleistung an den Anbieter – den Jugendverband "S" – getreten. Denn ihre Mutter hat nach der Antragstellung bei der Beklagten am 22.06.2016 den offenen Restbetrag betreffend ihrer Teilnahmegebühr i.H.v. 125,00 EUR im Juli 2016 an den Jugendverband "S" überwiesen. Zahlungen von gesetzlichen Vertretern minderjähriger Leistungsberechtigter – wie vorliegend die Mutter – sind aus Sicht des Leistungsträgers regelmäßig dahingehend zu werten, dass sie auf die Schuld der leistungsberechtigten Person erfolgen und i.S.v. § 267 BGB als deren Leistung gelten sollen (vgl. Luik in Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl., 2017, § 30 Rn. 11f; Leopold in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 30 1. Überarbeitung, Rn. 26). Der von der Mutter der Klägerin zu 1) vorgeleistete Betrag von 125,00 EUR hat den nach § 28 Abs. 7 S. 1 Nr. 3 SGB II berücksichtigungsfähigen Bedarf i.H.v. insgesamt 120,00 EUR für die Klägerin zu 1) mitumfasst. Denn das monatliche Budget i.H.v. 10,00 EUR kann gesammelt und für eine längere Freizeit – wie im vorliegenden Fall verwendet werden (vgl. Luik, a.a.O., § 28 Rn. 64).
b. Bei den geltend gemachten Kosten i.H.v. 120,00 EUR handelt es sich aber nicht um einen Bedarf i.S.v. § 28 Abs. 7 S. 1 Nr. 3 SGB II.
Zwar ist die Klägerin zu 1) während des Besuchs des Sommercamps leistungsberechtigt i.S.v. § 7 SGB II gewesen. Sie hat mit ihrer Mutter, Frau E., im Juli 2016 und August 2016 eine Bedarfsgemeinschaft i.S.v. § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II gebildet, da sie außer dem Kindergeld über kein weiteres Einkommen oder Vermögen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts verfügt hat. Die Klägerin zu 1) hat die Voraussetzungen für den Bezug von Sozialgeld nach § 7 Abs. 2 S. 1, 19 Abs. 1 S. 2 SGB II bzw. für den Bezug von Alg II nach § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II ab Vollendung des 15. Lebensjahres am 00.07.2016 erfüllt. Bei Frau E. sind die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 Nrn. 1, 2,3, 4 SGB II in diesen Monaten gegeben gewesen. Sie hat das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze des § 7a SGB II noch nicht erreicht gehabt (Nr. 1), ist erwerbsfähig i.S.v. § 8 Abs. 1 SGB II gewesen (Nr. 2) und hat ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland gehabt (Nr. 4). Des Weiteren ist Frau E. hilfebedürftig i.S.v. §§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, 9 SGB II gewesen, da sie weder über ein anrechenbares Einkommen noch zu berücksichtigendes Vermögen verfügt hat. Zu Ungunsten von Frau E. haben auch keine Leistungsausschlüsse nach § 7 Abs. 1 S. 2, Abs. 4, Abs. 4a und Abs. 5 SGB II eingegriffen. Frau E. und die Klägerin zu 1) haben sich vor 2016 mehr als fünf Jahre durchgehend in der Bundesrepublik aufgehalten und sind auch gemeldet gewesen.
Jedoch handelt es sich bei dem vom Jugendverband "S" organisierten Sommercamp nicht um eine Freizeit i.S.v. § 28 Abs. 7 S. 1 Nr. 3 SGB II.
Unter dem Begriff Freizeit ist die [mehrtägige] organisierte Zusammenkunft für Gruppen mit bestimmten gemeinsamen Interessen zu verstehen (https://www.duden.de/rechtschreibung/Freizeitkontext). Das Sommercamp des Jugendverbandes "S" im Jahr 2016 ist eine solche mehrtägige Zusammenkunft von Kindern und Jugendlichen gewesen.
Die Regelung des § 28 Abs. 7 SGB II erfasst aber nicht jeden Bereich von gemeinschaftlichen Aktivitäten von Kindern und Jugendlichen, sondern soll nur die Teilhabe dieses Personenkreises am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft fördern. Die Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II, wozu auch die Teilhabeleistungen nach § 28 Abs. 7 SGB II zählen, bezwecken die Sicherung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG. Dieses sichert jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz, der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind (BVerfG, Urteile vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 und vom 05.11.2019 – 1BvL 7/16). Mit der Einführung der außerschulischen Teilhabeleistungen nach § 28 Abs. 7 SGB II bezweckt der Gesetzgeber, Chancengleichheit zwischen leistungs- und nichtleistungsbeziehenden Kindern und Jugendlichen herzustellen. Durch die Integration in bestehende Vereins- und Gemeinschaftsstrukturen und die Intensivierung des Kontakts mit Gleichaltrigen soll die individuelle Entwicklung von Kindern und Jugendlichen im sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft gefördert werden (BT-Drucks 17/3404 S. 106). Der Gesetzgeber hat nicht alle denkbaren Bereiche gemeinschaftlicher Aktivität von Kindern und Jugendlichen in § 28 Abs. 7 SGB II aufgenommen, sondern diese Teilhabeleistungen mit bestimmten Verwendungszwecken verknüpft. Die Teilhabeleistungen sollen die Teilhabe in den Bereichen Sport, Spiel, Kultur und Geselligkeit (Nr. 1), am Unterricht in künstlerischen Fächern wie dem Musikunterricht und vergleichbaren angeleiteten Aktivitäten der kulturellen Bildung (Nr. 2) sowie an Freizeiten (Nr. 3) ermöglichen. Sie bezwecken, Kinder und Jugendliche in die Lage zu versetzen, an Aktivitäten der kulturellen Bildung, wie z. B. Museumsbesuchen, Angeboten von Volkshochschulen, Theaterworkshops, museumpädagogischen Angeboten, sowie zur Stärkung der Medienkompetenz teilzunehmen. Es sollen das gemeinschaftliche Erleben oder Ziele der gemeinsamen kulturellen Teilhabe gefördert werden. Das trägt der Freiheit in der Ausrichtung an unterschiedlichen Interessen und Neigungen bei Kindern und Jugendlichen hinreichend Rechnung (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 – 1 BvL 10/12; BSG, Urteil vom 28.03.2013 – B 4 AS 12/12 R).
Andere Aktivitäten, wie z. B. die der reinen Unterhaltung (Kinobesuch) dienen, werden nicht gefördert. (vgl. BT-Drs. 17/3404 S. 106/107; so auch BSG, Urteil vom 28.03.2013 – B 4 AS 12/12 R). Dies gilt nach Auffassung des Senats auch für Aktivitäten, die dem (partei)politischen Leben zuzurechnen sind.
Das Bundesverfassungsgericht unterscheidet zwischen der Teilhabe am kulturellen und politischen Leben. Auch unter Berücksichtigung der gesetzlichen Konzeption, das § 28 Abs. 7 SGB II durch seine offenen Tatbestände viele Spielräume für Teilhabeleistungen eröffnet (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 28.03.2013 – B 4 AS 12/12 R), unterfällt die parteipolitische Willensbildung von Kindern und Jugendlichen, die Teilnahme an parteipolitisch geprägten Veranstaltungen bzw. die Nachwuchsförderung durch Parteien nicht dem in § 28 Abs. 7 SGB II verwandten Begriff der Kultur. Hierfür spricht schon die Regelung in § 28 Abs. 7 S. 1 Nr. 1 SGB II, wonach Teilhabeleistungen für Mitgliedsbeiträge in den Bereichen Sport, Spiel, Kultur und Geselligkeit zu erbringen sind, nicht aber Beiträge für die Mitgliedschaft in Organisationen aus dem Bereich der Politik, wie z.B. Parteien oder deren Jugendorganisationen. Der Ausschluss der Förderung einer parteipolitischen Willensbildung von Kindern bzw. Jugendlichen bzw. der Nachwuchsförderung für eine politische Partei entspricht auch dem staatlichen Neutralitätsgebot. Dem Staat ist es außerhalb der engen verfassungsrechtlich zulässigen Grenzen verwehrt, politische Meinungsäußerungen und sonstige (friedliche) politische Aktivitäten direkt oder indirekt zu honorieren oder zu sanktionieren. Dieses Gebot dient der Sicherung eines fairen und von staatlicher Einflussnahme grundsätzlich unbeeinflussten Wettbewerbs der politischen Willensbildung. Deshalb ist eine unmittelbare bzw. mittelbare Finanzierung von Parteien durch Gesetz zu regeln. Der Staat darf die insoweit vorgefundene Wettbewerbslage nicht verfälschen (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14. 03.2012 – OVG 6 B 19.11).
Deshalb ist nach Auffassung des Senats eine Freizeit, die von der Jugendorganisation einer Partei bzw. einer Partei organisiert wird und in der auch parteipolitisch orientierte Zwecke verfolgt werden, vom Begriff der Freizeit i.S.v. § 28 Abs. 7 S. 1 Nr. 3 SGB II im Hinblick auf ihre Zielrichtung nicht erfasst. Es lässt sich kaum die parteipolitische Arbeit eines Jugendverbandes von der einer überparteilichen, gemeinnützigen Jugendarbeit abgrenzen (siehe hierzu OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14.03.2012 – OVG 6 B 19.11 m.w.N.). Die politischen Jugendorganisationen nehmen drei Hauptfunktionen wahr, nämlich die der Vertretung der Partei und ihrer Ziele bei den Jugendlichen, der Vertretung der spezifischen Jugendinteressen in der Partei und in der Gesellschaft sowie die Funktion als Nachwuchsorganisation der Partei. Sie dienen als Mittler zwischen ihrer Zielgruppe und ihrer Partei. In diesem spezifischen Bereich nehmen sie an der politischen Arbeit der Mutterpartei teil wie diese selbst (vgl. hierzu OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14.03. – OVG 6 B 19.11).
Bei dem von dem Jugendverband "S" organisierte Sommercamp handelt es sich um eine solche Freizeit, die nicht von der Regelung des § 28 Abs. 7 S. 1 Nr. 3 SGB II umfasst ist. Der Senat stellt nicht in Abrede, dass das Sommercamp auch den mit der Regelung des § 28 Abs. 7 SGB II verfolgten Zielen – Förderung der individuellen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen im sozialen und kulturellen Bereich – gedient hat. Diese Freizeit hat als Gemeinschaftsveranstaltung (umfangreiche) Kultur-, Sport- und Freizeitangebote beinhaltet, also die Einbindung der Teilnehmer in soziale Gemeinschaftsstrukturen sowie die Möglichkeit der Entwicklung der Sinne und kreativen Fertigkeiten geboten (vgl. hierzu BT-Drs. 17/3404 S. 106). Das Sommercamp hat aber neben Kultur-, Sport- und Freizeitzwecken auch den Zweck der parteipolitischen Willensbildung der Teilnehmer bzw. der Nachwuchsförderung für eine politische Partei – der N – verfolgt. Dies ergibt sich aus dem von dem Jugendverband "S" herausgebenden Flyer über die Organisation, den Inhalt und die Aktivitätsangebote im Sommercamp sowie den Angaben der Klägerin zu 1) im erstinstanzlichen Verfahren über das Angebot von Aktivitäten in dem Sommercamp sowie aus den Veröffentlichungen über den Ablauf und Inhalt der Aktivitäten im Sommercamp durch den Jugendverband "S". Dieser ist die Jugendorganisation der Partei N und damit eine politische Jugendorganisation. Ausweislich der Grundsätze der N ist der Jugendverband "S" unter deren ideologisch-politischen Führung und Rahmen der Strategie der N tätig. Trotz organisatorischer Selbständigkeit ist der Jugendverband mitgliedschaftlich, ideologisch und finanziell in die N eingegliedert (siehe Auszug aus dem Parteiprogramm Kapitel J Punkt 8 S. 129ff). Das Sommercamp ist vom Jugendverband "S" zur politischen Nachwuchsbildung und – förderung genutzt worden. Auch die Klägerin zu 1) stellt nicht in Abrede, dass das Sommercamp einen politischen Bezug gehabt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
Der Senat hat die Revision nach § 160 Abs. 2 SGG zugelassen.
Erstellt am: 28.04.2020
Zuletzt verändert am: 28.04.2020