Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 25.07.2017 geändert. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 29.08.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.09.2016 verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 01.07.2015 bis 30.06.2016 Übergangsleistungen ohne Berücksichtigung der Abfindung in Höhe von 25.000 Euro brutto zu zahlen. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers für beide Rechtszüge zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen die Berücksichtigung einer Arbeitgeberabfindung bei der Berechnung seiner Übergangsleistungen nach § 3 Abs. 2 Berufskrankheitenverordnung (BKV).
Der im Jahre 1956 geborene Kläger war als Kfz-Mechaniker und Monteur von Lkw-Reifen beschäftigt. Am 10.06.2014 erteilte die Beklagte dem Kläger einen Bescheid, in dem es heißt; bei dem Kläger bestehe eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule. Ursache hierfür sei seine versicherte Tätigkeit als Reifenmonteur. Eine Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2108 der Berufskrankheiten-Liste liege vor, sobald er die genannte Tätigkeit sowie ähnlich gefährdende Tätigkeiten auf Dauer einstelle. Seit dem 30.06.2014 war der Kläger wegen seiner Wirbelsäulenbeschwerden arbeitsunfähig. Er erhob Klage beim Arbeitsgericht D auf Zuweisung eines leidensgerechten Arbeitsplatzes (Az. 6 Ca xxx). Mit Schreiben vom 20.10.2015 kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum 31.01.2016. Der Kläger erhob dagegen fristgerecht beim Arbeitsgericht D Kündigungsschutzklage. In dem arbeitsgerichtlichen Verfahren schlossen der Kläger und sein Arbeitgeber folgenden Vergleich:
1. Die Parteien sind sich darüber einig, dass der Kläger seine Arbeitsleistung krankheitsbedingt nicht mehr erfüllen kann.
2. Die Beklagte hat den Kläger daraufhin gekündigt. Das Integrationsamt hat der Kündigung zugestimmt.
3. Das Arbeitsverhältnis endete zum 31.10.2015.
4. Der Kläger erhält für den Verlust des Arbeitsplatzes eine Abfindung gem. §§ 9, 10 KSchG in Höhe von 25.000,00 EUR brutto.
5. Damit werden dieser Rechtsstreit und das Verfahren 6 Ca xxx für erledigt erklärt.
6. Alle wechselseitigen finanziellen Ansprüche der Parteien sind damit erledigt."
Durch Bescheid vom 27.04.2016 erkannte die Beklagte beim Kläger eine BK nach Nr. 2108 der Berufskrankheiten-Liste ab 29.06.2014 an. Später teilte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 29.07.2016 mit, dass ihm zum Ausgleich des durch die Tätigkeitsaufgabe verursachten Minderverdienstes und der sonstigen wirtschaftlichen Nachteile eine Übergangsleistung nach § 3 Abs. 2 BKV gezahlt werde und dem Grunde nach Anspruch auf eine Übergangsleistung bis zum 28.06.2019 bestehe. Für die Zeit vom 29.06.2014 bis zum 30.06.2015 werde eine Übergangsleistung in Höhe von 1863,13 EUR gezahlt.
Durch weiteren Bescheid vom 29.08.2016 lehnte die Beklagte für die Zeit vom 01.07.2015 bis zum 30.06.2016 die Gewährung einer Übergangsleistung an den Kläger mit der Begründung ab, dass ein auszugleichender Minderverdienst nicht vorgelegen habe. Bei der Berechnung sei die im Staffelungszeitraum ausgezahlte Abfindung mit dem Nettobetrag zu berücksichtigen. Mit dem dagegen erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, dass die Zahlung der Abfindung nicht in einem wesentlichen sachlichen Zusammenhang mit der BK-bedingten Aufgabe seiner Tätigkeit gestanden habe. Vielmehr habe durch die Abfindung der Verlust des Arbeitsverhältnisses für die Zukunft kompensiert werden sollen. Er berief sich auf ein Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts (LSG) vom 26.11.2014 (L 2 U 484/11) und meinte, dass diese Entscheidung auf seinen Fall übertragbar sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 29.09.2016 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass der Vergleich vom 01.12.2015 den ausdrücklichen Bezug zwischen der Auflösung des Arbeitsverhältnisses und der Erkrankung des Klägers beinhalte. Hinsichtlich des daraus resultierenden Arbeitsplatzverlustes sei der Abfindungsbetrag festgesetzt worden. Damit stehe fest, dass die Auflösung des Arbeitsverhältnisses wegen der BK erfolgt sei.
Mit seiner am 26.10.2016 beim Sozialgericht Gelsenkirchen erhobenen Klage hat der Kläger Übergangsleistungen für die Zeit vom 01.07.2015 bis zum 30.06.2016 ohne Berücksichtigung der Abfindung begehrt und sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt. Die Beklagte ist auf ihrem Standpunkt verblieben.
Mit Gerichtsbescheid vom 25.07.2017 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
Gegen die seinem Prozessbevollmächtigten am 28.07.2017 zugestellte Entscheidung hat der Kläger am 28.07.2017 Berufung eingelegt. Er trägt vor: Er habe gegen seinen Arbeitgeber vor dem Arbeitsgericht D auf Zuweisung eines leidensgerechten Arbeitsplatzes geklagt. Hierauf habe er aufgrund des ihm zuerkannten GdB von 50 einen Rechtsanspruch gehabt. Die Klage habe der Arbeitgeber zu Anlass genommen, die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses auszusprechen. Hintergrund dieser Kündigung seien nicht etwa personenbedingte Gründe, sondern rein wirtschaftliche Aspekte gewesen, da er über eine Betriebszugehörigkeit von 19 Jahren verfügt und im Vergleich zu seinen jüngeren, gewiss auch leistungsfähigeren Kollegen ein deutlich höheres Bruttoarbeitsentgelt erzielt habe. Der Personalleiter habe sich ihm gegenüber auch dahingehend geäußert, dass man an einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses aufgrund seines Alters und des arbeitsvertraglich vereinbarten Arbeitsentgelts kein Interesse habe. Einem älteren Arbeitskollegen sei ebenfalls gekündigt worden. Die BK sei entgegen der Auffassung der Beklagten und des Sozialgerichts nicht wesentliche Ursache für die im Vergleich vereinbarte Abfindung gewesen. Die Erkrankung hätte nicht den Ausspruch einer personenbedingten Kündigung gerechtfertigt. Als milderes Mittel hätte der Arbeitgeber zunächst einen leidensgerechten Arbeitsplatz anbieten müssen. Dies habe der Arbeitgeber aus rein wirtschaftlichen Gründen verweigert. Im Falle einer personenbedingten Kündigung sehe das KSchG die Zahlung einer Abfindung nicht vor. Eine Abfindungszahlung nach den Vorgaben der §§ 9, 10 KSchG erstrecke sich nicht auf sozial anerkannte personenbedingte Kündigungen. Der Fall liege hier nicht anders als in der vom Bayerischen LSG mit Urteil vom 28.11.2014 (L 2 U 484/11) entschiedenen Streitsache.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 25.07.2017 zu ändern und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 29.08.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.09.2016 zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 01.07.2015 bis 30.06.2016 Übergangsleistungen ohne Berücksichtigung der Abfindung in Höhe von 25.000 EUR brutto zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Ihr wesentlicher Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist begründet. Das Sozialgericht hat die zulässige kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage zu Unrecht abgewiesen, denn die Klage ist begründet. Der Kläger hat für die Zeit vom 01.07.2015 bis 30.06.2016 Anspruch auf Gewährung von Übergangsleistungen nach § 3 Abs. 2 BKV ohne Berücksichtigung der ihm im arbeitsgerichtlichen Vergleich zuerkannten Abfindung von 25.000 EUR brutto. Die Beklagte durfte diese Abfindung bei der Berechnung der bereits mit Bescheid vom 29.07.2016 dem Grunde nach endgültig bewilligten und konkretisierten Übergangsleistungen für die Zeit vom 01.07.2015 bis 30.06.2016 nicht berücksichtigen.
Die Übergangsleistung wird aus der Differenz zwischen früher erzielten und aktuellen Einkünften in der Art eines Vorteilsausgleichs berechnet. Bei der Ermittlung des Betrags sind grundsätzlich auch solche Vorteile zu berücksichtigen, die dem Versicherten durch die Unterlassung der gefährdenden Tätigkeit entstehen (stRspr; BSG vom 29.5.1963 – 2 RU 269/59 – BSGE 19, 157, 159 = SozR Nr 2 zu § 5 3. BKVO; BSG vom 25.9.1969 – 5 RKnU 2/69 – BSGE 30, 88, 89 = SozR Nr 3 zu § 5 BKVO-Saar; BSG vom 10.3.1994 – 2 RU 27/93 – SozR 3-5670 § 3 Nr 1; BSG vom 27.6.2000 – B 2 U 107/00 B -; BSG vom 4.5.1999 – B 2 U 9/98 R – und vom 30.6.1999 – B 2 U 23/98 R – die aber keine Aussage zur Höhe der aufgrund der umfassenden Betrachtung zu gewährenden Leistungen enthalten; BSG vom 18.09.2012 – B 2 U 15/11 R).
Der Versicherungsträger darf nur solche wirtschaftlichen Vorteile schadensmindernd heranziehen, die durch die Einstellung der gefährdenden Tätigkeit verursacht worden sind. Im Rahmen der Übergangsleistungen können den auf der BK beruhenden Nachteilen nur solche Vorteile gegenübergestellt werden, die ihrerseits in einem wesentlichen inneren Zusammenhang mit der BK-bedingten Tätigkeitsaufgabe stehen (BSG vom 10.03.1994 – 2 RU 27/93, SozR 3-5670 § 3 Nr. 1, BSG vom 04.05.1999 – B 2 U 9/98 R, juris). Der Vorteil muss im Sinne der unfallversicherungsrechtlichen Kausalitätsnorm der wesentlichen Bedingung auf der BK beruhen, derentwegen der Versicherte zur Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit gezwungen ist (BSG vom 04.05.1999 – B 2 U 9/98 R, juris m. w. N).
Das Bundessozialgericht (BSG) hat die Frage, ob und ggfs. wie Abfindungen, die aus Anlass einer BK-bedingten Tätigkeitsaufgabe gewährt werden, bei einer Übergangsleistung zu berücksichtigen sind, bisher offen gelassen, weil es in den vom BSG bislang entschiedenen Fällen bereits an dem für die Berücksichtigung des Vermögensvorteils erforderlichen wesentlichen inneren Zusammenhang mit der BK-bedingten Arbeitsaufgabe fehlte (BSG SozR 3-5670 § 3 Nr.1 ; BSG vom 04.05.1999 – B 2 U 9/98 R, juris).
Hieran fehlt es auch im vorliegenden Fall. Die Zahlung der Abfindung an den Kläger steht nicht in einem wesentlichen inneren Zusammenhang mit der BK-bedingten Tätigkeitsaufgabe. Denn es lässt sich nicht feststellen, dass dem Kläger die Abfindung wegen der BK-bedingten Aufgabe seiner Tätigkeit gezahlt worden ist. Zwar ist davon auszugehen, dass der Kläger seine Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen, bei denen es sich um die als BK 2108 anerkannte bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule handelt, aufgegeben hat. Dass die berufliche Tätigkeit BK-bedingt aufgegeben wurde, bedeutet jedoch nicht zugleich, dass die BK auch ursächlich im Sinne der wesentlichen Bedingung für die Zahlung der Abfindung gewesen wäre. Denn mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses geht nicht zwangsläufig auch die Zahlung einer Abfindung einher. Wenn der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus personenbedingten Gründen kündigen kann, weil der Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen an der Erbringung der geschuldeten Arbeitsleistung gehindert ist und ein leidensgerechter Arbeitsplatz nicht zur Verfügung steht, liegt gerade kein Fall der §§ 9, 10 KSchG vor.
Vorliegend ist die Zahlung der Abfindung vor allem deshalb erfolgt, weil es zu einer einvernehmlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gekommen ist. Dies ist aus den Abläufen im Vorfeld des zwischen dem Kläger und seinem Arbeitgeber geschlossenen Vergleichs zu schließen. Als feststand, dass der Kläger seine bisherige Tätigkeit aus BK-bedingten Gründen nicht mehr weiter verrichten konnte und der Arbeitgeber ihm einen anderen Arbeitsplatz nicht anbot, klagte der Kläger auf Zuweisung eines leidensgerechten Arbeitsplatzes. Der Arbeitgeber sprach daraufhin die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus. Erst in dem daraufhin vom Kläger angestrengten Kündigungsschutzprozess unterbreitete der Arbeitgeber dann das Angebot der Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus krankheitsbedingten Gründen zum 31.10.2015 und die Zahlung einer Abfindung von 25.000 EUR brutto für den Verlust des Arbeitsplatzes. Dieses Angebot erfolgte, weil dem Arbeitgeber entweder wegen der fehlenden Bereitschaft, den Kläger auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz umzusetzen, oder aber der fehlenden Möglichkeit, den schwer zu erbringenden Nachweis einer sozial gerechtfertigten Kündigung zu führen, an einer einvernehmlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gelegen war. Die BK war daher zwar Auslöser, aber nicht wesentliche Bedingung für die Zahlung der Abfindung. Bei rechtlich wertender Betrachtung kommt der fehlenden Bereitschaft des Arbeitgebers des Klägers, den Kläger auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz umzusetzen, bzw. der aus Sicht des Arbeitgebers bestehenden Schwierigkeit die Unmöglichkeit einer Umsetzung des Klägers nachzuweisen, überragende Bedeutung zu. Andernfalls wäre es nicht zu der Vereinbarung einer Abfindung gerade nach § 9, 10 KSchG gekommen. Diese Wertung wird zusätzlich dadurch gestützt, dass die Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes gezahlt wurde und alle wechselseitigen finanziellen Ansprüche der Parteien damit erledigt waren. Durch die Abfindung wurde damit u. a. auch das Arbeitsentgelt abgegolten, welches dem Kläger für den Verzicht auf die Einhaltung der dreimonatigen Kündigungsfrist entgangen ist. Eine – auch nur teilweise – Anrechnung der Abfindung als Arbeitsentgelt scheidet allerdings ebenfalls aus. Denn nach dem Willen der den Vergleich schließenden Vertragsparteien sollte dem Kläger durch die Abfindung ein Ausgleich für die Nachteile verschafft werden, die mit dem Verlust des Arbeitsplatzes verbunden waren. Eine solche Abfindung wegen Beendigung der Beschäftigung stellt kein Arbeitsentgelt im Sinne von § 14 SGB IV dar (BSG vom 04.05.1999 – B 2 U 9/98 R, juris m. w. N.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Erstellt am: 04.06.2020
Zuletzt verändert am: 04.06.2020